G. K. Hasselhoff u.a. (Hrsg.): ‚Religio licita?‘

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Titel
‚Religio licita?‘. Rom und die Juden


Herausgeber
Hasselhoff, Görge K.; Strothmann, Meret
Reihe
Studia Judaica 84
Erschienen
Berlin 2017: de Gruyter
Anzahl Seiten
230 S.
Preis
€ 89,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Judith Göppinger, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Das jüdisch-römische Verhältnis im Imperium Romanum beschäftigt die Geschichtswissenschaft schon viele Dekaden, und doch tauchen immer wieder neue Fragen auf und vermeintlich Sicheres wird hinterfragt. Daraus resultieren neue Blickwinkel auf bekannte Fakten und Denkanstöße, die den wissenschaftlichen Diskurs über Rom und die Juden befruchten. Dies gilt auch für den von Görge Hasselhoff und Meret Strothmann herausgegebenen Sammelband, der zehn Aufsätze von anerkannten Größen des Fachs mit unterschiedlichsten Thesen und Herangehensweisen enthält. Alle Beiträge gehen auf Konferenzen im Oktober 2012 bzw. Juli 2013 am Bochumer Käte Hamburger Kolleg zurück. Die These von „zweierlei Diaspora“ von Doron Mendels und Arye Edrei, nach der die Rabbinen nach der Zerstörung des Tempels die westliche, griechisch- bzw. lateinischsprachige Diaspora im Römischen Reich nicht kontrolliert hätten, sondern es vielmehr zu einer Spaltung im antiken Judentum gekommen sei 1, bildete den Diskussionsmittelpunkt der ersten Konferenz, während die zweite sich mit der rechtlichen Stellung des Judentums im Reich auseinandersetzte. Besonders wurden dabei die Begriffe religio und superstitio diskutiert; auch der Begriff der religio licita, häufig in der Forschungsliteratur verwendet, wurde kritisch hinterfragt.

Einleitend stecken Hasselhoff und Strothmann den zeitlichen Rahmen (100 v.Chr. – 400 n.Chr.) für die folgenden Untersuchungen ab und legen den Fokus auf die Begriffsdefinitionen. Die Autoren weisen dabei auf zum Teil gravierende Probleme hin, zum Beispiel das Fehlen einer allgemeingültigen Definition für „Religion“ oder die Frage, ob der Begriff der „Juden“ nun ethnisch, religiös oder geographisch zu verstehen sei (S. 14). Fraglich sei, ob der Begriff religio licita, der erst bei Tertullian belegt ist, die antike Realität tatsächlich widerspiegelt. Hasselhoff und Strothmann stellen zudem fest, dass der Umgang zwischen Römern und Juden von ständigen Aushandlungsprozessen geprägt war, die besonders auf persönlichen Beziehungen basierten; man denke etwa an Herodes und Augustus. Ab dem 3. Jahrhundert n.Chr. veränderten sich durch die Constitutio Antoniniana die (rechtlichen) Konstellationen grundlegend, auch zeigte sich ab der Hohen Kaiserzeit eine zunehmende Ausdifferenzierung von Judentum und Christentum.

Benedikt Eckhardt stellt in seinem Aufsatz die Frage, ob es sich bei der Gegenüberstellung von „Rom“ und den „Juden“ nicht um einen Kategorienfehler handelt. Besonders anregend scheint der Rezensentin, dass Eckhardt die Kategorisierung von Diasporagemeinden als „ungewöhnlich gut verknüpftes Netzwerk privater Vereinigungen auf ethnischer Grundlage“ (S. 33) vorschlägt und sie damit als collegia ansieht. Eckhardt lehnt die Vorstellung eines Judentums, das überall gleich funktioniert oder eben nicht funktioniert, ab und sieht in seinem Ansatz die Stärke, dass collegia sowohl die ethnische als auch die religiöse Zugehörigkeit der Mitglieder anzeigen; zudem agieren sie lokal und können daher im Imperium Romanum divers ausgeprägt sein.

Der rechtliche Status der Juden im Römischen Reich vom 2. Jahrhundert v.Chr. bis zum 6. Jahrhundert n.Chr. wird von Karl Leo Noethlichs untersucht, gefolgt von einem Exkurs zur These von Mendels und Edrei. Anhand eines Vergleichs zwischen Codex Theodosianius und Codex Justinianus kann er nicht nur Kontinuitäten und Veränderungen von römischen Privilegien bzw. Gesetzen, sondern auch den Wandel innerhalb des römischen Rechtswesens anschaulich darlegen. Die ständige Gefahr von Verfolgung und Gewalt habe zu einer explosiven Atmosphäre geführt, die auf jüdischer Seite zum Teil heftige Gegenreaktionen hervorrief (S. 73). Die These von „zweierlei Diaspora“ lasse sich vom Standpunkt der Gesetzgebung weder verifizieren noch falsifizieren, besitze aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit; allerdings sei zu ergänzen, dass trotz aller Unterschiede zwischen Ost und West noch immer die Ideologie von einem einzigen, ungeteilten Imperium und ein theoretisches Zusammengehörigkeitsgefühl aller Juden vorgeherrscht habe.

Meret Strothmann stellt in ihrem Beitrag Überlegungen zum Kalender als politisches Instrumentarium bei Juden und Römern an. Trotz des den Kalendern innewohnenden Potentials, als Mittel der Herrschaftsdurchsetzung oder des Widerstands wurde dieses weder von römischer noch von jüdischer Seite ausgeschöpft. Der römische Kalender zeigte sich offen und flexibel für die Inklusion lokaler Feste, während der jüdische hauptsächlich in der innerjüdischen Auseinandersetzung eine Rolle spielte, was sich laut Strothmann besonders während der Königszeit zeigt.

