G. Arnsberg: … über die Notwendigkeit einer deutschen Republik

Cover
Titel
… über die Notwendigkeit einer deutschen Republik. Die württembergische Militär- und Zivilverschwörung 1831–1833


Autor(en)
Arnsberg, Gad
Reihe
Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen 211
Erschienen
Stuttgart 2017: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
LXIII, 447 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans-Werner Hahn, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die in diesem Buch behandelten Vorgänge standen in einem engen Bezug zum rasch gescheiterten Frankfurter Wachensturm vom 3. April 1833, mit dem eine kleine Gruppe von Revolutionären mit zumeist bildungsbürgerlichem Hintergrund für Deutschland das Signal zu einer allgemeinen Volkserhebung geben wollte. Als zwei Tage später die Nachricht des gescheiterten Unternehmens in Ludwigsburg eintraf, ließen die württembergischen Revolutionäre ihre Pläne rasch fallen. Ihre bekannt gewordenen Putschpläne waren nun nur noch ein Fall für die Gerichte, die gegen die beiden Anführer, den Leutnant Ernst Ludwig Koseritz und Samuel Lehr, wegen Hochverrats die Todesstrafe verhängten, welche dann jedoch in lebenslange Verbannung nach Nordamerika umgewandelt wurde.

Im Unterschied zum Wachensturm werden diese württembergischen Vorgänge in kaum einem Handbuch oder Überblicksdarstellung zur deutschen Geschichte des Vormärz erwähnt. Lediglich in der landesgeschichtlichen Literatur hat die aufgedeckte Zivil- und Militärverschwörung Beachtung gefunden, wobei sie aber wie der Frankfurter Wachensturm meist als dilettantisches Unternehmen dargestellt worden ist. Demgegenüber sieht der israelische Historiker Gad Arnsberg, ein Schüler Walter Grabs, die württembergische Zivil- und Militärverschwörung als einen wichtigen Teil deutscher Demokratiegeschichte an. Es geht ihm in seiner Studie, die auf einer jahrzehntelangen Forschung und einer beeindruckenden Quellenerschließung aufbaut, aber nicht nur um eine gerechtere Bewertung der württembergischen Revolutionäre. Vielmehr will er die Ideenwelt, die politischen Ziele und die Strategien der Akteure detailliert herausarbeiten und durch ihre Einbettung in die größeren europäischen Entwicklungen zeigen, dass die Verschwörung nicht allein als lokal- oder regionalgeschichtliches Ereignis gesehen werden darf, sondern von viel weiträumigeren Dimensionen zeugt. Arnsberg geht davon aus, dass die Rahmenbedingungen, wie sie sich Anfang der 1830er-Jahre im Deutschen Bund darstellten, aus der Sicht der Verschwörer keine friedliche Entwicklung zu einer freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung mehr ermöglichten und es daher für sie nur noch den Weg zu einer durch revolutionäres Handeln errichteten demokratischen Republik gab.

Wie es zu dieser Grundhaltung kommen konnte, wird in einem größeren Abschnitt über den geschichtlichen Erfahrungsraum der Verschwörer beschrieben. Gezeigt wird, wie die Idee der Revolution durch die Erfahrungen der sogenannten Restaurationszeit und die Impulse durch die Französische Julirevolution unter der jüngeren gebildeten Generation an Attraktivität gewann und zugleich durch scheinbar festgefahrene Strukturen im württembergischen Konstitutionalismus, die Repressionspolitik des Deutschen Bundes und die sich verschärfende Pauperismuskrise als einziger Schlüssel zur Lösung der sozialen und politischen Probleme angesehen wurde. Deutlich wird dabei, dass die sozioökonomischen Vorstellungen dieses frühen Republikanismus noch ganz vom Geist der Übergangsperiode von der traditionalen zur modernen Gesellschaft – also von der bald durch die Industrialisierung hinfällig werdenden Zukunftsvision einer egalitären Kleineigentümergesellschaft – geprägt waren.

