L. Schmidt: Weihnachtliches Theater

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Titel
Weihnachtliches Theater. Zur Entstehung und Geschichte einer bürgerlichen Fest- und Theaterkultur


Autor(en)
Schmidt, Laura
Reihe
Theater 97
Anzahl Seiten
396 S.
Preis
€ 39,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Schlemmer, Insitut für Neuere Geschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen

Alle Jahre wieder diskutiert die Öffentlichkeit die fortschreitende Kommerzialisierung und Profanisierung von Weihnachten. Laura Schmidt veranschaulicht in ihrer 2016 angenommenen Münchner Dissertation, dass besagte Tendenzen und Kritik daran bereits im 19. Jahrhundert teils erstaunliche Ausmaße annahmen. Dabei gliedert die Absolventin der Bayerischen Theaterakademie diese Debatten in den historiographisch bisher wenig beachteten Kontext weihnachtlicher Theater- und Festkultur ein.1

Schmidt analysiert „Weihnachtliches Theater“ als Teil einer dezidiert bürgerlichen Festkultur und geht von zwei Annahmen aus: Erstens entwickelte sich Weihnachten seit Ausgang des 18. Jahrhunderts zu einem im privaten Rahmen begangenen Familienfest. Zweitens etablierte sich das Theater zeitgleich als ein „Leitmedium bürgerlicher Kultur“ (S. 11). Diese beiden Entwicklungslinien zusammenzuführen und Reaktionen des Theaters in Deutschland auf eine sich wandelnde Festkultur zu untersuchen, ist Schmidts erklärtes Ziel. Darüber hinaus erörtert sie, wie weihnachtliches Theater in zeitgenössische Diskurse und die Phänomene „Privatisierung“ und „Säkularisierung“ einzuordnen ist, wobei sie die These aufstellt, die Theatergeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts lege den Wandel im „Verhältnis von Kirche, Religion und Gesellschaft in der Moderne“ besonders evident zutage (S. 17). Als Untersuchungsgegenstand macht Schmidt Werke und deren Aufführungsformen in Deutschland, die Weihnachten zum Anlass oder Gegenstand haben, zwischen Ende des 18. Jahrhunderts und dem Zweiten Weltkrieg, aus. Als Quellen dienen ihr Stücktexte, Zeitungsartikel, Spielpläne sowie volkskundliche Abhandlungen.

Die Arbeit gliedert sich in neun Kapitel, wobei der Einleitung und einem Kapitel über „das Weihnachtsfest im späten 18. und 19. Jahrhundert“ (S. 19) sechs Analysekapitel und ein Resümee folgen. Schmidt erarbeitet im Vorlaufkapitel zunächst ein Bild bürgerlicher Festpraxis mit Heiligabend als cultural performance im Zentrum, dem Wohnzimmer als Ort und dem 24. Dezember als Zeitpunkt einer privatisierten Feier, während die Vorweihnachtszeit öffentlich blieb. Die zentralen Akteure waren Eltern und Kinder, wobei erstere die Zeit nutzen konnten, „ein bürgerliches Idealbild von Familie zu realisieren“ (S. 29). Das Auftauchen säkularer Gabenbringer wie dem Weihnachtsmann trug dazu bei, das Wohnzimmer in eine Bühne zu verwandeln, ebenso wie gemeinsames Singen den Kirchenraum ins profane Heim holte. Im bürgerlichen Haushalt wurde folglich das Stück „Familie“ und nicht die christliche Weihnacht gegeben – und dies mit einem „beträchtlichen Maß an Theatralität“ (S. 22).

