Cover
Titel
The Long Détente. Changing Concepts of Security and Cooperation in Europe, 1950s–1980s


Herausgeber
Bange, Oliver; Villaume, Poul
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 358 S.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jost Dülffer, Historisches Institut, Universität zu Köln

Wenn man die Jahre 1946/47 bis 1989/90 in der internationalen Politik und darüber hinaus betrachtet, konkurrieren derzeit mehrere Deutungsangebote. Der Kalte Krieg beherrscht als Terminus fast unangefochten das Feld, hat sich in Publikationsreihen und Forschungsinstitutionen festgesetzt und einen ähnlichen Härtegrad wie Absolutismus und Imperialismus erlangt, Begriffe, die längst wissenschaftlich differenziert und aufgebrochen wurden. Eine Möglichkeit für den Kalten Krieg besteht darin, unterschiedliche Phasen der zunehmend nuklear bestimmten allgemeinen Kriegsgefahr zu differenzieren, also zumeist einen ersten und zweiten Kalten Krieg vor und nach 1980 mit der neuen Ost-West-Konfrontation über Nachrüstung et cetera zu verzeichnen, vielleicht auch drei Kalte Kriege zu unterscheiden.1 Dann sollte man die Zwischenzeiten anders bezeichnen, als Ost-West-Konflikt oder Detente. Genau diese Bezeichnung Detente macht es möglich, einen anderen Modus einzuführen, einen Verlaufstypus zu kennzeichnen, der sich letztlich 1989/90 durchsetzte. Oder aber: Der Kalte Krieg dauerte nur bis in die 1950er-Jahre, gegebenenfalls bis Mauerbau und Kubakrise – dann wurde manches anders.

Genau diesem dritten Ansatz und damit einem starken Trend der letzten Jahre ist dieser Sammelband gewidmet. Es ist sicher richtig, dass der integrale Kalte-Kriegs-Ansatz primär von den USA ausging, in der man die Konfrontation der Supermächte als allein relevant ansah, dann aber auch betonte, wie sehr dieser Krieg ein totaler geworden war, der alle Bereiche der Gesellschaft und Politik durchdrang. Sein nachdrücklichster deutscher Vertreter wurde Bernd Stöver.2 Gerade gegenüber diesem Ansatz eines Primats der Konfrontation bis in alle Facetten von Gesellschaft und Kultur hinein ist es wichtig, die – nie ganz übersehenen – kooperativen Momente, eben der Detente herauszuarbeiten, die das gängige Bild wesentlich modifizieren können und gerade in diesem Band quellendicht ergänzen. Diese Überlegungen zur Forschungssituation werden zum Teil auch in der Einleitung der beiden Herausgeber Oliver Bange und Poul Villaume angestellt. Gottfried Niedhart vertieft dies in einer methodischen Reflexion: Detente blieb immer „ambigious“ (S. 28) und entfaltet sich auf unterschiedlichen Ebenen.

Die nachfolgenden elf weiteren Aufsätze zeichnen sich alle durch intensive Quellenstudien aus und bilden viele Facetten der Detente aus. Das bedeutete oft nur das Offenhalten von Gesprächsfäden, hatte manchmal auch konzeptuelle Seiten und veränderte grundlegende Diskurse. Einleitend heißt es, das Thema sei „work in progress“ (S. 6); ob sich die Befunde je zu einem neuen Paradigma verfestigen können, steht dahin. Kritisch zu sehen ist, dass hier zwei Tagungen von 2011 und 2012 gebündelt werden, deren Beiträge oft nicht voll aktualisiert wurden. In der Zwischenzeit haben aber auch Protagonisten dieses Bandes oder sonst aus der Forschung umfassende Monographien publiziert, die über hier präsentierte Ergebnisse hinausgehen. Wenn solche Tagungsbände Sinn haben, sollten sie nicht erst nach fünf oder sechs Jahren gedruckt vorliegen, sondern die Diskussion in Richtung auf umfassendere Publikationen befördern, nicht nachträglich ihre oft beachtlichen Ansätze gleichsam zu Protokoll geben.

Der Band beschränkt sich programmatisch auf Europa, will also die in den letzten Jahren stark diskutierte globale Dimension gar nicht erst erfassen. Einen Grundtenor könnte man wohl nennen: Gerade gegenüber der Konkurrenz der Supermächte hatten diese oder jene Europäer eigenständige Interessen, verfolgten auch die blockübergreifenden Kontakte und – das deuten einige Autoren zumindest an – konnten so die Führungsmächte beeinflussen. Der Begriff „Detente“ war ja bereits zeitgenössisch und wird hier analytisch überhöht. In der Geschichtszeit galt er damals im Westen vielen Hardlinern oder auch nur Konservativen als verdächtig, da er angeblich den sowjetischen Interessen entgegenkam, nämlich die Gefahr aus dem Osten zu verharmlosen. So haben auch Historiker wie John Lewis Gaddis formuliert, erst das programmatische Ende der Detente unter Reagan habe die Voraussetzungen für das tatsächliche Ende des Kalten Krieges dargestellt, die bisher betriebene Detente habe geradezu den Dauerkonflikt verlängert. Vorsichtiger formuliert: Austausch konnte zur Stabilisierung auch von Gewalt- und Konfrontationsstrukturen im jeweiligen Block führen, zumal der Handelsaustausch dazu gehörte. Werner Lipperts Überblick über die Ost-West-Wirtschaftskooperation macht die Dimensionen deutlich. Eine Internationale Wirtschaftskonferenz in Moskau 1952, der Gegenstand von Mikhail Lipkin, wird als überraschender, wenn auch gescheiterter Versuch von Detente vorgestellt.