In den folgenden Abschnitten zeichnet Arnsberg detailliert nach, wie sich die württembergische Opposition gegen die monarchisch-bürokratische Herrschaft in den Jahren nach der Französischen Julirevolution verstärkte und wie sie sich zugleich ähnlich wie in anderen Teilen Deutschlands mehr und mehr differenzierte. Auf dem linken Flügel standen junge Offiziere wie der Leutnant Koseritz, der vor 1830 durch den Dienst auf der Festung Hohenasperg Kontakt zu politisierten Studenten hatte und aus diesen Diskussionen eigene politische Vorstellungen entwickelte, die sich nach der Französischen Julirevolution, dem Hambacher Fest von 1832 und der darauf folgenden neuen Repressionswelle des Deutschen Bundes zu einem revolutionären Konzept verdichteten. Die Elemente dieses Konzeptes werden überzeugend herausgearbeitet. Dabei wird nicht nur deutlich, wie sich die württembergischen Revolutionäre von Ideen und Ansätzen der französischen Republikaner, des polnischen Freiheitskampfes oder der aufständischen spanischen Offiziere leiten ließen und ihr eigenes Anliegen in eine große europäische Revolutionsbewegung einzuordnen versuchten. Arnsberg bringt vielmehr zugleich eine Fülle von Belegen über personelle Vernetzungen zwischen den württembergischen, polnischen und französischen Republikanern. Diese internationalen Verbindungen waren ein wichtiger Faktor für die von Koseritz entwickelten Revolutionspläne, an denen er auch festhielt, als der polnische Freiheitskampf erstickt worden und im Sommer 1832 auch eine neue republikanische Bewegung in Frankreich gescheitert war.

Zum einen setzten Koseritz und seine Mitstreiter darauf, dass nicht nur bürgerliche Mittelschichten, sondern auch Bauern und ländliche Unterschichten angesichts der großen Unzufriedenheit über die wirtschaftliche und politische Situation in Württemberg für ein revolutionäres Vorgehen zu gewinnen wären. Zum anderen sollte die Initiative wie in Spanien von militärischen Kreisen ausgehen, die dem Volk sozusagen unter die Arme griffen und es in den revolutionären Kampf gegen die alten Gewalten führten. Gerade weil in den von Arnsberg ausführlich belegten internen Debatten der württembergischen Revolutionäre immer wieder Zweifel aufkamen, ob die rasche und breite Mobilisierung von Mittelstand, Bauern und Unterschichten gelingen würde, kam der Führungsfunktion des Militärs eine so große Bedeutung zu. Wichtig für den Erfolg war freilich auch die Unterstützung durch andere deutsche Revolutionsherde. Hier spielten, wie Arnsberg ausführlich beschreibt, die ideologischen und personellen Verbindungen zum Frankfurter und oberhessischen Raum eine zentrale Rolle, die Anfang 1833 weiter intensiviert wurden.

Das klägliche Scheitern des Frankfurter Wachensturms, dessen Zeitpunkt auch Koseritz für falsch hielt, bereitete freilich den großen Hoffnungen auf eine deutsche Revolution ein rasches Ende und führte zugleich zur schnellen Zerschlagung der württembergischen Zivil- und Militärverschwörung. Auch wenn diese somit letztlich völlig wirkungslos blieb, so ist die von Gad Arnsberg vorgelegte umfassende Untersuchung dieser Vorgänge als ein wichtiger Beitrag zur Vormärz-Forschung anzusehen. Er hat zum einen viele neue Einblicke in das Selbstverständnis, die politisch-gesellschaftlichen Zielvorstellungen und internen Konflikte der radikalen Republikaner eröffnet. Zum anderen erweitert die Studie die Erkenntnisse zum Ideentransfer zwischen den europäischen Revolutionsbewegungen, vor allem auch deshalb, weil sie nicht nur auf die Orientierung an westeuropäischen Vorbildern schaut, sondern darüber hinaus zeigt, wie sich deutsche Oppositionelle auch an Konzepten orientierten, die in politisch und gesellschaftlich weniger entwickelten Ländern wie Spanien, Portugal, Griechenland oder den süditalienischen Staaten aufkamen und die auf einen von Militärs und Zivilisten planmäßig eingefädelten Aufstand setzten. Arnsberg relativiert damit den Hohn und Spott, den manche Historiker über das dilettantische württembergische Unternehmen ausgegossen haben, und verlangt eine Aufwertung dieses Teils deutscher Demokratiegeschichte.

Seine These, dass das von Koseritz und seinen Mitstreitern verfolgte Konzept durchaus Erfolgschancen gehabt hätte und dass das Hoffen auf eine revolutionäre Kettenreaktion nicht ganz so aussichtslos gewesen sei, muss jedoch kritisch hinterfragt werden. Angesichts der ja auch von den Verschwörern immer wieder diskutierten heterogenen Strukturen der württembergischen Gesellschaft, den daraus hervorgehenden Binnenkonflikten, der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Strukturgefälle innerhalb des Deutschen Bundes und angesichts der gesamteuropäischen Mächtekonstellation bleibt zu fragen, ob die Erfolgsaussichten der radikalen Republikaner in den 1830er-Jahren wirklich gegeben waren. Schließlich kam es auch 1848/49 trotz ganz anderer Ausgangsbedingungen nicht zu einer Volksrevolution, wie sie sich die württembergischen Revolutionäre von 1833 vorstellten. Für eine solche Diskussion bietet die höchst verdienstvolle Studie von Gad Arnsberg jedoch eine Fülle von Anregungen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch