E. V. Abraham: Anticipating Sin in Medieval Society

Cover
Titel
Anticipating Sin in Medieval Society. Childhood, Sexuality, and Violence in the Early Penitentials


Autor(en)
Abraham, Erin V.
Reihe
Knowledge communities 2
Erschienen
Anzahl Seiten
194 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Birgit Kynast, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die unterschiedlichsten Aspekte mittelalterlicher Buße waren seit der Jahrtausendwende Gegenstand zahlreicher, internationaler Publikationen, die sich der Thematik aus verschiedenen Perspektiven und anhand unterschiedlicher Quellencorpora näherten.1 Einschlägige Kontroversen speziell der deutschsprachigen Forschung sind bereits etwas älteren Datums; sie hatten allerdings zentrale Problematiken des frühmittelalterlichen Bußverständnisses generell sowie speziell der frühmittelalterlichen Bußbücher zum Gegenstand. Streitpunkte waren vor allem die Frage nach strafrechtlicher oder seelsorgerlich-pastoraler Zielrichtung, nach Intentions- oder Tathaftung.2 Diese thematischen Zusammenhänge werden rudimentär in der Studie Erin V. Abrahams berücksichtigt, wobei sie überwiegend englischsprachige Forschung heranzieht. Sie kritisiert in ihrer Einleitung diesbezüglich generalisierende „Tendenzen” und will selbst einen gänzlich anderen Ansatz verfolgen, „by resituating penitentials within the broader discourses with which they were engaged, focusing on the language their authors employed in describing sins and sinners, and clarifying their value for early medieval history beyond questions of sin and punishment” (S. 14). Anhand ausgewählter Texte sollen Einblicke in „contemporary ideas about innocence, vulnerability, culpability, and liability in relation to youth, gender and status […]” (S. 9) geboten werden. Abraham strebt eine sozialgeschichtliche Untersuchung an; dabei sei ihr jedoch, wie sie betont, bewusst, dass die Bußbücher keinen unmittelbaren Rückschluss auf die Praxis oder Alltagswelt zuließen, sie aber dennoch bestimmte ethisch-moralische Vorstellungen von Gemeinschaften wiederspiegelten.

Zunächst werden die insgesamt neun Bußbücher vorgestellt, die Gegenstand der Untersuchung sein sollen. Nur eines davon, das Paenitentiale Burgundiense, ist mit Sicherheit nicht insularen Ursprungs, aber irisch beeinflusst; für ein zweites, das Paenitentiale Egberti, wird sowohl eine angelsächsische als auch eine kontinentale Herkunft diskutiert. Sechs der herangezogenen Kompilationen sind definitiv irischer Herkunft; ihre Auswahl begründet Abraham etwas lapidar damit, dass es sich bei diesen Bußbüchern um die ältesten handle. In ihren knappen Ausführungen geht Abraham kaum auf die unterschiedlichen Kontexte, Voraussetzungen und Nachwirkungen der Texte ein. Der Text, der als ältester (Mitte 6. Jahrhundert) angeführt wird, ist mit dem Namen Finnian verbunden, wobei der Autor nicht sicher zu identifizieren ist; sowohl Finnian von Moville als auch Finnian von Clonard wurden in Betracht gezogen.3 Am Schluss stehen das Bigotianum (ca. 8. Jahrhundert) und das wohl von diesem abhängige Bußbuch in altirischer Sprache. Deutlich wird, dass Abraham im weitesten Sinne Texte gewählt hat, die einen Bezug zu Irland aufweisen, durchmischt jedoch mit Texten wie dem Paenitentiale Egberti, das aus einem ganz anderen, womöglich angelsächsischen Kontext stammt und überwiegend nur noch in kontinentaler Überlieferung vorhanden ist.4 Kaum berücksichtigt wurde der überlieferungsgeschichtliche sowie der Entstehungskontext bei dem von der Autorin als Paenitentiale Theodors bezeichneten Text, bei dem es sich um die vom sogenannten Discipulus Umbrensium redigierte Version der auf Theodor von Canterbury zurückgehenden Bußbestimmungen handelt, die in der neueren Forschung zumeist als Iudicia Theodori U bezeichnet wird.5 Dadurch wird jedoch auch kaum nachvollziehbar, worin ihre spezielle Auswahl nun eigentlich begründet liegt; das Alter dieser überlieferungsgeschichtlich teilweise sehr umstrittenen und in sich sehr unterschiedlichen Texte ist jedenfalls ein unzureichendes Kriterium.

