Cover
Titel
Verfassungswidrig!. Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg


Autor(en)
Foschepoth, Josef
Erschienen
Göttingen 2017: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
492 S., 38 Abb., 14 Grafiken, 1 Tab.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frieder Günther, Institut für Zeitgeschichte München – Berlin

Dieser Band über das KPD-Verbot des Bundesverfassungsgerichts von 1956 enthält starken Tobak – ähnlich wie schon Josef Foschepoths voriges Buch.1 Er selbst spricht von „bahnbrechende[n] neue[n] Erkenntnisse[n]“ (S. 12) und von einem „Skandal“ (S. 10), den er aufgedeckt habe. Er versucht nachzuweisen, dass nicht die Kommunistische Partei Deutschlands, sondern das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht verfassungswidrig gewesen sei. Aus seiner Sicht verkündete das höchste Gericht also ein Urteil, das auf der Basis von Recht und Gesetz nicht hätte getroffen und von den Polizeibehörden nicht hätte umgesetzt werden dürfen. Damit greift der Autor eine Frage auf, die von linker Seite schon zeitgenössisch diskutiert wurde, und stützt sich auf neu zugängliche Quellen, die er exklusiv in nicht näher bezeichneten „Geheim-Archiven der Bundesregierung“ (S. 10) benutzen durfte, die mittlerweile aber im Bundesarchiv frei verfügbar sind und die er in einem rund 100-seitigen Dokumentenanhang seines Bandes teilweise hat abdrucken lassen. Auf dieser Basis rückt er von einer Interpretation ab, die die zeithistorische Forschung zum Bundesverfassungsgericht bislang dominierte.2 Sie ließ das Gericht für die 1950er- und 1960er-Jahre in einem überaus positiven Licht erscheinen und deutete seine Urteile als wichtige Schritte auf dem Weg zu einer Liberalisierung und Demokratisierung des bundesdeutschen Gemeinwesens, der gegen andere, rückwärtsgewandte Akteure – darunter die Staatsrechtslehre, sonstige Gerichte, die Bundesregierung oder frühere Nationalsozialisten – hart erkämpft werden musste. Um es vorwegzunehmen: Argumentation und Ergebnis von Foschepoths Studie sind einseitig. Trotz aller Verdienste des Autors bei der Erschließung neuer Quellen und trotz der starken, selbstbewussten, teilweise polemischen Rhetorik vermag die Darstellung nicht restlos zu überzeugen.

Zu den Stärken des Bandes gehört die historische Einbettung des KPD-Verbotsverfahrens. Foschepoth unterscheidet neben dem Bundesverfassungsgericht drei maßgebliche Akteure – die Bundesregierung, die KPD und die SED – und beschreibt ausführlich deren Entwicklung vor und nach 1956. Die KPD leitete aus ihrer Rolle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus den Anspruch ab, bei der Neuordnung auch der Westzonen eine maßgebliche Rolle zu spielen, und agierte dabei in den ersten Jahren durchaus erfolgreich. Je mehr sie aber gezwungen war, sich als Kaderpartei der SED-Führung in Ost-Berlin unterzuordnen, desto mehr sank sie während der 1950er-Jahre zu einer Splitterpartei herab, der die Mitglieder und Wähler buchstäblich davonliefen. Im März 1956 verabschiedete sie sich sogar von zentralen Punkten ihrer revolutionären Programmatik, ohne dass dies vom Bundesverfassungsgericht noch zur Kenntnis genommen wurde. Aufgrund der gewählten Perspektive erscheint die KPD als Spielball und Opfer der beiden anderen zentralen Akteure. Da die SED sie für ihre antiimperialistischen nationalen Ziele missbraucht habe, sei es der Bundesregierung leichtgefallen, die Bedrohungskraft der KPD maßlos zu übertreiben, sie zu instrumentalisieren, um weit rechts stehende Kreise an sich selbst zu binden, und sie auf unverhältnismäßige Weise zu bekämpfen. Der Westen sei hierbei einem nationalistischen Antikommunismus gefolgt – Foschepoth spricht sogar von einem „totalitären Antikommunismus“ (S. 363) –, der nach den Jahren des Nationalsozialismus als entscheidende Integrationsideologie gewirkt habe. Weniger überzeugt Foschepoths Argumentation zum Vorgehen der Bundesregierung allerdings, wenn er die Einleitung des KPD-Verbotsverfahrens Ende 1951 als bloße Kompensation für die zeitgleich eingereichte, als unpopulär geltende Klage gegen die rechtsradikale Sozialistische Reichspartei (SRP) interpretiert, auf deren Verbot die Westalliierten drangen. Hier unterschätzt er die auch in bürgerlich-konservativen Kreisen weit verbreitete Haltung, die Fehler aus der Schlussphase der Weimarer Republik und damit ein Wiedererstarken nationalsozialistischer Kräfte unbedingt zu vermeiden.

