A. Teller: Money, Power, and Influence

Titel
Money, Power, and Influence in Eighteenth-Century Lithuania. The Jews on the Radziwiłł Estates


Autor(en)
Teller, Adam
Erschienen
Anzahl Seiten
328 p.
Preis
€ 55,50, $ 70.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Czakai, Franz Rosenzweig Minerva Research Center, Hebrew University Jerusalem

Zu den vielen faszinierenden Aspekten jüdischer Geschichte im 18. Jahrhundert zählt die wechselvolle ökonomische Beziehung zwischen Juden und Großgrundbesitzern im Königreich Polen-Litauen. Zum Zeitpunkt der polnischen Teilungen dominierten jüdische Unternehmer fast das gesamte Wirtschaftssystem, besonders in der Alkoholproduktion und -distribution. Wie genau diese Entwicklung im ländlich geprägten litauischen Landesteil der Adelsrepublik vonstattenging, beschreibt – aufbauend auf seiner Dissertation – der britisch-israelische Historiker Adam Teller in seinem ursprünglich bereits 2006 auf Hebräisch veröffentlichten Werk „Kesef, koaḥ ṿe-hashpaʿah“1, das nun auch endlich in einer überarbeiteten englischen Übersetzung vorliegt.

Teller gehört zu einer Generation von Historikern, die seit den 1990er-Jahren die polnisch-jüdische Geschichte der Frühneuzeit in ambitionierten und akribischen Monographien neu überprüfen. So erinnert Tellers Untersuchungsgegenstand zunächst stark an Moshe Rosmans einflussreiches Werk „The Lords‘ Jews“ von 19902 oder auch an andere wegweisende Fallstudien, wie etwa Gershon Hunderts Arbeit zu Opatów.3 Wie diese wählt auch Teller das Territorium (Latifundium) einer der großen Magnatenfamilien, in diesem Fall die mächtigen Radziwiłłs, deren umfangreiche Hausarchive größtenteils im Archiwum Główne Akt Dawnych in Warschau überliefert sind und somit einen unermesslichen Quellenfundus bieten. Gleichzeitig grenzt sich Teller jedoch bewusst von Rosman ab, indem er die Beziehung zwischen Juden und Magnaten nicht als gleichberechtigt und symbiotisch charakterisiert. Stattdessen macht er klar, dass – trotz einer „commonality of economic interests with the nobility“ (S. 172) – der Magnat der uneingeschränkte Fixpunkt des feudalen Systems war und die Juden nur als eine von mehreren verschiedenen Gruppen innerhalb dieses Systems funktionierten, wobei ihr Handlungsradius begrenzt war.

Teller stellt zunächst die verschiedenen Wirtschaftszweige innerhalb dieses Systems dar und analysiert im Folgenden, in welchem Maße Juden in ihnen eingebunden waren. Dabei handelte es sich um die direkte Administration des Latifundiums, die Verpachtung der Einkommen ganzer Herrschaften (Generalarenda) sowie die sekundäre Verpachtung einzelner Monopole (Arenda), wie etwa Alkoholproduktion, Schankgewerbe, Mühlen, Brücken und Zölle. Des Weiteren geht er auf die vielen verschiedenen Handelszweige sowie auf den Unterschied zwischen Stadt und Land ein. Er kommt zu dem Schluss, dass die wirtschaftliche Aktivität der Juden die Grundlage für den Reichtum der Adelsfamilie war, weswegen diese seit dem 17. Jahrhundert verstärkt jüdische Ansiedlung auf ihren Gütern forcierte. Das Anwachsen der jüdischen Bevölkerung im Nordosten der Adelsrepublik ist demnach eine direkte Folge dieser ökonomisch motivierten Politik.

