C. Felder: Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters

Cover
Titel
Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters.


Autor(en)
Felder, Cajetan
Erschienen
Anzahl Seiten
462 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Gröller, Wien

Eine Epoche, die das Erscheinungsbild der Stadt Wien bis zum heutigen Tage bedeutend beeinflusst, ist jene des Liberalismus. Diese zunächst intellektuelle und ökonomische Strömung, die sich auch in der Politik widerspiegelte, geriet mit Fortdauer des 19. Jahrhunderts in der Reichshaupt- und Residenzstadt immer mehr in Bedrängnis. Die Gründe hierfür waren vielfältig und komplex, so dass deren Erörterung den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde. Doch ehe sich der politische Liberalismus aus der Wiener Politik in die Bedeutungslosigkeit verabschiedete, erlebte er noch eine glanzvolle Phase, die untrennbar mit dem Namen Dr. Cajetan Felder (1814–1894) verbunden ist.

Dieser Cajetan Felder, der ein Dezennium der Wiener Stadtverwaltung vorstand, hatte nach seinem Rückzug aus der Politik seine Erinnerungen in einem Umfang von 119 Kapiteln bzw. rund 12.000 Seiten diktiert. Im Bewusstsein der ihr partiell innewohnenden Brisanz — er selbst charakterisierte seine Reminiszenzen, die er im Zustand fast völliger Blindheit einem Fräulein Rosa Rittner diktierte, so: „Ich spreche da aus mir, zu mir, über mich, wie ich gedacht und wie ich noch denke, ohne allen Rückhalt und ohne Rücksichtnahme auf Konvenienz und sogenannten politischen Takt. Ich spreche darin, wie ich fest glaube, auch die subjektive Wahrheit und hoffe, selbst die objektive.“1 — hatte er zunächst jedwede Veröffentlichung seiner Memoiren verboten. Einen Entschluss, den er später relativierte, indem er eine Frist von zwei Jahrzehnten festlegte sowie lediglich eine ungekürzte Veröffentlichung dieser Aufzeichnungen untersagte.

Nachdem 1925 bereits der ehemalige Direktor der Bibliothek und des Museums der Stadt Wien Karl Glossy ein Büchlein mit Auszügen aus den Memoiren Felders veröffentlicht hatte2, war es danach Felix Czeike, der sich dieses umfangreichen Konvoluts annahm und 1964, zum 150. Geburtstag Felders, dessen „Erinnerungen“ auszugsweise veröffentlichte.3 Czeike, ehemaliger Leiter des Wiener Stadt- und Landesarchivs, sollte sich im Laufe seines Lebens sehr intensiv mit der Geschichte Wiens beschäftigen, wovon zahlreiche diesbezügliche Publikationen zeugen, von denen stellvertretend und gleichsam wohl als sein Hauptwerk das mehrbändige „Historische Lexikon Wien“ genannt sei.

Durch seine Forschungen zu Wien einen profunden Überblick über das große Ganze besitzend, konnte Czeike so die Person Felders und dessen Wirken sehr gut in dieses einordnen. Das umfassende Wissen um die Geschichte der Stadt war ihm sicherlich hilfreich und für eine adäquate Auswahl aus der überwältigenden Quantität von Felders schriftlicher Hinterlassenschaft wohl auch unerlässlich. Trotzdem war er sich dessen bewusst, dass er durch die von ihm getroffene Selektion der Passagen gleichsam Felders Aussage interpretierte, weswegen er im Vorwort bemerkte: „Jedem, der sich über die gebotene Auswahl hinaus zu orientieren wünscht, steht das Originalmanuskript im Archiv der Stadt Wien zur Verfügung.“4

Offensichtlich wurde aber die von Czeike gebotene Auswahl gut auf- und angenommen, so dass seine Publikation 1984 eine zweite Auflage erfuhr. Diese bildete auch die Grundlage für die jüngste Wiederauflage, die auf Initiative des der FPÖ nahestehenden Cajetan-Felder-Instituts erfolgt ist. Dessen Präsident Walter Prinz widmete sodann diese Neuauflage „dem ehrenden Gedenken an Dr. Cajetan Felder […], dessen Wirken als Wiener Bürgermeister für die Stadt bis heute noch prägend ist.“5

Dieses Wirken wird in der Folge näher charakterisiert, indem Czeike, dem Druck der „biographischen Totalität“ folgend, zunächst Episoden aus Felders Jugend- und Studienjahren ausgewählt hat, die einen Einblick in das Milieu geben, aus dem dieser entstammte. Nachdem anschließend Felders (zivil-)beruflicher respektive wissenschaftlicher Werdegang und sein Privatleben jener Zeit auszugsweise dargestellt wurden, folgt die Erörterung von dessen Eintritt ins öffentliche Leben im Kontext der Ereignisse des Jahres 1848. In diesem Abschnitt wird aber nicht nur Felders politische Karriere erörtert, es werden auch die Bürgermeisterschaften von Dr. Johann Kaspar Freiherr von Seiller und Dr. Andreas Zelinka in den Fokus gerückt, ehe danach Einblicke in die zehnjährige Tätigkeit Felders als Wiener Bürgermeister geboten werden. Nach einem Abschnitt über den Gemeinderat und Landtag werden noch einige denkwürdige kommunale Ereignisse anhand von Felders Erinnerungen besprochen; so etwa der Bau der Hochquellenleitung, die Wiener Weltausstellung, der Börsenkrach, die Donauregulierung oder die Errichtung des neuen Rathauses. Den Abschluss bildet letztlich ein kurzer Aufsatz Czeikes, der darin nochmals Felders Biographie und den zeitlichen Kontext überblicksartig zusammenfasst.

