Cover
Titel
Women Activists between War and Peace. Europe, 1918–1923


Herausgeber
Sharp, Ingrid; Stibbe, Matthew
Erschienen
London 2017: Bloomsbury
Anzahl Seiten
288 S., 19 s/w Abb.
Preis
€ 95,64
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katja Scholtz, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Seit den 1980er-Jahren sind, besonders im englischen Sprachraum, zahlreiche Werke zu Frauen in der europäischen Geschichte erschienen.1 Außerdem wurden weibliche Handlungsfelder sowie Herausforderungen, mit denen Frauen während des Ersten Weltkrieges sowie in der Zwischenkriegszeit konfrontiert waren, bereits untersucht.2 Zu diesen Forschungsthemen möchten die Herausgeber/innen beitragen, indem sie untersuchen, inwiefern Frauenbewegungen und einzelne Aktivistinnen nach dem Ende des Krieges daran beteiligt waren, zentrale politische, soziale und kulturelle Entwicklungen mitzugestalten, zu interpretieren und zu kommunizieren.

Die fünf längeren Kapitel verschiedener Co-Autor/innen bieten dabei einen komparativen Ansatz, der anhand von einzelnen Fallstudien Unterschiede und Gemeinsamkeiten in bestimmten Staaten herausstellt. Zwar besteht kein Anspruch, alle europäischen Staaten zu berücksichtigen, die einzelnen Nationen sollen jedoch aus verschiedenen geographischen Bereichen stammen. So sind Beispiele aus dem heutigen Bulgarien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, Russland und Ungarn zu finden. In Bezug auf die vorgestellten Organisationen und Akteurinnen folgt das Werk einer breiten Definition von Aktivismus. Entsprechend werden – auch hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit – feministische und nicht-feministische, offen politische und vorgeblich nicht-politische, sowie nationale und internationale, nationalistische und internationalistische, liberale und konservative, rechte und linke Flügel, bürgerliche und proletarische Aktivistinnen und Bewegungen untersucht. Zudem gehen Ingrid Sharp und Matthew Stibbe in der Einleitung darauf ein, welche äußeren Einflüsse weiblichen Aktivismus in der Nachkriegszeit prägten. So beschreiben sie neue Herausforderungen in organisatorischer, ideologischer, wissenschaftlich-technologischer und geographischer Hinsicht, mit denen sich die Akteurinnen konfrontiert sahen.

Der Einführung vorangestellt ist eine chronologische Tabelle, die eine Übersicht zu Ereignissen und Veranstaltungen in der Zeit von 1888 bis 1924 liefert, die für die Aktivistinnen und Organisationen zentral waren. Parallel dazu stehen kurzgefasst Informationen zum historischen Geschehen der Zeit in ganz Europa. Eine solche Darstellung kann nur selektiv erfolgen, doch ist sie bei der Lektüre der einzelnen Aufsätze, welche unterschiedliche nationale und thematische Kontexte behandeln, durchaus hilfreich. Im ersten Kapitel zeigen Julie V. Gottlieb, Judith Szapor, Tiina Lintunen und Dagmar Wernitznig das jeweils unterschiedliche Verhältnis von Frauenwahlrecht und Nationalismus in Großbritannien, Ungarn und Finnland während der unmittelbaren Nachkriegszeit auf. Zudem beschreiben die Autor/innen das Wirken der international aktiven und feministischen Friedensbewegten Rosika Schwimmer, deren Wirken und Erfahrungen exemplarisch für die Spannungen zwischen dem Kampf für politische Rechte einerseits und dem verstärkten weiblichen Nationalismus andererseits im Europa der Nachkriegszeit stehen.

Matthew Stibbe, Olga Shnyrova und Veronika Helfert heben im dritten Kapitel die aktive Beteiligung von Frauen an sozialistischen Revolutionen in Russland, Österreich und Deutschland hervor. Dabei betonen sie, dass die Aktivistinnen, auch wenn sie in den sozialistischen oder kommunistischen Parteien meist nur eine untergeordnete oder gar unsichtbare Rolle spielten, durchaus ‚politisch‘ waren und vehement für Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit kämpften. Im vierten Kapitel untersuchen Maria DiCenzo, Judit Acsády, David Hudson und Balázs Sipos anhand vierer Fallstudien, wie Beiträge von und über Frauen in politischen und populären Medien die transnationale Kommunikation zwischen Aktivistinnen in Europa beeinflussten und dabei sowohl fortschrittliche als auch reaktionäre Geschlechterdiskurse mitgestalteten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Ungarn, wobei auch britische und amerikanische Beispiele herangezogen werden. Das fünfte, etwas kürzere Kapitel über die Bedeutung eines neuen Verhältnisses von Frauen und Körpern für die Aktivistinnen schließt den Band ab. Alison S. Fell und Susan R. Grayzel kommen zu dem Schluss, dass der Krieg die weibliche Beziehung zu Körpern nicht nur veränderte, sondern erweiterte und politisierte – sowohl als Angehörige verstorbener und Pflegende verwundeter Soldaten, als auch zunehmend als von der neuen Art der Kriegsführung betroffene Opfer.

