J. Wiesehöfer u.a. (Hrsg.): Megasthenes

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Titel
Megasthenes und seine Zeit / Megasthenes and His Time.


Herausgeber
Wiesehöfer, Josef; Brinkhaus, Horst; Bichler, Reinhold
Reihe
Classica et Orientalia 13
Erschienen
Wiesbaden 2016: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
230 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Karmaat, Abteilung für Alte Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Die Bedeutung des Megasthenes für die althistorische Forschung spiegelt sich nicht in seiner bisherigen Rezeption wider.1 Als „Diplomat“ griechischer Herrscher am Hof des Chandragupta Maurya verfasste er eine vierbändige Indiká. Diese Schrift bildete eine wesentliche Grundlage des literarischen Wissens über Indien in der griechisch-römischen Welt. Doch spielte sie in der althistorischen Betrachtung bisher eine marginale Rolle. Die Hauptproblematik seiner nur fragmentarisch erhaltenen Schrift besteht in ihrer mangelnden Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus wurde Indien von den Althistorikern primär im Zusammenhang mit dem Alexanderzug betrachtet. In den letzten Jahren rückten die Gebiete an den Grenzen der griechischen Oikumene wieder in den Blickpunkt. Auch werden neue Betrachtungsmöglichkeiten unter Einbindung diverser Forschungsdisziplinen angegangen.

In diesem Kontext wurde 2012 eine Tagung am Institut für Klassische Altertumskunde der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel unter dem Titel „Bilder des Orients: Megasthenes, Apollodoros von Aremita und Isidoros von Charax“ abgehalten. Die wichtigsten Beiträge bezüglich Megasthenes wurden in dem vorliegenden Band zusammengefasst.

Den Einstiegspunkt bietet Reinhold Bichlers Einblick auf das von antiken Autoren übermittelte Bild der politischen und sozialen Organisation Indiens innerhalb der Alexander-Historiographie. Bichler hebt hier die Darstellung Alexanders bei Arrian hervor, dessen nüchterne Beschreibung sich deutlich von denen der übrigen, auf „Mirabilien“ (S. 23) fokussierenden, Alexanderautoren unterscheidet. Auch verzichtet Arrian auf die Übertragung griechischer Utopia-Vorstellungen auf Indien, was ihn für Bichler zu der zentralen Quelle der politisch-sozialen Verhältnisse vor Ort macht.

In vergleichender Perspektive zu Megasthenes betrachtet Horst Brinkhaus die politische Lehrschrift Arthaśāstra des Inders Kautilya. Insbesondere wird die Frage nach einer möglichen Nähe beider Autoren diskutiert. Horst Brinkhaus bietet hier einen umfassenden Bericht über die gegenwärtige Diskussion bezüglich der Entstehung und Rezeption von Kautilyas Schriften. Dabei macht sich Brinkhaus vor allem für die Position von Mark McClisch stark, die von einer ähnlichen Perspektive beider Schriften ausgeht, ohne dass beide Texte eine besondere Nähe zueinander aufweisen.2

Der Frage nach der Kategorisierung der Indiká des Megasthenes geht Veronica Bucciantini nach, die einen Vergleich mit den überlieferten Berichten anderer griechischer Reisender an den Rand der griechischen Oikumene als Ansatz gewählt hat, welche von ihr unter dem Begriff der Reiseliteratur subsumiert werden. Auch wenn der Begriff der Reiseliteratur weitestgehend der Neuzeit zugeordnet wird, zeigt Bucciantini, dass er auch bei antiken Autoren angewandt werden kann und Megasthenes‘ Fragmente dementsprechend behandelt werden müssen.

Die durch Strabon überlieferte Beschreibung der Stadt Palitbothra unter der Maurya-Dynastie wird in Bezug auf die Frage nach einer etwaigen Vorbildfunktion der achämenidischen Architektur thematisiert. Hier liefert Bruno Jacobs einen Bericht über den aktuellen Forschungsstand. In seinen Ausführungen fließen neben den literarischen Quellen auch die neueren Erkenntnisse der Ausgrabungen vor Ort in die Betrachtung ein. Letztlich kommt er zu dem Schluss, dass die Maurya-Dynastie Elemente der persischen Architektur mit eigenen Traditionen verband (S. 74).

Die Vermischung indischer Religionsvorstellung mit griechischen Indienbildern bei Megasthenes greifen Sushma Jansrari und Richard Ricot auf. Zentraler Untersuchungsgegenstand sind hierbei die Beschreibungen der sagenhaften Astomoi. Auch wenn sie eingestehen müssen, dass Megasthenes‘ Ansichten aufgrund der Komplexität des Themas und der Überlieferungsgeschichte begrenzt nutzbar sind, so hegen sie doch die Hoffnung, dass die Fragmente im Vergleich mit den übrigen griechisch-römischen Quellen sowie weiteren südostasiatischen Quellen in Teilen als Material für eine Darstellung der Religionspolitik des Maurya-Reiches dienen können (S. 95).