Obwohl die direkte Verwaltung der Radziwiłłschen Güter fast ausschließlich zweitrangigen Adelsfamilien vorbehalten war, die durch diese Rolle soziales Prestige erwerben konnten und im Gegenzug die Familie politisch unterstützten, waren auch hier Juden tätig. Teller zeichnet minutiös nach, wie es den Brüdern Gdal und Szmojło Ickowicz gelang, innerhalb mehrerer Jahrzehnte eine außergewöhnliche Machtfülle und Einfluss zu akkumulieren, die etwa den Hofjuden Mitteleuropas entsprachen. Dass diese Macht nicht uneingeschränkt war und immer vom Gutdünken der Magnaten abhing, beweist ihr plötzlicher und gewaltsamer Niedergang.

Doch diese Episode stellt eine rare Ausnahme dar. In der Regel waren Juden als Pächter der Generalarenda oder als sekundäre Arendatoren tätig; die wenigsten hatten überhaupt direkten Kontakt zum Magnaten. In dieser Eigenschaft passten Juden perfekt in das polnisch-litauische Wirtschaftssystem, das ganz und gar auf eine Gewinnmaximierung des Latifundiums ausgerichtet war. Als Verwalter, Pächter, Schnapsbrenner, Schänker und Händler trugen sie Sorge dafür, dass alle Produkte des Latifundiums, also besonders Getreide, in Geld verwandelt wurden – vor allem in Form von lokal verkauftem Alkohol, aber auch im internationalen Export.

Trotz Tellers Feststellung, dass die Rolle der Juden im Wirtschaftssystem der polnischen Adelsrepublik in der älteren marxistisch dominierten Geschichtsschreibung lange unterschätzt wurde, ist die jüdische Dominanz im Arenda-System schon lange unumstritten. Innovativ ist eher, welche weiterführenden Fragen Teller aus diesem System ableitet, allen voran die Frage, warum ausgerechnet Juden so erfolgreich in diesem System funktionierten. Neben den gängigen Thesen von familiär überlieferter jüdischer Geschäftserfahrung, Literalität, größerer Risikobereitschaft und Innovationsfreudigkeit benennt er zudem die einmalige historische Konstellation von Verfall der zentralen Königsmacht, Aufstieg der Großgrundbesitzer, deren Abneigung gegenüber der städtisch-christlichen Kaufmannschaft sowie verheerenden Kriegen, die das 17. Jahrhundert prägten. In diesem Klima gelang es jüdischen Unternehmern, Nischen zu besetzen und auszubauen, und sie teilweise so weit zu einer „ethnic economy“ (S. 193) zu monopolisieren, dass in manchen Städten alle Händler Juden waren. Dabei konnten sie sich in der Regel auf den Schutz der Adelsfamilie verlassen. Der Erfolg jüdischer Unternehmer innerhalb dieser „extraordinary success story“ (S. 187) verweist also besonders auf deren Bereitschaft, sich den stetig ändernden Bedingungen rasch anzupassen.

Gleichzeitig weist Teller nach, wie sehr das Wirtschaftssystem bis tief in die jüdische Gesellschaft hineinwirkte, etwa in die Institutionen jüdischer Selbstverwaltung. Wirtschaftlicher Erfolg führte zu ökonomischem und sozialem „empowerment“ einzelner Unternehmer, während die Radziwiłłs ihrerseits versuchten, größtmöglichen Einfluss auf die Gemeinden zu nehmen. Dadurch, dass religiöse, politische und soziale Autorität immer stärker an die Herrschaft des Magnaten gebunden waren, wurden traditionelle Strukturen untergraben, was nicht zuletzt maßgeblich zur Krise jüdischer Eliten im 18. Jahrhundert beitrug. So ist die „success story“ eine Geschichte mit zwei Gesichtern. Da ihre Stellung sie vielerorts zu den lokalen Bevollmächtigten und Exekutoren des Magnaten machten, sie in ihrer Autorität teilweise gar über Adel und Klerus standen, wurden Juden zudem Zielscheiben jedweden Unmuts und Aufbegehrens innerhalb dieses despotischen Systems. Obwohl die offene Judenfeindschaft oft religiös begründet wurde, war sie, so Teller, meistens wirtschaftlich motiviert. Doch Juden hatten dieses System nicht geschaffen, sie navigierten lediglich sehr erfolgreich darin. Vielerorts waren Juden zudem als Arendatoren und Schänker unverzichtbare Bindeglieder zwischen Adel, Bürgern und Bauern, während es mitunter Städte gab, die sich aktiv für jüdische Handelstätigkeit einsetzten.

