Cover
Titel
Dad on TV. Sitcoms, Vaterschaft und das Ideal der Kernfamilie in den USA, 1981–1992


Autor(en)
Dechert, Andre
Reihe
Family Values and Social Change 2
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 226 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Olaf Stieglitz, Historisches Institut / Abteilung Nordamerikanische Geschichte, Universität zu Köln

In der Einleitung ihres 2012 erschienenen Sammelbands „Doing Recent History“ entwickeln die beiden US-Historikerinnen Claire Potter und Renee Romano ein bemerkenswertes Plädoyer für eine erneuerte Zeitgeschichte. Geschichten der letzten Dekaden zu schreiben, von den 1970er- bis in die frühen 2000er-Jahre, verlange von Historikern und Historikerinnen veränderte Methoden, einen erweiterten Begriff von Archiven, eine dezidiert transdisziplinäre Ausrichtung sowie nicht zuletzt einen erweiterten Kompetenz- und somit Ausbildungsrahmen. Vor allem stelle die mediale Dimension Zeithistoriker und -historikerinnen nunmehr vor neue Herausforderungen. In einem der Beiträge des Bands wirft David Greenberg die durchaus provokante Frage auf: „Do Historians Watch Enough TV?“1 In ähnlicher Weise argumentiert auch die Zeithistorikerin Christina von Hodenberg, wenn sie betont, dass die „Geschichte moderner Gesellschaften [...] nicht geschrieben werden“ kann, „ohne die zunehmend einflussreichen audiovisuellen, elektronischen Massenmedien als Quelle und Faktor zur Kenntnis zu nehmen“.2 Zeitgeschichte nunmehr auch als Fernsehgeschichte zu schreiben, erscheint mithin ein Gebot der Stunde und vor diesem Hintergrund verdient Andre Decherts Münsteraner Dissertation Dad on TV Aufmerksamkeit und Respekt, denn der Autor verortet seine Studie sehr selbstbewusst in diesem sich entwickelnden Feld.

Dechert nimmt in seiner Monografie drei US-amerikanische Sitcoms aus den 1980er- und 1990er- Jahren in den Blick – „Love, Sidney“ (NBC, 1981–1983), „The Cosby Show“ (NBC, 1984–1992) sowie „Murphy Brown“ (CBS, 1988–1998) – und beleuchtet sie in erster Linie unter familien- sowie geschlechterhistorischen Fragestellungen. Allen drei Comedy-Serien ist gemein, dass sie umfangreiche gesellschaftliche Debatten auslösten (und somit eine Vielzahl von zusätzlichen, weiterführenden Quellen generierten), die der Autor ganz besonders ins Zentrum seiner Analyse stellt: „Ziel ist es, mittels dieser Debatten herauszuarbeiten, wie Familienwerte in den USA in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren zwischen gesellschaftlichen Gruppen ausgehandelt worden sind und wie die jeweils vertretenen Familienwerte an historische Familienwerte anknüpften oder sich von diesen abhoben“ (S. 1). Im Fokus seiner Betrachtungen stehen dabei die in den Serien gezeigten Vaterfiguren, an denen sich, so Decherts Kernthese, die konfliktreichen gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse um Familienwerte, um Sexualität, biologische Verwandtschaft und Fragen entlang von „ethnicity/race“ besonders wirkmächtig entfalten konnten.

