N. Switek (Hrsg.): Politik in Fernsehserien

Cover
Titel
Politik in Fernsehserien. Analysen und Fallstudien zu House of Cards, Borgen & Co.


Herausgeber
Switek, Niko
Reihe
Edition Politik 55
Anzahl Seiten
399 S.
Preis
€ 39,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sandra Nuy, Philosophische Fakultät, Universität Siegen

Dass gegenwärtig eine (Re-)Politisierung fiktionalen Erzählens zu beobachten ist, hängt mit dem weltweiten Erfolg von Serien wie „House of Cards“, „Scandal“, „Yes, Prime Minister“ oder „Borgen“ zusammen. Da verschiedene Serien direkt im politischen Betrieb Washingtons, Londons oder Kopenhagens angesiedelt sind, sieht man sich zugleich einer Fiktionalisierung von Politik gegenüber. Wenn die Befunde der politischen Kulturforschung korrekt sind (und es spricht einiges dafür), dass fiktionale Vorstellungswelten das Verhältnis zu einem politischen System ähnlich wie empirische Fakten prägen, ist es von hohem analytischen Interesse, diejenigen Kriterien zu bestimmen, die innerhalb einer erfolgreichen Serie angeboten werden, um Politik wahrzunehmen, zu interpretieren und zu bewerten.1 Zugleich ist das Phänomen des politischen Erzählen in Filmen und Serien so dynamisch, dass es für die Forschung nicht einfach ist, mit den aktuellen Entwicklungen Schritt zu halten. Daher ist es von großem Wert, dass nun ein von Niko Switek herausgegebenes Sammelwerk erschienen ist, das sich aus politikwissenschaftlicher Perspektive umfassend mit „Politik in Fernsehserien“ beschäftigt und den Forschungsstand dokumentiert.

Der rund 400 Seite starke Band enthält 18 Aufsätze, die sich auf drei Sektionen verteilen: Theoretische Ansätze & analytische Zugänge (vier Beiträge), Fallstudien politischer Fernsehserien (zwölf Beiträge), Reflektion & didaktischer Einsatz (zwei Beiträge). Die insgesamt 42 Autorinnen und Autoren näheren sich ihren Gegenständen mehrheitlich aus dem Blickwinkel der politischen Systemforschung und der Regierungslehre. Leider fehlt eine Einleitung, welche die theoretischen Erkenntnisse und analytischen Befunde insbesondere der Fallstudien in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden expliziert und generalisiert. Offen bleibt auch der Entstehungskontext des Sammelbandes. Es liegt allerdings die Vermutung nahe, dass ihm eine Lehrveranstaltung zugrunde liegt, da im Autor/innenverzeichnis auffällig viele Studierende des Masterprogramms „Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung“ an der Universität Duisburg-Essen zu finden sind. Die Studierenden, die zumeist als Autor/innenkollektiv auftreten, wenden in ihren jeweiligen Fallstudien ein vierdimensionales Analysemodell an, das Niko Switek in einem einführenden Beitrag vorstellt. Dass dabei die wenigsten Autor/innen noch eigene Fragen an ihr Thema stellen, scheint ein studentischer Reflex zu sein, den man aus Hausarbeiten kennt, in denen additiv ein zuvor in der Lehre vermitteltes Forschungsprogramm abgearbeitet wird.

Switek benennt vier Perspektiven der politologischen Beschäftigung mit Polit-Serien: Zunächst gelte es, das einer Serie zugrunde liegende politische System zu erläutern, um eventuelle erzählerische Abweichungen identifizieren zu können. Ein zweiter Blickwinkel betrachtet „Serien als Spiegel“, die sich zur Illustration sozialwissenschaftlicher Theorien heranziehen lassen und Funktionen der politischen Bildung übernehmen können. Drittens stuft Switek Serien als „Daten“ ein, die Auskunft geben können über die normative Verfasstheit einer politischen Kultur. Und schließlich sei der Umstand zu berücksichtigen, dass es sich bei Serien um fiktionale Erzählungen handle, die zum einen dramaturgischen Mustern folgen und zum anderen bestimmte Angebote machen, Politik zu deuten und zu verstehen.

Diese Systematik erweist sich bei näherem Hinsehen und bezogen auf Strategien der Narrativierung von Politik als redundant. Um politische Systeme, Handlungspraxen und Ereignisse erzählbar zu machen, müssen sie mit normativen Codierungen versehen werden, die innerhalb eines kulturell und historisch variierenden Koordinatensystems verankert sind, damit das politisch ‚Richtige’ vom ‚Falschen’ unterschieden werden kann. Anders ausgedrückt: Politik ist nur durch Moralisierung narrativ zugänglich. Somit stehen Selbstverständnis eines politischen Verbandes und massenmediale Erzählungen in einer sich spiegelnden Wechselbeziehung – ein Topos, der bereits in den 1920er-Jahren diskutiert wurde und zu den filmsoziologischen Grundannahmen Siegfried Kracauers gehört. Kracauer eröffnete 1927 seinen Aufsatz „Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino“ mit dem berühmten Satz: „Die Filme sind der Spiegel der bestehenden Gesellschaft.“2 Insofern ist die Nutzung der Spiegelmetapher zur Beschreibung eines didaktischen Mehrwertes filmwissenschaftlich und kultursoziologisch mindestens ungeschickt.

Zur Sache selbst: Dass sich mit Filmen respektive Serien auch Politische Theorie erklären lässt – geschenkt. Das kann man machen, etwa um Studierende von den Mühseligkeiten der Textarbeit abzulenken – jedenfalls dann, wenn die ontologischen und epistemischen Differenzen zwischen Theorie und massenmedialer Narration präsent bleiben. Ganz so einfach scheint der didaktische Einsatz von Serien in schulischen Kontexten außerdem nicht zu sein, folgt man den empirischen Befunden zum Einsatz von „Polit-Serien im Fachunterricht“, die Sabine Manzel in dem Sammelband vorstellt (S. 373–391). Sie konstatiert auf der Seite der Lehrenden einen Fortbildungsbedarf, um Politserien für den Unterricht angemessen aufbereiten zu können, das heißt den Unterschied zwischen Handlungspraxen in der Realität und deren narrativer Verdichtung jugendgerecht zu vermitteln. Im Unterschied zu komplexen Theoriegebäuden verfügt die (massenmediale) Narration nämlich nicht nur über den eindeutigen Vorteil einer leichteren Zugänglichkeit, sondern auch über eine Befreiung vom Zwang zur Widerspruchsfreiheit. Im Zweifel sind gerade Serien der Unterhaltung verpflichtet und nicht der Faktizität. Gleichwohl eignen sie sich prinzipiell, um nachzuvollziehen, welche Selbstbilder, Überzeugungen und normativen Vorstellungen in einer Gesellschaft zirkulieren.

Dass Serien als „Mittler zwischen Fakt und Fiktion“ (S. 226) auftreten und über eine „generative Kraft“ (S. 228) verfügen, streicht Taylan Yildiz in seinem Beitrag heraus, der am Beispiel von „Gomorrha – Die Serie“ (Sky Italia) darüber reflektiert, inwiefern im Medium der seriellen Erzählung sozial und politisch bedeutsame Realitätsdeutungen vorgenommen werden. Seine Überlegungen fügen sich in ein innovatives Forschungsprogramm, das Yildiz gemeinsam mit Frank Gadinger verfolgt, insofern sie sich innerhalb der Politikwissenschaft einem narratologischen Paradigma zuwenden.3 Gadinger entwickelt hier am Beispiel der Serie „24“ eine Filmpolitologie, in der sich Filmanalyse und Politikwissenschaft zu einem Forschungsfeld verbinden. Es geht ihm darum, die Kulturtechnik des Erzählens als Form der sinnstiftenden Weltaneignung politikwissenschaftlich aufzuwerten und wirkmächtige narrative Deutungsmuster (nicht nur) in Filmen und Serien zu identifizieren.