Im Anschluss an ihre sehr kurze Vorstellung der ausgewählten Texte wird ebenso knapp auf die wechselseitigen Einflüsse der Bußbücher mit anderen Texten eingegangen oder vielmehr verwiesen. Es folgen Skizzen der verschiedenen Arten monastischer Gemeinschaften, die sich dieser Werke wohl bedient haben, sowie des Bußverständnisses unter Einbeziehung bestimmter Charakteristika wie der Kommutationen, der Rigidität mancher Vorgaben oder der spezifischen Verantwortung Geistlicher im Rahmen der Buße.

In einem ersten thematisch orientierten Kapitel wendet sich Abraham gegen die Annahme universaler Konzepte von Kindheit und verweist stattdessen auf eine spezielle frühmittelalterliche „Ambiguität“; diese sei nicht zuletzt durch eine terminologische Vielfalt der Quellen bedingt. Als wesentliches Kriterium lasse sich aber die Beherrschung der Sprache zur Markierung eines sich entwickelnden moralischen Bewusstseins feststellen. Ihre Hauptreferenzen, Isidor von Sevilla, Gregor der Große, Beda Venerabilis, ferner Augustinus, werden nur teilweise tiefer gehend untersucht. Abraham spricht hier, wie an anderen Stellen des Buches auch, in etwas sehr allgemeiner Weise von Bußbüchern als Teil von „knowledge communities“ (S. 49). Als solche seien auch monastische Gemeinschaften anzusehen. Kinder als Täter finden sich nur in manchen der von ihr untersuchten Bußbücher. Die entsprechenden Bestimmungen werden von Abraham in ihrem ersten Hauptkapitel untersucht, ein bisher nicht in dieser Weise verfolgter thematischer Zugang.6 Sie will dazu wechselseitig auch die Schuld untersuchen, die Erwachsene im Umgang mit (kleinen) Kindern auf sich laden konnten, etwa in Bezug auf ungetauft verstorbene Kinder. Für die Schuldfähigkeit von Kindern sei hingegen das Alter entscheidend bzw. die Fähigkeit eines Kindes, über „the ability to knowingly deceive“ (S. 56, mit S. 58f.) zu verfügen. Nicht ganz zuzutreffen scheint diese Unterscheidung jedoch in Fällen sexueller „Verunreinigung“, einem Thema, dem sich die Autorin in einem nächsten Kapitel ausführlicher widmet. Speziell untersucht sie Bestimmungen, die Bußen für Vergehen Heranwachsender in monastischen Gemeinschaften geben, die ein entsprechend gewertetes Begehren bis hin zu tatsächlichen sexuellen Handlungen betreffen. Einige Bestimmungen behandeln womöglich Missbrauch, wobei das aufgrund des oftmals nicht eindeutigen Vokabulars ambivalent sei. In solchen Fällen sei der jeweilige Kontext zu berücksichtigen. Gleiches gelte für die Bußen, sofern sie gegeben werden, denn gelegentlich geht der Täter scheinbar bußfrei aus; in diesem Zusammenhang verweist die Autorin vollkommen zu Recht darauf, dass in solchen Fällen weitere Passagen eines Bußbuchs heranzuziehen sind, die in der ein oder anderen Weise Auskunft geben können für solche, dann nur scheinbare, Leerstellen.

