E. M. Kaiser: Hitlers Jünger und Gottes Hirten

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Titel
Hitlers Jünger und Gottes Hirten. Der Einsatz der katholischen Bischöfe Österreichs für ehemalige Nationalsozialisten nach 1945


Autor(en)
Kaiser, Eva Maria
Reihe
Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek 63
Erschienen
Anzahl Seiten
424 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dieter A. Binder, Institut für Geschichte, Universität Graz

Der Diskurs über das Verhältnis der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus unterlag und unterliegt unterschiedlichsten Spannungsbögen. Unbestritten ist der antikatholische Habitus des Regimes, dessen Idee von der Volksgemeinschaft grundsätzlich aggressiv auf private differenzierende Bekenntnisse reagierte. Unbestritten ist auch die Verankerung in einer antiklerikalen Tradition, die in der Zugehörigkeit zum Katholizismus eine ultramontane Abweichung vom Nationalstaat erblickte. Die dezidiert kritischen Äußerungen deutscher und österreichischer kirchlicher Autoritäten, die den politischen Katholizismus prägten, zerbrachen am Konkordat mit dem Deutschen Reich 1933, das den Habitus des Konkordats-Nazi schuf, und an der normativen Kraft des Faktischen mit dem „Anschluss“ Österreichs 1938, die den Habitus der katholischen „Märzenveilchen“ beflügelte. Damit bekamen die katholischen „Brückenbauer“ jene Deutungshoheit, die einen Ausgleich zwischen katholischen Positionierungen und nationalsozialistischer Gesinnung zu erkennen meinten. Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes mauserten diese sich rasch zu pastoralen Experten, die in jedem ehemaligen Nationalsozialisten, der sich nun an die Kirche wandte, eine gerettete Seele erblickten, während sie gleichzeitig Kritik an jenen übten, die auf einer rigorosen Auseinandersetzung mit dem mörderischen Regime beharrten. Der politische Katholizismus der Nachkriegszeit propagierte als Ersatz für die braune „Volksgemeinschaft“ die alles umfassende Katholische Aktion, die sich in Österreich zeitgeistig 1935 als „himmlisch-vaterländische Front“ definiert hatte und sich ab dem Mai 1945 auch als Rekrutierungsebene für die Österreichische Volkspartei und für deren Wettrennen um die ehemaligen Nationalsozialisten auftat. Nicht zufällig forderten die Autoren des „Mariazeller Manifestes“, das seltsamerweise bis heute als intellektuelles Hochfest der katholischen Kirche Österreichs gefeiert wird, zu Beginn der 1950er-Jahre das Ende der „Sondergesetzgebung“, die sich zu diesem Zeitpunkt nur mehr gegen den härtesten Kern ehemaliger Nationalsozialisten richtete, und betteten diese Forderungen in ein „Blut und Boden“-Bild der „Heimat“ ein. Paradigmatisch wäre hier auf die Diözese Graz-Seckau zu verweisen, die bis in die jüngste Vergangenheit aus dieser Haltung heraus den Opfern des Nationalsozialismus in den Reihen der Priester dieser Diözese und deren Laien keine öffentliche Würdigung setzte. Als in den 1980er-Jahren die bis zum März 1938 am Pfarrhaus angebrachte Gedenktafel für den steirischen Kaplan Franz Eibel, der im Juni 1934 Opfer eines nationalsozialistischen Anschlages geworden war, im Zuge einer Renovierung aufgefunden wurde, verweigerte man die erneute Anbringung am Pfarrhaus, also im öffentlichen Raum, während die dominant sozialdemokratisch regierte Stadt Kapfenberg nach ihm eine Straße benannte.

Eva Maria Kaisers umfangreiche Studie rückt das „pastorale“ Bemühen des österreichischen Episkopates um die „Ehemaligen“ ins Zentrum ihrer Darstellung, die als ausgesprochen gelungen angesehen werden muss. Gestützt auf eine reiche Quellenbasis, die aus den diözesanen Archiven gespeist wird, markiert sie den weitgehend undifferenzierten Einsatz der Hierarchie für diese spezielle Klientel. Hier wäre es hilfreich, die Wahrnehmungen der alliierten Vertreter in Österreich zwischen 1945 und den frühen 1950er-Jahren in einer fortführenden Studie zu erfassen, da deren Einschätzungen nur bei direkten Antwortschreiben auf bischöfliche Vorstöße wahrgenommen werden. Ähnliches dürfte auch für die Einschätzung einzelner Mitglieder der Bundesregierung gelten, die über den pastoralen Furor der Hierarchie zeitweise irritiert waren. Dieser wurde nicht erst mit dem 1948 einsetzenden Wettrennen um die Stimmen der „Ehemaligen“ virulent, sondern zeigte sich bereits unmittelbar nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Regimes. Österreichweit feierte man Dankgottesdienste, da nun der Krieg zu Ende war. Man feierte nicht das Ende des Nationalsozialismus, denn dessen Träger und Mitläufer waren eben Seelen, um die man sich bemühte.