Wann begann Detente? Kaum jemand würde sich soweit vorwagen wie Csaba Békés, der diesen schon 1953 ansetzt, als man den Status quo mehr oder weniger schweigend anerkannt habe; das dürfte sich kaum durchsetzen. Die meisten anderen Beiträge setzen in den 1960er- und 1970er-Jahren an oder behandeln auch nur diese und liefern – ungeachtet ihrer Zuspitzung auf die Themenfrage – hoch interessante Beiträge. Poul Villaume hat den dänischen Fall besonders untersucht und gibt diesem in Kooperation mit anderen kleineren Staaten ein gutes Eigengewicht. Die Sozialistische Internationale und andere skandinavische Parteiennetzwerke hielten Kontakte in den Osten (Rasmus Mariager). In Italien gab es gouvernemental zumindest zwei Linien der Detente, daneben natürlich das Bemühen der PCI um Selbstständigkeit gegenüber dem Sowjetblock (Laura Fasanaro). Interessant sind die wechselseitigen Beobachtungen und dann auch Annäherung der west- und ostdeutschen Forschungsinstitute zur Außenpolitik (Sabine Loewe-Hannatzsch), aber auch Oliver Banges Berichte aus der Stasi-Perspektive über deren Skepsis vor der politisch-ideologischen Diversion – sozusagen die negative Probe aufs Exempel der Detente; seine einschlägige Monographie erscheint wohl gleichzeitig. Ähnliches lässt sich von Christian Wenkels Beitrag sagen: gleichzeitig mit der Monographie eines größeren Forschungsprojektes3 liefert er einen knappen Abriss über die wechselnde französische Ostpolitik, zumal in Absprachen mit der BRD. Auch wenn es programmatisch um Europa geht, nehmen die beiden abschließenden Aufsätze doch die USA in den Blick. Zur Johnson-Administration gibt es mittlerweile einiges mehr und wenn man von der angeblichen Nachahmung der USA der europäischen Detente als steiler These des Titels absieht („Catching-up with Detente in Europe 1963–1970“), ist das bei Gry Thomasen gut dargelegt. Stephan Kieninger legt konzise die „long détente“ von 1969–1985 dar, bringt einiges Erhellende auch zur Vorgeschichte der Nachrüstung.4 Aber einerseits hat er selbst zwischenzeitlich sein Buch vorgelegt, andererseits gibt es zur Moralpolitik, die Kieninger im Untertitel nennt, viel mehr (unter anderem Snyder, Peterson, Eckel).

Was bleibt? Einige jüngere Forschungen haben in der Tat gezeigt, dass viele internationale Denkmuster seit den 1960er-Jahren sich von einem bipolaren Konfrontationsdenken abgewandt haben. Nur: Konnten sie das allein unter dem bestehenden Rahmen des Konflikts oder veränderten sie selbst den Konflikt? Das bleibt bei den meisten hier vorgestellten, politikgeschichtlichen Studien eher im Hintergrund. Wenn dem so ist, dann war das aber kein allgemeines Phänomen, sondern es gab nicht nur in herrschenden Regierungen und Eliten weitere, ganz andere konfrontative Ansätze, die glaubten, Detente jederzeit „kippen“ zu können. Und auch die wechselseitigen, wenn auch unterschiedlichen Ängste vor der politisch-ideologischen Gegenseite blieben in den Gesellschaften verwurzelt. Fazit: Der hier vorgetragene Blickwinkel bedarf der – bisweilen auch geleisteten – Einbettung in den Gesamtkonflikt. Das wird die Forschung noch viel beschäftigen.

Anmerkungen:
1 Philipp Gassert / Tim Geiger / Hermann Wentker (Hrsg.), Zweiter Kalter Krieg und Friedenssicherung. Der Nato-Doppelbeschluss in deutsch-deutscher und internationaler Perspektive, München 2011; Jost Dülffer, Europa im Ost-West-Konflikt 1945–1990, München 2004.
2 Bernd Stöver, Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters 1947–1991, München 2007.
3 Oliver Bange, Sicherheit und Staat. Die Bündnis- und Militärpolitik der DDR im internationalen Kontext 1969 bis 1990, Berlin 2017; Christian Wenkel (Hrsg.), La France entre guerre froide et construction européenne, 1974–1986, [angekündigt].
4 Stephan Kieninger, Dynamic Détente: The United States and Europe, 1964–1975, London 2016.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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