Die weiteren Untersuchungsfelder wirken etwas assoziativ-willkürlich gewählt; sie werden erst bei der genaueren Lektüre implizit und einigermaßen nachvollziehbar. In den Kapiteln zu Sexualität, Ehe und Gewalt werden jedoch, vor allem zuletzt mit dem Fokus auf Gender und Status, an vielen Punkten in einem meist weiteren Kontext erzielte Ergebnisse älterer Forschungen fortgeschrieben, die die Autorin häufig gar nicht berücksichtigt hat7 oder die sie als nicht überzeugend oder nicht ausreichend kritisiert, ohne sich wirklich ausführlich und detailliert damit auseinanderzusetzen.8 Ihre eigenen Schlussfolgerungen, die sie teilweise textimmanent erarbeitet, sind dabei nicht immer klar nachzuvollziehen. Man hätte sich etwa eine tiefer greifende Diskussion der „customary practices and the matrimonial ideas that informed the authors of the penitentials and their contemporaries“ (S. 109) gewünscht. Einzelne Bestimmungen aus den ausgewählten Bußbüchern werden hier weltlichen Rechtstexten gegenübergestellt, ohne deutlicher Bezüge zwischen diesen Texten herauszuarbeiten; es wird angenommen, dass es zwischen diesen unterschiedlichen Sphären einen Aushandlungsprozess („continuing negotiation“, S. 109) gegeben habe, was bezüglich einer Ehe recht sei und was nicht. Das ist durchaus vorstellbar, nur hätte Abraham dies stärker quellenbasiert ausarbeiten müssen. Gleichwohl gehen Verweise auf die Collectio Hibernensis sowie auf alttestamentarische Vorbilder immerhin in eine richtige Richtung, die insbesondere bezüglich der Bibel als Rechtsquelle für den irischen Raum auch anderweitig bereits seit längerem bestätigt ist.9 Eine Bestimmung des Paenitentiale Columbani, in der es um Körperverletzung und die dafür vorgesehenen Restitutionen geht, wird kaum in einen weiteren Kontext gestellt, der dazu hätte beitragen können, die inhaltlich etwas unklare Formulierung besser zu verstehen (S. 166f.). Eine stärkere Einbeziehung der Bußbuchvorlagen respektive möglicher Quellen wäre wünschenswert gewesen, um ihren spezifischen Diskursbeitrag überhaupt fassen zu können. Die Postulierung einer „Bekanntschaft“ mit Werken oder „Ideen“ Isidors von Sevilla oder des Augustinus ist dafür zu wenig. Besonders schwierig erscheint dabei eine von der Autorin immer wieder in Anschlag gebrachte „Zuständigkeit“ („purview“) der Kirche oder der Bußdisziplin, während sie an anderen Stellen durchaus eine gewisse Vielfalt und Unterschiede gelten lässt. Auf die thematischen Kapitel folgt schließlich eine sehr knappe, prägnante Zusammenfassung. Abgerundet wird der Band durch ein gemischtes Personen- und Sachregister, wobei das Sachregister thematisch sehr detailliert ausgearbeitet ist.

Für eine bessere methodische Absicherung der Ergebnisse wäre es wünschenswert gewesen, stärker auf die Forschungen zur Herkunft und lokalen Verbreitung der untersuchten Texte einzugehen. Dass die einzelnen Werke eine schwierige Überlieferungsgeschichte haben, ist der Autorin zwar bewusst, sie belässt es allerdings im Wesentlichen bei einem sehr allgemeinen Verweis (S. 19). Dass eine nicht zuletzt überlieferungsgeschichtliche Einordnung der frühmittelalterlichen Bußbücher unumgänglich ist, will man die tatsächliche Aussagekraft einzelner Werke oder gar ihrer einzelnen Canones untersuchen, hat bereits Raymund Kottje in zahlreichen Studien ausführlich gezeigt; immerhin eine seiner maßgeblichen Studien, allerdings mit einem anderen Fokus, findet sich im Literaturverzeichnis.10

Trotz aller Vorbehalte gegenüber dieser sehr flüssig geschriebenen Studie, die sich vor allem auf ihre forschungsgeschichtliche und quellenkritische Herangehensweise beziehen, ist ihr grundsätzliches Anliegen unbedingt zu begrüßen.

