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Titel
Clio's Battles. Historiography in Practice


Autor(en)
Black, Jeremy
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 323 S.
Preis
€ 22,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benjamin Steiner, Abteilung Geschichte der Frühen Neuzeit, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München Email:

Das vorliegende Werk des an der Universität Exeter lehrenden britischen Militärhistorikers Jeremy Black ist einer ausführlichen, zum Teil auch recht persönlichen Reflexion über die Möglichkeiten politischer Instrumentalisierung der Geschichte gewidmet. Darin geht Black weit über den Horizont des von ihm sonst bearbeiteten Feldes der Militär-, Diplomatie- und Kartographiegeschichte hinaus. Er unternimmt den Versuch, einen historischen Überblick der Historiographie mit einer Betrachtung der politischen Nutzbarmachung der Geschichte in jüngster Vergangenheit und der Gegenwart zu verbinden. Dabei wägt er nicht nur das Verhältnis zwischen Geschichte, Politik und Öffentlichkeit im Sinne einer Geschichte der „public history“ ab. Er reflektiert auch ausführlich die medialen, sozialen und kulturellen Hintergründe der Geschichtsvermittlung. Insbesondere populäre Formen der Darstellung, wie Filme, Fernsehserien oder Zeitungsartikel, scheinen ihn dazu motiviert zu haben, die Bedeutung des Einflusses akademischer Geschichtsschreibung zu hinterfragen. Er kommt im Verlauf seiner Überlegungen zu recht kritischen Einschätzungen, insbesondere was seine eigene Zunft anbelangt, führt zum Schluss aber doch eine überzeugte Verteidigung der empirisch fundierten Geschichtswissenschaft als Korrektiv für populäre und politisch nutzbare Geschichte an.

Black beginnt mit der Anfangsprämisse, Historiographie nicht aus theoretischer Warte untersuchen zu wollen, sondern wie sie sich in der Praxis bewährt. Für ihn heißt das in erster Linie, eine politische Praxis zu untersuchen, in der etwa „ministers, politicians, and commentators“ sich der Geschichte bedienen, um bestimmte Zwecke oder Ziele gegenwärtigen Handelns zu erreichen (S. xi). Er möchte daher auf die Ambiguitäten und die unterschiedlichen Lesarten von Geschichte eingehen und seine Sichtweise als „Pluralist“ wiedergeben, der sich den „verschiedenen Praktiken und Traditionen“ respektvoll und bewusst gegenüber verhält (S. xii). Solche Ambiguitäten spiegeln sich besonders im Verhältnis akademischer, staatlicher und öffentlicher Auseinandersetzungen mit Geschichte wider (Kapitel 1). Gerade der öffentliche und staatliche Gebrauch von Geschichte habe sich, so Black, in den letzten Jahrzehnten immer weiter verbreitet (S. 2). Entgegen der Behauptung, die Geschichte sei an ihr Ende gekommen, glaubt Black, dass historische Referenzen weiterhin eine wichtige politische Funktion haben. Er nennt das Jubiläumsjahr 2014 als Gelegenheit für Politiker, den ersten Weltkrieg als „Lehre“ der Geschichte aufzugreifen; noch häufiger kam es zur Erwähnung des Zweiten Weltkriegs, zum Beispiel im Zusammenhang mit Forderungen in den Syrien-Konflikt einzugreifen, wobei die Untätigkeit des Westens mit den warnenden Lehren des „Appeasement“ gegenüber Hitlers Deutschland 1938 verglichen wurde (S. 5). Darüber hinaus seien auch religiöse Gruppen verstärkt mit dem vormodernen Argument aufgetreten, die Geschichte offenbare eine göttliche Vorsehung, wodurch sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbinden (S. 7). Einer populären Aufarbeitung der Geschichte, wie in den Fernsehserien Roots (1977), The Holocaust (1978) oder Downton Abbey (2010), die weithin wahrgenommen wurden, stellt Black dann eine akademische Geschichtswissenschaft gegenüber, deren intellektuelle Impulse kaum mehr öffentliche Wirksamkeit entfalten würden. So sei etwa der „cultural turn“ oder die Debatte um die epistemologischen Möglichkeiten „objektive“ Geschichte darzustellen im Zuge des „linguistic turn“ jenseits der Universitäten kaum wahrgenommen worden (S. 9).

