Titel
Edgar Julius Jung, Right-Wing Enemy of the Nazis. A Political Biography


Autor(en)
Magub, Roshan
Erschienen
Rochester 2017: Camden House
Anzahl Seiten
VIII, 296 S.
Preis
€ 89,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hubert Seliger, Augsburg

Edgar Jung als wichtiger Kopf der sogenannten „Konservativen Revolution“ ist für Forscher der Weimarer Republik und des Rechtskonservativismus in Deutschland keineswegs ein Unbekannter. Jungs politische Ansichten wurden bereits in Arbeiten zur „Konservativen Revolution“ behandelt, und seine Aktivitäten in der Bayerischen Pfalz waren ebenfalls schon Gegenstand etwa der bayerischen Landesgeschichtsforschung.1 Gleichwohl schließt Roshan Magub mit ihrer Gesamtdarstellung, die auf ihre 2011 an der Birkbeck University of London angenommene Dissertation zurückgeht, ein Desiderat der Forschung.

Aufgrund der schlechten Quellenlage kann Magub, die sich hauptsächlich auf Jungs Nachlass stützt, nur wenige gefestigte Informationen über dessen frühe Jahre und seine Tätigkeit im Ersten Weltkrieg präsentieren. Die von Jung später publizierten Hinweise auf seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg sind im Hinblick auf seine politischen Zielsetzungen mit Vorsicht zu behandeln. Dichter wird die Studie hingegen bei der Behandlung von Jungs politischer Aktivität in der Bayerischen Pfalz. Magub beschreibt seine Tätigkeit als ambitionierter Geschäftsführer der Deutschen Volkspartei in der Pfalz, der sich nach seinem Scheitern als Parteipolitiker elitären Clubs und der politischen Schriftstellerei zuwandte. Detailliert zeichnet Magub Jungs Tätigkeit in einer von ihm geleiteten Widerstandsgruppe gegen die französische Besatzung in der Pfalz nach und untersucht seine Rolle bei der Ermordung des pfälzischen Separatistenführers Franz Josef Heinz-Orbis. Obwohl Magub nur wenige neue Erkenntnisse zur Ermordung von Heinz-Orbis bietet, gelingt ihr eine abwägende Darstellung der Ereignisse. Sie betont, dass der Pfalz-Separatismus nicht die Folge eines von Frankreich gestützten politischen „Abenteuertums“ war, sondern vielmehr auf schwere ökonomische Verwerfungen zurückzuführen sei. Magub relativiert Jungs spätere Selbststilisierung zum Alleinverantwortlichen für die Mordtat und zeigt anhand britischer Quellen des Foreign Office (französische Quellen wurden von Magub nicht berücksichtigt), dass – anders als von Jung behauptet – nicht das Attentat, sondern britischer Druck auf Frankreich und die verbesserte ökonomische Lage den Pfälzischen Separatismus beendeten.

Sehr gut gelingt Magub die Nachzeichnung der Genese der beiden Auflagen von Jungs Hauptwerk Die Herrschaft der Minderwertigen, welches die Herrschaft einer geistig und moralisch erneuerten Elite in einem an das Mittelalter angelehnten korporatistischen Staat forderte. Magub kann belegen, dass Jung in enger finanzieller Verbindung mit Ruhrindustriellen wie Paul Reusch stand, was sich besonders auf die Gestaltung der Kapitel über die Wirtschaft auswirkte. Erheblichen Einfluss auf das Kapitel über die Außenpolitik wiederum hatte Christian von Loesch, Leiter des Deutschen Schutzbundes für das Grenz- und Auslandsdeutschtum.

