I. Schiel: Frei – Politisch – Sozial. Der Deutsch-Sächsische Frauenbund

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Titel
Frei – Politisch – Sozial. Der Deutsch-Sächsische Frauenbund für Siebenbürgen 1921–1939


Autor(en)
Schiel, Ingrid
Reihe
Studia Transylvanica 47
Erschienen
Köln 2018: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
XI, 628 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angelika Schaser, Fachbereich Geschichte, Universität Hamburg

In ihrer Dissertation untersucht Ingrid Schiel weit mehr als der Titel des Buches vermuten lässt. Wenn auch der Deutsch-Sächsische Frauenbund für Siebenbürgen in der Zwischenkriegszeit im Mittelpunkt steht, so blickt die Autorin weit in das 19. Jahrhundert zurück, um Siebenbürgen in den Kontext des Habsburger Reiches und des österreichisch-ungarischen Dualismus zu stellen, bevor die Integration Siebenbürgens in das neu geschaffene Großrumänien den politischen Rahmen für die siebenbürgisch-sächsische Frauenbewegung vorgab. In einem multiethnischen Gebiet, in dem Deutsche seit dem 12. Jahrhundert siedelten, verschoben sich in dieser Zeit die politischen, sozialen, konfessionellen und nationalen Koordinaten grundlegend, die später als Basis für die Annäherung der Siebenbürger Sachsen an das nationalsozialistische Deutschland dienen sollten. Aus einer Gruppe, die jahrhundertelang als einflussreicher Stand an der Regierung Siebenbürgens beteiligt war, wurden die Siebenbürger Sachsen in Ungarn unter einem starken Magyarisierungsdruck zu einer ethnischen Minderheit und in Rumänien durch Romanisierungsmaßnahmen zur „mitwohnenden Nationalität“, die sich Hilfe gegen die staatlichen Repressionsmaßnahmen verstärkt aus dem Deutschen Reich erhoffte.

Die Studie ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Frauenbewegung in Europa, sondern zeigt auch, wie in multinationalen Gebieten die nationale und die Geschlechtszugehörigkeit in Konkurrenz treten konnten und Prioritäten zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich gesetzt wurden. Die Geschlechterhierarchie in Siebenbürgen war im 19. Jahrhundert so dominant, dass sich die siebenbürgisch-sächsischen Frauen in ihrem Wunsch nach Emanzipation an der internationalen Frauenbewegung orientierten, da man für ihre Anliegen innerhalb der Evangelischen Landeskirche wie in den politischen Institutionen der Siebenbürger Sachsen wenig Verständnis zeigte. Als die Siebenbürger Sachsen zuerst durch die Magyarisierung, später durch die Romanisierung als Minderheit stark unter Druck gerieten, wurde den Frauen große Bedeutung und Verantwortung zugewiesen. Ohne ihnen politische Gleichberechtigung zu gewähren, versuchte die männliche Elite, Frauen die Rettung der Gemeinschaft als Hauptaufgabe zuzuweisen, indem „die siebenbürgisch-sächsischen Frauen“ zu Hüterinnen der siebenbürgisch-sächsischen Kultur und Erhalterinnen der ethnischen Gemeinschaft (v)erklärt wurden. Der siebenbürgisch-sächsische Frauenbund nahm diese Herausforderung an, entwickelte eine idealisierte Bürgertracht, die das Zusammengehörigkeitsgefühl und das nationale Selbstbewusstsein der Siebenbürger Sachsen stärken sollte, und propagierte die Pflege deutscher Bräuche und Sitten. Auf der Schillerfeier 1859, auf Vereinstagen und anlässlich konfessioneller Feiern wie bei den Denkmaleinweihungen 1898 und 1899 für den sächsischen Reformator Johannes Honterus (1498–1549) und den Bischof Georg Daniel Teutsch (1817–1893) in Hermannstadt traten Frauen aus den verschiedenen Regionen Siebenbürgens öffentlich in Tracht auf. Sie erinnerten so an die deutsche Herkunft des freien, privilegierten Standes der Siebenbürger Sachsen und trugen damit zu einem (Selbst-)Bild bei, das soziale und politische Unterschiede ausblendete.

Die siebenbürgisch-sächsischen Frauen organisierten sich ohne Anspruch auf Gleichberechtigung zunächst innerhalb der Evangelischen Landeskirche, bevor sie sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend an liberalen und internationalen Emanzipationsmodellen orientierten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts richteten sie Diskussions- und Übungsabende aus, forderten ein Frauenwahlrecht, das einen Intelligenzzensus beinhaltete, und erhofften so, dem schwindenden politischen Einfluss ihrer Volksgruppe mit Hilfe des Frauenwahlrechts Einhalt gebieten zu können. Wie Frauenbewegungen in anderen Ländern betrieben sie staatsbürgerliche Erziehung, forderten mehr politische Teilhabe, weitere Erwerbs- und Bildungsmöglichkeiten, eine verbesserte Säuglings-, Kinder- und Jugendfürsorge, setzten sich für die Armutsbekämpfung, die Alkoholabstinenz und für die Aufklärung der Landfrauen ein. Sie engagierten sich gegen die Prostitution und den Mädchenhandel, klagten über unzuverlässige Dienstboten, klärten über die Ziele und Aktionen der internationalen Frauenbewegungsorganisationen und anderer nationaler Frauenbewegungen auf und traten für den Frieden und die evangelische Kirche ein. Die komplexen Rahmenbedingungen führten immer wieder dazu, dass die in diesem Bund organisierten Frauen ihre Interessen denen der eigenen Volksgruppe unterordneten und sich weder ganz mit der rumänischen Frauenbewegung noch mit den Frauenorganisationen der anderen deutschen Minoritäten in Rumänien identifizierten.

