C. Berthezène u. a. (Hrsg.): Postwar Conservatism

Cover
Titel
Postwar Conservatism. A Transnational Investigation: Britain, France, and the United States 1930–1990


Herausgeber
Berthezène, Clarisse; Vinel, Jean-Christian
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 297 S.
Preis
$ 109.99 / € 96,29
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martina Steber, Institut für Zeitgeschichte München – Berlin

Wer sich mit dem Konservatismus im 20. Jahrhundert beschäftigt und eine transnationale Perspektive anlegt, ist mit zwei grundsätzlichen Problemen konfrontiert: erstens mit der Frage, was überhaupt als konservativ gelten kann. Denn der Konservatismus hat in nationalen politischen Kulturen jeweils sehr unterschiedliche Formen angenommen. Zweitens ist zu eruieren, was den Konservatismus zu einem transnationalen Phänomen werden lässt, wenn seine eigene Bezugsrichtung doch zuvorderst der Nationalstaat ist. Jede transnationale Geschichte des Konservatismus ist vor die Aufgabe gestellt, nationale Eigenheiten und Entwicklungen mit transnationalen Verbindungen wie internationalen Diskursräumen sorgfältig aufeinander zu beziehen und in ihrer Bedeutung zu gewichten. Welch ein schwieriges, aber zugleich lohnendes Unterfangen dies ist, zeigt der von Clarisse Berthezène und Jean-Christian Vinel herausgegebene Sammelband, dessen Beiträge den britischen, US-amerikanischen und französischen Konservatismus von der Zwischenkriegszeit bis in die 1980er-Jahre vergleichend und transfergeschichtlich analysieren. Damit ordnet sich der Band einer im Entstehen begriffenen internationalen Forschungslandschaft zu, welche die weit verbreitete These einer fundamentalen Differenz zwischen kontinental-europäischem und anglo-amerikanischem Konservatismus, die in der Durchsetzung von „Thatcherism“ und „Reagonomics“ in Großbritannien und den USA während der 1980er-Jahre ihren Angelpunkt gefunden habe, stark differenziert.1

Den beiden Grundproblemen begegnen Herausgeber/in und Autor/innen pragmatisch. Eine Definition des Konservatismus setzen sie nicht voraus, sondern beschränken sich darauf, konservative Reaktionen auf politische Herausforderungen zu untersuchen, die allen drei Ländern gemein waren: die Ausbildung des Wohlfahrtsstaates, die Weitung der Staatstätigkeit, die Egalisierung und Liberalisierung der Gesellschaft, die Organisation der Arbeitsbeziehungen, neoliberale Ideen des Marktes. Dieser Zugriff bringt den Vorteil mit sich, dass Bewegungen in den Blick kommen, die bei einer bloßen Orientierung an Selbstbeschreibungen der Akteure als „konservativ“ außen vor bleiben. So wird die Volatilität und Umkämpftheit des politischen Begriffs vor allem in europäisch-kontinentalen Kontexten ernstgenommen. Dies wird indes durch einen hohen Preis erkauft: Denn ohne ein historisches, analytisches Verständnis des Konservatismus wird die Auswahl der betrachteten Phänomene willkürlich und die historische Argumentation letztlich unscharf. Das zeigt sich mitunter recht deutlich, wenn etwa Guy Groux von „management conservatism“ spricht und darunter die ideologisch geleitete Ablehnung von Arbeitnehmermitbestimmung fasst, die er als Grundakkord des gesamten 20. Jahrhunderts betrachtet, oder Nelson Lichtenstein die Form eines „merchant capitalism“ identifiziert, den er kontinuierlich seit dem 18. Jahrhundert wirken sieht und dessen gegenwärtige Dominanz er mit einem „conservative, neo-liberal turn“ identifiziert, der historisch allerdings nicht genauer lokalisiert wird.

Etwas überraschend füllen Berthezène und Vinel die definitorische Leerstelle dann doch, wenn sie die These formulieren, die dem Band zugrunde liegt. Das macht die Argumentation inkonsistent, denn damit fallen die Ergebnisse der Beiträge und die Prämissen der Einleitung stellenweise auseinander. Die Herausgeberin und der Herausgeber argumentieren, dass die 1980er-Jahre, in denen gemeinhin eine internationale, von einer anglo-amerikanischen Achse getriebene konservative Wende vermutet wird, geradezu das Gegenteil darstellten, nämlich „a moment when conservatism, understood in Burkean terms – preservation of social order through a gradualist approach to change – found itself outflanked by its various satellites and political avatars, namely populism, neoliberalism, reaction and cultural and gender traditionalism“ (S. 3). Diese These wäre zu problematisieren. Leider geschieht dies im Band jedoch nicht. Vielmehr deuten die Beiträge etwa von Martin Daunton und José Harris darauf hin, dass das Mischungsverhältnis aus ideologischer Konstanz, neuen Impulsen und politischen Realitäten in der Sozial- und Finanzpolitik des Thatcherismus um einiges komplexer war, als die einleitende These es nahelegt.

