G. Wilangowski: Frieden schreiben im Spätmittelalter

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Titel
Frieden schreiben im Spätmittelalter. Vertragsdiplomatie zwischen Maximilian I., dem römisch-deutschen Reich und Frankreich


Autor(en)
Wilangowski, Gesa
Reihe
Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 44
Erschienen
Berlin 2017: de Gruyter
Anzahl Seiten
X, 288 S.
Preis
€ 69,95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Manfred Hollegger, Institut für Mittelalterforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften - Victor Franz Hess-Forschungszentrum Graz

Nach Gregor Metzig 2016 1 publizierte 2017 auch Gesa Wilangowski ihre ebenfalls für den Druck geringfügig überarbeitete Dissertation. Innerhalb kürzester Zeit erscheint damit eine zweite neue Arbeit, die sich mit der Diplomatie Maximilians I. befasst, naturgemäß einer „Diplomatie avant la lettre“, wie auch Wilangowski nach Martin Kintzinger betont, dessen Schülerin und Mitarbeiterin sie ist. Beide mit profunder Quellen- und Literaturkenntnis – bei Wilangowski vermisst man neben Lanzer 2 im Wesentlichen nur Naegle 3 und Golubeva 4 – geschriebenen Studien stellen den Glücksfall unterschiedlicher Ansätze dar: kommunikationstheoretisch bei Metzig, sozialkonstruktivistisch bei Wilangowski, weshalb sich beide Arbeiten daher insbesondere dort mit Gewinn parallel bzw. ergänzend lesen lassen – auch was die Frage betrifft, welche der beiden Theorien die Kriterien Thomas Kuhns (Akkuratheit, Reichweite, Einfachheit und Fruchtbarkeit) besser erfüllt –, wo sich eines ihrer sonst unterschiedlichen Fallbeispiele überlappt, nämlich bei den Verträgen von Trient – Lyon – Blois – Hagenau (1501–1505).

Wilangowskis Buch ist klar und flüssig geschrieben, bedarf jedoch einer aufmerksamen Lektüre, um die Feinheiten und Spitzfindigkeiten bei den Friedensverhandlungen und ihrer vertraglichen Verschriftlichung nachvollziehen und damit vom Mehrwert der Fallstudien profitieren zu können. Einem einleitenden Kapitel über den Stand der Forschung sowie den von Wilangowski gewählten theoretischen und methodischen Ansatz samt der Problematik der Terminologie folgen acht Kapitel mit ausgewählten Fallbeispielen, die dann im Schlusskapitel mit einer sehr eingängigen Synthese abgerundet werden. Den Beginn macht die burgundische Erbschaftsfrage nach dem Tod Karls des Kühnen (1477) im Rechtsdiskurs zwischen Jean d’Auffay auf burgundischer sowie Guillaume Cousinot und Pierre d’Oriole auf französischer Seite über die weibliche Sukzession und die Rechte Marias von Burgund vor dem Hintergrund der Verträge von Arras (1435), Conflans (1465) und Péronne (1468). Das nächste Kapitel behandelt die Waffenstillstandsversuche 1478–1480 auf dem Weg zu einem endgültigen Frieden, wobei die beiderseitige Aufwertung der Kurfürsten des Reiches als Schiedsrichter – von Seiten Maximilians aber sehr deutlich nur nolens volens – besonders bemerkenswert erscheint. Anschließend lässt Wilangowski die Friedensverträge von Arras (1482) bis Senlis (1493) ausführlich Revue passieren, eine „im heterogenen Kräftefeld von Handlungsträgern“ (S. 68) gerade für Maximilian andauernde Gratwanderung, wobei die Einbeziehung der Reichsstände als Akteure deren „nur […] geringe Performanz“ (S. 98) deutlich werden lässt. Mit dem Einschub „Reformreichstage als Zäsur?“ (S. 142) als kurzes, aber Wilangowski wichtiges Kapitel, leitet sie dann zum Reichsregiment (1500–1502) über und untersucht dessen Waffenstillstandsverhandlungen mit Ludwig XII. von Frankreich. Im folgenden Kapitel tritt wieder der König mit dem Präliminarvertrag von Trient (1501) als Akteur ins Zentrum, wenngleich die Position der Fürsten und Reichsstände aufgewertet bleibt. Diese löst sich dann allerdings mit den Interpretationen von Blois (1502) durch Erzherzog Philipp und Ludwig XII. rasch ins ganz Ungefähre auf und im Vertragswerk von Lyon – Blois – Hagenau, dem Wilangowski zurecht wieder ein sehr umfangreiches Kapitel widmet, ist keine Beteiligung durch die Reichsstände mehr greifbar (S. 187). Das Wilangowskis Fallbeispiele abschließende Kapitel über den Vertrag von Cambrai (1508) bringt darüber leider nichts, sondern widmet sich der Frage, ob dem Reichskammergericht die gleiche Rolle zugedacht war wie dem Parlament von Paris. Da Wilangowski ihre Überlegungen an der Übersetzung von „camera Imperiali“ aufhängt, sei hier nur daran erinnert, dass „Camera Imperialis“ noch im Westfälischen Frieden (1648) vier Übersetzungen hat: zwar auch „Camer-Gericht“ bzw. „Reichs Cammer: Gericht“, aber ebenso „Kayserliche Cammer“ bzw. „Reichs Cammer“. Das zehnte und letzte Kapitel „Synthese“ (S. 241–254) zeigt zusammenfassend noch einmal alle Stärken von Wilangowskis Studie, nämlich den Wandel (S. 241f., 248), die Anpassungen (S. 247, 252) sowie die Verschiebungen und Entwicklungen (S. 254), also das Prozesshafte in der Vertragsdiplomatie zwischen Maximilian I., dem römisch-deutschen Reich und Frankreich.

