C. Lyon u.a.: Introduction to Public History

Cover
Titel
Introduction to Public History. Interpreting the Past, Engaging Audiences


Autor(en)
Lyon, Cherstin M.; Nix, Elizabeth M.; Shrum, Rebecca K.
Reihe
American Association for State and Local History
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 187 S.
Preis
€ 34,95; £ 24.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cord Arendes, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die weitgehende Abwesenheit von übergreifenden Lehr-, Hand- und Arbeitsbüchern verwies lange Zeit auf eine empfindliche Leerstelle des historischen Arbeitsfeldes Public History. Für die jüngste Zeit kann konstatiert werden, dass sich der Wind gedreht hat: Innerhalb von nur knapp zwei Jahren liegt mit dem gemeinsam verantworteten Band von Kerstin M. Lyon (Associate Professor für Geschichte, California State University, San Bernadino), Elizabeth M. Nix (Associate Professor für Public History, University of Baltimore) und Rebecca Shrum (Assistant Professor für Geschichte, Indiana-Purdue University, Indianapolis) bereits der dritte Versuch vor, eine umfassende Einführung in das Gebiet der Public History in Buchform zu leisten. Wie auch die beiden unlängst erschienenen Überblicke von Faye Sayer und Thomas Cauvin1 richtet sich das vorliegende Lehr- und Arbeitsbuch in erster Linie an das englischsprachige Publikum bzw. ganz konkret an „public history educators“ an US-amerikanischen Hochschulen. Die ebenfalls als Interessentengruppe angesprochenen Teilnehmer/innen dortiger Public History-Programme schließen, dies gilt es im Unterschied zu den wenigen deutschsprachigen Master-Studiengängen auf diesem Feld im Hinterkopf zu behalten, sowohl „undergraduates“ als auch „graduate students“ mit ein. Der Adressatenkreis ist mit Studierenden der Public History, Lehrer/innen und „Konsument/innen von Geschichte“ (S. x) somit insgesamt sehr weit gefasst.

Die durch Kerstin Lyon, Elizabeth Nix und Rebecca Shrum sowohl in der universitären Lehre als auch im Rahmen ihrer Projektarbeit vertretende (Lehr-)Philosophie bleibt nicht bei theoretischen Überlegungen stehen, sondern basiert auf einem expliziten wie umfassend verstandenen Bezug zur Praxis: Das Ziel des Buches ist es, Lehrende in enger Verbindung mit den Ressourcen, die sie an ihren Universitäten und in ihren Gemeinden vorfinden, dazu zu ermutigen, „to develop activities and projects for their classes to serve as a genuine springboard into the field with as many local connections as possible“ (S. ix). In diesem Sinne gliedern sich die Kapitel auch nach unterschiedlichen „questions and ethical dilemmas“, welche auf dem Feld der Public History ganz generell die Projektarbeit ‚vor Ort‘ kennzeichnen. Die drei Autorinnen sehen sich zudem dem Ansatz der „progressiven Public History“ im Anschluss an Cathy Stanton verpflichtet. Diese steht für eine aktivistische Lesart der Public History, die insbesondere Fragen einer demokratischen wie auch gerechten Ausgestaltung der Gesellschaft miteinschließt.2 (Zukünftige) Public Historians sollten vor diesem Hintergrund im Rahmen ihrer Ausbildung innerhalb der Lehre und der Projektarbeit vor allem dazu angeleitet werden, „informed decisions“ (S. x) zu treffen.