Am weiterführendsten sind die drei vergleichenden und transfergeschichtlichen Beiträge des Bandes. Kevin Passmores brillanter Aufsatz zeigt, wie konservative Bewegungen bzw. Parteien in Frankreich und Großbritannien während der Zwischenkriegszeit auf das Erstarken der Linken reagierten und im Austausch miteinander ähnliche Lösungsansätze entwickelten. Dabei war die Orientierung des französischen Centre de propagande des républicains nationaux, geleitet von Henri de Kérillis, und der Alliance démocratique unter Führung von Pierre-Etienne Flandin an der britischen Conservative Party schon deshalb intensiver, weil sich auf der Insel eine über Jahrzehnte gefestigte Partei studieren ließ, die nun ebenfalls zu einer Neuorganisation gezwungen war. Die Krisendiagnose war dabei in beiden Ländern gleich: Die nationalen Eliten hätten bei der Aufgabe versagt, sich der Moderne zu stellen und gleichzeitig die Tradition zu bewahren; die konservativen Parteien litten unter einem Modernitätsdefizit. Die britischen wie französischen Lösungsansätze schöpften aus transnationalen Ideen über Elite und Masse, besonders der Massenpsychologie, aus der Faszination für Taylorismus, Managementtheorien und wissenschaftliche Werbung. Des transnationalen Hintergrundes wurden konservative Akteure indes selten gewahr, weil der Nationalismus, der dem Konservatismus der Zwischenkriegszeit inhärent war, eine solche Erkenntnis verhinderte.

Nicht nur französische Konservative machten sich in Großbritannien kundig, auch über den Atlantik reisten in den 1930er-Jahren Interessierte, wie Robert Mason in seinem Beitrag zur Perzeption des britischen Konservatismus in der Republikanischen Partei zeigt. Dabei warnt er davor, transatlantische Transfers zu hoch zu bewerten – dem stand das exzeptionalistische Selbstverständnis der Republikaner entgegen. Allein in Phasen erhöhten Reformbedarfes erhielten britische Vorbilder Einfluss, wenn Mittlerfiguren den Blick über den Atlantik öffneten. Dies war 1936/37 der Fall, als die Republikaner nach einer Antwort auf Roosevelts New Deal Liberalism suchten und Charles P. Taft und John Hamilton nach eingehendem Studium der britischen Konservativen zwei geradezu entgegengesetzte Rezepte empfahlen, und noch einmal in den 1950er-Jahren, als die konsequente Reorganisation der Conservative Party nach dem Machtverlust 1945 und der Wahlerfolg 1951 die amerikanische Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die Bewertung der britischen „middle way“-Politik blieb dabei allerdings ambivalent. Das galt auch für die Haltung der Conservative Party gegenüber dem republikanischen Interesse. Die Partei hielt gleichzeitig Kontakte zu den Demokraten aufrecht und vermied eine exklusive Bindung an die Republikaner.

Während sich Passmore und Mason auf die Parteiorganisationen konzentrieren, vergleicht Alexis Spire konservative soziale Bewegungen in Frankreich und den USA während der 1970er-Jahre, die mit einer Agitation gegen Steuern zwar vom selben Thema angetrieben wurden, deren Gestalt wie Wirkung sich indes voneinander unterschieden. In Kalifornien mobilisierte die National Taxpayer Union unter Howard Jarvis auf breiter sozialer Basis, war gut organisiert, ging schließlich politische Koalitionen unter dem Dach der Republikanischen Partei ein und konnte ihre Agenda von „anti-tax“ und „anti-big government“ dadurch wirkungsvoll platzieren. In Frankreich dagegen agierte die von Gérard Nicoud geführte Anti-Steuer-Bewegung weniger organisiert als individuell, war in ihren auf Gewalt fokussierten Aktionsformen geprägt von 1968, stand in ideologischer Kontinuität zum Poujadismus (einer von Pierre Poujade geführten rechtspopulistischen Bewegung der 1950er-Jahre) und trat als klassenbasierter Anwalt von Kleingewerbetreibenden auf. Ihre Triebkraft war die Empörung, die sich in gewalttätigen Attacken auf Steuerbeamte und lokale Steuerbehörden Raum verschaffte, verstärkt durch eine vom Skandal faszinierte Medienöffentlichkeit. Spire betont die Unterschiede, arbeitet aber auch Gemeinsamkeiten heraus: die Mobilisierung von unten, das Thema der Steuergerechtigkeit, den Bewegungscharakter, die thematische Fixierung auf das Verhältnis von Staat und Individuum. Seine Beobachtung, dass in beiden Fällen ausgerechnet soziale Gerechtigkeit der bestimmende konservative Mobilisierungsfaktor war, setzt die Konservatismusforschung auf eine Spur, der weiter nachzugehen ist.

„Postwar Conservatism. A Transnational Investigation“ gibt der Forschung zur Geschichte des westeuropäischen und transatlantischen Konservatismus im 20. Jahrhundert einen wichtigen Impuls. Der Band demonstriert, mit welchen Schwierigkeiten diese Forschung zu kämpfen hat, zeigt aber zugleich, welche Potenziale in ihr liegen.

Anmerkung:
1 Vgl. Johannes Großmann, Die Internationale der Konservativen. Transnationale Elitenzirkel und private Außenpolitik in Westeuropa seit 1945, München 2014; Anna von der Goltz / Britta Waldschmidt-Nelson (Hrsg.), Inventing the Silent Majority in Western Europe and the United States. Conservatism in the 1960s and 1970s, Cambridge 2017; Martina Steber, Die Hüter der Begriffe. Politische Sprachen des Konservativen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, 1945–1980, Berlin 2017.