Dies liege auch daran, dass in der westlichen Geschichtswissenschaft ein „idealist approach“ überwiege, der sich um die Herausarbeitung von historischen „Wahrheiten“ mehr bemühe als um deren populäre Vermittlung (S. 10). So seien etwa in britischen Universitäten die historischen „Erzählungen“ (narratives) als synthetisierende Klammern der spezialisierten Einzelerkenntnisse aus dem Unterricht weitgehend verbannt worden und lieferten für die Studierenden keine Orientierung mehr (S. 15). Demgegenüber vermittelt die populäre Geschichtsschreibung historische Zusammenhänge in spektakulären Darstellungen, die häufig jegliche Form der Analyse vermissen ließen. Der Fülle spezialisierter „ernster“ akademischer Abhandlungen steht so eine ebensolche Menge an „akademisch leichter“ Literatur in Bahnhofs- und Flughafenbuchhandlungen gegenüber, die entweder Weltgeschichte im großen Bogen abhandelt oder in Form von personalisierten „Doku-Dramas“ große Ereignisse darstellt (S. 18).

Von dieser kritischen Gegenwartsdiagnose der politischen und populären Nutzung von Geschichte ausgehend bedient sich Black indes selbst einer historischen Argumentationsweise. Er verfolgt zunächst die chronologische Entwicklung seines Hauptthemas nach, um dann die möglichen zukünftigen Veränderungen einzuschätzen. Der erste Teil des Buches (Kapitel 2–5) stellt einen globalen Überblick der ersten 2.000 Jahre Geschichtsschreibung dar. Das Kapitel zur Periode vor 1650 ist freilich selektiv, aber berücksichtigt doch ausgewogen die klassische griechisch-römische Tradition einerseits und auch die chinesische Geschichtspolitik andererseits. Es folgen konzise zusammengefasste Abrisse der humanistischen Geschichtsschreibung, deren besondere didaktische Zielsetzung er anerkennt (S. 42). Die Aufklärungshistorie wird aus der britischen Warte eines langen 18. Jahrhunderts, unter besonderer Berücksichtigung der konservativen Reaktion auf die Französische Revolution, etwa durch Edmund Burke (S. 63ff.), dargestellt. Auch für die Historiographie des 19. Jahrhunderts hält Black das britische Beispiel (aufgrund der Vorreiterrolle der Inseln beim industriellen Wachstumsprozess) für besonders aussagekräftig (S. 69). Der in diesem Jahrhundert ausgebildete „Historismus“ wird von Black in engem Zusammenhang mit einer Herausbildung eines ebenso bedeutsamen „Positivismus“ gesehen, der sich besonders nachhaltig auf die zukünftige Entwicklung der Historiographie ausgewirkt habe (S. 79). Die Indienstnahme der Geschichte habe nicht nur im 19., sondern auch im 20. Jahrhundert im Zeichen des Nationalismus gestanden. Neben einer Marktdynamik habe dabei auch eine Nähe zum Autoritarismus die Praxis des Geschichtsgebrauchs ausgezeichnet, die nicht nur in totalitären Regimen bemerkbar gewesen sei, sondern auch in den liberalen Demokratien (siehe z.B. S. 99). Die „postmodernen“ Theorien, insbesondere jene aus Frankreich wie der Annales-Schule sowie die kritischen Revisionen Foucaults oder Derridas über die Funktionen der Macht in der Geschichte, hält Black, was das nicht-akademische Publikum und die Entwicklung der Public History betrifft, für wenig einflussreich (S. 106f.).

