B. Lemke u. a. (Hrsg.): Kommandoeinsatz der Wehrmacht im Nordirak 1943

Cover
Titel
Unternehmen Mammut. Ein Kommandoeinsatz der Wehrmacht im Nordirak 1943


Herausgeber
Lemke, Bernd; Rosbeiani, Phersed
Reihe
Cognoscere Historias 26
Erschienen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jobst Knigge, Hamburg

Kurz vor Hitlers Einmarsch in die UdSSR erhob sich die nationalistische Regierung des Irak im Mai 1941 gegen die Briten, die das ölreiche Land de facto kontrollierten. Deutschland sandte zur Unterstützung ein paar Staffeln Flugzeuge und lieferte eine beschränkte Zahl von Waffen. Hitler war völlig auf die Vorbereitung von „Barbarossa“ konzentriert, und die Rebellion kam ihm zur Unzeit. Gegen die britische Übermacht musste der Aufstand schnell scheitern, der ganze Irak und auch Syrien wurden von britischen Truppen besetzt und Regierungschef Raschid Ali al-Gailani floh nach Deutschland ins Exil.

Eineinhalb Jahre später, im Spätherbst 1942, startete die Initiative für ein zweites Eingreifen im Irak. Kommandotrupps sollten in den Nordirak abgesetzt werden, dort Kontakt zu kurdischen Stämmen aufnehmen, sie zur Rebellion gegen die Briten anstacheln und mit Waffen ausrüsten. Gleichzeitig sollten die Kommandos den deutschen Einmarsch über den Kaukasus vorbereiten und verhindern, dass die Briten die vor allem im Gebiet von Kirkuk und Mossul konzentrierten reichen Ölquellen zerstören. Der irakisch-kurdische Historiker Pherset Rosbeiani hat 2011 dieses Thema in einer Dissertation behandelt, die an der Humboldt Universität erschien.1 Nun folgt als Ergänzung eine Quellensammlung, die Rosbeiani zusammen mit dem Historiker Bernd Lemke herausgegeben hat. Allein aus dem Titel geht jedoch nicht hervor, dass es sich vor allem um Dokumente handelt. Der Band ist aufgegliedert in eine 25 Seiten lange Einführung und rund 160 Seiten Dokumente. Die meisten von diesen stammen aus erst in letzter Zeit aus britischen Archiven freigegebenen Verhörprotollen der festgenommenen deutschen Agenten.

Das einzig Interessante an diesem eigentlich völlig unbedeutenden und aussichtslosen Unternehmen ist der Dilettantismus der von Canaris‘ „Abwehr II“ geplanten und ausgeführten Aktion. Da steht an erster Stelle der verfehlte Zeitpunkt. Als die Planungen im Dezember 1942 starteten, war der deutsche Vormarsch in den Kaukasus ins Stocken geraten und die 6. Armee bei Stalingrad eingeschlossen. Gleichzeitig war Rommel bei El Alamein geschlagen. Der Höhepunkt der deutschen Gebietsausdehnung war überschritten. Von nun an gab es für die deutschen Armeen nur noch den Rückzug.2 Dennoch liefen die Vorbereitungen für das Unternehmen „Mammut“ weiter. Drei kleine Kommandotrupps wurden ausgesucht und begannen ihr Training, darunter auch Unterricht in Sprache, Sitten und Gebräuchen der Kurden. Ein kurdischer Student wurde angeworben, der die erste Kommandogruppe in das Gebiet seiner Familie führen und Kontakte zu Stammesführern herstellen sollte. Der Leiter des Unternehmens war Leutnant Gottfried Johannes Müller, der in den 1930er-Jahren eine Reise ins Kurdengebiet unternommen und dabei auch Kontakt zu Scheich Mahmud Barzinji aufgenommen hatte.3

Der Stammesführer hatte bis 1931 einen Kleinkrieg gegen die Briten geführt. Müller rechnete damit, dass Mahmud Barzinji erneut eine Rebellion führen könnte, und so wurde das Unternehmen verballhornt „Mammut“ getauft. Aber Müllers Informationen waren 1943 veraltet. Barzinji hatte sich inzwischen ins Privatleben zurückgezogen. Die Agentengruppe holte sich weitere Informationen aus Büchern und von deutschen Wissenschaftlern der Orientalistik. Man sah die Kurden als arisches, indogermanisches, besonders deutschfreundliches Volk. Der britische Geheimdienst stellte nach ausführlichen Verhören der schnell festgenommenen Gruppe fest: „Das Unternehmen begann gewissermaßen ohne wirkliches Wissen über die Region. […] Man stellte sich die Kurden als unzufriedene Minderheit vor, die bereit war, jeden Feind der Briten, der mit Geschenken und Waffen auftauchte, willkommen zu heißen.“

Mitte Juni 1943 war es endlich soweit. Ziel der Mission sollte zwar immer noch die Aufwiegelung der Kurden sein, daneben aber auch Spionage und Sabotage. Die kleine Gruppe aus drei Offizieren mit dem kurdischen V-Mann flog zuerst auf die Krim und von dort in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni ins Zielgebiet im Nordirak. Dann ging aber alles schief. Die Männer sprangen rund 200 Kilometer entfernt von dem ursprünglich gewählten Gebiet um Mossul ab. Die Kisten mit ihrer Ausrüstung und den beiden Funkgeräten gingen verloren. Die Fallschirme und die Kisten wurden von Ortsbewohnern gefunden, die unverzüglich die örtliche Polizei informierten, die wiederum die Briten verständigte. Mehrere Tage irrten Müller und seine Leute durch die Gegend, bis sie am 29. Juni festgenommen wurden. Bereitwillig sagten alle vier in den Verhören in Bagdad und Kairo aus, um ihren Kopf zu retten. Die Briten erhielten ein ausführliches Bild nicht nur des Unternehmens, sondern auch der Strukturen der Abwehr. Die Briten sprachen sicher übertreibend von „einer Operation, die den britischen Nachrichtendienst mit mehr neuen und aktuellen Informationen bezüglich Methoden und Organisation des Feindes versorgt hat, als jeder andere Spionagefall seit Kriegsbeginn“. Die in dem Buch vorgelegten Dokumente betreffen vor allem die einzelnen Verhöre von den vier Mitgliedern des Unternehmens und überschneiden und wiederholen sich häufig. Insgesamt muss man feststellen, dass viel Forschungs- und Publikationsaktivität in ein Thema gesteckt wurde, das nur ein winziges, wenig bedeutendes Rad in der großen Maschinerie des Zweiten Weltkrieges war.

Anmerkungen:
1 Pherset Rosbeiani, Das Unternehmen „Mammut“. Ein politisch-militärisches Geheimdienstunternehmen in Südkurdistan in den Jahren 1942/43 und seine Vorgeschichte, Berlin 2011, URL: https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/17192/rosbeiani.pdf?sequence=1&isAllowed=yed=y (26.11.2018).
2 Jobst Knigge, Deutsche Kriegsziel Irak. Der deutsche Griff auf den Nahen Osten im Zweiten Weltkrieg: Über Kaukasus und Kairo zum Öl des Orients. Pläne und Wirklichkeit, Hamburg 2007. In dieser Studie konnte das Unternehmen „Mammut“ noch nicht berücksichtigt werden.
3 Gottfried Johannes Müller, Einbruch ins verschlossene Kurdestan, Reutlingen 1937. 2005 erschien in Saarbrücken eine neue Auflage des Buches.

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