A. Nützenadel (Hrsg.): Das Reichsarbeitsministerium im NS

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Titel
Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus. Verwaltung – Politik – Verbrechen


Herausgeber
Nützenadel, Alexander
Reihe
Geschichte des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus
Erschienen
Göttingen 2017: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
592 S., 56 Abb.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mark Spoerer, Institut für Geschichte, Universität Regensburg

Seit einigen Jahren ist es unter Ministerien und Behörden, sowohl auf Bundes- als auch mittlerweile auf Länderebene, geradezu Mode, die Geschichte der Institution bzw. ihrer Vorgänger im Dritten Reich und/oder der Bundesrepublik untersuchen zu lassen. Vorangegangen war das Auswärtige Amt, dessen 2005 eingesetzte Historikerkommission fünf Jahre später eine Studie vorlegte, die zunächst wegen ihrer pointiert formulierten Thesen und später wegen des handwerklichen Vorgehens stark umstritten war. Sie diente nachfolgenden Institutionen als Negativfolie, wie man es nicht machen sollte. Die später erschienenen Studien litten zum Teil darunter, dass die großen Linien bereits erforscht und dann oft nur noch ergänzende Details wirklich neu waren. Insofern musste jede Kommission für sich entscheiden, welche Inhalte in welcher Form untersucht werden sollten.

Bei der Erforschung des Reichsarbeitsministeriums (RAM) brauchten sich die Kommissionsmitglieder um die bundesrepublikanischen Nachfolgeinstitutionen wenig Gedanken zu machen, weil zwischen 2001 und 2008 die elf Bände der „Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945“ erschienen sind. Der nun erschienene erste Band zur Geschichte des RAM unterscheidet vier große Themenfelder: (1) Behördenstruktur, Personal und institutionelle Konflikte, (2) Politische Handlungsfelder, (3) Expansion, Krieg und Verbrechen sowie (4) das Ministerium nach 1945, zu denen je zwei bis vier Aufsätze abgedruckt sind. Laut der Webseite der Historikerkommission1 sind noch bis Ende 2018 (Projektende) fünf Einzelmonographien zu erwarten (übrigens findet sich dort auch eine Reihe interessanter Working Papers). Insofern ist es nicht ganz einfach, den vorliegenden Band angemessen zu bewerten und sicherlich nicht fair, ihm inhaltliche Lücken vorzuwerfen, wie das bereits Rezensenten in der Tagespresse getan haben.

Die Einleitung von Alexander Nützenadel und die 13 Beiträge zu resümieren, wäre ein langwieriges Unterfangen. Für die Einordnung der Institution RAM in das gesamte NS-Behördengeflecht ist neben Nützenadels Einleitung sicherlich der Vergleich mit der Deutschen Arbeitsfront besonders aufschlussreich, den Rüdiger Hachtmann zieht: „Aufgabe des Arbeitsministeriums und ebenso der anderen etablierten Reichsministerien war es, die politischen Visionen und rassistischen Utopien der NS-Protagonisten zu erden, indem sie den Weg dorthin in realisierbare Teilschritte zerlegten“ (S. 171). Besser kann man es m.E. kaum formulieren. Der scheinbar so große Unterschied zwischen den schon älteren, nüchternen Verwaltungsfachleuten im RAM und den meist deutlich jüngeren Heißspornen um den skurrilen Robert Ley lag daher, so Hachtmann, viel eher im unterschiedlichen Habitus und in abweichenden Schwerpunktsetzungen als in den Zielen, die weitgehend identisch waren. Insofern war das RAM – wie man das von jeder Behörde einer Diktatur a priori vermuten darf – selbstverständlich Teil des NS-Systems. Der interessante Punkt ist daher nicht die Tatsache der „Verstrickung“ an sich, sondern wie sie sich konkret ausgestaltete.

Dies wird von den Autor/inn/en auf breiter Quellenbasis untersucht, wobei im Themenfeld „Politische Handlungsfelder“ der Wohnungsbau (Karl Christian Führer), die Rentenversicherung (Alexander Klimo) und Arbeitsvertragsbrüche (Sören Eden) im Vordergrund stehen. Ein Beitrag von Henry Marx über die Rolle der Arbeitsverwaltung in der Organisation der Kriegswirtschaft leitet zum nächsten Themenfeld „Expansion, Krieg und Verbrechen“ über, in dem vor allem der Arbeitseinsatz im Zweiten Weltkrieg von Elizabeth Harvey, Swantje Greve und Michael Wildt thematisiert wird, aber auch internationale Vergleiche gezogen werden (Kiran Klaus Patel gemeinsam mit Sandrine Kott). Der letzte Teil behandelt zunächst das Schicksal führender RAM-Mitarbeiter in den Nürnberger Prozessen (Kim Christian Priemel) und dann ihre Karriere in den deutschen Arbeitsbehörden nach 1945 (Martin Münzel). Die mittleren Beamten untersucht Lisa-Maria Röhling.

Bei der Lektüre dieser Beiträge fällt auf, dass einige Autoren, darunter auch der Herausgeber, immer wieder das RAM oder seine Arbeitsweise als „effizient“ beschreiben (z.B. S. 16, 22, 305, 312 und 422). Grundsätzlich kann man daran kritisieren, dass kaum etwas tatsächlich effizient im Sinne von optimal gegenüber allen anderen realistischen Alternativen ist. Aber selbst wenn die Autoren „effektiv“ meinen, wenn sie „effizient“ schreiben, so sind doch Zweifel angebracht. Natürlich waren die historischen Akteure bestrebt, ihr Tun als optimal zu bezeichnen, doch muss man von kritischen Historikern erwarten, dass sie diese Selbstzuschreibung in irgendeiner Form testen, ehe sie sie übernehmen. In ihrem langen Beitrag über die Organisation des RAM, sein Führungspersonal und dessen Handlungsspielräume betont Ulrike Schulz genau diesen Punkt (S. 101f.). Es wäre den noch folgenden Bänden des Projekts zu wünschen, dass hier durchgehend eine kritischere Distanz zu den Quellen eingenommen wird, als das im vorliegenden Band in einigen Beiträgen geschieht. Dessen ungeachtet halte ich die Konzeption und die meisten Ergebnisse dieses Bandes für überzeugend. Es wird spannend sein zu sehen, wie die Folgebände das Bild vom RAM weiter anreichern werden.

Anmerkung:
1http://www.historikerkommission-reichsarbeitsministerium.de/ (16.05.2018).