Große Aufmerksamkeit widmet Magub der wichtigen letzten Phase von Jungs Leben, die durch seine Mitwirkung in der konservativen Opposition gegen das NS-Regime gekennzeichnet ist und schließlich zu seiner Ermordung im Zuge des sogenannten „Röhm-Putsches“ führt. Jung habe laut Magub schon früh schlechte Erfahrungen mit Hitler gemacht, als dieser jegliche Hilfe für den „Pfalzkampf“ abgelehnt hatte. Neben diesem persönlichen Erlebnis gab es nach Magub – dem gemeinsamen Ziel, die Weimarer Republik zu zerstören, zum Trotz – unüberwindbare ideologische Trennlinien, sah doch Jung im Nationalsozialismus nur eine Abart des ihm verhassten Liberalismus, der zur Massenherrschaft geführt habe. Jung, der darin laut Magub nicht zuletzt eine Chance für seine eigenen politischen Ambitionen und Ziele sah, schloss sich einer Gruppe konservativer Nazi-Gegner im Büro des Stellvertreters des Reichskanzlers an, bei deren Betrachtung Magub leider Rainer Orths wichtige Studie von 2016 nicht berücksichtigt hat.2 Zwar verwarf Jung Pläne zur Beseitigung Hitlers durch ein Attentat, trat aber mit verschiedenen kritischen Schriften gegen das NS-Regime hervor, insbesondere mit der bekannten, von ihm verfassten Marburger Rede Franz von Papens vom 17. Juni 1934. Magub analysiert die Bedeutung der Rede und zeigt die nur teilweise erfolgreichen Versuche des NS-Regimes, deren Verbreitung zu unterdrücken. Zugleich zeigt Magub aber auch, dass Jung die Reaktion des NS-Regimes auf die Rede unter- und die Möglichkeit, Hitler über Reichspräsident Hindenburg und die Reichswehr zu entmachten, vollkommen überschätzt hatte. Hervorzuheben ist Magubs Beobachtung, dass sich mehrere Mitglieder des von Jung gegründeten oppositionellen „Deisenhofer Kreises“ der Freiheitsaktion Bayern anschlossen, so etwa deren späterer Leiter, der Jurastudent Rupprecht Gerngross.3

Soweit Magub in ihrer Studie den politischen Denker Jung betrachtet, gelingt ihr eine kritische und abwägende Beurteilung eines ambivalenten Charakters. Jung scheiterte, wie Magub überzeugend aufzeigt, an seinem elitären Verständnis von Politik, die er exklusiven Zirkeln und Clubs vorbehalten wollte, ohne dabei den Anforderungen der modernen Massengesellschaft Rechnung zu tragen. Hinzu kamen eine schwierige, äußerst ehrgeizige Persönlichkeit und nicht zuletzt ein hoher Abstraktionsgrad seines Denkens, das sogar politische Mitstreiter überforderte.

Zwar wendet sich Magub auf den letzten zwei Seiten ihres Buches im Anschluss an den Historiker Klaus-Jürgen Müller gegen ein zu vereinfachtes Verständnis des Widerstandsbegriffs und sieht bei Jung neben moralisch-ethischen Erwägungen vor allem sein Machtstreben als Triebfeder seines Kampfes gegen Hitler an. Dennoch wäre eine stärkere Reflexion über den vielschichtigen Begriff „Widerstand“, insbesondere im Vergleich mit anderen rechtskonservativen Regimegegnern, wie etwa Ernst Niekisch, wünschenswert gewesen. Auch bleibt Magub eine angemessene Erklärung für das bisherige „ungerechtfertigte“ (S. 232) Vergessen Jungs in der Forschung schuldig. Dass Jungs „staunch antirepublican stance“ laut Magub nicht in die liberalere Haltung der 1960er-Jahre in Deutschland gepasst hätte (S. 4), ist als Erklärung sicher nicht ausreichend. Vielmehr dürfte es Jungs Vergangenheit als politischer Attentäter, Frankreichgegner und Verfechter einer Elite der „Höherwertigen“ erheblich erschwert haben, seinen Widerstand als Teil des „anderen Deutschlands“ im Rahmen der bundesdeutschen Vergangenheitspolitik anzuerkennen.