Während das Frauenwahlrecht in Ungarn im November 1918 eingeführt wurde, blieb den Frauen in Rumänien das Wahlrecht verwehrt. Diesen Umstand nutzten die sächsischen Politiker dann auch noch als Argument, weiter den Ausschluss der Frauen aus dem Deutsch-Sächsischen Volksrat, der politischen Selbstorganisation der Siebenbürger Sachsen, zu rechtfertigen. Daraufhin schlossen sich Frauen 1921 zum „Freien Sächsischen Frauenbund“ zusammen, der bald in „Deutsch-sächsischer Frauenbund für Siebenbürgen“ umbenannt wurde und bis 1937/1939 existieren sollte. Dieser Bund politisch engagierter Frauenvereine nahm Kontakte zu anderen Frauenverbänden innerhalb und außerhalb Rumäniens auf, versuchte die deutschen Frauen innerhalb Rumäniens zu einen und suchte den Anschluss an die internationalen Organisationen der Frauenbewegung, um die „Menschheitsaufgabe der Frau“ erfüllen zu können. Der Frauenweltbund (International Council of Women) nahm jedoch nur nationale Frauenorganisationen als Mitglieder auf und engagierte sich nicht für „Frauengruppierungen von Minoritäten“ (S. 400).

Als Rumänien den Frauen 1929 das Gemeindewahlrecht gewährte, gingen rumänische Frauen gerichtlich gegen die Aufnahme von Frauen aus den Minderheiten in die Wahllisten vor. Hier wird die so oft als homogen gedachte Gruppe der Frauen nicht nur in ihren sozialen, sondern eben auch in ihren nationalen und ethnischen Unterschieden sichtbar. Im Spannungsverhältnis zwischen internationaler, nationaler und ethnischer Orientierung orientierten sich die Siebenbürger Sächsinnen immer wieder und im Laufe der Jahre verstärkt an ihrer ethnischen Gruppe und der Evangelischen Landeskirche A.B., zu bestimmten Anlässen jedoch an der internationalen oder auch der deutschen und rumänischen Frauenbewegung. Obwohl der Deutsch-sächsische Volksrat den Bund zu funktionalisieren und zu kontrollieren suchte und die Evangelische Landeskirche weiterhin die politische Gleichberechtigung von Frauen verweigerte, zeigte sich der Deutsch-sächsische Frauenbund gegenüber der eigenen Volksgruppe und Kirche weiter loyal. Erst die Erfolge der Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien (NSDR) sprengten diese engen Bindungen. Dem Bemühen der NSDR, eine deutsche, nationalsozialistische Volksgemeinschaft zu schaffen, widersetzte sich der Deutsch-sächsische Frauenbund vergeblich. Mit dem Verein für Mutterdienst wurde 1935 aus dem NSDR heraus einen Parallelorganisation nach dem Führerprinzip aufgebaut. 1939 wurde der Deutsch-sächsische Frauenbund als Gaufrauenrat in die Deutsche Frauenschaft eingegliedert. Die Verheißung einer nationalsozialistischen Volksgemeinschaft schien vielen deutschen Frauen in Rumänien attraktiver als die Zielsetzungen des liberal-konservativen Deutsch-sächsischen Frauenbundes.

Ingrid Schiel zeigt an der Frauenbewegung in Siebenbürgen auf, wie sich diese Bewegung transnational innerhalb des rumänischen Staates organisierte und Geschlecht hier als relationale Kategorie funktionierte – eine beispielhafte Studie, die transnationale mit geschlechtergeschichtlichen Perspektiven verbindet.1

Viele der recherchierten Quellen werden ausführlich referiert, zum Teil im Anhang publiziert. Das Buch kann damit zum einen als Quellensammlung genutzt werden, zum anderen gehen durch die detaillierte Darstellung viele interessante Befunde im kleingedruckten Text unter. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Buch nicht nur als eine Pionierstudie zur Geschlechtergeschichte der Siebenbürger Sachsen wahrgenommen wird, sondern dass auch die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Gruppierungen innerhalb dieser ethnischen Minderheit und der Deutschen in Rumänien rezipiert und als Grundlage für die weitere zeitgeschichtliche Erforschung Siebenbürgens dienen wird.

Anmerkung:
1 Vgl. dazu Angelika Epple, Globalgeschichte und Geschlechtergeschichte. Eine Beziehung mit großer Zukunft, in: L’Homme. Z. F. G. 23 (2012) 2, S. 87–100.

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