In den nun folgenden Hirtenbriefen der Bischöfe marginalisierte der österreichische Episkopat „Nationalsozialismus, Krieg oder die Schuldfrage“ und verhoffte im Gleichschritt mit den politischen Eliten der wiedererstandenen Republik im Mythos vom Österreich als „erstem Opfer des Nationalsozialismus“. Ein Schuldbekenntnis, vergleichbar jenen der deutschen Kirchen, blieb aus. Nahezu ident mit der Haltung des „Herrn Karl“, jener bösen Satire auf die österreichische egoistische Überlebenskunst, sah man in den ehemaligen Nationalsozialisten lediglich Opfer einer perfiden Propaganda, die man an die deutsche Reichsgeschichte abtrat. Shoah und Angriffskrieg thematisierte man nahezu nicht. Die Gottlosigkeit des Nationalsozialismus wurde dabei entpersonalisiert. Einer der Brückenbauer vor 1938 und nach 1945, Prälat Josef Steinberger, hervorragend von Kaiser gezeichnet, verstieg sich auf dieser Schiene noch 1948 in einem Vortrag im bäuerlichen Bildungswerk St. Martin, indem er die rhetorische Frage stellte: „Warum wir [sic!] den Krieg verloren haben?“

Kaiser arbeitet subtil hervor, dass sich die Haltung der Hierarchie von der Stimmungslage der Mehrheit der Kleriker unterschied, die in direkter Weise unter der Repression des nationalsozialistischen Regimes gelitten hatten oder diese Repression in all ihren Varianten als Seelsorger beobachten hatten können. Dennoch wurde der christliche Versöhnungshabitus nicht in Frage gestellt, wiewohl es auch in den Entnazifizierungslagern zu antikatholischen Angriffen kam. Wie sehr der Versöhnungshabitus einzelne Priester gefordert haben mag, kann an einem oberösterreichischen Beispiel verdeutlicht werden. Ein Lehrerehepaar, illegale Nationalsozialisten, hatte unter anderem 1936/37 in der Nacht vor Fronleichnam Rossäpfel, also Pferdekot, auf die bereits aufgestellten Feldaltäre am Prozessionsweg ausgelegt. Diese „aufrechte“ nationalsozialistische Gesinnung ging mit dem Kirchenaustritt 1938 einher. Während der Mann als Soldat fiel, wurde die Frau 1945 als Illegale aus dem Schuldienst entlassen. Um ihre Rückkehr in diesen vorzubereiten ließ sie ihre Kinder taufen, trat selbst aber erst unmittelbar vor dem erneuten Dienstantritt in einer Schule 1948 wiederum in die Kirche ein. Man könnte dieses Beispiel nicht nur als Akt der Bekehrung, sondern als Strategie innerhalb eines individuellen Entnazifizierungsprozesses lesen.

Kaiser fokussiert in ihrem Buch kritisch den spezifischen Einsatz der Hierarchie nicht nur für die Masse der „Minderbelasteten“, sondern auch für „Belastete“, für evidente Kriegsverbrecher und Täter des Regimes. Exemplarisch verweist sie auf Erzbischof Rohracher, der durchaus als verhaltensauffällig zu charakterisieren wäre, wobei er in seinem „Sozialen Friedenswerk“ das „katholische Pedant“ zum „Kameradschaftsbund“ der in Glasenbach bei Salzburg internierten Nazifunktionäre, der „Lagergemeinschaft Glasenbach“, schuf. Während man gegenüber den vormals nationalsozialistischen Laien ohne Wenn und Aber das pastorale Konzept fuhr, disziplinierte man innerhalb des Klerus die geringe Zahl der „Nazi-Priester“, also expliziten Nationalsozialisten, während man den kollaborierenden Priestern und Laien als „Brückenbauern“ eingebettet in die Rahmenerzählung des Kalten Krieges eine neue Spezialistenfunktion zuerkannte. Nicht uninteressant wäre es auch, Nachschau zu halten, in welchem Ausmaß die katholische Kirche nach dem Mai 1945 zum Arbeitgeber ehemaliger Nationalsozialisten wurde, die ihre Anstellung auf Grund ihrer einschlägigen Belastung im öffentlichen Dienst verloren hatten. So landeten belastete Finanzbeamte bevorzugt in den Kirchenbeitragsstellen so mancher Diözese. 1944 entdeckte ein Mitarbeiter einer Grazer Stadtpfarrei, dass eine Familie ihren „Ariernachweis“ verfälscht hatte. Pflichteifrig informierte er die nationalsozialistischen Behörden, dass diese Familie nicht als „jüdisch versippt“, sondern als „volljüdisch“ einzustufen wäre. Die zutiefst katholisch geprägte Familie überlebte mit viel Glück und der Hilfe von Freunden die Nazizeit. Als sie 1945 heimgekehrt die Entfernung des übereifrigen Mitarbeiters begehrte, wurde sie auf das christliche Verzeihen hingewiesen. Den auf diesen larmoyanten Verweis folgenden Kirchenaustritt nahm man achselzuckend zur Kenntnis, zielte doch das pastorale Anliegen auf die Mehrheit und nicht auf Menschen mit abweichenden Biographien.

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