Titel
Educating the Germans. People and Policy in the British Zone of Germany, 1945–1949


Herausgeber
Phillips, David
Erschienen
London 2018: Bloomsbury
Anzahl Seiten
367 S.
Preis
£ 85.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marianne Zepp, Berlin Email:

Nachdem Denise Tscharntke mit ihrer Studie zur Frauenpolitik vor einigen Jahren einen Teilaspekt zur britischen Besatzung in Nachkriegsdeutschland beleuchtet hat1, stellt der emeritierte Oxforder Erziehungswissenschaftler David Phillips nun eine Analyse des demokratischen Erziehungssystems in der britischen Zone vor. Er beschreibt darin, wie sich die britische Militärverwaltung der Aufgabe stellte, Bildungseinrichtungen als zentralen Beitrag einer Nachkriegsfriedensordnung in Deutschland aufzubauen. Dabei geht der Autor chronologisch vor: von der Vorbereitung vor Kriegsende bis zur Staatsgründung der Bundesrepublik.

In seiner Einleitung führt Phillips den zentralen Begriff der reeducation ein, definiert diesen aber nicht, wie er insgesamt auf eine tiefergehende Analyse der zentralen Vorstellungen und Begrifflichkeiten verzichtet. Man hätte gerne etwas mehr über diese Konzepte der Demokratisierung erfahren. Phillips konzentriert sich in seinen Ausführungen auf das seiner Ansicht nach grundlegende Dilemma der Besatzung: Wie kann Demokratie in einem besiegten Land durch eine mit autokratischer Macht ausgestatteten Besatzung gelehrt und etabliert werden? Diese, die gesamte Besatzungszeit begleitende, Ambivalenz, die zuerst durch ein starkes Misstrauen und dann ab 1947durch eine verstärkte Kooperation zwischen Besatzern und Deutschen geprägt war, ist die Leitthese in der insgesamt acht Kapitel umfassenden Studie.

Im Gegensatz zur US-amerikanischen Besatzung, an der bereits in der Planungsphase in den Vereinigten Staaten deutsche Experten und Expertinnen beteiligt waren, verzichteten die britischen Stellen auf eine Mitarbeit durch deutsche Exilanten. Vielmehr weist Phillips darauf hin, dass die Akteure innerhalb des Foreign Office und der Besatzungsbehörde während der ersten Phase in vielen Fällen Vertreter einer Anti-Appeasement-Politik gegenüber dem deutschen Reich in den 1930er-Jahren gewesen seien. Sie hatten – vor allem zu Beginn der Besatzung – entsprechende Vorbehalte gegenüber einer wie auch immer gearteten deutschen Mitarbeit. Der Autor zeigt auf, dass die Offiziere und Experten in vielen Fällen auf Lösungen und Entscheidungsfindungen vor Ort angewiesen waren. Es setzten sich pragmatische Unabhängigkeit und Fachwissen gegen administrative Regulierungen durch. Intellektuelle Unabhängigkeit habe die Experten und Expertinnen vor Ort ausgezeichnet. Zugleich war man sich bewusst, dass man auf die Zusammenarbeit mit den Deutschen angewiesen war. Anhand der in der Vorbereitungsphase bereits erstellten Listen konnte man unbelastete Personen identifizieren und sie zur Mitarbeit heranziehen. Was als rehabilitation der Deutschen gedacht war, beinhaltete bald die Wiederzulassung von Parteien, Gewerkschaften und einer zwar durch die Militärbehörde lizensierten, aber freien Presse. Wie Phillips anmerkt, folgte das reeducation-Programm in allen vier Zonen anfangs den gleichen Mustern bei der Auswahl des Personals, der Wiedererrichtung von Universitäten und der Unterrichtsinhalte (S. 42f.). Nach dem wirtschaftlichen Zusammenschluss der Westzonen zur Bizone kristallisierte sich allerdings sehr bald die ideologische Abgrenzung zwischen sowjetischer Politik und den Demokratisierungsbemühungen der Westalliierten in diesem Bereich heraus.