Was einen während der gesamten Lektüre dieser Erinnerungen angenehm begleitet, ist Felders gehobener literarischer Stil und seine komplexe und vielseitige Ausdrucksweise und man mag Franz von Dingelstedt beipflichten, der Felder im Zusammenhang mit dessen Reisenovellen schrieb: „Schade, daß der Bürgermeister dem Meisterschriftsteller so sehr im Wege steht.“6 Im Zusammenhang mit dem heute aus der ex post-Perspektive etwas sonderbar anmutenden Amtsverständnis, welches Felder bezüglich seiner Bürgermeisterschaft entwickelt hat, ist ein Aspekt äußerst bemerkenswert, nämlich, dass Felder (in seiner Eigenwahrnehmung) „die Politik aus [s]einem Programm gestrichen [hat] und […] [sich] lediglich der Verwaltung zu[wandte].“7 Wie sehr hat sich dieses Bild spätestens durch die Ära Dr. Karl Luegers — auch dieser wird in den „Erinnerungen“, wenn auch meist negativ, thematisiert — verändert, wobei sich im Vergleich dieser beiden Bürgermeisterschaften nicht nur deren Inhalt sowie die Art und Weise, sondern auch deren Ende, an dem Luegers öffentliches Siechen und Sterben stand, so sehr von den Vorstellungen Felders unterschied, der diesbezüglich meinte: „Wer seinem auf der Höhe seiner Laufbahn geleisteten Wirken die Anerkennung seiner Zeitgenossen bewahren will, darf sie nicht zu Zeugen seiner Hinfälligkeit machen, sondern muss vom Schauplatz abtreten.“8

Resümierend lässt sich anhand dieses Werkes Cajetan Felder als aufmerksamer Chronist eines Großteils des 19. Jahrhunderts im Raum Wien charakterisieren, der manche Hintergrundinformation zu den Geschehnissen seiner Zeit bietet und zum Teil spannende Einschätzungen der ihn umgebenden Personen liefert. Ungeachtet des ursprünglichen Veröffentlichungsverbots ist jedoch auch Felder durch seine Aufzeichnungen das Streben nach Nachruhm anzumerken. Ein kleiner Wermutstropfen dieser Neuauflage sind die zahlreichen Satzfehler und eventuell hätte man auch Czeikes abschließenden, über fünfzig Jahre alten Beitrag „Cajetan Felder und seine Zeit“ an einzelnen Stellen ergänzen können. Dies tut aber der ebenso ansprechenden wie informativen Lektüre kaum Abbruch.

Anmerkungen:
1 Cajetan Felder, Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters. Ausgewählt und bearbeitet von Felix Czeike, herausgegeben vom Cajetan-Felder-Institut, Wien 2016, S. 7.
An anderer Stelle schreibt Felder: „Ich mag mich hie und da getäuscht haben — aber wissentlich Unwahres ließ ich nicht niederschreiben.“ Ebd., S. 358.
2 Karl Glossy (Hrsg.), Aus den Memoiren eines Wiener Bürgermeisters (Dr. Kajetan Felder), Wien u.a. 1925.
Glossy konzentriert sich darin auf Felders Eintritt ins öffentliche Leben im Kontext der 1848er-Ereignisse sowie auf dessen Charakterisierung einiger Zeitgenossen. Schon zuvor sind laut Glossy Schilderungen der Jugendzeit Felders und einige Reisebeschreibungen veröffentlicht worden. Vgl. ebd, S. VII.
3 Felix Czeike (Hrsg.), Cajetan Felder, Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters, Wien u.a. 1964.
4 Felder, Erinnerungen 2016, S. 6.
5 Ebd., S. 1.
Es ist hier nicht der passende Rahmen, um die Vereinnahmung der Person Cajetan Felders durch die FPÖ respektive einzelner ihrer Exponenten zu erörtern. Als deren Ausdruck sei nur eine relativ aktuelle Aussage des FPÖ-Bundesparteiobmanns Heinz-Christian Strache angeführt, der für die nahe Zukunft „die historische Chance“ sieht, „in Wien erstmals seit 1868 und Cajetan Felder einen freiheitlichen Bürgermeister zu stellen.“ profil 4 (2018), S. 12. Diese Chance ergibt sich wohl nicht zuletzt aufgrund eines partiell (wieder einmal) wahrgenommenen Niedergangs der Politik, deren Hauptschuld Felder im Übrigen schon seinerzeit „auf die unzurechnungsfähige, von Agitatoren schlimmster Sorte mißbrauchte Masse der Wählerschaft, […]“ geschoben hat. Felder, Erinnerungen 2016, S. 359.
6 Franz von Dingelstedt zitiert nach Glossy, Memoiren 1925, S. VII.
7 Felder, Erinnerungen 2016, S. 148.
8 Ebd., S. 357.

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