Im zweiten Teil des Buches (Kapitel 7–12) widmet sich Black den unterschiedlichen Komplexen der Geschichtspolitik bzw. Public History. Auffällig ist das Anliegen, Globalgeschichte aus einer britischen Perspektive zu analysieren, was mitunter zu einseitigen Anklagen führt. Im Falle Indiens etwa klagt er über die dekoloniale Instrumentalisierung der Geschichte zugunsten einer hinduistischen Nationalstaatsbildung, die über die Errungenschaften des Britischen Empire hinwegginge: „The criticism entailed minimizing the value and creativity of British rule“, während die Verbrechen vonseiten der Inder, etwa während der Herrschaft des Nawab von Bengalen im 18. Jahrhundert und der „Indian Mutiny“ (1857–1859), weniger diskutiert würden (S. 112). Ansonsten bleibt die Darstellung über die „history wars“ in den USA (S. 132–149) oder der Geschichtspolitik in den „neuen“ Staaten Osteuropas (S. 150–166) sehr ausgewogen, doch ergreift Black mit spitzen Bemerkungen hin und wieder selbst Partei für eine liberale Position. Anregend ist seine Beobachtung, dass im Rahmen der akademischen Rezeption der aktuellen Forschung zum Ersten Weltkrieg nationalistische Positionierungen in den jeweiligen Ländern wirksam waren. So war Max Hastings „Catastrophe“ (2013), das den Deutschen eine Kriegsschuld gab, in Großbritannien populär, während sich Christopher Clarks „The Sleepwalkers“ (2013), das die Ursache des Kriegs eher in der Struktur des internationalen Systems sah, in Deutschland höherer Beliebtheit erfreute (S. 198).

Das Anliegen Blacks ist es, das Problem der auseinanderdriftenden Praktiken akademischer Spezialisierung und populärer Indienstnahme der Geschichte zu analysieren und einen Lösungsvorschlag zu unterbreiten. Wenig überraschend für einen Vertreter der akademischen Historiographie sieht Black den „Empirizismus als Basis“ für seine Profession (S. 242). Gegen die „postmodernen“ Relativierungen der Rolle von Fakten sollte die empirische Grundlagenforschung, wenn auch mit höherer Aufmerksamkeit gegenüber vielfältigen Interpretationen, hoch gehalten werden. Mit der postmodern beeinflussten Historiographie stimmt Black aber darin überein, dass „the most accurate history“ jene sei „that notes the ambiguities of the past, the diversities of motives, and the complexity of causation“ (S. 276). Zudem sollen unter Verweis auf „Referentialität und Historiographie“ die Grenzen zur Fiktion von der professionellen Geschichtswissenschaft klar aufgezeigt werden (S. 243).

Es drängt sich der Eindruck auf, dass Black seine Einsichten in das gegenwärtigen Geschehen und der Rolle der Geschichte darin mit seiner Erfahrung als Historiker in Einklang zu bringen versucht. Dieser Eindruck wird durch eine „persönliche Notiz“ verstärkt, die Black zum Schluss seiner Abhandlung anfügt (S. 260–271). Hier stellt er seine eigene Genese als Historiker dar, seine Erfahrungen in der Schule, die Lektüre bestimmter Historiker (etwa Braudels Mittelmeer-Buch in der High School) und die späteren Erfahrungen als Hochschullehrer, die ihn die Rolle des Studierenden und überhaupt des Lesers in der Herausbildung eines historischen Wissenskomplexes haben erkennen lassen (bes. S. 269).

Als Fazit lässt sich festhalten, dass mit Blacks Buch ein eindrucksvolles Zeugnis der Arbeit und Denkweise eines der bedeutendsten englischsprachigen Historiker vorliegt, das nicht nur durch originelle Einzelbeobachtungen besticht, sondern auch durch den spannenden Versuch, die Praxis der Historiographie mit Fragen der Gegenwart und Zukunft zu verbinden. Das Werk mag für das studentische Zielpublikum nicht immer einfach verständlich sein, da es mitunter voraussetzungsreich ist und vielleicht auch zu tief in die Details der Einzelbeispiele geht. Doch eröffnet es dem geduldigen Leser eine Welt der historischen Erfahrung, die eine gründliche Lektüre, gerade auch aufgrund der ambitionierten globalen Reichweite der Abhandlung, überaus empfehlenswert macht. Die Fragen, die Black über die Zukunft der Historiographie als akademische und populäre Praxis aufwirft, sind von herausragender Bedeutung. Auch wenn man nicht mit jeder seiner Antworten über die richtige Geschichtspraxis einverstanden sein mag, so regen sie doch zu einer überfälligen Diskussion an. Es ist daher zu wünschen, dass dieses Buch einen weiten internationalen Leserkreis gewinnen wird.