P.-M. Rabe: Haushalt und Herrschaft im nationalsozialistischen München

Cover
Titel
Die Stadt und das Geld. Haushalt und Herrschaft im nationalsozialistischen München


Autor(en)
Rabe, Paul-Moritz
Reihe
München im Nationalsozialismus. Kommunalverwaltung und Stadtgesellschaft 3
Erschienen
Göttingen 2017: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
399 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marc Buggeln, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Das vorliegende Buch beruht auf einer im Sommersemester 2016 an der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommenen Dissertation, die im Rahmen des Forschungsprojektes „Die Münchener Stadtverwaltung im Nationalsozialismus“ entstanden ist. Die Arbeit wurde nach ihrer Einreichung bisher mit drei Preisen ausgezeichnet und – so viel sei hier vorangestellt – dies völlig zu Recht, denn es handelt sich trotz des oft als sperrig empfundenen Themas um eine flüssig geschriebene und gut lesbare Pionierstudie.

Paul-Moritz Rabe nutzt die Haushaltspolitik der Stadt München im Nationalsozialismus, um eine Vielzahl von Fragenkomplexen zu behandeln, die von der propagandistischen Darstellung der Haushaltsentwicklung über die Durchsetzung nationalsozialistischer Gesellschaftspolitik bis hin zu Korruption und Judenverfolgung reicht. Dabei verzichtet der Autor weitgehend auf die durchaus mögliche Nutzung theoretisierender Angebote aus den Nachbarwissenschaften, weswegen sich die Arbeit am besten als klassische quellennahe politik- und sozialgeschichtliche Studie kennzeichnen lässt.

Nach einem informativen Einstieg über die Möglichkeiten der Nutzung des Haushaltsplans für historische Analysen wirft Rabe zuerst einen Blick auf die Münchener Haushaltspolitik gegen Ende der Weimarer Republik. München gingen, wie vielen anderen deutschen Kommunen, aufgrund ausbleibender Steuereinnahmen und wachsender Arbeitslosenzahlen und Sozialausgaben in der Krise zunehmend die Handlungsoptionen aus. Trotz umfassender und langwieriger Verhandlungen schloss der Haushaltsplan 1932 mit einem Minus von 16,3 Millionen Reichsmark. Daraufhin griff die Staatsregierung per Zwangserlass in den städtischen Haushalt ein und sorgte mit Ausgabenkürzungen sowie optimistisch nach oben korrigierten Einnahmeschätzungen für den Haushaltsausgleich.

Für viele führend in der Münchener Finanzverwaltung Beschäftigte war dies ein Tiefpunkt, der zukünftig unbedingt vermieden werden sollte. Da die Mehrzahl von ihnen im Amt blieb, wirkte sich diese Erfahrung auch prägend auf die Haushaltspolitik im nationalsozialistischen München aus. Insbesondere der seit Mitte der 1920er-Jahre im Amt befindliche Stadtkämmerer Andreas Pfeiffer bemühte sich fortan um einen Haushalt mit „schwarzer Null“. Darin traf er sich mit dem neuen NSDAP-Oberbürgermeister Karl Fiehler, der auf einen ausgeglichenen Haushalt großen Wert legte. Fiehler, ein „alter Kämpfer“ mit der NSDAP-Mitgliedsnummer 37 und Beteiligter am „Hitler-Putsch“ 1923, konnte durch seine hervorragenden Kontakte zur Reichsregierung sowie zur bayrischen Staatsregierung durch Verhandlungserfolge einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

Die „schwarze Null“ hatte so in München von 1933 bis 1944 Bestand und erscheint als kommunaler Gegenpart zu der Vabanque-Finanzpolitik auf Reichsebene, die das Deutsche Reich zum Ende des Zweiten Weltkriegs in den Staatsbankrott führte. Mindestens ebenso entscheidend wie die Vorstellungen der kommunalen Handlungsträger waren für dieses Politikergebnis jedoch die Beschränkungen, die das Reich und der Krieg den Kommunen auferlegten. Da die Reichsregierung alle zur Verfügung stehenden Kreditmittel erst für die Aufrüstung und dann für den Krieg benötigte, untersagte sie den Kommunen die Schuldenaufnahme. Im Krieg kam es schließlich sogar zu Haushaltsüberschüssen, die darin begründet waren, dass viele kostspielige Haushaltsprogramme aufgrund von Ressourcenmangel nicht ausgeführt werden konnten. Auch wenn das Reich durch viele Vorgaben wesentlich auf die Kommunalhaushalte einwirkte, blieben vor Ort doch erhebliche Gestaltungsspielräume. Insbesondere mit dem kreativen Ausbau von Kommunalsteuern und -gebühren trug die Stadtverwaltung zur Mobilisierung von Ressourcen für den Krieg bei.

