D. Vasko-Juhász: Die Südbahn

Cover
Titel
Die Südbahn. Ihre Kurorte und Hotels


Autor(en)
Vasko-Juhász, Désirée
Erschienen
Anzahl Seiten
415 S.
Preis
€ 57,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dr. Rainer Leitner, Graz

„Der Semmering ist kein Maulwurfshügel“, stellt Johann Gottfried Seume als Wanderer in seinem „Spaziergang nach Syrakus“ bei der Überquerung dieses Alpenpasses im Jahr 1802 fest. Dieser Autor steht gleichsam am Beginn eines Prozesses der ästhetischen Entdeckung einer Landschaft, die von nicht wenigen Menschen nach wie vor hochgeschätzt wird. Der Zerfall der Donaumonarchie und zwei Weltkriege haben die Glanzzeit dieser Region zwar längst beendet, geblieben sind, neben der Erinnerung an die Zeit des Fin de siécle, die verfallenden imposanten Gebäude einstiger Luxushotels, die darauf warten, saniert und revitalisiert zu werden und eine Fülle bemerkenswerter Villenbauten in verschiedenen Stilrichtungen – dies alles in prächtiger Gebirgslandschaft.

Schon der ersten, aus dem Jahr 2006 stammenden Auflage dieses Werkes von Désirée Vasko-Juhász war ein beachtlicher Erfolg beschieden. Den Fokus hierzu hat die Region Rax-Semmering-Schneeberg gebildet, die auch im Zuge der niederösterreichischen Landesausstellung des Jahres 1992 in das Zentrum des Interesses einer breiten Öffentlichkeit gerückt ist.1 Vor allem aber ist es die Landschaft des Semmerings, die in Kombination mit Carl Ghegas Meisterwerk, der Eisenbahnlinie über diesen Alpenpass und den von der Südbahn erbauten palastartigen Hotels der „Belle Epoque“ eine eigentümliche Faszination ausübt und mit welcher der Luftkurort Semmering engstens verbunden ist.

Den Begriff „Landschaftsästhetik“ verdanken wir dem großen Schweizer Kulturtheoretiker Jacob Burkhardt, der in seinem epochalen Werk „Die Kultur der Renaissance in Italien“ den prozesshaften Charakter der Genese des Begriffs „Landschaftsästhetik“ definiert. Dazu sei zu vermerken, dass Landschaft nicht gleich Natur ist, ja in der Natur nicht einmal Landschaften vorkommen, denn ohne Betrachter gibt es keine Landschaft. Als ästhetische Erfahrung der Natur ist Landschaft eine Leistung des Subjekts, ihr Sein ist an dessen Zuwendung gebunden und würde ohne ästhetische Wahrnehmung verlöschen.2