Das Bundesverfassungsgericht verschleppte das Verfahren gegen die KPD über Jahre, da ein Verbot – und damit das Fehlen einer kommunistischen Partei im Westen – die Chancen auf eine Wiedervereinigung erschweren konnte. Als sich das Gericht aber dem Druck der Bundesregierung beugte und nach drei Jahren endlich eine mündliche Verhandlung anberaumte, war es für den Fortgang entscheidend, dass beide Akteure den Prozess als einen prestigeträchtigen Staatsprozess vor den Augen der internationalen Öffentlichkeit verstanden, bei dem sich das Schicksal der jungen Bundesrepublik zu entscheiden schien und der deshalb keinesfalls scheitern durfte. Aus dieser Perspektive bedrohte die KPD die Existenz der jungen Bundesrepublik als Staat, sodass die staatlichen Gewalten – also in diesem Fall Judikative und Exekutive – zusammenrücken mussten, um sich effektiv wehren zu können. Folglich wahrte das Bundesverfassungsgericht während des gesamten Verfahrens laut Foschepoth zu wenig Distanz zur Bundesregierung als Antragstellerin, während es die andere Prozesspartei benachteiligte und ihr fundamentale Rechte vorenthielt.

Hierfür nennt der Autor viele eindrückliche Beispiele. So folgte das Verfassungsgericht einer geheim gehaltenen Aufforderung der Regierung, eine bundesweite Durchsuchung von Räumen der KPD und einzelnen privaten Wohnungen vorzunehmen, obwohl das Gericht mit dem konfiszierten Material heillos überfordert war. Während die Bundesregierung hierauf anschließend ungehindert zurückgreifen konnte, erhielt die andere Prozesspartei noch nicht einmal eine Übersicht des beschlagnahmten Beweismaterials. Es mutet schon fast komisch an, wie Richter und Mitglieder der Prozessvertretung der Bundesregierung gemeinsame Übernachtungsmöglichkeiten in Karlsruhe suchten, um so streng geheime Prozessabsprachen treffen zu können. Höchst bedenklich ist zweifellos ein von Bundesverfassungsrichter Erwin Stein, der zugleich beim KPD-Prozess als Berichterstatter fungierte, gefälschtes zentrales Dokument. Stein hatte einen in die Bundesrepublik geflohenen DDR-Funktionär vernommen, dabei aber wichtige Passagen aus einer anderen, vom Verfassungsschutz durchgeführten Befragung als wörtliche Aussagen in das eigene Protokoll übernommen. Da auch dieses Vernehmungsprotokoll den Anwälten der KPD zunächst vorenthalten worden war, stellten sie zu Beginn der mündlichen Verhandlung einen Befangenheitsantrag gegen Stein, was vom Gericht aber umgehend abgelehnt wurde.

