Cover
Titel
Zur Kur an den Nil. Die Ägyptenreise von Max und Otto Meyerhof im Winter 1900/01


Autor(en)
Lehnert, Isolde
Reihe
Menschen – Reisen – Forschungen 3
Erschienen
Wiesbaden 2017: Reichert Verlag
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alina Dittmann, Institut für Moderne Sprachen, State University of Applied Science in Nysa

In dem umfangreichen, unerforschten Korpus von Reiseberichten, die in zahlreichen Archiven schlummern, verbergen sich individuelle Erfahrungen, die mitunter für die Entwicklung der immer noch relativ neuen und bis vor kurzem in Deutschland vernachlässigten Disziplin Tourismusgeschichte bedeutsam sind. Einen Beitrag zur Aufarbeitung des Phänomens der deutschen Ägyptenrezeption zu Beginn des 20. Jahrhunderts leistet die Bibliothekarin und Ägyptologin des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo (DAIK), Isolde Lehnert, mit ihrer originell konzipierten Edition des Reisetagebuchs Max Meyerhofs.

Es war Winter 1900/01, als zwei Cousins der ursprünglich aus Hildesheim stammenden jüdischen Meyerhof-Familie zu einer Kur an den Nil aufbrachen. Sie hofften, im trocken-warmen Klima Genesung zu finden, vor allem für den jüngeren, gerade sechzehnjährigen Otto (1884–1951)1, den sein um zehn Jahre älterer Verwandter, der Augenarzt Max Meyerhof (1874–1945)2 begleitete. Aus der Feder des Mediziners stammt das handschriftlich verfasste Tagebuch über diese Kurreise, die eher nebenbei auch eine Bildungsreise war, zumal den beiden das Land durch die Verwandtschaft mit dem bekannten Ägyptologen Wilhelm Spiegelberg (1870–1930) bekannt gewesen sein dürfte. Ein Reisebericht, von denen es schon so viele gibt, könnte man behaupten. Und doch ist Meyerhofs Text ein besonderes Zeugnis, das nicht nur den Fremdenverkehr in Ägypten um die Jahrhundertwende fokussiert, sondern auch die deutsche Kolonie in Kairo, die in diversen Bereichen (wie etwa in Medizin, Kunst, Archäologie, Hotellerie) als Katalysator zwischen Orient und Okzident fungierte. Außerdem sind die Meyerhofs selbst von Belang, da sie später eine nicht unwesentliche Rolle in der Wissenschaftsgeschichte spielen.

Nicht zuletzt handelt es sich um eine „deutsche“ Annäherung an den Orient3, die sich von der britischen und französischen unterscheidet. Dies spiegelt sich auch in Max Meyerhofs Reisememoiren wider, die sein Interesse an der alten und neuen Geschichte des Landes sowie am zeitgenössischen Lebensalltag zeigen. Max Meyerhof hat sein Reisejournal nicht zum Zwecke einer Veröffentlichung verfasst. Kein Wunder, dass es nach seinem Tod in Vergessenheit geriet. In dem Nachlass des Ägyptologen Ludwig Keimer (1892–1957) wurde es wiedergefunden und von Lehnert ediert und kommentiert. Die Publikation bietet jedoch weit mehr als nur eine sorgfältige Edition des Tagebuchs.

Dem Leser wird u.a. das am DAIK befindliche Keimer-Archiv kurz präsentiert, das eine Fülle an schriftlichem und bildlichem Material mit Bezug auf Ägypten umfasst. Ferner werden die beiden Protagonisten, Max und Otto Meyerhof, vorgestellt, die wie viele Deutsche des Bildungsbürgertums in das Land der Pharaonen reisten, wenngleich nicht primär zum Vergnügen oder aus Bildungsgründen.4 Max Meyerhof hatte auch großes Interesse an den Krankheiten und der Medizin Ägyptens. Im einleitenden Kapitel werden daher auch die Besonderheiten der ägyptischen Augenkrankheiten erläutert. Das Trachom, auch ‚ägyptische Körnerkrankheit’ genannt, von Meyerhof als ägyptische Plage bezeichnet, die seit Jahrhunderten das Straßenbild beherrschte, wurde von Meyerhof registriert und bewegte ihn zur Kontaktaufnahme mit Dr. Mohamed Eloui Pascha, dem führenden Kopf der ägyptischen Augenheilkunde um 1900.

Zentral ist das Tagebuch selbst (II. Teil Lehnerts Veröffentlichung). Die Beschreibungen zeugen von Max Meyerhofs Gabe als aufmerksamer und neugieriger Beobachter und von seinem Sinn für Humor. Der junge Arzt entpuppt sich als talentierter Erzähler, der aus eurozentrischer Sicht, ganz im Stil der Zeit, allerdings in einem moderaten Ton berichtet, Begebenheiten und Stimmungen sowie Begegnungen mit prominenten Personen festhält.

