Titel
Entwicklungen und Konvergenzen in der Münzprägung der deutschen Staaten zwischen 1806 und 1873 unter besonderer Berücksichtigung der Kleinmünzen.


Autor(en)
Junghans, Hermann
Reihe
Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 131
Erschienen
Stuttgart 2017: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
494 S.
Preis
€ 72,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Pauline Puppel, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Zum Jahreswechsel 2001/02 erhielten mehr als 300 Millionen Menschen eine gemeinsame Währung: In Europa hatten sich viele Länder zu einer Wirtschaftsunion zusammengeschlossen, die als gemeinsames Zahlungsmittel den Euro einführte. Das gemeinsame Geld war bereits einmal, in der deutschen Geschichte, Anlass für vielfältige politische Auseinandersetzungen. Hermann Junghans erläutert, dass im Vorfeld zur Euro-Einführung historische münzpolitische Entscheidungen „zu Rate“ (S. 20) gezogen wurden. Vereinheitlichung und ökonomischer Zusammenschluss waren im 19. Jahrhundert das Ziel der deutschen Politik, die in den Jahren nach der Reichsgründung zur Währungsumstellung führten.

In seiner detailreichen Studie stellt Junghans dar, dass jedoch nicht nur die bekannten Münzverträge wie der Dresdner Vertrag von 1838 oder der Staatsvertrag von 1867 für die Einheit des Landes von Bedeutung waren, sondern auch außerhalb vertraglicher Abkommen Impulse zur Vereinheitlichung gegeben wurden. Er setzt sich dezidiert mit den Kleinmünzen in allen deutschen Staaten auseinander und untersucht detailliert die Entwicklung und die Konvergenzen aller Kleinmünzsysteme, um den spezifischen Einfluss auf die Einführung der Reichswährung nachzuweisen.

Ehe Junghans die einzelnen deutschen Münzverträge von 1837 bis 1867 kontextualisiert und jeweils die inhaltlichen Aspekte in Bezug auf die Kleinmünzen schildert (3. Abschnitt; S. 103–140), stellt er die Rahmenbedingungen der deutschen Münzprägungen im 19. Jahrhundert vor (2. Abschnitt; S. 55–102). Nach dem Reichsdeputationshauptschluss hatten „statt hunderten von Münzständen“ (S. 67) immerhin noch 35 Fürstenstaaten und vier Freie Reichsstädte die volle Souveränität in ihren Finanz-, Währungs- und Geldangelegenheiten. Junghans unterstreicht, dass erst die Reduktion auf die vergleichbar geringe Anzahl von Münzständen eine schrittweise Vereinheitlichung des deutschen Münzwesens denkbar machte. In Süddeutschland schlossen sich einige Länder im Münchner Münzvertrag 1837 zusammen und in den preußischen Provinzen harmonisierte die Reform von 1821 das Münzsystem, dessen Vorbild sich norddeutsche Staaten wie Mecklenburg und einige Hansestädte anschlossen. Die angestrebte Modernisierung durch ein einheitliches Gewicht und die Umstellung auf das Dezimalsystem war nach Junghans‘ Erkenntnis allerdings schwierig. Denn selbst die Reformer seien angesichts des Beharrungsvermögens der Franzosen noch ein halbes Jahrhundert nach Einführung des metrischen Systems zurückhaltend gegenüber diesen Neuerungen geblieben (S. 73, 343). Währungs- und münzpolitische Gesetzgebungskompetenzen traten die Einzelstaaten dann mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs an die Zentrale in Berlin ab. Nach 1871 wurden Verträge zwischen Einzelstaaten obsolet und die gemeinsame Reichswährung konnte eingeführt werden. Das preußische Münzsystem diente laut Junghans als Vorbild, da es sich durch eine große Stabilität auszeichnete (S. 74).

Obwohl, wie Junghans betont, die Bevölkerung den als Scheidemünzen bezeichneten Kleinmünzen skeptisch gegenüberstand, überstieg der Umlauf von Münzen bis 1871 den des Papiergelds erheblich. Münzen bestimmten bis ins 20. Jahrhundert den täglichen Zahlungsverkehr. Insbesondere in Krisenzeiten wurde aber der Münzfuß herabgesetzt, sodass bei gleicher Edelmetallmenge mehr Münzen emittiert wurden. Junghans betont, dass die Festschreibung des Edelmetallgehalts einer der zentralen Punkte der münzpolitischen Anstrengungen im 19. Jahrhundert gewesen sei. Um den unterschiedlichen Geldwert von Münzen zu veranschaulichen, macht der Verfasser vergleichende Angaben über Löhne von Arbeitern und Handwerkern sowie über Preise für Nahrungsmittel. Sehr drastisch ist das Beispiel über die Lebenshaltungskosten eines Fünfpersonenhaushalts, der wöchentlich etwa 3,5 preußische Taler benötigte, im Vergleich zum Einkommen eines Fabrikanten in Höhe von bis zu 770 Talern pro Woche (S. 82f). Junghans erläutert, dass über die Funktion als Zahlungsmittel Münzen auch politische Bedeutung hatten. Er betont, dass nicht nur Goldmünzen und andere Großmünzen repräsentative Zwecke erfüllten, sondern auch Kleinmünzen „zur Bildung eines Gesamtbewusstseins“ beigetragen und die Mitgliedsstaaten des Reichs „Münzen von 1 Mark und darunter“ (S. 85) selbst gestaltet hätten.

Junghans skizziert knapp die Entwicklung der Münzgestaltung ab dem 17. Jahrhundert und widerlegt die bisherige Forschungsmeinung, dass mit der Standardisierung der Gestaltungsgrundsätze im 19. Jahrhundert die künstlerische Ausprägung gemindert worden sei. Er weist darauf hin, dass gerade die technische Fortentwicklung die Herstellung von Falschmünzen erschwerte (S. 101).

