W. Eck u.a. (Hrsg.): Prosopographie des Römischen Kaiserreichs

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Titel
Prosopographie des Römischen Kaiserreichs. Ertrag und Perspektiven


Herausgeber
Eck, Werner; Heil, Matthäus
Erschienen
Berlin 2017: de Gruyter
Anzahl Seiten
VII, 259 S.
Preis
€ 79,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nikolas Hächler, Historisches Seminar, Universität Zürich

Der vorliegende Sammelband vereint auf sich Texte, die zum 2015 erfolgten Abschluss der Zweitauflage der Prosopographia Imperii Romani (PIR) vom 27.–28.10.2016 in Berlin vorgetragen wurden und dabei die wechselvollen Geschicke der PIR sowie exemplarisch Chancen, Grenzen und Perspektiven der Prosopographie thematisieren.

Wie Werner Eck zu Beginn seiner umfassenden Synopsis „Die PIR im Spiegel der beteiligten Personen“ (1–94) konstatiert, gelang es Elimar Klebs, Paul Rhoden und Herrmann Dessau trotz anfänglicher Schwierigkeiten, die Bände I-III der PIR an der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zwischen 1874–1898 gemäß den Vorstellungen Theodor Mommsens zu vollenden. Die Bände I-II der editio altera lagen insbesondere dank der systematischen Vorgehensweise von Edmund Groag und Arthur Stein bereits 1933 bzw. 1936 vor. Beide Gelehrte wurden 1938 allerdings aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von der Akademie ausgeschlossen. Während Groag eine weitere Mitarbeit am Vorhaben ausschloss, führte Stein seine Forschungen bis zu seiner Deportation nach Theresienstadt 1942 weiter und setzte sie nach Kriegsende sogar bis zu seinem Tod im Jahr 1950 fort. Über das weitere Schicksal der PIR² wurde 1952 am Pariser Epigraphikerkongress entschieden. Während Band IV 2 dank internationaler Bemühungen sowie der bereits vorliegenden Materialbasis schon 1958 vorlag, erfolgten die nachfolgenden Publikationen von IV 3 und V 1 erst 1966 bzw. 1970, da neue Grundlagenarbeiten zu leisten waren. Ungünstige Rahmenbedingungen nach Reformbestrebungen des Akademiebetriebs 1968/69 resultierten in weiteren Verzögerungen bei der Veröffentlichung der Bände V 2–3. Mit Gründung der BBAW, die 1993 ihre Arbeit aufnahm, konnte das Projekt rasch fortgeführt werden. Die beiden letzten Volumina VIII 1–2 wurden schließlich mit Unterstützung der Akademie sowie der Fritz Thyssen Stiftung 2009 und 2015 fertiggestellt.

In seiner Untersuchung „Die Träger der paganen Kulte im Imperium Romanum“ (95–108) exemplifiziert John Scheid Chancen, Bedingungen und Grenzen der Prosopographie, wozu er sich römischen Kultträgern zuwendet. Voraussetzung für ein quantitativ-qualitatives Studium öffentlicher Priestertümer stellt die hohe Anzahl kaiserzeitlicher cursus-Inschriften dar, wodurch sich Einsichten zu Kooptationsdaten, Titeln, der Anzahl, dem Rang sowie zu den Karrieren der Priester ergeben. Dabei stehen zumeist Mitglieder der beiden höchsten ordines im Fokus. Sobald die Quellenlage jedoch zu lückenhaft erscheint, sind historisch annehmbare Aussagen unmöglich. Nur im Verbund mit der literarischen Überlieferung erlaubt ein prosopographisches Vorgehen zudem Einblicke in die Funktionen und religiösen Ideen von Kultträgern.