Unter „Natur“ können wir eine menschenleere Landschaft verstehen, „Landschaft“ stellt eine kulturelle Selbstverständlichkeit dar – so verstanden ist „Landschaft“ eine Entdeckung des 18. Jahrhunderts. Nicht dass Menschen vorher die Natur nicht wahrgenommen hätten, aber vor der Neuzeit ist die Natur stets in praktischem oder moralischem Bezug auf den Menschen gesehen worden. Von den Menschen der Antike wurde die umgebende Natur als ein geordnetes Ganzes betrachtet, das keiner besonderen ästhetischen Vermittlung bedurfte. Die umliegende Natur blieb daher dem deutschen Philosophen Joachim Ritter nach „ohne Virulenz“. Erst an der Schwelle zur Neuzeit, als der Mensch begann, sich von der christlichen Verneinung des Diesseits zu befreien, ist der ästhetische Sinn für die Natur erwacht. Unter den Kategorien „Erhabenes“ und „Naturschönes“ findet Landschaft auch Eingang in die romantisch-idealistische Philosophie. Gemeint war mit dem „Erhabenem“ zunächst nur das ambivalente Gefühl aus Lust und Schrecken gegenüber der überwältigenden und fremden Natur, also ein Gegensatz zum Wohlgefallen am schönen Kunstwerk. Die Karriere dieser Begriffe verlief sehr steil: In seiner Theorie des Naturschönen analysiert Kant die Grundlagen der ästhetischen Erfahrung schlechthin, am Muster derselben wurde ein neuer moralisch-ästhetischer Schönheitsbegriff gewonnen, der den klassizistischen zu verdrängen begann. In der Romantik erhielt Landschaft hierauf eine beinahe sakrale Qualität. Als göttliche Sprache, deren geheime Bedeutung es zu entziffern galt, wurde sie nicht nur zum Ort, sondern auch zum Gegenstand religiöser Andacht. Kunst und Literatur erschlossen immer neue Stimmungsräume3 und formten sie zu musikalischen und visionären Landschaften, die topographisch oft nicht fixierbar zu universalen Bedeutungsträgern wurden. In der Biedermeierzeit entwickelte sich das „Wunschbild Land“, das in der Dorfgeschichte seinen Ausdruck fand. Mit der Trivialisierung und Ideologisierung der Natur gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde Natur schließlich zu einer Art Droge, die in wechselnden Zusammensetzungen und Dosierungen als sentimentaler Kitsch oder als politisch aggressive Heimatkunst massenhaft in Umlauf war.

Die Geschichte der Landschaft ist auch jene der Verkehrsmittel. Im Gegensatz zum Wanderer, der sich als „Subjekt der Landschaft“ immer in der Landschaft befand, erlebte sich der Eisenbahnreisende davon getrennt und wie in eine andere Welt entrückt. Die Eisenbahn veränderte die Wahrnehmung, die Welt wurde zur flachen, zweidimensionalen Panoramawelt. Die Verkehrs- und Nachrichtentechnologien haben seitdem eine Kette von „Raumrevolutionen“ ausgelöst und damit die Erfahrungen des Naturraumes umstrukturiert.

Den Kapiteln der Autorin Désirée Vasko-Juhász vorangestellt ist ein einleitender Essay des Kunsthistorikers Mario Schwarz, der eingehend über das „Landschaftskunstwerk Semmeringbahn” reflektiert. Schwarz verweist auf die komplexen Sachverhalte, denen Carl Ritter von Ghega bei Planung und Bau in den 1840er- und 1850er-Jahren ausgeliefert gewesen ist und die er, die Strecke ist bis heute im Vollbetrieb, bravourös gemeistert hat – beginnend mit dem Zweifel, ob es überhaupt möglich sei, eine solche Gebirgsbahn zu realisieren bis hin zu noch fehlenden Dampflokomotiven, die in der Lage waren, die beträchtliche Steigung in alltagstauglicher Hinsicht zu bewältigen. Darüber hinaus geht Schwarz auch auf die Landschaftsgestaltung in Österreich und, ausgehend von England, anderen europäischen Staaten ein.

In der eigentlichen Einführung stellt Désirée Vasko-Juhász die Südbahngesellschaft, die größte Privatunternehmung der Donaumonarchie, in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Mit der Errichtung der Südbahnstrecke – sie bedeutete auch die Verlängern der Nordbahn in die südlichen Regionen der Donaumonarchie von Wien über den Semmering nach Graz und Triest – ist eine Pionierleistung beachtlichen Ausmaßes gelungen. Großen Einfluss auf die Betriebsabwicklung und die Hochbauten nahm Friedrich Julius Schüler, oberster Chef der in französischem Besitz befindlichen Südbahngesellschaft. Das Ergebnis waren neben einer gewinnbringenden Verkehrsleistung normierte und typisierte Bahnbauten, deren renommierteste den Entwürfen des Architekten Wilhelm Ritter von Flattich entstammen.