Die britische Control Commission, die britische Besatzungsadministration, war “the whole machinery of government in miniature“ (S. 51), deren „education branch“ für die drei Bereiche des Erziehungswesens – Schulen, Universitäten und Erwachsenenbildung – zuständig war. Zumindest einige der Militärverwaltungsangehörigen waren motiviert durch das Bestreben des „purging and reforming of education in Germany“ (S. 58). Was bald nach der Invasion folgte, war der systematische Aufbau des Erziehungswesens von unten, angefangen von der Kommune über Regierungsbezirke und innerhalb der neu zu ziehenden Ländergrenzen. Insgesamt dreißig Education Control Officers waren zeitweise damit beschäftigt. Diese Struktur, die die Bildungshoheit der Länder festschrieb (S. 207), sollte eine Bedingung für die Demokratisierung des Schulwesens und des Bildungswesens insgesamt sein und galt als Gegenentwurf zum totalitären zentralistischen Modell im Nationalsozialismus. Im Januar 1947 wurde diese Verantwortung den Deutschen übertragen. Der Autor spezifiziert allerdings nicht genau, in welcher Form das stattfand. Deutlich wird, dass sich die Briten ein Vetorecht in Personal- und Strukturentscheidungen vorbehielten, das sie allerdings kaum ausübten.

Im dritten Kapitel zeichnet Phillips die praktische Umsetzung vor Ort nach. Massenweise verteiltes Informationsmaterial sollte die Soldaten auf die Begegnung mit den Deutschen vorbereiten. Der Autor zitiert ausführlich aus den teils pauschalen Urteilen und Anleitungen, um auf das Problem der Stereotypisierung hinzuweisen (S. 97). Deutsche Kriegsgefangene waren die erste Zielgruppe für Einstellungsuntersuchungen. Phillips widmet der in den Planungen bereits ausführlich begründeten „anti-fraternisation policy“ etliche Seiten. Hier wäre ein Hinweis auf die umfangreichen Einstellungsuntersuchungen der amerikanischen Militärverwaltung erhellend gewesen, die nicht nur mit den damaligen neuesten Methoden arbeitete, sondern auch Handlungsanleitungen zur Verfügung stellte.

Der Autor widmet sich zudem der Wiedereröffnung der Universitäten. Vierzig Prozent der universitären Infrastruktur lag in der britischen Zone. Im Laufe von vier Monaten von September bis Dezember 1945 gelang es, fast alle größeren Universitäten und Hochschulen wieder zu eröffnen. In der Universitätsreform galt es, den Wiederanschluss an internationale Standards zu ermöglichen, um die intellektuelle Isolation Deutschlands zu überwinden. Im Januar 1947 unternahm eine Delegation der britischen Association of University Teachers (AUT) eine Studienreise in die Zone. Sie bestand aus Deutschlandexperten der unterschiedlichsten Bereiche. Die Alliierte Militärbehörde stand vor dem Problem, unbelastete Akademiker für diese Führungspositionen zu finden. Mitgliedschaften in NS-Organisationen und die Beteiligung an dem von Phillips zitierten Bekenntnis der Hochschullehrer zum Nationalsozialismus von 1933 (S. 168) dienten als Ausschlusskriterien (S. 163ff.). Allerdings funktionierte dieses Auswahlsystem in vielen Fällen nicht zuverlässig und während der gesamten Besatzungszeit waren diese Personalentscheidungen ständiger Kritik ausgesetzt (S. 173). Ein weiteres Problem stellten die aus dem Krieg zurückgekehrten deutschen Offiziere da. Sollte man sie zum Studium zulassen? Und waren sie befähigt, ein friedliebendes Deutschland aufzubauen? Während der gesamten Aufbauphase schloss man ehemalige Wehrmachtsoffiziere vom Studium zunächst aus. Allerdings wurde dieses allgemeine Verbot im Februar 1947 aufgehoben. Eine Universitätskommission – besetzt mit Deutschen, Engländern und einem Schweizer – sollte 1948 die Grundlagen für die Demokratisierung der Universitäten und zonenübergreifende Vorschläge machen. Sie war ein Beispiel für die Übergabe von Verantwortung an deutsche Stellen. Phillips weist darauf hin, dass viele Empfehlungen des Reports in der Folgezeit von den Ländern umgesetzt wurden, wie zum Beispiel die Einrichtung von Hochschulbeiräten.