Der Einsatz verschiedener Aktivistinnen für den im Titel des Bandes genannten ‚Frieden‘ steht im Fokus des zweiten Kapitels. Ingrid Sharp, Judit Acsády und Nikolai Vukov untersuchen dabei die Wiederherstellung der ‚imagined communities‘ (S. 80) – im Sinne von sich durch gemeinsame Ideale als vereint fühlende Gemeinschaften – durch Mitglieder der drei großen internationalen Frauenorganisationen International Woman Suffrage Alliance (IWSA), International Council of Women (IWC) und Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF) gebildet wurde. Im Zentrum der Untersuchung stehen dabei Deutschland, Ungarn und Bulgarien. Die Zustände in der Nachkriegszeit wurden in diesen Staaten jeweils als nationale Katastrophe wahrgenommenen und beeinflussten das Handlungsfeld der genannten Organisationen stark. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges engagierten sich die IWSA, ICW und WILPF für eine möglichst rasche Aussöhnung und Wiederaufnahme internationaler Beziehungen zwischen organisierten Frauen ehemaliger Kriegsmächte, wobei sie sowohl auf innere als auch auf äußere Widerstände stießen. Die drei Fallstudien in diesem Abschnitt zeigen, mit welchen Schwierigkeiten vor allem friedensbewegte Aktivistinnen in besiegten Nationen konfrontiert waren. Für Bulgarien zeigen die Autor/innen auf, wie sich Ekaterina Karavelova und Zheni Bozhilova-Pateva, trotz Hindernissen auf nationaler Ebene, international sowohl für die Sache ihrer eigenen Nation als auch für Frieden und Aussöhnung einsetzten. Deutsche Friedensaktivistinnen waren dagegen nicht nur mit der unter deutschen Frauen weit verbreiteten Kriegsmentalität, sondern auch mit der Ablehnung und dem Misstrauen durch Frauen anderer Nationen konfrontiert. In Ungarn waren die Mitglieder der Feministák Egyesülete (FE, Hungarian Association of Feminists) in ihrem Kampf für den Frieden und gegen einen erneuten Krieg zwar innerhalb ihrer Nation isoliert, wurden aber umso mehr von ihren Verbindungen zur internationalen Gemeinschaft gestützt. IWSA, ICW und WILPF hatten somit in allen drei Nationen mit dem erstarkenden weiblichen Nationalismus zu kämpfen. Zudem herrschten auch in ihren eigenen Reihen weiter Vorbehalte gegen Mitglieder bestimmter Nationen vor. Um ihr Ziel der Friedenssicherung durch Aussöhnung zu erreichen, befürworteten oder nutzen sie gar Verbindungen zu internationalen Institutionen wie dem Völkerbund. Sie setzten sich dabei sowohl für die Rehabilitation der besiegten Nationen auf internationaler Ebene als auch für eine Revision der Bedingungen der Friedensverträge ein. So konnten die drei Organisationen letztendlich trotz aller Schwierigkeiten auch Aktivistinnen aus diesen Staaten wieder erfolgreich in ihre ‚imagined communities‘ integrieren.

Die Ergebnisse, zu denen die Herausgeber/innen kommen, erscheinen wenig überraschend. Der Erste Weltkrieg hatte tiefgreifende Auswirkungen auf den Aktivismus europäischer Frauen. Vorherrschende Vorstellungen von weiblichen Rollen und Pflichten während des Krieges sowie das Verständnis sowohl von körperlicher Integrität als auch davon, wo Grenzen von Geschlechterrollen zu dieser Zeit verliefen, wurden durch den Krieg in Frage gestellt. Zudem wurden Frauen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene in der Politik sichtbarer. Zwar waren die meisten der untersuchten Gruppierungen und Akteurinnen in der Nachkriegszeit davon überzeugt, dass Frauen besondere Aufgaben zufielen. Jedoch zeigen die von den Autor/innen gewählten Beispiele, und in ihnen liegt der Erkenntniswert des Bandes, dass grundlegend Uneinigkeit darüber herrschte, welcher Art diese weibliche Mission war. So verstärkten manche Aktivistinnen ihr Engagement für den Internationalismus, während andere sich leidenschaftlich dem Sozialismus oder dem aufkeimenden nationalen Lager zuwandten.

Der Band liefert somit sowohl thematisch als auch geographisch einen breiten Überblick über das Wirken verschiedenster europäischer Aktivistinnen in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Weshalb die Herausgeber/innen einen Schwerpunkt auf Ungarn setzen, erschließt sich nicht unbedingt. Grundsätzlich sind die Fallstudien gerade zu osteuropäischen Aktivistinnen jedoch sehr gut gewählt. Sie ergänzen auf sinnvolle Weise die ansonsten in der Forschung zu Frauen in der europäischen Geschichte vorherrschenden Studien zu Großbritannien, Frankreich und Deutschland, welche auch hier nicht zu kurz kommen.

Anmerkungen:
1 Siehe u. a.: Bonnie S. Anderson / Judith P. Zinsser (Hrsg.), A History of their Own. Women in Europe from Prehistory to the Present, 2 Bde., London 1989; Gisela Bock, Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2000; Deborah Simonton, Women in European Culture and Society. Gender, Skill and Identity from 1700, London 2011.
2 Siehe u. a.: Karen Hagemann / Stefanie Schüler-Sringorum (Hrsg.), Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt am Main 2002; Maren Röger / Ruth Leiserowitz (Hrsg.), Women and Men at War. A Gender Perspective on World War II and its Aftermath in Central and Eastern Europe, Osnabrück 2012; Christa Hämmerle / Oswald Überegger / Brigitta Bader Zaar (Hrsg.), Gender and the First World War, Basingstoke 2014.

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