Ciceros vermeintlicher Antisemitismus wird von Miriam Ben Zeev in den Blick genommen. Ihr Beitrag überzeugt durch eine sehr textorientierte Herangehensweise, die die Nachvollziehbarkeit ihrer Argumente erleichtert. Aus dem Vergleich einiger Gerichtsreden Ciceros schließt Ben Zeev, dass dessen Äußerungen nicht als Ausdruck seiner persönlichen Ansichten zu werten seien; „in Cicero’s forensic speeches the opposing witnesses […] are adressed in one and the same manner, no matter their national identity“ (S. 121). Die vermeintlich judenfeindlichen Passagen müsse man also vor dem Hintergrund ihrer Funktion sehen, nämlich der Verteidigung eines Angeklagten durch Diskreditierung der Zeugen.

Ernst Baltrusch widmet sich dem methodischen und historiographischen Konzept des Josephus, das alle Werke des jüdischen Historikers durchzieht. Sein Beitrag zeichnet sich ebenfalls durch eine textnahe und analytische Herangehensweise aus. Baltrusch kann einleuchtend darlegen, dass Josephus eine „römisch-jüdische Symploke“ im Sinn hatte und sich die Begrifflichkeiten der griechisch-römischen Historiographie selektiv aneignete, um Jüdisches zu übertragen und zu übersetzen und so für das Judentum einen gleichberechtigten Status zu erreichen (S.136 u. 165f.).

Christoph Weikert diskutiert das Verhältnis der flavischen Dynastie zu den Juden, sowohl in der Herrschaftsdarstellung als auch in den die Juden betreffenden Maßnahmen: Der Krieg in Judaea half der neuen Dynastie, ihre Schwächen in der Legitimation zu überwinden und wurde so, laut Weikert, zum „flavischen Actium“ (S. 174). Allerdings zeugte die flavische Politik gegenüber den Juden vor allem von Kontinuität zur iulisch-claudischen Periode. Die wichtigste Änderung im Verhältnis zwischen Rom und den Juden sei demnach die Judensteuer, die in erster Linie als Einnahmequelle und nicht als Ausdruck dezidierter Judenfeindschaft gewertet werden müsse.

Das traditionelle Bild des fiscus Iudaicus wird von Sven Günther als wissenschaftliches Konstrukt angesehen, das auch Resultat einer isolierten Betrachtung innerhalb der verschiedenen altertumswissenschaftlichen Disziplinen sei. Er plädiert überzeugend für eine Trennung von fiscus Iudaicus und Judensteuer, da ersterer nur Instrument zur Koordinierung und Verwaltung der Judensteuer gewesen sei, die von Vespasian nach dem römisch-jüdischen Krieg eingeführt wurde (S. 189).

Wie es um die Zuverlässigkeit eines Abschnitts in Eusebs Kirchengeschichte (4,1–6) bestellt ist, in dem die zwei jüdischen Aufstände im ersten Drittel des 2. Jahrhunderts n.Chr. unter Trajan und Hadrian geschildert werden, untersucht Görge Hasselhoff. Er stellt fest, dass es sich, anders als es Euseb darstellt, um zwei regional unterschiedliche und voneinander unabhängige Aufstände handelte. Die Ursachen des Diaspora-Aufstandes beschreibe Euseb plausibel (ein ethnischer Konflikt zwischen Griechen und Juden, der zu einem Flächenbrand wird), für den Bar-Kochba-Aufstand könne das aber nicht gelten; dort sei Cassius Dios Vermutung, die Umgestaltung Jerusalems zu einer dezidiert nicht-jüdischen Stadt durch Hadrian habe zur Revolte geführt, plausibler. Hasselhoff schließt mit einer Reihe von Fragen, die sich aus seiner Untersuchung ergeben, beispielsweise welche religionsgeschichtlichen Auswirkungen die Aufstände auf die (Neu-)Konstituierung von Judentum und Christentum hatten.

Der Sammelband schließt mit einem Beitrag zur jüdischen Gemeinde in Köln von Werner Eck, der sich durch Kenntnis der epigraphischen und juristischen Quellen auszeichnet. Trotz dünnen Quellenbefunds vertritt Eck die These, dass es schon vor dem 3. Jahrhundert eine größere jüdische Gemeinde in Köln gegeben haben muss. Er schließt dies aus einer Konstitution Kaiser Konstantins, die den Dekurionen der Stadt erlaubt, Juden auch gegen deren Willen in den Stadtrat zu kooptieren, so sie die Censusqualifikationen erfüllen. Die Gemeinde habe sich vermutlich nach den beiden großen Auswanderungswellen aus Judaea um 66–70 und 132–136 etabliert.

Der Band überzeugt durch Diversität und beschreibt nicht nur den Stand der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, sondern führt diese konsequent durch neue Fragestellungen und Herangehensweisen fort. Die Uneinheitlichkeit der Schreibweisen (so Arje/Arye Edrei) und Zitierweisen sowie kleinere Fehler (so falsche Rückverweise in den Fußnoten auf zuvor Genanntes, beispielsweise S. 24) erschweren in einigen Fällen die Nachvollziehbarkeit. Auch würde man sich ein Gesamtverzeichnis der in den Fußnoten aufgeführten Literatur wünschen. Der Band bietet aber viele neue, zur Diskussion anregende Denkanstöße und ist damit sowohl für Kenner der Materie als auch für Einsteiger in das Feld der römisch-jüdischen Beziehungen sehr zu empfehlen.

Anmerkung:
1 Doron Mendels / Arye Edrei, Zweierlei Diaspora. Zur Spaltung der antiken jüdischen Welt, Göttingen 2010.

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