Zu einigen dieser markanten Persönlichkeiten insbesondere der deutschen Ägypten-Szene hat die Autorin kommentierende Kapitel eingebaut. Diese zum Teil aufwändig recherchierten Exkurse liefern Zusatzinformationen und erzählen eigene Geschichten, die dicht mit dem Tagebuch und zuweilen sogar untereinander verwoben sind. Ein Beispiel sind schon länger ansässige Mediziner wie der Schweizer Dr. Eduard Hess Bey, mit dem die Meyerhofs bei gemeinsamen Wüstenausflügen auf den Spuren von Georg Schweinfurth wandeln, dem namhaften Afrikaforscher und Begründer der Geographischen Gesellschaft in Kairo. Auf der Straße in Assuan begegnen sie dem Abenteurer und Unternehmer Karl Neufeld und in Kairo kehren sie bei dem berühmten Wirt August Gorff ein, dessen Bierhaus namhafte Orientalisten mit Gemälden ausschmückten. Sie lernen den österreichischen Hoffotografen Paul Dittrich kennen und treffen den deutschen Konsularagenten Mohareb Todrous– ein Antiquitäten-Händler, in dessen Haus drei Generationen lang das Fremdenbuch des frühen deutschen Ägyptologen Karl Richard Lepsius verwahrt wurde. Ein Kapitel gilt speziell den zeitgenössischen Reiseveranstaltern, wobei vor allem deutsche Reiseagenturen wie die Carl Stangens sowie seines Neffen und späteren Konkurrenten Hugo Stangen im Zentrum stehen. Carl Stangen, der deutsche Pionier des modernen Tourismus5, hatte großen Anteil an der Popularisierung und der touristischen Erschließung Ägyptens, Palästinas und Syriens für deutsche Reisende und war ein ernstzunehmender Konkurrent Thomas Cooks.

Eine andere Art von Exkursen bilden die Beschreibungen von Orten, wie etwa die städtebauliche Entwicklung Kairos oder der damals gerade im Bau befindliche Assuan-Staudamm. So wird z.B. auch das Hauptziel der Meyerhofschen Reise – der mondäne Luft- und Heilquellen-Kurort Heluan ausführlich charakterisiert, für dessen Entwicklung maßgeblich auch deutschsprachige Mediziner und Architekten verantwortlich zeichneten.

Das abschließende Nachwort konzentriert sich auf den weiteren Verlauf von Max Meyerhofs Leben, das sich nach dieser ersten Reise an den Nil entscheidend ändern sollte. 1903 kehrte er nach Kairo zurück, ließ sich dort dauerhaft nieder und widmete sich neben seiner ärztlichen Tätigkeit medizinhistorischen Themen, die ihn zu einem namhaften Orientalisten machten.

Insgesamt ist die Edition überaus überzeugend, sowohl hinsichtlich der editorischen Bearbeitung als auch der aufwändig bearbeiteten und hochwertigen ca. 260 Abbildungen, die vielfach zum ersten Mal abgedruckt sind, darunter zahlreiche Zeichnungen, Gemälde und Fotografien aus Archiven sowie zeitgenössische Stadtpläne, Reiseprospekte, Reklamemarken und Postkarten, die gerade auch von deutschsprachigen Künstlern stammen. Damit leistet das editierte Tagebuch Einsichten, die über einfach Reiseberichte hinausgehen. Es ist eine Quelle zum Verständnis der deutschen Ägyptenfaszination und des Alltagslebens Deutscher am Nil um 1900.

Anmerkungen:
1 Otto Meyerhof (Vetter zweiten Grades von Max Meyerhof) – habilitierter Biochemiker, erster deutscher Nobelpreisträger für Medizin nach dem I. Weltkrieg (1922), seit 1938 im Exil als Forschungsprofessor der University of Pennsylvania in Philadelphia.
2 Max Meyerhof – Mediziner, etabliert sich im Herbst 1903 als Augenarzt in Kairo und wird zu einem bedeutenden Ägyptendeutschen. Sein umfangreiches wissenschaftliches Oeuvre mit über 300 Titeln befindet sich heute im DAIK, wo Isolde Lehnert seine Biographie vorbereitet.
3 Andrea Polascheggs These ist, der spezifische deutsche Orientalismus sei nicht von einer Dominanz gekennzeichnet, sondern er resultiere aus den Bibel-, Altertums- sowie Sprachwissenschaften und der Orient selbst würde von den Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert nicht als Gegenbild des Abendlandes dargestellt, sondern als Parallelkultur verstanden. Somit sei eine kulturelle Bereicherung und nicht eine Abgrenzung das Ergebnis der Annäherung. Andrea Polaschegg, Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert. Berlin u.a. 2005, S. 406.
4 Zum modernen Tourismus der Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert vgl. Rüdiger Hachtmann, Tourismus-Geschichte Grundkurs Neue Geschichte 2866, Göttingen 2007; Hasso Spode, Wie die Deutschen „Reiseweltmeister“ wurden. Eine Einführung in die Tourismusgeschichte, Erfurt 2003.
5 Vgl. Alina Dittmann, Carl Stangen -Tourismuspionier und Schriftsteller. Der deutsche Thomas Cook Polnische Studien zur Germanistik, Kulturwissenschaft und Linguistik 8, Frankfurt am Main 2017.

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