Insgesamt bestätigen Wilangowskis Textanalysen die überzeitlich gültige Aussage, dass der Standort den Standpunkt bestimmt, was Jean d’Auffay veranlasst, die „Auslegbarkeit von Recht“ zu kritisieren – eine bemerkenswerte Aussage für einen Juristen. Gerade in derlei Feinheiten liegt das Verdienst dieses Buches. Weniger überzeugend ist das ein oder andere aus dem Kontext. So scheint etwa auch Wilangowski dem „missverständlichen Generalnenner der ‚Reichsreform‘“ 5 zu unterliegen und daher deren Ergebnisse und die institutionelle Verfestigung um 1500 als „Mitwirkung der Stände an der Herrschaft im Reich“ (S. 1) zu überschätzen, während sie zugleich den höchst wichtigen Aspekt politischen und diplomatischen Handels aller Zeiten zu unterschätzen scheint, nämlich das bewusste Simulieren und Dissimulieren, das bereits vor Niccolò Machiavelli, der den idealen Fürsten ja auch als gran simulatore sieht, Enea Silvio Piccolomini in seinem Pentalogus als Herrschaftstechnik empfiehlt. Dass Wilangowski diesen Gesichtspunkt nicht stärker berücksichtigt, überrascht, wird doch z.B. der Friede von Senlis (1493) vom Zeitzeugen Robert Gaguin ausdrücklich als simuliert klassifiziert („Fuit non multo post cum Maximiliano conciliata vel potius simulata concordia“).6 Wegen der auch nach 1356 (Goldene Bulle) nur ausnahmsweise unterbrochenen faktischen Erblichkeit des römisch-deutschen König- bzw. Kaisertums mag man Wilangowskis Sicht nicht so ohne Weiteres folgen, „mit der verfassungsmäßigen [!] Etablierung der Kurfürsten“ habe sich „im spätmittelalterlichen Reich das Wahlkönigtum“ konsolidiert (S. 16). Ergiebiger wäre vermutlich gewesen, nach den die Möglichkeiten und Grenzen „konsensualer Herrschaft“ (B. Schneidmüller) im Reich zu fragen bzw. vom Modell einer relativen Monarchie auszugehen und dies dann vor dem Hintergrund der „Neuaustarierung der europäischen dynastischen Ansehens-Hierarchien“ (P.-J. Heinig) in einem seit dem Ende des staufischen Kaisertums zunehmend fragmentierten europäischen Raum zu thematisieren. Überhaupt verschwimmt das ein oder andere Mal der Grundton, dass es im Wesentlichen dynastische und keine staatlichen Räume sind, über die um 1500 ge- und verhandelt wird, weshalb die Ergebnisse als interdynastische Abkommen formuliert und bezeichnenderweise durch dynastische Vereinbarungen (Heiraten) und Wechsel auf die Zukunft (Erbfolgeregelungen) abgesichert wurden.