Der Autor ordnet seine Arbeit ausdrücklich in zwei Felder der gegenwärtigen zeithistorischen Forschung ein. Hier ist als erstes die historische Wertewandelforschung zu nennen, die in den letzten Jahren nicht zuletzt von Isabel Heinemann und ihrer Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe vorangetrieben wurde, in deren Rahmen auch Dad on TV entstanden ist. Soziale Wandlungsprozesse, so die wesentliche Annahme dieser Forschung, stehen stets in engem Zusammenhang mit einem Wandel von Werten, der sich aber keineswegs linear und konfliktfrei, sondern in Wellenbewegungen und als Ergebnis von machtvollen Kontroversen und Aushandlungsprozessen vollzieht. In diesem Feld erachtet Dechert das Fernsehen insgesamt und Sitcom-Formate insbesondere als lohnende, bislang allerdings noch weitgehend ignorierte Quellen. Deshalb greift er bei seiner Analyse neben der Wertewandelforschung zweitens auf die Historische Rezeptions- und Medienwirkungsforschung zurück. Neben den Arbeiten der bereits angesprochenen Christina von Hodenberg orientiert sich Dechert hier vor allem an den Publikationen der US-Medienhistorikerin Aniko Bodroghkozy, die eine Form der Rezeptionsforschung vorgeschlagen hat, die ein „close reading“ der Fernsehsendungen eng an ein Studium umlaufender Quellen wie Werbung, Presseberichterstattung und Zuschauerbriefe koppelt.3 Entgegen der noch immer vorherrschenden Ansicht, nach der es sich bei Sitcoms um ein konservatives Format handle, das lediglich gesellschaftlichen Konsens widerspiegele, untersucht Dechert die Rezeption der Serien als einen Ausdruck lebhafter Verhandlungen um gesellschaftlichen Wandel und richtet sich dabei am Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit aus, das von der Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Klaus entwickelt wurde (vgl. S. 20–26).4 Neben den TV-Serien selbst sind es mithin in erster Linie Hintergrundberichte in der US-Presse, welche die Quellenbasis der Studie ausmachen.

Dad on TV ist beinahe klassisch gegliedert, was das Buch zum einen sehr zugänglich und gut lesbar, zum anderen aber auch ein wenig vorhersehbar macht. Auf die gründliche Einleitung, in der nicht zuletzt das Öffentlichkeitsmodell von Klaus ausführlich eingeführt und erläutert wird, folgt ein Kapitel mit einer historischen Einführung in den Themenzusammenhang US-Kernfamilie und Vaterschaft. Dechert kann hier auf eine inzwischen durchaus nennenswerte Forschungsliteratur zurückgreifen. Im Wesentlichen chronologisch von den 1950er- bis in die späten 1980er-Jahre hinein strukturiert entfaltet dieser Abschnitt die Entstehung des Ideals der Kernfamilie im Abgleich einerseits mit der deutlich vielfältigeren tatsächlich gelebten Realität und andererseits mit der umfangreichen Kritik, die sich am Ideal entzündete. Diese Kontextualisierung ist an sich souverän gelungen, bleibt aber trotzdem ein wenig unbefriedigend, weil der Autor zu sehr das Risiko scheut, seinen engen Fokus auf Familie und Vaterschaft in den USA nach 1945 um die mannigfaltigen und oft widersprüchlichen umlaufenden Diskurse zu erweitern. Stichworte wie etwa Antikommunismus, politisierte Debatten um (Homo-)Sexualität, Feminismus, Bürgerrechtsbewegung und nicht zuletzt um Medienentwicklung und die Rolle des Fernsehens werden zwar angerissen, bleiben aber oft etwas unscharf und in ihren Interpretationspotenzialen nicht genutzt. Durch eine solche breitere Rahmung wäre die Studie sicher auch bei einem größeren, eher kulturhistorisch ausgerichteten Publikum auf Interesse gestoßen.

Die drei Sitcoms und die mit ihnen verbundenen Debatten stehen im Zentrum der nächsten Kapitel. Den Auftakt macht die Serie „Love, Sidney“, die bereits vor ihrer Ausstrahlung seit 1981 heftige Kontroversen ausgelöst hat, denn mit der Figur Sidney Shorr (gespielt von Tony Randall) trat dort ein schwuler Vater in Erscheinung. Dechert geht in diesem Teil der Frage nach, inwieweit sich in den 1980er-Jahren das Ideal der Kernfamilie für homosexuelle Menschen öffnete bzw. wie sich der Vaterwunsch schwuler Männer im Hinblick auf hegemoniale Familienkonzepte artikulierte; es ging in der Debatte mithin darum, die Bedeutung biologischer Verwandtschaftsverhältnisse als Basis von Familie zu hinterfragen.