Das darauffolgende dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Genese des weihnachtlichen Theaters bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Nachdem sich „regional geprägte Traditionsstränge und Spielformen“ (S. 42) vom Mittelalter ausgehend etablierten, fand ein Paradigmenwechsel erst zum Ende des 18. Jahrhunderts statt. Dieser ging mit obrigkeitlichen Maßnahmen zur Eindämmung öffentlich-religiöser Praktiken einher, die jedoch weniger Wirkung zeigten als erhofft. Manche Spieltraditionen blieben erhalten, viele veränderten sich, so dass von einer Ausdifferenzierung einst christlich-religiöser Festpraktiken ab 1800 auszugehen ist. In der Weihnachtsdramatik entwickelten sich jenseits professioneller Theater kurze und einfache Stücke mit musikalischer Untermalung. Die meisten Werke besaßen einen „moralisierenden Ton“, waren teils in Handwerker- oder Kaufmannshaushalten angesiedelt (S. 57), dezidiert für private Aufführungskontexte verfasst und transportierten Aspekte der cultural performance des Heiligenabends. Die immer beliebter werdenden Weihnachtsausstellungen repräsentieren dagegen frühe Formen kommerzialisierten, öffentlich und in der Vorweihnachtszeit zelebrierten Weihnachtstreibens.

Über detaillierte Werksanalysen erarbeitet Schmidt in Kapitel 4 sowohl die Entwicklung weihnachtlichen Theaters nach 1850 allgemein, als auch die Etablierung der Weihnachtsmärchen als populärster Form des institutionalisierten weihnachtlichen Theaters. Dabei sieht Schmidt die 1860er-Jahre als take-off Phase, geprägt durch „Ausdifferenzierung, Verbürgerlichung, Spezialisierung, Kommerzialisierung und Professionalisierung“ (S. 125), und Weihnachtsmärchen als Katalysatoren. Kulturell traf die Verarbeitung von Märchenstoffen einen Nerv im Bürgertum und koppelte den Theaterbesuch an das heimische Wohnzimmer, in dem die Märchenlektüre gewöhnlich stattfand. Des Weiteren beruhte der Erfolg auf inszenatorischen Entscheidungen: Die Stücke waren auf Spektakel ausgerichtet, explizit Weihnachtliches kam nur dezent vor, was einer Säkularisierung weiter Vorschub leistete.

Als Kontrastprogramm hierzu diskutiert Schmidt im fünften Kapitel volkssprachliche Weihnachtsspiele. Philologen, Volkskundler und Theologen aus städtischem Milieu verschriftlichten mündlich tradierte Stücke und verleugneten zugleich ihre Autorenschaft. Romantik und eine „deutschtümelnde Ideologie“ (S. 161) verbanden sich in den Texten mit einem romantisch verklärten Mediävismus und abstrakten Ideen über ländliches Brauchtum. Die Editoren erschufen eine „Volkskultur“, verfolgten die „Konstruktion nationaler Identität“ und definierten Volkstheater sowie Bräuche als „Denkmale“ eines nationalen Erbes (S. 170–171). Dabei gliederten sich die Stücke erstaunlich rasch ins säkulare und kommerzielle Theater ein. Das volkstümliche Theater wurde zugleich praktisch neu erfunden und einem städtischen Publikum als Tradition verkauft, wodurch es mit „zum Mythos des deutschen Nationalismus“ beitrug (S. 210). Auch die Theaterkritik sprang darauf an: Vertreter völkischen Gedankenguts folgten den Romantisierungstendenzen; Thomas Mann hingegen argumentierte polemisch gegenüber dem etablierten Theater. Eine besondere Form der Auseinandersetzung mit dem volkssprachlichen Weihnachtstheater stellte die Neubearbeitung der „Oberuferer Spiele“ durch den Anthroposophen Rudolf Steiner dar, die Schmidt abschließend präsentiert, sich aber hütet, zu tief in Steiners Theorien zu versinken.

