Cover
Titel
The Celestine Monks of France, c.1350–1450. Observant Reform in an Age of Schism, Council and War


Autor(en)
L.J. Shaw, Robert
Reihe
Church, Faith and Culture in the Medieval West
Erschienen
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 105,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Friedrich, Deutsches Historisches Institut Paris (DHIP) / Institut historique allemand de Paris

Robert Shaw, Autor des zu rezensierenden Bandes, eröffnet seinen Epilog mit einer Beobachtung zu den materiellen Überresten französischer Cölestinerklöster, die von den Entwicklungen und Wirrnissen ihrer Zeit zeugen. Das Grabmal der Anne de Bourgogne, Herzogin von Bedford in der Pariser Cölestinerkirche von 1436/37 zeigt neben der Verstorbenen zwei Trauernde, ihren Bruder Philipp den Guten von Burgund und ihren Mann, den Herzog von Bedford und erinnert so an die anglo-burgundische Allianz zu einem Zeitpunkt, als diese bereits Geschichte war. Karl VII. von Frankreich wiederum setzte den Plan seines Widersachers John of Bedford, ein Cölestinerkloster in Rouen zu errichten, nach der Rückeroberung der Stadt fort. Die Niederlassung in Avignon wurde noch lange nach Ende des Abendländischen Schismas mit Clemens VII., einem für schismatisch erklärten Papst, assoziiert. Die Verbindungen der Cölestiner zu den Mächtigen ihrer Zeit spiegeln sich aber nicht nur in der Materialität ihrer Konvente, sondern auf vielen anderen Ebenen, die ihrerseits im Zentrum dieses Buches stehen.

Die Cölestiner, ein benediktinischer Reformorden italienischen Ursprungs, wurden von Philipp IV. um 1300 nach Frankreich geholt und bekamen 1380 – mit Ausbruch des Schismas – das Recht zur Selbstverwaltung und Unabhängigkeit vom italienischen Generalabt zugesprochen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie sich bereits vom eremitischen Charakter der italienischen Ursprünge entfernt und seit 1350 ein starkes Wachstum in Frankreich, Lothringen und dem Comtat Venaissin erfahren. Im Unterschied zu Italien fanden sich die französischen Niederlassungen vermehrt in urbanen Räumen wieder und unterhielten enge Beziehungen zu Herrschern, Adligen, Kirchenfürsten, aber auch den Bürgerschaften der Städte. In der Forschung wurde den Cölestinern bislang wenig Aufmerksamkeit zuteil – eine „grave injustice“, wie Shaw zu Recht feststellt – sodass das vorzustellende Buch die erste Monographie seit Karl Borchardts Standardwerk von 2006 ist.1 An Borchardt anknüpfend unternimmt Shaw eine Analyse der französischen Cölestiner mit dem Ziel, herauszuarbeiten, inwiefern eine spätmittelalterliche monastische Reformbewegung ihr soziokulturelles Umfeld prägte und von diesem geprägt wurde. Die wichtigsten Ereignisse verrät bereits der Titel: Observanz auf der Seite des Ordens und Schisma, Krieg und Konzil auf Seiten der Gesellschaft, wobei Shaw dafür plädiert, das Verhältnis beider Sphären als Konversation im Kontext der jeweiligen Zeit zu verstehen. Spätmittelalterliche Klostergeschichte sei viel zu häufig im Wissen um die kommende Reformation als eine Geschichte des Verfalls erzählt worden, eine Sichtweise, die mit der zeitgenössischen Wahrnehmung nur schwer zu vereinbaren sei.

Der Band gliedert sich in zwei Hauptteile. Teil I („The French Celestines in their world“) widmet sich der internen Entwicklung des französischen Ordenszweiges, übergeht dabei aber nicht den gesellschaftlichen Einfluss auf diese Entwicklungen. Teil II („The world of the French Celestines“) fokussiert stärker auf den Bezug zur Welt und den Einfluss, den die Cölestiner auf die französische Gesellschaft des Spätmittelalters ausübten.

Der erste Teil beginnt mit einer Untersuchung der Vita des Jean Bassand, als Repräsentation eines cölestinischen Idealbilds zum Zeitpunkt ihres größten Einflusses in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Kapitel 2 nimmt die Entwicklung der Constitutiones in den Blick, die laut Shaw das Wechselspiel der Cölestiner zwischen Welt und Askese spiegeln, zwischen Beeinflussung durch die Welt und Abgrenzung von dieser in Verbindung mit einem starken Glauben an feste Regeln und Gesetze. Daraus haben sich zwangsläufig Fragen von Macht und Herrschaft ergeben, die trotz der Anforderungen von Bescheidenheit zur Herausbildung einer „oligarchical authority“ (S. 114) führten. Kapitel 3 widmet sich der Frage nach der praktischen Umsetzung der strengen Askesevorgaben und den damit einhergehenden spirituellen und moralischen Problemen. Shaw verdeutlicht dies z.B. an Menschen, die den Orden verließen, weil sie die „austerity of the religion“ (S. 121) nicht tragen konnten. Auch auf theoretischer Ebene sieht Shaw bei diesem Thema eine bedeutende Rolle der Cölestiner, insbesondere Pierre Pocquets, den er als Vordenker späterer Observanzbewegungen wie der franziskanischen heraushebt.