Die beiden darauffolgenden Kapitel haben internationale Eisenbahnhotels zum Inhalt – beginnend mit Railway-Hotels in England, dem Hotel Coronado in den USA, Hotelbauten der österreichischen Staatsbahnen sowie Schweizer Kur- und Berghotels. Ein eigenes Kapitel widmet Désirée Vasko-Juhász dem ersten Südbahnhotel in Toblach in den Dolomiten, ein weiteres den Hotelanlagen der Südbahn in Abbazzia/Opatija.

Mittelpunkt und ausführlichstes Kapitel des Werkes ist die Gründung des Höhenluftkurortes Semmering durch die Südbahngesellschaft. Désirée Vasko-Juhász beginnt ihre Analyse mit der Zeit der Eroberung der Landschaft vor dem Bahnbau hin zur Entstehung der künstlichen Enklave Semmering am Wolfsbergkogel, der Geburtsstätte des Ortes Semmering. Es entsteht das erste Südbahnhotel, vorgestellt werden auch diverse Architekten, welche die Region durch ihre Bauten bis in die Gegenwart prägen. Neben dem Südbahnhotel entwickeln sich Villenkolonien und Cottages. Einen weiteren Fokus der Betrachtung bilden das Grand Hotel Südbahn, das sich aus dem Vorgängerbau entwickelt wie die Grand Hotels Panhans und Kurhaus sowie weitere bemerkenswerte Hotels und diverse Villenkolonien an unterschiedlichen Ortsteilen. Nicht unerwähnt bleibt eine bereits jüngere Generation von Architekten, welche durch ihre Stilistik gleichfalls prägende Bauten beisteuern. Kontextualisiert wird dieser große Abschnitt mit Unterkapiteln über Prinzipien des Baues von Palasthotels und der Lösung der Schwierigkeit von Zu- und Erweiterungsbauten. Auch auf die Prämissen der Zufriedenstellung einer wohlhabenden und anspruchsvollen Gästeschaft wird hingewiesen – als Beispiele seien nur der Kurpark erwähnt, der Golfplatz und die Meierei, Hallenbäder, Wintersporteinrichtungen, Motorsport etc. Weitere Unterkapitel bilden die devastierenden Vorgänge am Semmering während der Zeit des Zweiten Weltkrieges sowie die Befindlichkeit des Ortes in der Gegenwart.

Désirée Vasko-Juhász Werk stellt einen mit großer Sorgfalt und Umsicht gestalteten bibliophilen Band dar. Intention der Autorin ist es, die Wichtigkeit und Notwendigkeit der im Verfall befindlichen Palasthotels am Semmering und anderen Regionen mit dem Ziel zu betonen, diese einer Erhaltung und Neunutzung zuzuführen. Gemeinsam mit der Bahnstrecke bildet der Semmering wohl ein landschaftliches Gesamtkunstwerk seltener Dimension, das es verdient, neu belebt zu werden – die Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe ist bereits erfolgt.

Auch in wissenschaftlicher Hinsicht stellt das Buch eine beachtliche und notwendige Pionierleistung dar. Es versammelt erstmals alle bedeutenden historischen Bauten des Luftkurortes, deren Architekten wie die Geschichte der örtlichen Architektur und bettet sie ein in den jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Zusammenhang. Gute und schlechte Zeiten sind über den Semmering hinweggegangen. Was ist geblieben vom einstigen Glanz – Erinnerung, Sehnsucht? Möge dieses Werk weiterhin helfen, das Bewusstsein für diese bemerkenswerte Region anzuregen, nicht zuletzt, um das eine oder andere verfallende Palasthotel aus seinem Dämmerschlaf zu wecken.

Anmerkungen:
1 Wolfgang Kos (Hrsg.), Die Eroberung der Landschaft. Semmering-Rax-Schneeberg. Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung 1992, Wien 1992.
2 Joachim Ritter, Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft, in: ders., Subjektivität. sechs Aufsätze, Frankfurt am Main 1974, S. 151ff.
3 Gerárd Raulet, Natur und Ornament. Zur Erzeugung von Heimat, Darmstadt-Neuwied 1967.

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