Stattdessen beschäftigt sich das darauffolgende Kapitel mit dem Verhältnis von Sozialdemokratie und weihnachtlichem Theater sowie mit den Jahren des Ersten Weltkriegs. In beiden Fällen erkennt Schmidt von der bürgerlichen Norm abweichende Festkulturen und macht eigene Spieltraditionen aus. Die Arbeiterbewegung nutzte Weihnachten zum Anlass, „gesellschaftskritische Töne“ anzustimmen (S. 251), wobei keine Ablehnung des Festes selbst stattfand, viel mehr kam es zu Parodien der bürgerlichen Weihnachtstraditionen. Schmidt konstatiert, dass die Stücke paradoxerweise das private Weihnachtsfest bürgerlicher Prägung bestätigen, während zugleich Kritik an der Feierkultur besitzender Schichten geübt wurde (S. 266). Eine bewusste Aufrechterhaltung weihnachtlicher Festkultur strebten dagegen Obrigkeit und Kirchen während des Krieges an. Die institutionalisierten Theater versuchten spätestens ab 1916, mit der Aufführung von Weihnachtsmärchen einen „Rückzug in ferne Idyllen“ zu ermöglichen (S. 276). Abseits der großen Bühnen aber schien die kriegsalltägliche Tristesse auch das Theater zu erobern – wenig originelle Stücke mit einer „typischen Mischung aus plakativem Patriotismus und folkloristisch anmutendem Militarismus“ dominierten (S. 281). Interessant ist Schmidts Befund, dass sich während des Krieges keine eigenständigen Weihnachtsstücke für das Fronttheater etablierten.

In der Zeit der Weimarer Republik sieht Schmidt abseits der professionellen Bühnen mehr denn je die bedeutenden Entwicklungen. Arbeitertheater versuchten „eine stärkere Zusammenführung von darstellendem Spiel, weihnachtlichem Fest und politischer Erziehung“ (S. 311) zu erreichen, präsentierten allegorisch sozialdemokratische Werte und setzten sich kritisch mit dem Weihnachtsfest und der Religion auseinander. Zwar spielten „alle Stücke (…) am Weihnachtsabend zu Hause bei einer Familie, meist im Wohnzimmer“ (S. 330), aber die Familie wurde im Arbeitertheater nun nicht mehr von der Öffentlichkeit separiert dargestellt.

Im Kapitel zu weihnachtlichem Theater im „Dritten Reich“ nähert sich Schmidt dem Thema zunächst über einen Abschnitt zur weihnachtlichen Festkultur, wie die NS-Führung sie sich erträumte. Während die großen Theater weiterhin Weihnachtsmärchen als Spektakel aufführten, versuchte die Partei jenseits davon, das Fest zu vereinnahmen beziehungsweise durch einen nationalsozialistischen Weihnachtskult zu ersetzen und aus seinem „vermeintlich germanischen Erbe herzuleiten“ (S. 342). Wie solche Methoden im Bereich des Theaters funktionierten, analysiert Schmidt anhand der „Südender Weihnachtsspiele“.2 Das zweifelsohne zentrale Motiv dieses Stückes war, die SA nach 1933 von einem Kampfbund zum Kulturverband umzudeuten. Das klassische Krippenspiel wurde vollends ersetzt, wenn Familien und SA als weihnachtliche Feiergemeinschaft zum „Kristallisationspunkt der Volksgemeinschaft“ (S. 346) wurden.

Schmidt erörtert auf rund 360 Seiten durchweg präzise formuliert, welche weihnachtlichen dramatischen Texte zwischen dem Ende des 18. und der Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden und in welcher Beziehung sie zu einer sich „verändernden […] weihnachtlichen Festkultur“ standen (S. 355). Dabei gelingt es ihr, die Dichotomie zwischen institutionalisiertem und nicht-professionellem Theater offenzulegen und ihre Entwicklungen nachzuzeichnen: Auf den großen Bühnen trat der Kommerz erstaunlich früh seinen Siegeszug an, Fest und Theater entkoppelten sich zusehends. Fernab der institutionalisierten Theater fanden sich „überraschend vielfältige und zahlreiche Initiativen, die Beziehungen zwischen Fest und darstellendem Spiel“ (S. 356) herstellten und intensivierten. Schmidt vermag es, die komplexe Beziehung von weihnachtlichem Fest und weihnachtlichem Theater anschaulich zu machen. Besonders ihre Erkenntnisse zur Wiederentdeckung und Entwicklung der volkssprachlichen Weihnachtsstücke bis hin zum Nationalsozialismus dürfen lobend hervorgehoben werden. Der Theaterwissenschaft hat sie mit ihren Werksanalysen zweifelsohne einen großen Dienst erwiesen.