Im vierten und wichtigsten Abschnitt seiner Studie analysiert Junghans detailliert die Entwicklung der deutschen Münzprägungen, wobei er besonderes Augenmerk auf kleine Nominale in allen eigenständigen Staaten zwischen 1806 und 1873 legt (S. 141–334). Zunächst befasst er sich mit den Münzen nach preußischem (Abschnitt 4.1, S. 142–208) und nach sächsischem Vorbild (Abschnitt 4.2; S. 209–240), anschließend stellt er das mecklenburgische (Abschnitt 4.3; S. 240–252), das hamburg-lübische (Abschnitt 4.4; S. 253–263) und das süddeutsche Gebiet (Abschnitt 4.5; S. 263–305) sowie die Währung der Hansestadt Bremen (Abschnitt 4.6; S. 305–308) vor. Der Vollständigkeit halber hat Junghans sogar die nur wenige Jahre existierenden Staaten wie die Republik Danzig, das Großherzogtum Frankfurt, das Herzogtum Sachsen-Hildburghausen u.a. mit in seine Untersuchung einbezogen (Abschnitt 4.7; S. 309–334). Er skizziert jeweils das Münzsystem der einzelnen Staaten und ermittelt im Einzelnen die Prägeperioden der Kleinmünzen, um die Entwicklungstendenzen nachzuzeichnen.

Junghans geht anschließend im fünften Abschnitt auf Grundlage der Münzgesetze von 1871 und 1873 auf die Entwicklung zur Reichswährung ein (S. 335–370). Er weist nach, dass bei Gründung des Kaiserreichs mit sieben unterschiedlichen Münzsystemen sogar zwei Münzteilungssysteme mehr als im Alten Reich nebeneinander existierten (S. 335). Die verschiedenen Währungen mussten also im Wert zueinander verglichen werden: Der Autor stellt die Wertverhältnisse übersichtlich in Tabellen zusammen und unterstreicht, dass trotz der Münzverträge das ungeordnete Kleinmünzenwesen mit seinen abweichenden Münzwertigkeiten zu Spekulationen führte (S. 339f). Die nationalstaatliche Bestrebung in Deutschland forderte nachdrücklich das Ende dieses chaotischen Nebeneinanders. Befördert wurde die Überwindung „der Egoismen der Einzelstaaten“ (S. 342) wie Junghans eindrücklich schildert, durch das Vorbild der Lateinischen und der Skandinavischen Münzunion sowie durch die wirtschaftliche Situation nach 1870. Auf das preußische Münzgesetz von 1821 führt Junghans die „mentale Grundlage für die Einführung einer gemeinsamen Reichswährung“ (S. 158) zurück. Für diese sei wegen des internationalen Drucks „als unerlässliches Erfordernis“ (S. 343) das Dezimalsystem übernommen worden, das nach Junghans bereits zum weltweiten Standard geworden war. Er betont, dass große Teile der einfachen Bevölkerung dennoch weiterhin nach dem Duodezimal- sowie dem Verdoppelungssystem rechneten (S. 346).

Im sechsten Abschnitt resümiert der Verfasser übersichtlich seine Ergebnisse. Tabellarisch fasst er den jeweiligen Beitritt der Länder nach Prägebeginn geordnet zum (Silber-)Groschengebiet nach preußischem Vorbild (S. 374–376) zusammen. Die Konvergenzentwicklung macht er überzeugend fest an der Größe und der Wirtschaftskraft des Königreichs Preußen, dem sich die Kleinstaaten anschlossen. Anders verhielt es sich nach Junghans Erkenntnis mit den Mittelstaaten wie Sachsen und Hannover, die von der preußischen Münzproduktion unabhängig bleiben wollten (S. 378). Dennoch, resümiert Junghans, folgten z.B. das Gebiet des sächsischen Talerfußes und das der sächsischen Neugroschenwährung durchaus dem preußischen Vorbild. Nur auf der Ebene der Kleinmünzen wurde von Sachsen und den thüringischen Herzogtümern der Versuch unternommen, sich von Preußen abzusetzen. Insgesamt war jedoch nach Junghans das preußische Münzgesetz von 1821 das Fundament für die Konvergenzen aller deutschen Münzsysteme, die weniger aufgrund der staatsrechtlichen Verträge, sondern mehr aus fiskalischen Überlegungen erfolgten (S. 411). Auf dem Vertragsweg kam es nach seinen Ergebnissen aber im süddeutschen Raum zu Konvergenzen, denn hier bestand keine „Faktizität der Bedingungen eines dominierenden Staates“ (S. 413). In der Einführung der reichseinheitlichen Währung liegen für Junghans Parallelen zur Einführung der gemeinsamen Währung in der Eurozone. Die Mitgliedstaaten verzichteten in beiden Fällen auf Rechtsetzungskompetenzen, denn ihnen blieb nur noch das Recht zur optischen Mitgestaltung für Münzen, deren Bezeichnung so gewählt wurde, dass das Identitätsbedürfnis aller Staaten gewahrt blieb (S. 426).

Die Zerrissenheit des Geldwesens im Deutschland des 19. Jahrhunderts führt Junghans ebenso eindrucksvoll vor Augen wie die Anstrengungen, diese zu überwinden, um zu einem standardisierten und somit verlässlichen Zahlungsmittel zu gelangen. Er visualisiert dazu in sechs Anlagen (S. 461–483) die Münzen der verschiedenen deutschen Währungsgebiete zueinander in ihren Wertverhältnissen und gibt eine kurze Erläuterung der verwendeten Fachtermini (S. 455–460), was insbesondere für numismatisch nicht geschulte Laien eine große Hilfestellung ist.

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