Bedauerlich ist zudem, dass Magub Jungs zugegebenermaßen wohl nicht allzu umfangreiche anwaltliche Tätigkeit mit wenigen Sätzen übergeht (S. 79). Jungs Kanzlei – der bis zu seinem Gang ins Exil auch der jüdische „Pfalzkämpfer“ Dr. Hans Schnitzlein angehört hatte – vertrat in verschiedenen politisch beeinflussten Beleidigungsprozessen in München einschlägige Namen wie die Schriftsteller Wilhelm Stapel und Rudolf Borchardt, den Verleger Gustav Pezold oder auch Jung selbst. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Kanzlei jedenfalls in einem gewissen Umfang Anlaufstelle für eine rechtskonservative Klientel war.4

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass Magub mit ihrer Studie über Edgar Jung einen wichtigen Beitrag zur Person hinter dem politischen Schriftsteller vorgelegt hat. Das letzte Wort über Jung dürfte aber mit dieser Arbeit noch nicht gesprochen sein.

Anmerkungen:
1 Als immer noch maßgebliche Auseinandersetzung mit dem problematischen Begriff der „Konservativen Revolution“ vgl. Stefan Breuer, Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1993. Zum Pfalz-Separatismus vgl. das Standardwerk von Gerhard Gräber / Matthias Spindler, Die Pfalzbefreier. Volkes Zorn und Staatsgewalt im bewaffneten Kampf gegen den pfälzischen Separatismus 1923/24, Ludwigshafen am Rhein 2005.
2 Rainer Orth, „Der Amtssitz der Opposition?“ Politik und Staatsumbaupläne im Büro des Stellvertreters des Reichskanzlers in den Jahren 1933–1934, Wien 2016.
3 Über Jungs ehemaligen Sozius Leibrecht gab es auch Verbindungen zum Widerstandskreis um Franz Sperr, vgl. Hubert Seliger, Ein Augsburger Widerstandskämpfer und Rechtsanwalt. Dr. Franz Reisert, in: Arnd Koch / Herbert Veh (Hrsg.), Vor 70 Jahren – Stunde Null für die Justiz? Die Augsburger Justiz und das NS-Unrecht, Baden-Baden 2017, S. 169f. Zum „Sperr-Kreis“ vgl. Manuel Limbach, Bürger gegen Hitler. Vorgeschichte, Aufbau und Wirken des bayerischen „Sperr-Kreises“, Göttingen 2019.
4 Douglas Morris, Justice imperiled. The Anti-Nazi Lawyer Max Hirschberg in Weimar Germany, Ann Arbor 2005, S. 398f. Zu Borchardt vgl. Archiv für Geschichte des Buchwesens 32 (1956), S. 106–108, zu Schnitzlein siehe Reinhard Weber, Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933, München 2006, S. 256. Auch in anderen Fragen zur juristischen Tätigkeit zeigt die Arbeit gewisse Schwächen. So konstatiert Magub, dass es aufgrund des heute in Deutschland gebräuchlichen Notensystems von 18 Punkten in juristischen Prüfungen „difficult to determine“ (S. 20) sei, „what level of achivement ‘Note 68‘ [Jungs Ergebnis in der Assessorprüfung] signifies.“ Gemäß der auch noch für die 1920er-Jahre in Bayern einschlägigen Prüfungsordnung handelt es sich um ein „gut“, vgl. Verordnung über die Vorbedingungen für den höheren Justiz- und Verwaltungsdienst, in: GVBl. 1910, S. 1003. Zur auch von Zeitgenossen als komplex erachteten Notengebung in Bayern während des Kaiserreichs vgl. den Exkurs zu den juristischen Examensnoten in Bayern bei German Penzholz, Beliebt und gefürchtet. Die bayerischen Landräte im Dritten Reich, Baden-Baden 2016, S. 402–411.

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