Bleibt zuletzt die Frage nach dem Mehrwert für Historiker/innen, versteht Schmidt ihre Arbeit doch auch als Beitrag „zu einer historischen Phänomenologie bürgerlicher Kultur“ (S. 17). Die historisch orientierte Leserschaft sucht teils vergebens nach der Diskussion von Begriffen wie Säkularisierung, Privatisierung, Bürgertum oder Volksgemeinschaft. Das von Schmidt erarbeitete Bild bürgerlicher Fest- und Theaterkultur verliert für die 1920er- und 30er Jahre zunehmend an Kraft. Leider gelingt es -ihr nur bedingt, die Stellschrauben neu zu justieren, wenn sie schlicht von einem „Verlust einer Illusion von Bürgerlichkeit, der diese Epoche kennzeichnet“ ausgeht (S. 306). Schmidt verabschiedet sich unverhofft vom Bürgertum, sieht das Theater der Weimarer Republik hauptsächlich durch die Topoi „Radikalisierung, Ideologisierung, Ausdifferenzierung und Spezialisierung“ (S. 303) gekennzeichnet.3 Dass Schmidt das Narrativ von der bürgerlichen Epoche im 19. Jahrhundert nutzt, ist verständlich, kann sie doch zeigen, dass Weihnachten, Fest- und Theaterkultur untrennbar mit dem „bürgerlichen Wertehimmel“ verwoben waren.4 Kritisch ist, dass sie hierzu teils überholte Theorien als Schablone nimmt: So begegnet einem unverhofft Otto Brunners Konzept des „Ganzen Hauses“, allerdings nicht aus dessen, sondern aus Heidi Rosenbaums Werk, wenn Schmidt die Privatisierung des bürgerlichen Wohnzimmers erläutert (S. 26).5

Nichts desto trotz stellt der Band einen lesenswerten Beitrag zur Erforschung der bürgerlichen Kultur des 19. Jahrhunderts dar. Es gelingt zudem, ein großes Panorama weihnachtlicher Fest- und Theaterkultur über rund 150 Jahre deutscher Geschichte zu eröffnen. Schmidt liefert eine gut lesbare, quellen- und erkenntnisreiche Darstellung, die mit ihrem ungewöhnlichen Untersuchungsgegenstand zudem Anregungen für zukünftige Studien gibt.

Anmerkungen:
1 Doris Foitzik, Rote Sterne, braune Runen, Politische Weihnachten zwischen 1870 und 1970, Münster 1997.
2 Eberhard Wolfgang Möller, Das Südender Weihnachtsspiel, Berlin 1935.
3 Kritische Ansätze zur Reduktion Weimars als krisenhafte Zeit vgl. Moritz Föllmer / Rüdiger Graf (Hrsg.), Die „Krise“ der Weimarer Republik, zur Kritik eines Deutungsmusters, Frankfurt am Main 2005; APuZ 68 (2018), Heft 18–20.
4 Vgl. Manfred Hettling / Stefan-Ludwig Hoffmann (Hrsg.), Der bürgerliche Wertehimmel, Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000.
5 Schmidt verweist selbst nicht einmal auf Brunner; zur Theorie des „Ganzen Hauses“ vgl. Philip Hahn, Trends der deutschsprachigen historischen Forschung nach 1945, Vom ‚ganzen Haus‘ zum ‚offenen Haus‘, in: Joachim Eibach / Inken Schmidt-Voges (Hrsg.), Das Haus in der Geschichte Europas, ein Handbuch, Berlin 2015, S. 47–64.

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