Grant Parker legt den Fokus auf die römischen Rezeptionen des Megasthenes. Vor allem Autoren des 1. Jahrhundert n.Chr. zogen Megasthenes in erster Linie wegen der Alexanderexpedition heran. Dabei nannten sie ihn nicht immer als Referenz, was nicht nur mit der fragwürdigen Glaubwürdigkeit zusammenhing. Nach Parker war für die römischen Autoren die Darstellung Megasthenes des Indienzuges insofern problematisch, als dass seine Eroberungspolitik ein ungeeignetes Vorbild für die Ausbildung des römischen Herrschaftssystems darstellte.

Einen übergeordneten Blick auf die Handelssysteme des Nahen und Mittleren Ostens bietet der Beitrag von Daniel T. Potts, beginnend mit deren Entwicklung seit der Frühzeit. In seiner Abhandlung macht Potts deutlich, dass die Reichweite der wirtschaftlichen Beziehungen deutlich größer war als bisher angenommen wurde und bis hin nach Neuguinea und dem östlichen Zentralafrika reichte.

Eine immer noch schwelende Kontroverse innerhalb der Forschung ist der Ursprung der Gesandtschaft des Megasthenes sowie die Bewertung des Zuges Seleukos I. nach Indien. Duane Rollers wertet den Zug aufgrund der nachfolgenden seleukidischen Gebietsabtretungen als Desaster und sieht Megasthenes als Gesandten des Sibyrtos, nicht als den des Seleukos, da sich für letztere Annahme lediglich Arrian als Beleg findet (S. 119f). Weiterhin geht er auf die Problematik der Identifikation der Fragmente der Indiká ein, die in vielen Fällen zu Recht als spekulativ angesehen werden muss.

Dagegen sieht Robert Rollinger nicht nur eine Verbindung zwischen Megasthenes und Seleukos I., sondern sieht ihn auch als Interessenvertreter der Seleukiden am Hof des Maurya-Herrschers. Gleichzeitig betrachtet Rollinger Megasthenes als „Kronzeugen seleukidischer Herrschaftsideologie“, die er in die Tradition nahöstlicher Auffassungen stellt. Aus dieser Perspektive würde sich auch Megasthenes‘ Exkurs über Nebukadnezar erklären, in dessen Tradition sich die Seleukiden stellten.

Die literarischen Dimensionen des antiken Indienbildes verdeutlicht Kai Ruffing, deren Entwicklung er facettenreich nachzeichnet. Die Quintessenz seiner Beobachtungen ist ein immer detailreicher ausgestaltetes Bild der Griechen von Indien. Seiner Darstellung nach beruhte diese Faszination auf der Stellung Indiens als Land zwischen Fantasievorstellungen und den Griechen wunderlich anmutenden Realitäten.

Die Sichtbarkeit griechischer Einflüsse auf Indien während der Herrschaft von Ashoka behandelt Oskar von Hinüber, auch wenn Ashokas Regentschaft aus dem chronologischen Rahmen fällt. Der Autor verweist in diesem Zusammenhang auf die Quellenlage, die erst unter Ashoka ausreichend Material zu den griechisch-indischen Interaktionen bereithält. Auch wenn die Quellen auf einen regen Kulturaustausch hindeuteten, warnt von Hinüber aufgrund des dürftigen Materials vor einer zu „optimistischen Sichtweise“ (S. 201), die er der Überblicksliteratur attestiert.

Im letzten Beitrag geht Josef Wiesehöfer auf die Kontroverse bezüglich des Vertrages zwischen Seleukos I. und Chandragupta ein. In Abkehr von der bisherigen Forschungsmeinung, die immer einen der Herrscher im Vorteil sah, betrachtet er den Vertrag als Interessenausgleich beider Reiche. Wiesehöfer stellt in seinem Beitrag glaubhaft und nachvollziehbar das Verhältnis der zwei Königreiche direkt zu Beginn als das einer gleichberechtigten Partnerschaft dar, die sich unter den Nachfolgern fortsetze, bis das Auftreten neuer Mächte sowie die Ermordung des letzten Herrschers der Maurya die politische Lage der Region änderte.

Insgesamt bietet der Sammelband eine facettenreiche Darstellung der aktuellen Forschungsschwerpunkte zu Megasthenes und der Bedeutung seines Werkes für die Betrachtung des Verhältnisses der griechisch-römischen Oikumene zu Indien und ihrem Blick auf diese Region. Dabei richtet sich der Sammelband primär an die mit den Verhältnissen im Hellenismus vertrauten Leser. Insgesamt bietet das Buch eine umfangreiche Zwischenbilanz der gegenwärtigen Forschungsansätze zu Megasthenes. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftige Untersuchungen daran anknüpfen.

Anmerkungen:
1 Vgl. zum Beispiel Kai Brodersen, Megasthenes, in: DNP 7, Stuttgart 1999, Sp. 1145; Albert Brian Bosworth, The historical setting of Megasthenes’ Indica, in: Classical Philology 91, 1996, S. 113–127; Otto Stein, Megasthenes 2, in: RE 15,1, Stuttgart 1931, Sp. 230–326.
2 Vgl. Mark McClisch, „Is the Arthaśāstra a Mauryan Document?“, in: Patrick Olivelle / Janice Leoshko / Himanshu Prabha Ray (Hrsg.), Reimaging Asoka. Memory and History. Oxford 2012; Mark McClish / Patrick Olivelle (Hrsg.), The Arthastastra. Selections from the Classic India Work on Statecraft. Indianapolis 2012.

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