Olli Salomies‘ Beitrag „Die Bedeutung der Onomastik für die Rekonstruktion von Genealogien in Rom“ (109–132) fokussiert auf die Bildung und den Gebrauch persönlicher cognomina der frühen Kaiserzeit. Der Verfasser hält fest, dass zu Beginn dieser Entwicklung Männer bedeutender Familien Beinamen aus dem Geschlecht ihrer Mütter zu wählen pflegten oder deren nomen gentile durch Anfügung des Suffixes „---ianus“ zur Bildung eines persönlichen Cognomens heranzogen. Seltener leiteten sie cognomina von Namen ihrer Freunde oder Lehrer ab. Neu kamen in der Kaiserzeit Beinamen von Frauen auf, die immer persönlicher Natur waren und oft ein Cognomen von Vorfahren väterlicherseits widerspiegelten oder gar mit Beinamen weiblicher bzw. männlicher Vorfahren mütterlicherseits identisch waren. Cognomina mit der Endung „-illa“ wurden zu Beginn dieser Entwicklung gegenüber jenen, die auf „-iana“ auslauteten, bevorzugt.

François Chausson achtet in „Empereurs et sénateurs aux IIe-IIIe siècles: quelques remarques sur des réseaux de parenté“ (133–154) auf senatorische Familiennetzwerke im 2./3. Jahrhundert n.Chr. und deren Verbindungen zum Kaiserhaus. Während Herrscher der hohen Kaiserzeit immer als Teil der Senatsaristokratie agierten, markiert das 3. Jahrhundert einen Einschnitt. Die dank loyaler Truppenverbände an die Macht gelangten Soldatenkaiser stammten nicht mehr aus dem ordo senatorius und durch ihre häufige Abwesenheit in Rom entfiel eine Zusammenarbeit mit dem Senatsgremium. Nach 260 verloren Senatoren zudem den Zugang zu militärischen Funktionen. Dies alles resultierte in einem Bedeutungsverlust des ordo amplissimus. Trotzdem sind einige Senatsfamilien bekannt, deren Mitglieder noch in der Spätantike herausragende Positionen im Reichsdienst bekleideten. Diese Kontinuitäten sind wesentlich stabilen sozio-politischen Vernetzungen innerhalb des Senatorenstandes zu verdanken, die von den Umbrüchen des 3. Jahrhunderts unwesentlich betroffen waren.

Peter Scholz stellt in „Gute und in jeder Hinsicht vortreffliche Männer“ (155–185) fest, dass Bildung in der römischen Kaiserzeit zwar einen hohen Stellenwert hatte, allerdings nur Wenigen ausschließlich auf privater Grundlage zugänglich war. Der Erziehungsweg gliederte sich derart, dass Schüler nach den ersten Lektüre- und Grammatikübungen zu Hause in Bildungszentren – darunter Gymnasien, Bibliotheken, Bouleuterien oder Odeia –, die in der Regel Mäzene der städtischen Oberschichten finanzierten, wechselten. Im Anschluss erfolgten Bildungsreisen, um berühmte Lehrmeister aufzusuchen. Besonders beliebt waren Rhodos, Athen oder Alexandria. Nach ihrer Rückkehr verfügten diese pepaideuménoi über ein wichtiges Statusmerkmal, das sie innerhalb der sozio-ökonomischen Elite der Stadt zusätzlich auszeichnete und häufig inschriftlich dokumentiert wurde.

Armin und Peter Eich skizzieren in „Sagalassos – Die Entwicklung einer städtischen Gesellschaft unter römischem Einfluss, ihre Ritter und Senatoren“ (187–212) einleitend die Geschicke Sagalassos‘, das sich während der römischen Bürgerkriege auf Octavians Seite schlug. Als Heereslieferant erlebte die Stadt eine erste ökonomische Blüte, der ein sozio-politischer Aufstieg folgte. Mit Ti. Claudius Piso findet sich der erste bezeugte Ritter unter den flavischen Kaisern. Insgesamt sind den Verfassern maximal dreizehn kaiserzeitliche equites bekannt; wie groß deren Einfluss innerhalb imperialer Herrschaftsstrukturen ausfiel, ist nicht abzuschätzen. Zweifelhaft bleibt zudem, ob Sagalassos je Heimat von Senatoren war. Politische Ambitionen lebten Angehörige der Oberschichten im städtischen Bauprogramm und in der innerpisidischen Statuspolitik aus, wie Diskussionen um die so genannte Neon-Bibliothek offenbaren.

