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Titel
Sieben Abhandlungen zur Entstehung der Eidgenossenschaft. Der wissenschaftliche Hintergrund zu "Die Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert" Zürich 2004


Autor(en)
Stettler, Bernhard
Erschienen
Anzahl Seiten
697 S.
Preis
€ 55,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Bruno Meier, Baden

In den Jahren zwischen 1968 und 2001 hat der Zürcher Historiker Bernhard Stettler das „Chronicon Helveticum“ des Aegidius Tschudi (1505–1572) neu ediert1, die zentrale Chronik zur eidgenössischen Historiographie. Im Rahmen dieser Edition hat Stettler zu ausgewählten Themen der eidgenössischen Geschichte Tiefenbohrungen angestellt, die jeweils in den Einleitungen zu den Editionsbänden publiziert worden sind. Die Edition ist mittlerweile auch digital zugänglich.2

Sieben dieser Beiträge sind im vorliegenden Buch in unveränderter Form zusammengefasst und werden damit in der Gesamtheit neu greifbar. Sie bilden letztlich auch die Grundlage des wegweisenden Buches „Die Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert. Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner“ (Zürich 2004), in dem Stettler ein abgerundetes Bild der Entstehungsgeschichte der Eidgenossenschaft zeichnet und vor allem die Bedeutung der Entwicklungen im 15. Jahrhundert herausstreicht. In der Folge seien die sieben Miszellen kurz zusammengefasst.

Die erste Abhandlung setzt sich mit Tschudis Bild von der Befreiungsgeschichte der Waldstätte auseinander, die im Geschichtsbild der Schweiz so wichtig geworden ist. Stettler ordnet dabei Tschudis Forschungen und dessen Gesamtbild in die Entstehungsgeschichte der gesamten Befreiungstradition ein. Er weist dabei insbesondere auf die zentrale Bedeutung der Königsbriefe aus dem Beginn der 14. Jahrhunderts hin und diskutiert auch deren Aktualisierung in späterer Zeit. Etwas schade ist, dass die im Editionsband abgedruckten Exkurse zu den Königsbriefen und dem Bundesbrief im vorliegenden Band weggelassen worden sind. Sie sind zusammen mit den Forschungen von Roger Sablonier die zentrale Grundlage für das heutige Bild der Zeit vor und nach 1300.3

Eine zweite Miszelle hat den sogenannten Sempacherbrief von 1393 zum Thema. Dabei kommt deutlich zum Ausdruck, wie offen die Situation nach den auf den ersten Blick verheerenden Niederlagen von Habsburg-Österreich von 1386 bei Sempach und 1388 bei Näfels gewesen ist. Offen heisst in diesem Zusammenhang auch in Bezug auf die unterschiedliche Interpretation der eidgenössischen Bündnisse des 14. Jahrhunderts. Insbesondere Zürich hielt sich dabei verschiedene Optionen offen und scherte bekanntlich 50 Jahre später aus (siehe Miszelle 6). Mit dem Sempacherbrief und dem 20-jährigen Frieden zwischen Habsburg und der Eidgenossenschaft ein Jahr später schien die Situation vorläufig geklärt.

Das Beispiel Zürich und die Jahre dieser „Friedenszeit“ sind Thema der dritten Abhandlung. Stettler zeigt das Lavieren der Limmatstadt in der Zeit der Appenzeller Kriege (1401–1429), in der die Herrschaft Habsburg-Österreich rund um den Bodensee vor dem Zusammenbruch stand und erst in extremis 1408 wieder konsolidiert werden konnte. Herzog Friedrich IV. konnte 1412 mit dem 50-jährigen Frieden dieser Konsolidierung manifesten Ausdruck geben. Stettler zeigt dabei die Grenzen des Zürcher Einflusses auf.

Die vierte Miszelle vertieft die Situation der Eidgenossenschaft in den 1420er-Jahren. Stettlers Abhandlung zum Konstanzer Konzil und den Ereignissen zwischen 1415 und 1418 mit der Eroberung des Aargaus (Band VII/8) ist – leider – nicht Teil des vorliegenden Bandes. Der Text zu den 1420er-Jahren referiert aber die Folgen der Ereignisse von 1415 mit dem Fokus Zürich, der Bereinigung im Aargau, den ennetbirgischen Unternehmungen im heutigen Tessin sowie den Spätfolgen der Appenzeller Kriege.

Die Abhandlungen fünf bis sieben schliesslich setzen sich mit den Ereignissen rund um den Alten Zürichkrieg zwischen 1439 und 1450 auseinander. Sie gehören zu den besten und wichtigsten Teilen der Arbeit von Stettler und sind in seinem Buch von 2004 luzide zusammengefasst. Die fünfte Miszelle fokussiert auf den rechtlichen Konflikt um die Toggenburger Erbschaft 1438/39, die nach dem Tod des letzten Toggenburgers 1436 Auslöser der nachfolgenden Auseinandersetzungen war. Miszelle sechs geht dann auf das Ausscheren Zürichs aus der Eidgenossenschaft und die Hinwendung zu Habsburg-Österreich 1442 ein. Die Folgen davon waren schwere kriegerische Auseinandersetzungen zwischen dem Bündnis Habsburg-Zürich und der Eidgenossenschaft, die bis 1446 anhielten. Miszelle sieben schliesslich problematisiert den langen und komplizierten Weg zum Friedensschluss in Einsiedeln von 1450 mit dem Bubenbergschen Schiedsspruch und die Folgen für die Wieder- und Neukonstituierung der Eidgenossenschaft, die in der Neubeschwörung und vor allem Neuausfertigung der Bünde des 14. Jahrhunderts im Jahr 1454 gipfelte.

Stettlers Abhandlungen aus der Tschudi-Edition bilden zusammen mit seinem Buch von 2004 auf hervorragende Weise sein Lebenswerk ab. Als einzige Kritik könnte man formulieren, dass Stettler oft eine „Zürcher Brille“ trägt und stark auf die Rolle von Zürich im Verhältnis zur Eidgenossenschaft fokussiert. Eine verstärkt bernische Sicht auf dasselbe Thema verschiebt im Einzelnen den Fokus und ist in seinem Buch von 2004 auch besser fassbar. Trotzdem sind die beiden Bücher in ihrer Gesamtheit absolut grundlegend für zukünftige Forschungen zur Geschichte der Eidgenossenschaft des 13 bis 15. Jahrhunderts: eine beeindruckende Leistung.

Anmerkungen:
1 Aegidius Tschudi, Chronicon Helveticum (Quellen zur Schweizer Geschichte. Neue Folge Abt. I/7), bearb. von Bernhard Stettler, 15 Bde., 4 Register, 3 Hilfsmittel, Basel 1968–2001.
2https://www.e-helvetica.nb.admin.ch/pages/user/access/frontPageTwo.jsf?callnumber=nbdig-57171&BITfw2Ctx=TxKJuJZVnkS1enMUBnMUB (04.02.2018).
3 Roger Sablonier, Gründungszeit ohne Eidgenossen. Politik und Gesellschaft in der Innerschweiz um 1300, Baden 2008.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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