Teil II rückt zunächst Stiftungen und Stifter/innen in den Mittelpunkt und thematisiert die Schwierigkeiten, die mit Klostergründungen einhergingen. Dabei stellt Shaw die treffende Frage nach dem Paradox des Erfolgs und Wachstums der französischen Cölestiner in einer Zeit, die in der Historiographie nicht als Blütezeit monastischer Bewegungen gilt und in der außerdem die Konkurrenz um die Seelsorge in den Städten bereits sehr groß war. Dazu untersucht er zunächst die Gründungsurkunden und die damit in Verbindung stehenden Persönlichkeiten – König, Papst, Adlige und reiche Bürger. Das Unterkapitel zu den Stifter/innen bleibt dabei leider etwas an der Oberfläche und gleicht zu sehr einer Aufzählung einzelner Beispiele aus verschiedenen Konventen und Städten. Hier wäre eine systematischere Auswertung hilfreich gewesen, die die verschiedenen demographischen und machtpolitischen Kontexte der einzelnen Städte stärker berücksichtigt. Eine tiefergehende Fallstudie zu einem gut dokumentierten Beispiel hätte zudem für noch mehr Einsichten in Bezug auf das soziale Profil der Stifter/innen und damit die soziale Verankerung der Cölestiner in der Stadt sorgen können.

Besonders interessant und innovativ ist hingegen die anschließende Untersuchung zu den Kosten für den Unterhalt eines Klosters und der damit zusammenhängenden Notwendigkeit der Übernahme liturgischer Verpflichtungen. Diese nahmen ein solches Ausmaß an, dass sie mit den vorhandenen Priestern häufig nicht einzuhalten waren – vor allem vor dem Hintergrund der steigenden Kosten in Zeiten des Hundertjährigen Krieges. In Paris wurden letztere auch damit begründet, dass das Leben in der Hauptstadt „generally more expensive than [in] other towns of the realm“ (S. 195) gewesen sei – was deren heutige Einwohner/innen sicher bestätigen würden. Das führte zum einen dazu, dass die Preise für Seelsorgeleistungen stiegen und zum anderen zu Diskussionen um die Einstellung oder Reduzierung bestimmter Ewigkeitsmessen und den damit einhergehenden moralischen Schwierigkeiten. Auf einer abstrakteren Ebene wurde zudem die grundsätzliche moralische Rechtmäßigkeit von Seelsorgeleistungen gegen Zahlung diskutiert. Wenn man sie bei sinkenden Einnahmen reduzieren oder sogar ganz einstellen konnte, seien dann Seelsorgestiftungen nicht generell als Simonie anzusehen?

Das anschließende fünfte Kapitel stellt die Frage nach der symbolischen Bedeutung der Cölestiner. Außerdem wird untersucht, inwieweit die Cölestiner Antworten auf Fragen ihrer Zeit liefern konnten und inwiefern sie Denker außerhalb ihres Ordens beeinflussten. So boten sie nicht nur spirituelle Zuflucht. Sie engagierten sich auch im Finden von Lösungen für die Probleme ihrer Umwelt, wie Shaw u.a. am Beispiel des Abendländischen Schismas zeigt. Ihm zufolge ging die Bedeutung der Cölestiner in Avignon weit über ihre oft beschriebene Rolle als „antenna of the court“ (S. 252) hinaus bis hin zu einer Funktion als „shaper of policy“ (S. 252) mit einem Netzwerk einflussreicher Persönlichkeiten, zu dem u.a. Philippe de Mézières, Louis d’Orléans oder Pierre de Luxembourg gehörten. Das Buch schließt mit einem Anhang, der neben einem Register auch eine Karte der Konvente, eine Liste der Provinzialprioren und eine mit den aufgehobenen oder reduzierten Stiftungsmessen im Pariser Konvent enthält. Auffallend und sehr ärgerlich ist das vollständige Fehlen eines Quellen- und Literaturverzeichnisses, vor allem da der Band als grundlegendes Werk für jede zukünftige Arbeit zu den Cölestinern angesehen werden muss.

Robert Shaw hat sich mit seinem Buch einer bedeutenden Forschungslücke angenommen, die er mit zahlreichen weiterführenden Ergebnissen zu füllen begonnen hat, und so die Forschung zu den Cölestinern auf eine völlig neue Grundlage gestellt. Bei der Zusammenführung, der Interpretation und Bewertung der zahlreichen Ergebnisse hätte allerdings eine stärkere terminologische Schärfung im Hinblick auf die Analysekategorien den Erkenntniswert noch steigern können. So liest man regelmäßig verallgemeinernde in modernem Vokabular gehaltene Bemerkungen, die zur Analyse wenig beitragen. Man erfährt beispielsweise, dass die Cölestiner aufgrund ihrer Askese und der Möglichkeit „in bulk“ (S. 189) zu kaufen, Geld sparen konnten oder das manch schwierige Angelegenheiten mit „openness, flexibility and mutual submission“ (S. 161) gelöst wurden. Nichtsdestotrotz überwiegen bei Weitem die Verdienste des Werkes. Besonders hervorzuheben ist, dass es zu einer Neubewertung monastischen „Erfolgs“ oder „Niedergangs“ beiträgt. Vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse des Spätmittelalters kann die Entwicklung der Cölestiner als Erfolg verstanden werden, vor allem in ihrem Wirken auf die Gesellschaft ihrer Zeit. Die lange vorherrschende Meinung, dass die zunehmende Laienfrömmigkeit im Spätmittelalter monastische Gemeinschaften obsolet machte, bedarf mindestens einer kleinen Korrektur. Dementsprechend schließt Shaw seinen Epilog mit den Worten „Strive they did and in the process, they captivated many who witnessed their work.“ (S. 268)

Anmerkung:
1 Karl Borchardt, Die Cölestiner. Eine Mönchsgemeinschaft des späteren Mittelalters, Husum 2006.

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