Insgesamt gliedert sich die Einführung in acht gleich-strukturierte Kapitel. Neben der Erläuterung von Schlüsselbegriffen dienen sie jeweils zum einen der einführenden theoretischen und konzeptionellen Darstellung, zum anderen der Präsentation von Fallbeispielen. Alle Kapitel schließen zudem mit einem eigenen Abschnitt, der sich gezielt Anregungen für praktische Public History-Aktivitäten und Hinweisen für weiterführende Studien widmet. Das einführende Kapitel „Introducing Public History“ widmet sich dementsprechend den „issues, theories, and core principles“ der Public History. Dankenswerterweise verzichten Kerstin Lyon, Elizabeth Nix und Rebecca Shrum darauf, die Entstehungsgeschichte der Public History in den USA wie bereits in einer Reihe an Beiträgen geschehen, erneut nachzuzeichnen. Stattdessen führen sie in den Gegenstand und die Ziele des Arbeitsfeldes anhand von vier Aspekten ein (S. 2f.): Public History basiert für die Autorinnen auf dem von allen Historiker/innen geteilten historischen Methodenkatalog (1); sie ist durch einen Publikumsbezug gekennzeichnet, der unterschiedliche Erwartungshaltungen und Wertvorstellungen einschließt (2); Public History zielt auf kollaborative Arbeitsformen, einerseits mit der Öffentlichkeit bzw. den ‚Stakeholdern‘ und andererseits mit Angehörigen anderer Disziplinen bzw. im Teamwork mit Praktiker/innen (3). Und Public History versteht sich als „reflexive Praxis“ (4). Vor diesem Hintergrund betonen die drei Autorinnen vor allem die hohe Bedeutung des problemorientierten Lehren und Lernens sowie dialogischer Verfahren und gemeinsamer Zuständigkeiten in der historischen Alltagspraxis der Projektarbeit außerhalb der Universitäten.

Ein Alleinstellungsmerkmal des Bandes bildet das zweite Kapitel: Hier wird unter dem Titel „Thinking Historically“ in geraffter Form ein Überblick über die Grundlagen historischen Arbeitens, über die historischen Methoden sowie die Arbeit mit Quellen gegeben. Aus Sicht deutschsprachiger Leser/innen mag dieses Vorgehen überraschen. Es erklärt sich aber, wenn man sich vor Augen hält, dass in US-amerikanischen B.A.-Programmen für Public History der Anteil genuin geschichtswissenschaftlicher Module teilweise nur sehr spärlich bemessen ist. Das dritte Kapitel „Interpreting the Past“ widmet sich mit dem Fallbeispiel „Baltimore `68“ einem einzelnen „community-based participatory research“-Projekt (S. 35). Mit ihren Ausführungen zur historischen Einordnung und Erinnerung an die Ausschreitungen im Jahr 1968 gelingt es Kerstin Lyon, Elizabeth Nix und Rebecca Shrum überzeugend, das breite Angebot unterschiedlicher Werkzeuge (unter anderem Oral History-Interviews, Kunstprojekte, Podiumsdiskussionen, Online-Sammlungen, Bücher sowie (Theater-)Inszenierungen historischer Quellen, vgl. S. 36) vorzustellen und einzuordnen, über das ein interdisziplinärer und im lokalen/regionalen Umfeld eingebetteter Public History-Ansatz verfügt.

Der Großteil der unzähligen und größtenteils sowohl wenig bekannten als auch instruktiven Fallbeispiele entstammt dem Bereich ‚Vermittlung durch Präsentation‘. Präsentationen schließen hier sowohl das klassische Format der Ausstellung in Museen als auch Präsentationen in elektronischen Medien und damit vor allem Online-Portale mit ein. Die beiden folgenden Kapitel widmen sich hieran anschließend (historischen) Sammlungen, Archiven und Ausstellungen. Während im vierten Kapitel besonderer Wert auf Sammlungen zu bisher benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen gelegt wird (Stichworte im US-amerikanischem Kontext Race, Class, Gender; vgl. S. 61–67), widmet sich das fünfte Kapitel („Interpreting and Exhibiting History“) übergreifend (kultur-)historischen Ausstellungen. Dieses Kapitel darf als das Highlight des Buches bezeichnet werden: Es gelingt Kerstin Lyon, Elizabeth Nix und Rebecca Shrum hier, den gesamten Verlauf einer Ausstellung – von der Konzeption bis zur Besucherbefragung – genauso komprimiert wie überzeugend auf weniger als 20 Seiten abzuhandeln. Dabei sparen sie weder die zumeist divergierenden Interessen unterschiedlicher Beteiligter noch mögliche (ethische) Problemlagen aus (S. 90–107).

