Cover
Titel
Heroes. Repräsentationen des Heroischen in Geschichte, Literatur und Alltag


Herausgeber
Rolshoven, Johanna; Krause, Toni Janosch; Winkler, Justin
Reihe
Edition Kulturwissenschaft 156
Anzahl Seiten
606 S.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maja Bächler, Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg

„Who is in power is more likely to tell the story and this effects whose stories gets told as well as how the story gets told.“ So fasst Jeffrey D. Wilhelm in seinem Beitrag „They should have been famous! From historical hero to herstorical heroine“ die Rollenverteilung von Macht, Erzählung und Heldenbildung treffend zusammen. Sein Text ist einer von 28 Aufsätzen des 2018 erschienenen Sammelbandes „Heroes – Repräsentationen des Heroischen in Geschichte, Literatur und Alltag“ herausgegeben von Johanna Rolshoven, Toni Janosch Krause und Justin Winkler.

Der Held und die Heldin als Sozialfigur und Produkt seiner bzw. ihrer kulturellen Bedingtheit ist ungemein geeignet, um daran Werte, Identitäten und Verortungen von Gesellschaften abzulesen. Obgleich schon so „alt“, werden Helden nie ganz aus der Mode kommen, und wenn doch, wäre das äußerst bemerkenswert. Der Sammelband macht es sich zur Aufgabe, Erzähl- und damit Machtstrukturen zu durchbrechen, indem beispielsweise literarische Textformate ebenso in den Sammelband einfließen wie ungewöhnliche inhaltliche Zugänge. Rolshoven weist als Kernanliegen des Bandes die Differenzierung des Heldenbildes oder der Heldenfigur „nach Zeit und Raum, nach Genre und Wirklichkeitsausschnitt, nach Geschlecht und Schicht, nach ideologischer Funktionalität und Alltagswirksamkeit“ (S. 11f.) aus. Statt ein Theoriekonzept darzulegen, beschränkt sie sich in ihrer Einleitung auf vier Eckpunkte zur Definition: Heldentum sei der Bruch mit der Gegenwart, daneben zweifelhaft und umstritten sowie männlich. Außerdem trage der Held Waffen. Diese Eckpfeiler dienen einerseits als Orientierung und andererseits als ironisierte Polarisationspunkte, an denen sich die folgenden Beiträge abarbeiten sollen.

Während einige Beiträge tatsächlich die Figur des Helden in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, setzen andere Beiträge die Gewichtung anders. So wird in dem Beitrag von Christin U. Schmitz zu Dietrich Bonhoeffer beispielsweise eine Abgrenzung des Helden zum Vorbild versucht, um letztlich zu dem Schluss zu gelangen, dass Bonhoeffer zwar kein Held im klassischen Sinne sei, durchaus aber Vorbildfunktionen erfüllen könne (S. 285ff.). Anderen Texten, wie etwa dem zu Stefan Fadinger von Lisa Erlenbusch, geht es eher um den Prozess der Mythenbildung oder um die Frage, wie sich in Literatur, Film oder im Internet Figuren oder Motive verändern, die Merkmale des Heldischen beinhalten – hier sind beispielsweise die Ausführungen zu Vampirinnen von Theresia Heimerl, zu Graf Dracula von Karin Graf-Boyko oder zur „Heroik und ihre[r] Subversion“ von Renate Hansen-Kokoruṧ und Dijana Simić zu nennen.

Dieser weite Heldenbegriff sowie seine Dekonstruktion, die bereits mitgedacht wird, lässt viel Raum für beinahe jedes außeralltägliche Handeln. Um dem Sammelband dennoch Struktur zu verleihen und die Auswahl möglicher Helden einzugrenzen, sind die Aufsätze in sechs Bereiche unterteilt. Neben der Einführung gibt es die Rubriken Kriegsheld/innen, Figuren des politischen Widerstands im 20. Jahrhundert, Historische Figuren: Die Geschichte der Gegenwart, Intersektionale Figurenanalysen in Literatur und Film sowie Alltgsheld/innen als Wegzeiger der Veränderung. Im Folgenden werden Einzelbeiträge aus den sechs Themenfeldern vorgestellt, die interessante oder neue Aspekte im Zusammenhang mit dem Heldendiskurs aufwerfen.