Auch wenn die durchgängige „schwarze Null“ auf Konstanz in der Haushaltspolitik hindeuten könnte, so zeigt Rabe durch eine detaillierte Untersuchung dreier ausgewählter Haushalte, dass sich die Gewichte in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft erheblich verschoben. Nach einer bis 1936 reichenden Phase der Konsolidierung standen der Stadt nun durch steigende Steuereinnahmen, u.a. durch die Realsteuerreform von 1936, und dramatisch gesunkene Arbeitslosenzahlen erhebliche Mittel zur Verfügung. Gleichzeitig flossen jedoch immer mehr Mittel offen oder verdeckt Aufrüstungszwecken zu. Im Laufe des Krieges stiegen die Einnahmen und Ausgaben der Stadt dramatisch an. Für Rabe war dieser Anstieg ausgabengetrieben, wofür insbesondere die Verdreifachung des Fürsorgeetats verantwortlich war. Diese beruhte vor allem auf den umfassend gewährten Versorgungsunterstützungen für die Angehörigen von eingezogenen Soldaten. Der betreffende Posten machte 1943 im Haushaltsplan der Stadt allein 72 Millionen Reichsmark aus. Den Großteil dieser Kosten trug allerdings das Reich, es blieb 1943 aber ein städtischer Zuschussbedarf von 5,3 Millionen Reichsmark zu schultern.

Rabe schaut sich die Haushaltspläne dann auch noch im Detail an, um zu prüfen, inwiefern sich in ihnen eine spezifisch nationalsozialistische Gesellschaftspolitik nachweisen lässt. Hinweise dafür findet er einige. So entstanden neue Ausgabenposten im Gesundheitswesen, u.a. eine Etatstelle „Rassenpflege“, die sich die Stadt 100.000 Reichsmark kosten ließ. Ebenso stellte man mehr Geld für die Förderung „deutscher Kunst“ zur Verfügung. Erhebliche Kosten verursachte auch die Gestellung einer Ausgabe von „Mein Kampf“ als Ehegeschenk. Kürzungen finden sich dagegen bei den Zuschüssen für Kirchen, vor allem aber im Fürsorgebereich, wo als „asozial“ Klassifizierte deutlich reduzierte Zuwendungen und jüdische Hilfsbedürftige schließlich gar keine solchen Leistungen mehr erhielten. Der Haushaltsplan gibt auch Auskunft über ein erhebliches Maß an Klientelpolitik für „alte Kämpfer“, die nicht selten die Grenze zur Korruption überschritt.

In einem gesonderten Kapitel untersucht Rabe den Anteil der städtischen Finanzbehörden an der Judenverfolgung. Er zeigt, dass es mehrfach Versuche des Stadtsteueramtes gab, jüdische Betriebe und Familien höher zu besteuern, dass dies aber in vielen Fällen auf juristische Schranken stieß. Genutzt wurde zu diesem Zweck schließlich die 1937 eingeführte Fremdenverkehrsabgabe, die so offen formuliert wurde, dass sie erhebliche Auslegungsspielräume ließ, die durchgängig für die höhere Besteuerung von Juden und jüdischen Geschäften genutzt wurden.

Die meisten Finanzbeamten versahen ihren Dienst bis zum Einmarsch amerikanischer Truppen in München am 30. April 1945. Während die bedeutendsten NS-Funktionäre zu diesem Zeitpunkt auf der Flucht waren, blieben die Finanzbeamten vor Ort. Der langjährige Stadtkämmerer Andreas Pfeiffer sah sich allerdings gezwungen, seiner bevorstehenden Entlassung durch die Alliierten mit einem Ruhestandsgesuch zuvorzukommen. Von der folgenden Entnazifizierung hatte er allerdings nicht viel zu befürchten. Er kam mit der geringen Geldstrafe von 2.000 Reichsmark und einer Einstufung in die Kategorie der „Mitläufer“ davon.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es dem Autor gelungen ist, eine rundum überzeugende Darstellung der Münchener Haushaltspolitik während der Zeit des Nationalsozialismus abzuliefern. Er schließt damit eine bedeutende Forschungslücke. Es ist zu hoffen, dass ähnliche Studien zu anderen Städten entstehen, die dann den Vorteil hätten, dass sie bereits auf eine kontrastierende Vergleichsfolie zurückgreifen können. Diese würde es ihnen in weitreichenderem Maße als jetzt Rabe erlauben, etwas über Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Kommunalfinanzen auszusagen – ein Punkt, den Rabe durchaus im Blick hat, in dem er aber aufgrund mangelnder Forschungsergebnisse über sporadische Bemerkungen nicht hinausgelangt. Ebenso würde man sich ähnliche Studien für die Weimarer Republik oder die Bundesrepublik Deutschland wünschen. Für diese künftigen Aufgaben liegt nun mit Rabes Studie ein exzellentes Beispiel vor.

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