Das sechste („Engaging Audiences“) und das siebte Kapitel („Engaging Audiences: Case Studies from the Field“) widmen sich den Umsetzungsfragen, die sich bei Präsentation und Vermittlung von Geschichte und historischen Wissensbeständen für ein breites Publikum ergeben können. Neben der Living History kommen hier auch Aspekte wie Authentizität, bürgerliches Engagement oder Fragen der „Dark Public History“ (öffentlichkeitswirksamer Umgang mit unerwünschtem bzw. schwierigem historischem Erbe) zur Sprache. Das achte Kapitel „Putting Public History to Work in Your World“ skizziert abschließend Berufsmöglichkeiten für Absolventen/innen von Public-History Studiengängen anhand exemplarischer Lebensläufe. Die ungleich größere Bedeutung von Public Historians für die US-amerikanische Geschichtskultur ergibt sich dabei auch aus dem Umstand, dass sich die Professoren/innen der Geschichtswissenschaft, vor allem im Vergleich mit ihren deutschen Kollegen/innen, weitaus klarer auf „their role on campus and in the academic ivory tower“ zu beschränken haben.3 Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.

Insgesamt überzeugt die Einführung von Kerstin Lyon, Elizabeth Nix und Rebecca Shrum in gleich mehrfacher Hinsicht: Sie zeichnet sich zum einen durch eine äußerst prägnante Darstellung von Problemlagen und Lösungsmöglichkeiten auf dem Feld praktizierter Public History aus. Zum anderen bietet sie durch die vielen direkt in die Argumentation eingewobenen Fallbeispiele einen leicht verständlichen Zugang zu ganz unterschiedlichen Aspekten des Arbeitsfeldes. Hierbei ist hervorzuheben, dass die Fallbeispiele zwar hauptsächlich aus dem US-amerikanischen Kontext stammen, die korrespondierenden „Resources and Suggested Activities“ aber so ausgewählt und didaktisch ausgestaltet wurden, dass sie fast durchweg in der Lage sind, auch deutschen Public Historians Denkanstöße für Projekte im eigenen gesellschaftlichen Um- und Nahfeld liefern. In diesem Sinne ist mit dem Verweis in der Einleitung, Projektlehre und Projektarbeit als ein Sprungbrett in das Arbeitsfeld zu verstehen, sicher nicht zu viel versprochen worden. Darüber hinaus verweisen die Autorinnen – wenn auch nur implizit – in ihrer Darstellung auf eine weitere Diskussion in der deutschsprachigen Public History-Landschaft: Hier ist wiederholt einer grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Angewandter Geschichte und Public History das Wort geredet worden.4 Nicht nur die zweite Hälfte des Untertitels „Engaging Audiences“, vor allem auch der Inhalt der Fallbeispiele zielt ganz eindeutig auf den Einbezug von Bürger/innen als eine der Grundbedingungen von Public History ab. Kerstin Lyon, Elizabeth Nix und Rebecca Shrum haben unzählige und eindrückliche Beispiele dafür geliefert, dass die Schnittflächen zwischen Angewandter Geschichte und Public History doch weitaus größer sind als gedacht bzw. Public History ‚in Action‘ immer auch Elemente einer Citizen Science enthält.

Anmerkungen:
1 Faye Sayer, Public History. A Practical Guide. London 2015; Thomas Cauvin, Public History. A Textbook of Practice. New York 2016. Siehe meine Sammelrezension in: H-Soz-Kult, 10.03.2017, www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26230 (23.10.2017).
2 Siehe Cathy Stanton, The Lowell Experiment: Public History in a Postindustrial City, Armherst 2006, S. 3–28.
3 Siehe Paul Nolte, Historians in the Political Arena in Germany: Ample Opportunity and the Ambivalence of Soft Knowledge, in: Bulletin of the German Historical Institute 60 (2017), Frühjahrsausgabe, S. 89–100, hier S. 89.
4 Zusammenfassend Jacqueline Nießer / Juliane Tomann (Hrsg.), Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit, Paderborn 2014. Siehe die Rezension von Cornelia Wenzel/Jürgen Bacia zu diesem Buch, in: H-Soz-Kult, 03.02.2015, www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-22910 (23.10.2017).

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