Mit der zweiten Serie, „The Cosby Show“, rücken afroamerikanische Familien in den Blick und damit eine Institution, die in den oftmals rassistischen kulturellen Auseinandersetzungen der USA immer wieder als dysfunktional stigmatisiert worden war. Insbesondere afroamerikanischen Vätern haftete der Vorwurf an, sie handelten verantwortungslos gegenüber ihren Familien und trügen daher selbst Schuld für die anhaltende Marginalisierung ihrer Bevölkerungsgruppe. Die Darstellung der Familie Huxtable brach nun sehr deutlich mit diesem tradierten Stereotyp und namentlich Cliff Huxtable (Bill Cosby) konnte und wollte dem Ideal eines fürsorglichen Vaters möglichst nahekommen. Decherts Analyse der Serie sowie der sie begleitenden Presseberichterstattung kann überzeugend zeigen, dass Cosby mit seinem Projekt eine ausdrücklich „edukative Funktion“ erfüllen wollte (S. 108), für die er freilich auch von afroamerikanischen Intellektuellen kritisiert wurde, denen die Huxtables als zu „weiß“ erschienen.

Als drittes Beispiel behandelt der Autor schließlich die Sitcom „Murphy Brown“ und die vom damaligen US-Vizepräsidenten Dan Quayle um sie herum ausgelöste Debatte. „Murphy Brown“ zeigte ab der vierten Staffel eine selbstbewusste alleinerziehende Mutter (gespielt von Candice Bergen) und öffnete die damalige kulturelle Auseinandersetzung um „family values“ in den USA um eine weitere hochkontroverse Variante. Quayles Vorwurf, „Murphy Brown“ negiere die zentrale Bedeutung von Vätern für eine funktionale Familie und damit für ein verantwortungsvolles Aufwachsen von Kindern, avancierte zum Eckpunkt einer breiten Diskussion um die Legitimität alternativer Familienmodelle insgesamt und um unverheiratete, alleinerziehende Mütter im Besonderen.

Decherts Betrachtungen der drei Serien und vor allem der sie begleitenden Debatten sind von großer analytischer Tiefenschärfe gekennzeichnet; die Arbeit erfüllt die Erwartungen, die sie in der Einleitung an sich selbst formuliert hat. Leser und Leserinnen bekommen in den drei Kernkapiteln eine kritische und erhellende Diskussion um Familienideale in den USA im Verlauf der 1980er- und 1990er-Jahre geboten, in der Wandel ebenso wie großes Beharrungsvermögen und auf diese Weise ein produktives Feld gesellschaftlicher Konflikte sichtbar wird. Dad on TV markiert somit einen wertvollen Beitrag zur Familien- und Geschlechtergeschichte dieser Jahre. Etwas zurückhaltender fällt das medienhistorische Fazit aus: Der rezeptionshistorische Schwerpunkt führt leider dazu, dass die Serien als TV-Produktionen und damit das Medium Fernsehen selbst als Triebfeder gesellschaftlicher Prozesse etwas in den Hintergrund rücken. Das ist gerade bei „Love, Sidney“ und „Murphy Brown“ bedauerlich, weil diese beiden Serien im bundesdeutschen Zusammenhang eher weniger geläufig sind.

So kann man festhalten, dass Andre Dechert der eingangs aufgeworfenen Frage von David Greenberg durchaus gerecht wird: Er hat genug ferngesehen und seine Erkenntnisse daraus in eine gewinnbringende Studie fließen lassen.

Anmerkungen:
1 David Greenberg, Do Historians Watch Enough TV? Broadcast News as a Primary Source, in: Claire Bond Potter / Renee C. Romano (Hrsg.), Doing Recent History. On Privacy, Copyright, Video Games, Institutional Review Boards, Activist Scholarship, and History That Talks Back, Athens 2012, S. 185–199.
2 Christina von Hodenberg, Expeditionen in den Methodendschungel. Herausforderungen der Zeitgeschichtsforschung im Fernsehzeitalter, in: Journal of Modern European History 10/1 (2012), S. 24–48, hier S. 24.
3 Aniko Bodroghkozy, Groove Tube. Sixties Television and the Youth Rebellion, Durham 2001; dies., Equal Time. Television and the Civil Rights Movement, Urbana 2012.
4 Vgl. Elisabeth Klaus, Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess und das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit. Rückblick und Ausblick, in: dies. / Ricarda Drüeke (Hrsg.), Öffentlichkeiten und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Theoretische Perspektiven und empirische Befunde, Bielefeld 2017, S. 17–38.