W. Rademacher-Braick: Reformatorische Theologie in Texten von Frauen

Cover
Titel
Frei und selbstbewusst. Reformatorische Theologie in Texten von Frauen (1523–1558)


Autor(en)
Rademacher-Braick, Wilma
Reihe
SOFIE. Schriftenreihe zur Geschlechterforschung 21
Erschienen
Anzahl Seiten
664 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dorothee Kommer, Evangelische Kirchengemeinde Haigerloch

Die von der Evangelischen Theologin und Germanistin Wilma Rademacher-Braick verfasste Arbeit wurde 2001 vom Fachbereich Philologie der Universität Koblenz-Landau als Dissertation angenommen. Zur Drucklegung kam es damals aufgrund neuer beruflicher Prioritäten von Wilma Rademacher-Braick nicht. Eine unveröffentlicht gebliebene Dissertation 16 Jahre später zu publizieren, ist ein ungewöhnlicher Schritt. Im Geleitwort begründet Ute Gause diesen Schritt damit, dass in der Arbeit auf „bislang unbekannte Frauen und neu zu erschließende Quellen aufmerksam gemacht“ (S. 13) werde.

Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Zuerst die mit „Reformation als Sache der Frauen“ (S. 21ff) betitelte Einzeluntersuchung der Quellentexte und Autorinnenbiographien; dann die Auswertung, eine Zusammenschau dieser Quellen und Biographien sowie eine Einordnung in den historischen und theologischen Kontext sowie die daraus gewonnenen Ergebnisse erfolgen. Verzichtet wurde bei der Publikation der Arbeit auf die in der Dissertationsschrift ursprünglich vorhandene „Skizzierung reformatorischer Leitgedanken und die Begründung der Notwendigkeit historischer Frauen- und Geschlechterforschung“ (S. 15). Für die Reihenfolge, in der Rademacher-Braick im ersten Teil ihrer Arbeit die Quellen und Biographien vorstellt, waren offenbar die Chronologie sowie textliche und biographische Analogien ausschlaggebend. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Flugschriften, denen „aufgrund ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit besonderes Interesse gelten“ (S. 18) soll. Bei unveröffentlichten Schriften stützt sich die Autorin auf durch Editionen und Sekundärliteratur erschlossenes Material. Auch wenn die Arbeit somit keine gänzlich unbekannten Quellen erschließt, besteht ein großes Verdienst in der Zusammenschau dieser Quellen, die in dieser Breite bisher nicht vorliegt. Neben Flugschriften sind dies u. a. erhaltene und nicht erhaltene Privatbriefe, wobei Rademacher-Braick den Inhalt der nicht erhaltenen Briefe aus den Antwortbriefen der Briefpartner erschließt, Eingaben an Räte von Städten sowie Lieder. Dass wegen der Fülle des Materials nicht alle Privatbriefe von Frauen, die im untersuchten Zeitraum reformatorische Theologie thematisieren, in die Untersuchung einfließen können, ist Rademacher-Braick bewusst. Irritierend bleibt, dass einige der nicht besprochenen Briefverfasserinnen im Exkurs „Nicht durch eigene Texte sichtbar werdende Frauen auf Seiten der Reformation“ (S. 363ff) verhandelt werden.1

Rademacher-Braick bezieht ein weites Spektrum von Textsorten ein. Dies gilt ebenso für die in den Texten zum Ausdruck kommende reformatorische Theologie, bei der sie auch die radikale Reformation täuferischer und spiritualistischer Ausprägung mit einbezieht. So werden neben bekannteren Autorinnen wie Argula von Grumbach, Ursula von Münsterberg und Katharina Zell auch unbekanntere wie Ursula Tetzel, Anna Tucher, Margareta Blarer, die Briefpartnerinnen Caspar Schwenckfelds, Täuferinnen wie Helene von Freyburg, Ursula Jost und Anneken Jans vorgestellt. Insgesamt werden über 30 Autorinnen in die Untersuchung einbezogen. Die Quellen entstammen im Wesentlichen dem deutschen Sprachraum; aus dem Französischen wird Marie Dentière herangezogen. Die Texte und ihre Autorinnen erschließt Rademacher-Braick anhand des biographischen Hintergrunds, einer Kurzbeschreibung der Texte, die neben einer Inhaltsangabe und, wenn vorhanden, einer Beschreibung der Titelholzschnitte auch eine Einordnung nach Textsorte, Adressat, Abfassungsdatum, Kommunikationssituation, Textstruktur und Textfunktion bietet, wobei nicht alle Texte in dieser Breite untersucht werden.

