Cover
Titel
Stolpersteine. Idee. Künstler. Geschichte. Wirkung


Autor(en)
Hesse, Hans
Erschienen
Anzahl Seiten
511 S., zahlr. farb. Abb.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anke Silomon, Berlin

Hesse schreibt im Vorwort dieser Publikation, er habe eigentlich „ein Buch über das Leben und Werk“ Gunter Demnigs schreiben wollen, „stolperte“ dann aber „plötzlich in ein ganz anderes Buchvorhaben“, weil „ausgerechnet das Projekt STOLPERSTEINE weitestgehend unbearbeitet“ sei (S. 13). Über diese Einschätzung könnte man streiten, und wenn man einen Blick in das sorgfältig zusammengetragene Literaturverzeichnis im Anhang des Buches wirft, stellt sich die Frage, in welchem Bereich Hans Hesse eigentlich die Desiderate sieht, zumal es auch einige wissenschaftliche Publikationen über die Stolpersteine gibt. Sein Ziel war es, die „Geschichte der STOLPERSTEINE zu schreiben“, auch wenn er darauf hinweist, dass Demnigs Projekt „noch nicht abgeschlossen ist, wohl nie abgeschlossen werden wird“, weil es sich um einen laufenden und zum Teil auch verselbständigenden Prozess handelt (S. 19). Das vorliegende Buch, dessen Druck von der „STIFTUNG – SPUREN – Gunter Demnig“ gefördert wurde, beeindruckt durch sein ungewöhnliches Format, das ein wenig an einen überdimensionierten Stolperstein erinnert. Auch ist es schön gebunden und enthält viele Abbildungen in guter Qualität, was einer Publikation über ein künstlerisches Projekt zugutekommt.

Der Einleitung vorangestellt sind verschiedene Zitate – überhaupt ist diese Publikation übersatt an Zitaten, die häufig mehr als nur einmal verwendet werden –, die die herausragende Bedeutung der Stolpersteine untermauern sollen, die sie in der Tat für die deutsche und auch europäische Gedenkkultur haben. Hesse verwendet den Begriff „Jahrhundertprojekt“, ebenfalls ein Zitat aus einer Ausstellungseröffnung, der nur in der Überschrift mit einem Fragezeichen versehen ist, und der offenbar aus seiner Sicht die Strahlkraft des Projekts nur unzureichend beschreibt. Hesse konstatiert: „Das Projekt STOLPERSTEINE ist wie etwa die Werke Schillers nationales Kulturgut geworden“ (S. 18).

Hesse konzentriert sich bei der Beschäftigung mit dem Forschungsstand sinnvollerweise auf weniger bekannte oder schwer zugängliche Literatur. Nur kritisiert er dabei die Forschungsansätze der Autor/innen und weist deren auf Fehlbeurteilungen und -interpretationen hin. In einem weiteren Unterpunkt der Einleitung wirft Hesse einige „Fragestellungen“ auf, die sich auf die Vorgeschichte, das Konzept und die Zukunft des Projekts Stolpersteine und dessen Einbindung in den historischen und (gesellschafts-)politischen Kontext beziehen.

Das zweite Kapitel ist der persönlichen und künstlerischen Biografie Gunter Demnigs gewidmet und eröffnet den Leser/innen einen Blick auf die verschiedenen Kunstinstallationen und -aktionen sowie Denkmalprojekte, die durchgängig auch politisch (motiviert) sind. Sehr interessant ist dabei, welche große Bedeutung der Auswahl der passenden Materialien zukommt, wie zum Beispiel ihr Potential danach bewertet wird, wie sie sich verarbeiten lassen, ob sie nicht zu schwer, nicht zu teuer, vergänglich oder unvergänglich sind. Hesse verweist dabei darauf, dass zum Gesamtwerk von Gunter Demnig bislang keine kunsthistorischen Untersuchungen und auch keinerlei Werkverzeichnis vorliegen. Auch der Künstler selbst verfügt nicht über ein Archiv, das über seine Werke und deren Entstehung sowie Entstehungszeit Auskunft gibt und sie dokumentiert. Hesse selbst hat jedoch inzwischen in der Kunst- und Museumsbibliothek der Stadt Köln eine entsprechende Sammlung aufgebaut und bittet zusammen mit der Direktorin Elke Purpus um Unterstützung durch einschlägige Dokumente (S. 14).

Die fehlende Existenz einer systematischen, auch chronologisch geordneten Dokumentation von Demnigs künstlerischem Schaffen hat Hesse seine Arbeit an der Publikation nicht nur erheblich erschwert, sondern hat auch seinem Buch Schaden zugefügt. Denn vor allem im 3. Kapitel, „Das Projekt STOLPERSTEINE – ‚Ab und zu gehst du heulend nach Hause‘“ (eine leider nicht weiter kommentierte Aussage von Demnig), leidet die Lesbarkeit unter dem immer wieder scheiternden Versuch Hesses, die Entstehung des Stolperstein-Projekts von seinen Vorläufern über die Konkretisierung der Idee und das Konzept bis hin zur Umsetzung systematisch darzustellen und zeitlich einzuordnen. So kommt es zu vielen Wiederholungen, nicht nur von Zitaten. Hier hätte ein gründliches Lektorat von Verlagsseite vielleicht helfen können. Auch hätten kleinere Fehler vermieden werden können, so zum Beispiel die wiederholte Bezeichnung der Israelischen Kultusgemeinde in München als „Kulturgemeinde“ (S. 321, 323). Leider fehlt auch eine ausführlichere und weniger bloß rechtfertigende Auseinandersetzung mit der bestehenden Kritik an den Stolpersteinen. Beispielsweise wird der Vorwurf, der Künstler häufe mit der Herstellung und Verlegung von Stolpersteinen Reichtümer an, nur angedeutet, nicht aber mit Erklärungen und guten Argumenten entkräftet.

Das Fazit trotz der formulierten Monita lautet: Mit seiner Geschichte der Stolpersteine hat Hans Hesse eine kunstvoll aufgemachte und reich bebilderte Publikation vorgelegt, die eine Fülle an interessantem Material enthält und durch einen aufwändigen und akribisch zusammengestellten Anhang dazu einlädt, sich mit dem Thema „Stolpersteine“ sowie bundesdeutscher und europäischer „Gedenkkultur“ intensiver zu beschäftigen.