Das Buch wird bestimmt von Foschepoths Empörung über ein ungerechtes Urteil. Dies macht die Lektüre unterhaltsam, aber es führt auch dazu, dass spezifisch juristische Fragen zu oberflächlich behandelt werden. Das zeigt sich allein schon darin, dass die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts, mit der es 1956 sein Urteil begründete, im gesamten Band kaum eine Rolle spielt. Man mag darüber hinwegsehen, wenn einmal der Inhalt eines Grundgesetzartikels ungenau wiedergegeben wird, aber wenn Foschepoth den ersten Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hermann Höpker Aschoff (Amtszeit 1951–1954) einfach dem Rechtspositivismus zuordnet oder den Statusstreit der Jahre 1952 und 1953 zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen auf nicht gewährte Privilegien und Gehaltsforderungen der Richter zurückführt, wiegt dies schon schwerer. Der Autor ist generell zu schnell damit, einen Sachverhalt als rechts-, gesetzes- oder verfassungswidrig zu deklarieren. So beurteilt er beispielsweise die Einmischung Adenauers in die Auswahl Höpker Aschoffs zum ersten Gerichtspräsidenten als „gesetzeswidrig“ (S. 193). Aber hier wie auch an anderer Stelle müsste mehr mit dem Sinn und Zweck der einschlägigen Rechtsnorm sowie der jeweiligen Praxis, die ihr eventuell entgegenstand, argumentiert werden. Im Hinblick auf die Hauptthese des Bandes, dass das gesamte KPD-Verbotsverfahren verfassungswidrig gewesen sei, bleibt somit ebenfalls manches Fragezeichen. Um hier ganz zu überzeugen, bedarf es eines kühleren Kopfes und einer differenzierteren Abwägung der juristischen Argumente.

Andere wichtige Fragen, denen sich die juristische Zeitgeschichte in jüngster Zeit vermehrt zuwendet, finden sich in dem Band hingegen nicht behandelt. Wie fügt sich das KPD-Urteil in die längerfristige Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein, wenn man die Liberalisierungsthese ablehnt? Und welchen Einfluss hatten einzelne Richter des Ersten Senats auf die Entscheidung? Inwieweit war sie Ausdruck ihrer individuellen Prägungen? Zwar versucht Foschepoth die Verzögerungstaktik des Gerichtspräsidenten Höpker Aschoff mit seiner Angst vor Aufdeckung der eigenen NS-Vergangenheit zu erklären, kann damit aber nur bedingt überzeugen, da er seine Behauptung in entscheidenden Punkten auf Spekulationen gründet. Neben dem Berichterstatter Stein dürfte der Bundesverfassungsrichter und Staatsrechtslehrer Martin Drath einen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung ausgeübt haben, da er selbst aus der Sowjetischen Besatzungszone stammte und sich zu einem originellen, heute aber fast vergessenen Theoretiker des Antitotalitarismus entwickelte.

Das KPD-Verbot von 1956 war in mehrfacher Hinsicht ein Fehler – dessen waren sich die Richter des Bundesverfassungsgerichts und die bundesdeutsche Öffentlichkeit zunehmend bewusst. Somit führt die Lektüre von Josef Foschepoths Band auf teilweise drastische Weise vor Augen, dass viel dafür spricht, politische Auseinandersetzungen, auch wenn sie scheinbar die Grundfesten des Gemeinwesens betreffen, politisch zu führen und sich genau zu überlegen, ob es wirklich notwendig ist, sie juristischen Instanzen zu übertragen. Wie Foschepoth selbst schreibt, scheint das Bundesverfassungsgericht bei seinem Urteil vom Januar 2017 im NPD-Verbotsverfahren die richtigen Lehren aus der eigenen Geschichte gezogen zu haben, als es den Verbotsantrag trotz der verfassungsfeindlichen Ziele der Partei ablehnte.

Anmerkungen:
1 Josef Foschepoth, Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Göttingen 2012, 5., durchgesehene Aufl. 2017.
2 Vgl. z.B. Ulrich Herbert, Integration der jungen Republik durch Verfassungsrecht?, in: Michael Stolleis (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz. Altes Recht und neue Verfassung in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland (1949–1969), Berlin 2006, S. 85–102; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 4: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in West und Ost 1945–1990, München 2012, S. 145–171; Justin Collings, Democracy’s Guardians. A History of the German Federal Constitutional Court, 1951–2001, Oxford 2015.

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