Laut dem Inhaltsverzeichnis lassen sich die ersten beiden Texte von Elisabeth Katschnig-Fasch und Stephan Moebius durchaus als theoretische Erweiterung der Einführung verstehen. Dagegen spricht allerdings, dass die weiteren Autoren/innen des Bandes nur in seltenen Fällen auf diese theoretischen Einordnungen Bezug nehmen. Auch handelt es sich bei dem Text von Katschnig-Fasch um den Wiederabdruck eines Textes aus dem Jahr 1993, der die Gewalt des Helden und seine Männlichkeit als Moment von Herrschaftsinstitutionalisierung begreift. Laut Katschnig-Fasch steht der Held in der Mitte eines modellhaften Dreiecks, das sich aus den Begriffen Krieg, Gewalt und Männlichkeit zusammensetzt. In dem Text geht es um die Konstruktion des klassischen Helden, ebenso wie in dem Aufsatz von Stephan Moebius, der sich um die Sakralisierung des Individuums – eine religions- und herrschaftssoziologische Konzeptionalisierung der Sozialfigur des Helden – dreht. Hierzu erweitert Moebius das Webersche Konzept der charismatischen Herrschaft um religionssoziologische Aspekte nach Émile Durkheim und Hans Joas.

Gerald Lamprecht verweist in seinem Beitrag zu „Jüdische[n] Kriegshelden im ersten Weltkrieg“ auf die Funktion des heldischen Narrativs für die jüdischen Gemeinschaften in den militarisierten Nationalstaaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Abwehrmechanismus von Antisemitismus. Für Marion Näser-Lather, die sich mit (post)-heroischen Selbst- und Fremdzuschreibungen von Bundeswehrsoldaten/innen befasst, lässt sich anhand der verschiedenen Heldendiskurse und damit verbundenen Dilemmata, in denen sich die Bundeswehr befinde, eine Identitätskrise aufzeigen. So fungiert hier der Held als Zuspitzung, an der sich das soldatisch-militärische Selbstbild mit zivilgesellschaftlichen Maßstäben messen muss und reiben kann. Besonders interessant in der Rubrik Kriegshelden/innen ist der Aufsatz „Remember Vukovar“ von Sanja Potkonjak und Nevena Škrbić Alempijević. Die beiden Autorinnen lösen sich von einem personifizierten Heldenbegriff und entwickeln ein Konzept der geographischen Heroisierung einer Stadt („hero-city“, S. 175ff.) am Beispiel der Schlacht um die Stadt Vukovar im Kroatienkrieg 1991.

„Helden, Widerstand und Alltag. Die französische Résistance im Zweiten Weltkrieg“ heißt der Beitrag von Johanna Rolshoven und Justin Winkler in der Kategorie Figuren des politischen Widerstands im 20. Jahrhundert. Da Helden sich durch außergewöhnliche Handlungen vom Alltag und den „Normalbürgern/innen“ abheben, ist der Verweis der beiden Autoren/innen bemerkenswert, dass zum einen Helden/innen nicht als solche geboren werden (wie das in den Epen der Erzählung nach der Fall war), sondern dass es um ein „Erwachen ihres Engagements im Alltag und aus dem Alltag heraus“ (S. 226) – bedingt durch spezifische Lebensumstände – geht. Durch diesen Perspektivwechsel auf den Alltagsbegriff gelingt Rolshoven / Winkler die „De-Mythifizierung des Heroischen.“ Dies „eröffnet zugleich den Ausblick auf die Re-Politisierung und damit Aufwertung des Alltagshandelns“ (S. 243). Ob damit der Heldenbegriff nicht völlig aufgeweicht wird, muss an dieser Stelle offenbleiben, dennoch ermöglicht diese Akzentuierung auch, dass Frauen stärker als Heroinnen gesehen werden können, da sich gerade in der Résistance widerständiges Verhalten im Alltagshandeln zeigte.

Sowohl der Text zur Konstruktion von Männlichkeit bei Widukind von Corvey von Käthe Sonnleitner als auch der zu Bohemund von Tarent von Ingrid Schlegl zeigen im Abschnitt Historische Figuren: Die Geschichte der Gegenwart auf, wie das antike Heldenbild im Mittelalter durch christliche Werte in Europa umgedeutet wird. So blieben zwar körperliche Merkmale wie Kampfkraft, Größe und Stärke zur Charakterisierung des Helden bestehen, doch wurden die Kardinaltugenden in ihrer christlichen Ausprägung ebenso zu den heldischen Idealen addiert wie die Vorstellung eines mittelalterlichen Begriffs von „honor“, der laut Schlegl weit über den modernen Ehrbegriff hinausging und mit „sozialem Status“ (S. 388) verglichen werden kann. Die Vermischung antiker Heldenvorstellungen mit christlichen Tugendvorstellungen und dem Bildnis des leidenden Jesus im Mittelalter prägen westliche Heldenvorstellungen bis heute.