Ebenfalls in Abgrenzung zu früheren Arbeiten zieht Teller somit mit seiner Monographie bewusst keinen Vergleich zu kapitalistischen Produktionsweisen und degradiert das polnisch-litauische Wirtschaftssystem nicht auf eine eindimensionale und teleologische Charakterisierung als „protokapitalistisch“ (S. 171). Viel eher begreift er es als völlig eigenes Wirtschaftssystem mit seiner eigenen Logik. Sein wirtschaftsgeschichtlicher Ansatz zielt somit darauf ab, ohne ideologische Brille das ökonomische Verhalten von Personen in einem bestimmten historischen Kontext darzustellen und spezifisch zu klären, welche Rolle Juden in diesem Wirtschaftsleben spielten.

Doch Tellers Studie hat auch klar eine politische Dimension. Als Untersuchungszeitraum dienen ihm die Jahre 1689-1764, die mit dem ökonomischen und politischen Aufstieg der Familie Radziwiłł einhergehen. Inwiefern, so Tellers Fragestellung, haben Juden zu diesem Aufstieg beigetragen? Die Präsenz jüdischer Unternehmer führte in allen Wirtschaftszweigen der Radziwiłłschen Güter zu einer außerordentlichen Gewinnsteigerung und einem wirtschaftlich prosperierenden Latifundium. Da der Machtgewinn der Familie in erster Linie durch Landzuwachs und Geldakkumulation zustande kam, schlussfolgert er, dass die Ansiedlungspolitik der Magnatenfamilie sowie die jüdische Wirtschaftstätigkeit als „key factors in the family‘s return to greatness“ (S. 198) bezeichnet werden können. Jüdische Unternehmer, in ihrem Streben, diese Vorgaben bestmöglich zu erfüllen und den ökonomischen Interessen der Magnatenfamilie zu entsprechen, wurden für diese unverzichtbar und genossen in der Regel ihren Schutz.

Tellers Buch ist eine scharfsinnige Studie, die auf hervorragender Quellenarbeit basiert und betont knapp und prägnant gehalten ist. Durch diese Nüchternheit und den selbst auferlegten Fokus auf die Akten des Radziwiłłschen Hausarchivs vermisst man bisweilen die jüdische Perspektive, wie sie etwa bei Hundert stärker vertreten ist. Dennoch untermauert er bereits Bekanntes mit neuem, reichhaltigen Quellenmaterial und erweitert die historische Perspektive auf den bislang eher vernachlässigten litauischen Landesteil. Zudem gelingt es ihm, das lokale Narrativ in die generelle Wirtschaftsgeschichte einzubinden. Sein Buch ist daher nicht nur von Interesse für Forschende innerhalb der Jüdischen Studien, sondern zudem ein Muss für alle, die sich mit frühneuzeitlicher Ökonomie sowie der Geschichte der polnisch-litauischen Adelsrepublik beschäftigen.

Anmerkungen:
1 Adam Teller, Kesef, koaḥ ṿe-hashpaʿah: ha-Yehudim be-ʾaḥuzot Bet Radz'iṿil be-Liṭa be-meʾah ha-18, Jerusalem 2006.
2 Moshe Rosman, The Lords‘ Jews: Magnate-Jewish Relations in the Polish-Lithuanian Commonwealth During the Eighteenth Century, Cambridge, Mass. 1990.
3 Gershon David Hundert, The Jews in a Polish Private Town: The Case of Opatów in the Eighteenth Century, Baltimore 1992.

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