Teils ist es dem zeitlichen Abstand zwischen Entstehung und Drucklegung der Arbeit, teils wohl auch der Fülle des bearbeiteten Quellenmaterials geschuldet, dass manche Erkenntnisse zu den Quellentexten und Autorinnenbiographien fehlen. Die Erforschung der Biographie von Argula von Grumbach ist heute deutlich weiter, auch sind mittlerweile weitere Druckausgaben ihrer Schriften bekannt.2 Gisela Brandts Arbeit zu Ursula Weyda listet Rademacher-Braick zwar im Literaturverzeichnis auf, lässt deren Erkenntnisse zur Biographie dieser Autorin aber unberücksichtigt.3 Von Elisabeth von Braunschweig werden die Lieder und das Witwentrostbuch, von dem Rademacher-Braick nur die zweite Auflage kennt, in die Untersuchung einbezogen, nicht die ebenfalls reformatorische Theologie enthaltenden Flugschriften an ihre Untertanen. Die Begründung, diese Texte seien „religionspolitische Texte, deren Spezifikum nur im Vergleich zu solchen von Männern herausgearbeitet werden könnte“ (S. 335) impliziert, genuin weibliches Schreiben könne nicht „aus der Position derjenigen erfolgen, die im wahrsten Sinne des Wortes etwas zu sagen hat“ (ebd.). Auch wenn die Ausgrenzung der von Regentinnen verfassten Texte wegen der mangelnden Vergleichbarkeit mit anderen von Frauen verfassten Texten sinnvoll sein mag, so ist diese Prämisse doch zu hinterfragen. Bei anderen Texten ist zu fragen, ob sie zu Recht in die Untersuchung mit einbezogen wurden. So ist „Frau Graser“ (S. 145) wohl keine historisch greifbare Autorin, sondern eine Fastnachtsfigur. Ursula Topler, die aus Gewissensgründen zurück ins Kloster wollte, gehört zur altgläubigen Seite und nicht auf die Seite der Reformation. Als reformatorische Theologie enthaltender Text einer Frau zu werten ist dagegen die anonyme Flugschrift „Ayn kürtzlich antwort ainer Ordensschwester“, die Rademacher-Braick als „Text aus dem Übergangsfeld zwischen altgläubigem und reformatorischem Lager“ (S. 351) versteht. Den Grund dafür sieht Rademacher-Braick im Leben der Flugschriftautorin „im Kloster, ohne eine Flucht in Erwägung zu ziehen“ (ebd.). Hier macht sich bemerkbar, dass Rademacher-Braick die Appellation der Priorin und des Konvents des Konstanzer Klosters St. Peter nicht kennt, dessen Ordensfrauen trotz ihres Bekenntnisses zur Reformation ihr Klosterleben weiterführten.

Im Auswertungsteil vergleicht Rademacher-Braick die untersuchten Texte und Biographien miteinander und setzt sie beispielsweise in Beziehung zu Texten, die von Männern in vergleichbaren Situationen (Klosteraustritt in der Reformationszeit) oder von Frauen in anderen Kontexten (Mystikerinnen des Mittelalters) verfasst wurden. Auf diese Weise gelingt es ihr, schlüssige Konkretisierungen reformatorischer Theologie für Frauen in der frühen Reformationszeit herauszuarbeiten, wie z. B. weibliche Alltagsarbeit als Gottesdienst oder die Verwendung weiblicher Gottesbilder.

Wünschenswert wäre, der Arbeit einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand voranzustellen, um in der Forschungsgeschichte weniger bewanderte Leser/innen nicht auf dem Stand von 2001 stehen zu lassen. Das Geleitwort von Ute Gause bietet zwar einen kurzen Überblick, von den Arbeiten Peter Mathesons zu Argula von Grumbach wird aber beispielsweise nur die Edition erwähnt (S. 14, Anm. 1). Dies ist misslich, zumal Rademacher-Braick chronologisch und sachlich richtig gerade diese Autorin als erste vorstellt. Insgesamt ist aber begrüßenswert, dass diese Arbeit, die auf breiter Quellenbasis angelegt ist und die untersuchten Texte und Biographien in einen historischen, theologischen und literaturwissenschaftlichen Kontext, der weit über den untersuchten Zeitraum von 1523–1558 hinausgeht, stellt, nun zugänglich ist und in der Forschungsliteratur künftig nicht nur erwähnt, sondern auch rezipiert werden kann.4

Anmerkungen:
1 Dies betrifft z.B. Elisabeth von Rochlitz. Zu ihrer Korrespondenz vgl. Jens Klingner, dan so vel ich er farre, so vel schrib ich dir. Die Edition der Korrespondenz Herzogin Elisabeths von Sachsen, in: Martina Schattkowsky (Hrsg.), Frauen und Reformation. Handlungsfelder-Rollenmuster-Engagement (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 55), Leipzig 2016, S. 55–86.
2 Vgl. Peter Matheson, Argula von Grumbach. Eine Biographie, Göttingen 2014, sowie Dorothee Kommer, Reformatorische Flugschriften von Frauen. Flugschriftenautorinnen der frühen Reformationszeit und ihre Sicht von Geistlichkeit (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 40), Leipzig 2013, S. 337ff., wo sich u.a. die bibliographischen Angaben zum von Rademacher-Braick verloren geglaubten Original von Argula von Grumbachs Flugschrift an den Rat der Stadt Regensburg finden.
3 Vgl. Gisela Brandt, Ursula Weyda – prolutherische Flugschriftautorin (1524). Soziolinguistische Studien zur Geschichte des Neuhochdeutschen (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 358), Stuttgart 1997, S. 5–9.
4 Ute Gause, Reformation und Genderforschung. Schritte der Neukonzeptionierung, in: Martina Schattkowsky (Hrsg.), Frauen und Reformation. Handlungsfelder-Rollenmuster-Engagement (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 55), Leipzig 2016, S. 23f. erwähnt die Arbeit und beklagt deren Nicht-Rezeption.

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