Im Bereich des Schulwesens diente die 1944 in Großbritannien durchgeführte Schulreform den britischen Experten als Vorlage für ein reformiertes Schulwesen in der Besatzungszone. Phillips lässt die Frage offen, inwieweit Erfahrungen des britischen Erziehungssystems auf die Zone übertragen werden sollten. Offensichtlich war den Verantwortlichen klar, dass von deutscher Seite Reformansätze aus der Weimarer Republik, besonders die Vorstellungen der „entschiedenen Schulreformer“, zum Aufbau eines demokratischen Schulsystems wiederbelebt werden sollten. Eine Schlüsselfigur auf deutscher Seite war der erste niedersächsische Kultusminister Adolf Grimme. Er hatte bereits im August 1945 dem nach ihm benannten Grimme-Plan ausgearbeitet. Ein dreigliedriges Schulsystem (Berufsschule, Grund- und Mittelschule, Gymnasium) wurde darin ausformuliert und die Gleichwertigkeit von praktischer und theoretischer Ausbildung gefordert. Der im Herbst 1946 gegründete Zonenerziehungsrat mit britischen und deutschen Erziehungsexperten arbeitete, wie der Autor betont, die Grundlagen für die Institutionen der späteren Bundesrepublik heraus. Grundprinzipien eines demokratischen Schulwesens waren die Durchlässigkeit der verschiedenen Schularten, die Abschaffung von Schulgeld und die Dezentralisierung der Schulverwaltung. Ein Streitpunkt war die Wiedereröffnung von Konfessionsschulen. Phillips übernimmt die zeitgenössische Deutung der christlichen Kirchen als eine Instanz für die moralische Erneuerung Deutschlands. Damit blieb das Dilemma des kirchlichen Einflusses bestehen, es begleitete die Schulpolitik der Bundesrepublik noch etliche Jahre. Was der Autor kaum erwähnt, sind die bereits 1946 einsetzenden Austauschprogramme der US-amerikanischen wie britischen Militärbehörden. In diesem Rahmen war es beispielsweise bereits frühzeitig zu einer engen Zusammenarbeit zwischen englischen und deutschen Akademikerinnen gekommen.2

In seiner Zusammenfassung skizziert der Autor nochmals das Dilemma, in dem die Besatzung sich befand: eine freie Gesellschaft mit Mitteln zu schaffen, die dieser widersprach. Dass die Herausforderung schließlich gelang, so Phillips‘ Resümee, sei dem Talent und der Initiative der britischen Entscheidungsträger vor Ort zu verdanken. Ihre deutschen Partner, Gegenspieler oder Verbündeten bleiben hingegen blass bzw. werden nicht erwähnt. Bei den geschilderten britischen Akteuren hingegen scheut der Autor auch vor sprechenden Charakterschilderungen nicht zurück, was die Lektüre eher unterhaltsam macht. Störend hingegen sind die vielen längeren wörtlichen Zitate, besonders aus den Verordnungen der Besatzungsbehörde. Der Autor bleibt insgesamt sehr stark seinen Quellen verhaftet.

Wer sich über die praktische Umsetzung eines wesentlichen Bestandteils der alliierten Politik, nämlich der Umstrukturierung und Demokratisierung des Erziehungswesens in der britischen Besatzungszone informieren will, ist mit dem Buch sehr gut bedient. Sein Verdienst besteht auch darin, vor Augen zu führen, in welcher Weise die Ansätze und Ideen der britischen Besatzung angelegt waren, um ihre Wirkmächtigkeit in der Bildungslandschaft der Bundesrepublik entfalten zu können. Was das Buch nicht leistet, ist ein differenziertes Bild des derzeitigen Forschungsstandes über die deutsche Nachkriegsgesellschaft zu zeichnen.

Anmerkungen:
1 Denise Tscharntke, Re-educating German Women. The Work of the Womens’s Affairs Section of the British Military Government 1946-1951, Frankfurt am Main 2003.
2 Christine von Oertzen, Strategie Verständigung. Zu transnationalen Vernetzung von Akademikerinnen 1917–1955, Göttingen 2012, S. 337.

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