Anmerkungen:
1 Vgl. z.B. Sarah Hamilton, The Practice of Penance, 900–1050, London u.a. 2001; Ludger Körntgen, Bußbuch und Bußpraxis in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, in: Wilfried Hartmann (Hrsg.), Recht und Gericht in Kirche und Welt um 900, München 2007, S. 197–215; Mayke de Jong, The Penitential State. Authority and Atonement in the Age of Louis the Pious, 814–840, Cambridge u.a. 2009; Rob Meens, Penance in Medieval Europe. 600–1200, Cambridge 2014; Atria A. Larson, Master of Penance. Gratian and the Development of Penitential Thought and Law in the Twelth Century, Washington D.C. 2014.
2 Franz Kerff, Libri paenitentiales und kirchliche Strafgerichtsbarkeit bis zum Decretum Gratiani. Ein Diskussionsvorschlag, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 75 (1989), S. 23–57; Raymund Kottje, „Buße oder Strafe?“. Zur iustitia in den Libri paenitentiales, in: La giustizia nell’alto medioevo, secoli V–VIII, Spoleto 1995, S. 443–474; Hubertus Lutterbach, Intentions- oder Tathaftung? Zum Bußverständnis in den frühmittelalterlichen Bußbüchern, in: Frühmittelalterliche Studien 29 (1995), S. 120–143.
3 Vgl. Meens, Penance (wie Anm.1), S. 47.
4 Vgl. Meens, Penance (wie Anm.1), S. 96f. Vgl. auch ausführlich zur Überlieferung der mit dem Namen Egberts von York verbundenen Bußbuchtradition: Reinhold Haggenmüller, Die Überlieferung der Beda und Egbert zugeschriebenen Bußbücher, Frankfurt am Main u.a. 1991, S. 149–195.
5 Zu den Bußbuchtraditionen, die mit dem Namen Theodors von Canterbury verbunden sind, sowie knapp zum weiteren angelsächsischen Hintergrund sowie zur Verbindung mit der Egbertschen Bußbuchtradition, vgl. Meens, Penance (wie Anm.1), S. 58, 88–100.
6 Vgl. dagegen Heinz Wilhelm Schwarz, Der Schutz des Kindes im Recht des frühen Mittelalters. Eine Untersuchung über Tötung, Mißbrauch, Körperverletzung, Freiheitsbeeinträchtigung, Gefährdung und Eigentumsverletzung anhand von Rechtsquellen des 5. bis 9. Jahrhunderts, Siegburg 1993. Der Fokus der Arbeit liegt eher auf einer Sammlung des umfangreichen Materials, das nur sehr bedingt ausgewertet wird.
7 Vgl. etwa Jean-Louis Flandrin, Un temps pour embrasser. Aux origines de la morale sexuelle occidentale (Ve–Xe siècle), Paris 1983; Joyce E. Salisbury, Bestiality in the Middle Ages, in: dies. (Hrsg.), Sexuality in the Middle Ages. A Book of Essays, New York u.a. 1991, S. 173–186; Hubertus Lutterbach, Sexualität im Mittelalter. Eine Kulturstudie anhand von Bußbüchern des 6. bis 12. Jahrhunderts, Köln u.a. 1999; Rüdiger Schnell, Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe, Köln u.a. 2002; Raymund Kottje, Die Tötung im Krieg als rechtliches und moralisches Problem im früheren und hohen Mittelalter (7.–12. Jahrhundert), in: Hans Hecker (Hrsg.), Krieg in Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 2005, S. 17–39; Ines Weber, Ein Gesetz für Männer und Frauen. Die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur, Ostfildern 2008.
8 Das betrifft vor allem die Arbeiten von James A. Brundage und Pierre J. Payer.
9 Vgl. Raymund Kottje, Studien zum Einfluß des Alten Testamentes auf Recht und Liturgie des frühen Mittelalters (6.–8. Jahrhundert), Bonn 1970.
10 Vgl. Kottje, Buße (wie Anm.2).

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