Klaus Rieser widmet sich in seinem Beitrag dem Westernhelden. Dieser ist insofern interessant, als er „typischerweise sowohl ein hegemoniales Modell, das sich normativ in punkto Geschlecht, Gender, Nationalität, rassischer Zuordnung darstellt, als auch ein Gegenmodell“ (S. 447). Damit ist gemeint, dass Westernhelden zwar einerseits das Image des outsiders oder outlaws (S. 444) verkörpern, anderseits aber meist männlich, weiß und heterosexuell sind und damit innerhalb der Normgesellschaft eben keine Außenseiter. Diese Widersprüchlichkeit schafft laut Rieser Identifikationspunkte des Publikums mit dem Helden, was wiederum auf ein Publikum verweist, dem der eindimensionale Held zu langweilig ist. Ebenfalls der Rubrik Intersektionale Figurenanalysen in Literatur und Film zugeordnet ist der Beitrag von Theresia Heimerl zu Vampirinnen als alternative Heldinnen in zwei eher unbekannten Filmen. Sie weist darauf hin, dass die in die Jahre gekommene Figur des männlichen, verführenden Blutsaugers vereinzelt in Frage gestellt wird und damit festgefahrene Geschlechterzuschreibungen filmisch aufgehoben werden.

Die letzte Sektion zu Alltagsheld/innen als Wegzeiger der Veränderung bricht sowohl thematisch als auch formal mit der Erzählung vom Helden. So bestechen der autoethnografische Text von Michael Bittner durch seine selbstreflexive Herangehensweise und der Text „They should have been famous!“ von Jeffrey D. Wilhelm durch seine dialogische Struktur. Inhaltlich öffnet Barbara Frischling ein neues Feld, in dem sie sich mit Apps und deren Werbungen beschäftigt, deren Ziel die „Alltagsoptimierung als heldenhafte Grenzüberschreitung“ – so der Titel des Beitrags – ist. Der Fitness-Diskurs, der sowohl sprachlich als auch in Bildern eindeutig Maßstäbe setzt, wie das optimierte, gegenderte Selbst auszusehen und sich selbst (sportlich) herauszufordern hat, wird verwendet, um Heldenbilder in der Vermarkungsstrategie der ausgewerteten Trainings-App herauszuarbeiten (S. 564). Damit zeigt sie auf, wie Mann/Frau in einer zum Heldentum wenig geeigneten Welt qua körperlicher Herausforderung dennoch zum/r Helden/in werden kann. In dieser Hinsicht ähnelt der Text in seiner Quintessenz dem Beitrag von Harald Koberg zu Computerspielen. Indem er verschiedene Ebenen des Spielablaufs aufzeigt, die die Spielenden zwischen „realer“ und Spielwelt verorten, verweist Koberg auf die Funktionen, die Computerspiele für ihre vorwiegend männlichen Nutzer haben: Sie sind ein Sehnsuchtsort, ein Held sein zu können, wo es in der Alltagsrealität nicht möglich scheint.

Obgleich der Abgesang auf den kriegerischen Helden im Rahmen der Diskussionen um eine postheroische Gesellschaft bereits vollzogen wurde1, lebt die Heldenfigur im Popheroismus weiter. So existiert seit 2012 der Sonderforschungsbereich 948 Helden – Heroisierungen – Heroismen2, der in einer gleichnamigen Reihe Monografien und Sammelbände zum Thema publiziert. Diese sind wesentlich stärker theoretisch fundiert als der vorliegende Sammelband und widmen sich „realen“ Helden ebenso wie fiktiven.

Es fällt auf, dass die eigentliche Einleitung von Rolshoven „Helden 2.0“ gerade mal neun Seiten umfasst. Das ist zu wenig, um darin ein konsistentes Konzept für einen Sammelband zu entwickeln und vorzustellen. So vielfältig die verschiedenen Ansätze – die Autoren/innen kommen aus den unterschiedlichsten Fachbereichen – so unterschiedlich sind die Erkenntnisse und der jeweilige Erkenntnisgewinn. Der Sammelband ist ein bunter Blumenstrauß, dem mitunter die Bindung fehlt. Wer neuere Erkenntnisse zur Theoriebildung in dem 600 Seiten starken Band erwartet, wird enttäuscht sein. Wer sich jedoch mit den einzelnen Aspekten der verschiedenen Beiträge beschäftigen und diese weiterdenken will, wird hier sehr kluge Perspektiven und Ansätze finden.

Anmerkungen:
1 Herfried Münkler, Kriegssplitter, Berlin 2015; Münkler hat diese These bereits in früheren Aufsätzen vertreten.
2 Sonderforschungsbereich 948 Helden – Heroisierungen – Heroismen, auf https://www.sfb948.uni-freiburg.de/de (25.9.2018).