Die Relevanz des Films für das politisch Imaginäre hat Andreas Dörner in einem immer noch aufschlussreichen Aufsatz bereits 1998 beschrieben.4 Dörner, der den Begriff des „Politainment“ im Sinne der wechselseitigen Verschränkung von Politik und Unterhaltungskultur in die Diskussion eingeführt hat, ist als Autor in dem vorliegenden Band zusammen mit Stefan Heinrich Simond mit einem umfassenden Bericht über den Stand der Forschung vertreten. Unabhängig davon ist Dörner quasi omnipräsent, insofern nahezu jeder Beitrag einen seiner jüngsten – instruktiven – Aufsätze über Politserien zusammenfassend zitiert.5 Wenn Dörners Text, der in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ erschienen ist, als Nachdruck Eingang in den Sammelband gefunden hätte, hätte dies die Publikation konzeptionell bereichert und Wiederholungen vermieden.

Wiederholt zum Gegenstand wird auch die Netflix-Serie „House of Cards“ (HoC), deren Hauptfigur Frank Underwood als Präsident der USA den Prototyp des machiavellistischen Machtpolitikers darstellt. Neben verschiedenen mehr oder weniger aufschlussreichen Produktanalysen zu HoC ist eine Rezeptionsanalyse zu dieser Serie besonders erwähnenswert. Zaria Batroff, Lorena Capuozzo, Kai Jardner und Klaus Kamps fragen in ihrem Beitrag danach, inwiefern die Rezeption von HoC die Einstellung gegenüber der US-Präsidentschaft beeinflusst und ob sich die Kenntnis der Serie auf die Wahrnehmung des realen Präsidenten Barack Obama bzw. der beiden Präsidentschaftskandidat/innen Hillary Clinton und Donald Trump auswirkt. Die Studie wurde in Deutschland realisiert, Zeitpunkt der vollstandardisierten Online-Erhebung war der amerikanische Wahlkampf 2016. Während es für die Einschätzung Obamas keinen Unterschied machte, ob die Befragten HoC kannten oder nicht, war die Wahrnehmung von Clinton und Trump mit der HoC-Rezeption verbunden: „Frappierend bleibt vor allem: Dem fiktiven Charakter Frank Underwood werden [...] konstant höhere politische wie persönliche Kompetenzen zugeschrieben als Donald Trump“ (S. 282).

Alles in allem kommt dem Sammelband das Verdienst zu, eine Momentaufnahme des Forschungsstandes vorzulegen, d.h., politikwissenschaftliche Perspektiven auf Fernsehserien sowie neuere theoretische und methodologische Zugänge an einem Ort zu versammeln. Strukturell und konzeptionell bleibt der Band jedoch hinter seinen Möglichkeiten, nicht nur dass eine Einleitung fehlt, die eine ‚Gebrauchsanweisung’ für die Lektüre anbieten würde, sondern das Fallstudien-Kapitel enthält auch zu viele Beiträge, die überdies qualitativ heterogen sind. Hier wäre die Differenzierung in mehr Abschnitte hilfreich gewesen – die Auseinandersetzungen mit HoC etwa hätte man zu einem eigenen Kapitel bündeln können. Positiv hervorzuheben ist, dass der Band digital frei zugänglich ist.6 Vor allem Studierende erhalten so die Möglichkeit, sich niederschwellig für ihre Abschlussarbeiten über den Stand der Dinge zu informieren und sich analytisch inspirieren zu lassen.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu exemplarisch Samuel Salzborn (Hrsg.), Politische Kultur. Forschungsstand und Forschungsperspektiven, Frankfurt am Main 2009.
2 Vgl. Siegfried Kracauer, Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino, in: ders., Das Ornament der Masse. Essays, Frankfurt am Main 2005, S. 279–294.
3 Vgl. z.B.: Frank Gadinger, Taylan Yildiz, Politik, in: Matías Martínez (Hrsg.), Erzählen. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2017, S. 158–165.
4 Andreas Dörner, Das politische Imaginäre. Vom Nutzen der Filmanalyse für die Politische Kulturforschung, in: Wilhelm Hofmann (Hrsg.), Visuelle Politik. Filmpolitik und die visuelle Konstruktion des Politischen, Baden-Baden 1998, S. 199–219.
5 Vgl. Andreas Dörner, Politserien. Unterhaltsame Blicke auf die Hinterbühnen der Politik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66, 51 (2016), S. 4–11.
6 Volltext-PDF als Open Access unter: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4200-1/politik-in-fernsehserien/ (15.09.2018).

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