M. Silver: Slave-wives, Single Women and “Bastards”

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Titel
Slave-Wives, Single Women and “Bastards” in the Ancient Greek World. Law and Economics Perspectives


Autor(en)
Silver, Morris
Erschienen
Oxford 2018: Oxbow Books
Anzahl Seiten
XII, 227 S.
Preis
£ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Institute for the History of Ancient Civilizations (IHAC), Northeast Normal University Changchun, China

Statusfragen haben seit einiger Zeit wieder Konjunktur in den Altertumswissenschaften, zumal seit die bislang vorherrschenden Dichotomien zwischen rechtlichen, politischen, sozialen, ökonomischen oder auch religiös-kultischen Sphären der Statuszuschreibung aufgegeben worden sind. Athen nimmt dabei eine Sonderstellung ein, wohl auch wegen der „demokratischen“ Natur und in Fragen der Integrationsfähigkeit. Hier sind in kurzen Abständen neuere Arbeiten erschienen.1

Morris Silver, bekannt durch seine herausfordernden Arbeiten zu ökonomischen Sachverhalten, insbesondere der Anwendung der Neuen Institutionenökonomie auf antikes Wirtschaften, liest die Quellen zu Heiratsformen, den Status von weiblichen „Singles“ und den sogenannten nothoi („Bastarden“), also Abkömmlingen aus nicht primär „legitimen“ Ehen radikal anders als viele seiner Vorgänger, die bei Detailfragen oft auch unterschiedliche Interpretationen vorgelegt haben: Für ihn ist die pallakē – ausgeliehen an den Ehemann durch ihren kyrios, also meist den Vater – gegenüber der legitimen Ehefrau nur eine „wife by purchase“ (also in einer „Kaufehe“), entweder durch Verkauf seitens des Vaters an den Ehemann oder durch Selbstverkauf. Sie kommt damit in einen (wenn auch privilegierten) Unterworfenen-Status unter die „Hand“ des Ehemannes als „slave-wife“. Dennoch hält Silver diese Eheform für eine „legale“ und sieht deren Ursprung in sozioökonomischen Rahmenbedingungen, insbesondere den weit herumreisenden (Ehe-)Männern, die einerseits hiermit emotionale wie sexuelle Bedürfnisse hätten befriedigen, andererseits nicht die Eigentums- und Erbrechte der Primärfamilie hätten durcheinanderbringen wollen. Detailregelungen macht er dann besonders im athenischen Familienrecht aus. So habe eine pallakē freie Kinder hervorgebracht, die, sofern es sich um athenische Frauen gehandelt habe, auch nach dem Perikleischen Bürgerrechtsgesetz Bürger hätten werden können, wohingegen Abkömmlingen von nicht-athenischen pallakai dies zur Einschränkung des Kapitaltransfers zu Nicht-Athenern durch Perikles verwehrt worden sei. Allein im Peloponnesischen Krieg seien Ausnahmen aufgrund von Soldatenmangel zugelassen worden.2

Verbunden mit dieser These macht Silver dann auch die hetairai als „single women“ aus, die eben nicht dem „Prostitutionsgewerbe“ nachgegangen seien, sondern – sozusagen im Wartezustand vor der pallakē -Ehe – eigenständig, also ohne (väterlichen) kyrios, agiert hätten und oftmals im Textilgewerbe tätig gewesen seien, wobei Kultorganisationen, etwa um Artemis-Heiligtümer, womöglich als gewerbliche Organisations-, Produktions- und Distributionszentren gedient hätten. Gerade für diese Singles ohne Aussicht auf eine legitime Ehe aufgrund des Fehlens eines kyrios sei die pallakē -Ehe erstrebenswert gewesen, da der Brautpreis, den der Bräutigam für den „Eigentumserwerb“ bezahlt habe, ihr direkt zugutegekommen sei und Absicherung bedeutet habe. Aber auch für einen Tochtervater sei dies die ökonomisch rationalere Option gewesen, wenn er aufgrund der geographischen Entfernung sein „Eigentumsrecht“ an der Tochter nicht mehr effektiv habe ausüben können.

So bestechend und logisch diese Thesen Silvers zunächst sein mögen, so sehr beruhen sie doch auf zwei grundsätzlichen und von ihm kaum reflektierten Annahmen: Erstens nimmt er ein „gemeingriechisches Recht“ an, da er verschiedene Quellengattungen – die Mythen Homers, Dramenstoffe, Vasenbilder aus Kerngriechenland wie der Magna Graecia, attische Redner, Plato oder Aristoteles (dies allein schon problematisch hinsichtlich der tatsächlichen Aussagekraft) – auf diese, seine Lesart hin interpretiert, so dass er überall Spuren der „Kaufehe“ erblickt (so etwa im An-der-Hand-Fassen der Frau seitens eines Mannes), wo es auch andere Interpretationen gibt. Diese anderen Interpretationen referiert er zwar, verwirft diese jedoch zugunsten seiner Leitidee eigentlich beständig. Zweitens sucht Silver eine griechische Rechtssystematik mit einer römischrechtlichen Parallele als Vergleichsgut zu erweisen. So wird beispielsweise aus der pallakē -Ehe die manus -Ehe, aus der Frau ohne kyrios der Status sui iuris. Dies führt nicht nur zu einer Verwischung der Unterschiede zwischen „griechischen Rechtsformen“ und dem, was wir in der Retrospektive geneigt sind, Römisches Recht zu nennen, sondern trägt auch zu einigen Irrtümern bei, etwa hinsichtlich des Status von Kindern aus der manus-Ehe: diese waren natürlich unter der patria potestas des Vaters (dagegen Silver, S. 1, Anm. 2).

Dass beide Annahmen problematisch sind, braucht hier nicht weiter und en detail ausgeführt werden. Sie werden auf jeden Fall stets kritisch in Betracht zu ziehen sein, wenn man Silvers Einzelinterpretationen überprüft. Und dies mindert den positiven Gesamteindruck des Zuganges von Silver doch erheblich: Denn so sehr man den Blick auf die ökonomischen Notwendigkeiten, denen auch und gerade Frauen im antiken Athen (und sicherlich in ganz Griechenland) sowie deren Abkömmlinge unterworfen waren, als erfrischend und anregend empfinden wird – zumal er mit langlebigen Sichtweisen wie Hetären als Prostituierten gründlich aufräumt –, so sehr muss man bei der allzu überschwänglichen Hurra-Interpretation von Quellen in allein diese Interpretationsrichtung Vorsicht walten lassen.

Anmerkungen:
1 Vgl. nur Josine Blok, Citizenship in Classical Athens, Cambridge 2017, Rezension von Benjamin Gray, in: H-Soz-Kult, 03.04.2018, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-27947 (21.06.2018); Sviatoslav Dmitriev, The Birth of the Athenian Community. From Solon to Cleisthenes, Abingdon 2018, Rezension von Anja Pfeifferin, in: H-Soz-Kult, 14.05.2018, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-28743 (21.06.2018).
2 Zu einer vergleichbaren Situation, wenn auch mit unterschiedlichem Ausgang in Sparta zur Zeit der Messenischen Kriege in der Frage der sogenannten Parthenier vgl. jetzt Winfried Schmitz, Die Gründung der Stadt Tarent und die Gesetze des Lykurg. Eine neue Sicht auf Spartas Geschichte in archaischer Zeit, in: Klio 99 (2017), S. 420–463.

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