Während der Teufel sonst im Detail steckt, wie man sagt, steckt er bei Wilangowski im Register. Lässlichen Sünden, etwa der falsche Vorname „Paul“ bei Michael von Wolkenstein oder ein stehen gebliebenes Fragezeichen bei den Kaiserjahren Friedrichs I., stehen weniger lässliche gegenüber: Obwohl in der Einleitung betont wird, dass „– geht man von einer sozialen Weltkonstruktion aus – nicht primär der Staat, sondern seine Akteure untersucht werden müssen“ (S. 15), erscheint Robert Gaguin als „Robertus Gagunius“, Thomas de Plaine als „Thomas de Plannes“ und Wolfgang von Polheim als „Wolfgang Polheim“. Dass Anne de France nur unter „Anne de Beaujeu“ firmiert, ist ebenso nicht hilfreich wie der Registereintrag „Ohnefurcht, Johann, Herzog von Burgund“ merkwürdig ist, und Doppeleinträge wie „Ludovico Maria Sforza, Herzog von Mailand“ und „Sforza, Ludovico Maria, Herzog von Mailand“ unsystematisch sind. Endgültig konterkariert wird der oben zitierte Satz aus Wilangowskis Einleitung bei den Herrn „Bèvres“ (gemeint ist Philipp von Burgund), „Aymeries“ (gemeint ist Antoine Rolin), „Maigny“ (gemeint ist Thomas de Plaine), „Vornselle“ (gemeint ist Paul de Baenst), „Bourbon“ (gemeint ist Pierre de Beaujeu, als Herzog von Bourbon Pierre II.) und „Orval“ (gemeint ist Jean d’Albret). Nochmals verdichtet sich so der Eindruck, dass Wilangowski in einem „Europa der Könige“ (L. Horowski) die Personen unter- und die Institutionen überschätzt.

„Forschung entsteht in der Diskussion“, liest man im Vorwort (S. V), und nur in diesem Sinn möge man die ein oder andere Kritik auffassen. Vielmehr sei Wilangowskis in Vielem anregende und neue Details eröffnende Studie, allen empfohlen, die am Phänomen ‚Außenpolitik‘ im spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Europa interessiert sind und ungeachtet der theoretisch-begrifflichen Widersprüchlichkeit einer ‚Diplomatie‘ vor der Diplomatie und eines ‚Völkerrechts‘ vor dem Völkerrecht erfahren wollen, wie sich beides im Zuge der praktischen Aushandlung von Texten und Standards für dynastische Verträge und im Ringen darum gleichsam parallel Schritt für Schritt Bahn gebrochen hat.

Anmerkungen:
1 Gregor Metzig, Kommunikation und Konfrontation. Diplomatie und Gesandtschaftswesen Kaiser Maximilians I. (1486–1519), Berlin 2016.
2 Andrea Lanzer, Die Gesandten der süd- und westeuropäischen Mächte 1501–1508, phil.-Diss. [masch.] Graz 1986.
3 Gisela Naegle (Hrsg.), Frieden schaffen und sich verteidigen im Spätmittelalter / Faire la paix et se défendre à la fín du Moyen Âge, München 2012.
4 Maria Golubeva, Models of Political Competence. The Evolution of Political Norms in the Works of Burgundian and Habsburg Court Historians, c. 1470–1700, Leiden 2013.
5 J. Friedrich Battenberg, Königliche Gerichtsbarkeit und Richteramt nach der Kammergerichtsordnung von 1495: Realisierung eines Reformanliegens oder politischer Kompromiß?, in: Serge Dauchy / Jos Monballyu / Alain Wijffels (Hrsg.), Auctoritates Xenia R. C. van Caenegem oblata: De Auteurs van de Rechtsontwikkeling / La Formation du droit et ses auteurs / Law Making and its Authors / Die Autoren der Rechtsentwicklung, Brüssel 1997, S. 91–111, hier S. 91f.
6 Das Zitat nach Naegle, Frieden, S. 47 Anm. 154.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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