Matthäus Heil fragt in „Eine digitale Prosopographie der Führungsschichten des kaiserzeitlichen Imperium Romanum" (213–237), wie eine Neuauflage der PIR im Zeitalter digitaler Technologien beschaffen wäre. Informationen sollten dabei bequem und zeitnah vor dem Hintergrund bereits bestehender Datensätze bearbeitbar sein; zudem scheint die Implementierung eines XML-Datenbank-Systems zielführend, weil dieses vergleichsweise dauerhaft und vielseitig gestaltbar wäre. Da die abgebildeten Inhalte aktuelle Wissenschaftsdiskurse wiedergeben, langfristig abrufbar und zitierfähig sein müssen, wäre die Betreuung einer PIR-Datenbank wissenschaftlichem Personal zu überlassen. Um den Konnex zwischen Reichsbeamten und den Stadträten zu studieren, sollten neu alle lokalen Honoratioren berücksichtigt werden. Abschließend sei es entscheidend, wie Datensätze innerhalb einer digitalen Systemarchitektur strukturiert, welche Publikationssprachen gewählt und wie organisatorisch-institutionelle Fragen gelöst würden.

Daran anknüpfend leitet Marietta Horster „Perspektiven prosopographischer Arbeit“ (239–259) mit der Feststellung ein, dass sich prosopographische Hoch-Zeiten in der Zwischenkriegszeit und zwischen 1970–1990 ergaben, als die Analyse der Vernetzungen politischer Eliten interessierte, um Herrschaftsmechanismen offenzulegen. Obschon sich auch die heutige Altertumswissenschaft um Einsichten bemüht, wie Angehörige imperialer Eliten an der Herrschaftsausübung beteiligt waren, entstanden zuletzt vermehrt Studien, die auf regionaler Ebene Militärangehörige sowie städtische Oberschichten betrachteten. Es gelte, bestehende Resultate hinsichtlich der Möglichkeit künftiger Aktualisierungen in transparenter Weise zu sichern, um dadurch prosopographische Erkenntnisse allen Interessierten in ansprechender Form zugänglich zu machen. Dazu sei es elementar, Fragen zur Präsentationssprache sowie nach Verknüpfungsmöglichkeiten mit bestehenden Datensätzen zu klären.

Es ist zu hoffen, dass nach Vollendung der PIR² prosopographische Grundlagenarbeiten zum Imperium Romanum, deren aktueller Nutzen für die Altertumswissenschaften durch die vorliegenden Beiträge exemplarisch verdeutlicht wird, eine Fortsetzung erfahren. Mögliche Voraussetzungen dafür werden aktuell etwa im Rahmen der „EpiDoc Collaborative“ geschaffen.1 Da neuere prosopographische Untersuchungen im Unterschied zu früheren Studien – auch vor dem Hintergrund des steten Zuwachses dokumentarischer Quellen – vermehrt auf konkrete Handlungsfelder staatlicher Funktionsträger eingehen, sind mit Hilfe prosopographischer Methoden (unter Berücksichtigung überlieferungsbedingter Grenzen) weiterhin vertiefte Einsichten in Verwaltungs- sowie Herrschaftsstrukturen und damit in die Funktionsweisen des Imperium Romanum zu erwarten.2

Anmerkungen:
1 Tom Elliott et al., Epigraphic Documents in TEI XML, in: https://sourceforge.net/p/epidoc/wiki/Home/ (17.09.2018).
2 Siehe hierzu Anne Kolb (Hrsg.), Herrschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis. Konzepte, Prinzipien und Strategien der Administration im römischen Kaiserreich, Berlin 2006, insbesondere S. 12–14.

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