E. Ueberschär: Junge Gemeinde im Konflikt

Cover
Titel
Junge Gemeinde im Konflikt. Evangelische Jugendarbeit in SBZ und DDR 1945-1961


Autor(en)
Ueberschär, Ellen
Reihe
Konfession und Gesellschaft 27
Erschienen
Stuttgart 2003: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Fitschen, Institut für Kirchengeschichte, Universität Leipzig

Ellen Ueberschär wählt schon zu Beginn ihres Buches eine deutliche, auf ein Grundmotiv ihrer Darstellung verweisende Sprache, wenn sie von den „Feldzügen der Zwangssäkularisierung durch das kommunistische Regime in den 1950er Jahren“ spricht (S. 13). Der geläufige Befund, dass die 50er-Jahre für die Marginalisierung der Kirchen in der DDR die entscheidende Phase waren und dass der Kampf um den Einfluss auf Kinder und Jugendliche wie schon in den Jahren nach 1933 dabei im Zentrum stand, wird in dieser Studie eingehend unter Verwendung von Quellenmaterial aus kirchlichen und staatlichen Archiven erhellt und zu einer schlüssigen, thematisch alles andere als randständigen Detailstudie verdichtet.

Das 1. Kapitel („Kirchliche Jugendarbeit – eine Genese“) greift auf bereits vorliegende Studien zur Geschichte der kirchlichen Jugendarbeit bis 1945 zurück. Als Haupttendenz wird dabei der Versuch einer Integration der evangelischen vereinsgebundenen Jugendarbeit in die Kirchengemeinden unter jeweils unterschiedlichen politischen Vorzeichen sichtbar: Wurde diese Verkirchlichung in den 20er-Jahren noch weitgehend von den evangelischen Jugendverbänden unterlaufen, musste sie nach 1933 zwangsläufig erfolgen.

Das 2. Kapitel („Jugendarbeit in der Zusammenbruchsgesellschaft“) greift im Blick auf die Verhältnisse im Jahr 1945 weit aus, um dann auf die – wenn auch noch uneinheitliche – restriktive Politik der Sowjetischen Militäradministration gegenüber der kirchlichen Jugendarbeit einzugehen. Schon hier aber zeigt sich im Hintergrund das „Konkurrenz-Syndrom“ (S. 70) der FDJ. Konnten die Kirchen anfangs noch in den 1945 von der SMAD gelenkten Jugendausschüssen mitwirken, erwiesen sich diese immer mehr als Instrumente der Gleichschaltung, bis sie 1946 von der FDJ abgelöst wurden, die ebenfalls die kirchliche Jugendarbeit durch Nackenschläge und Streicheleinheiten (S. 81) gleich- und ausschalten sollte. Dies wird hauptsächlich am Beispiel Sachsens gezeigt und hierbei kommt auch das Schicksal des Leipziger Theologiestudenten Werner Ihmels zur Sprache, der 1949 in einem sibirischen Arbeitslager starb, nachdem er sich unbotmäßig gegenüber der Jugendpolitik der FDJ bzw. der SMAD gezeigt hatte. Schon 1948 war die kirchliche Jugendarbeit vonseiten der FDJ unter Erich Honecker definitiv als Hauptfeind ausgemacht, so dass 1949 alle Verbindungen der FDJ zu kirchlichen Stellen abgebrochen wurden.

In der Folge dieser Ereignisse blieb es über 1945 hinaus im Gegensatz zur Entwicklung in Westdeutschland bei der Gemeindebindung kirchlicher Jugendarbeit in der SBZ bzw. DDR, also bei der „Verkirchlichung“. Dies wird von Ueberschär anhand der Entwicklungen in den Landeskirchen Sachsen, Berlin-Brandenburg und der Kirchenprovinz Sachsen noch differenzierter dargestellt. In Sachsen etablierte sich 1945 noch einmal eine verbandsgebundene kirchliche Jugendarbeit, die sich aber angesichts der politischen Repression in die Landeskirche und die Gemeinden integrieren musste, so dass sich bei manchen Beteiligten Erinnerungen an die Zeit nach 1933 einstellten. In der Provinz Sachsen ging die Initiative zur Verkirchlichung der Jugendarbeit primär von der Kirchenleitung aus, obwohl der politische Druck hier geringer war. Allerdings war auch das Selbstbewusstsein der Verbände hier stärker. In Berlin-Brandenburg trieb die von Dibelius forcierte Einsetzung von Kreisjugendpfarrern die Verkirchlichung voran, die dann als Konzept der „Jungen Gemeinde“ popularisiert wurde. Im Blick auf die EKD bildete sich deren innere Differenzierung nach östlichen und westlichen Landeskirchen von Anfang an auch in der Organisationsform der Jugendarbeit ab, die zur Bildung einer „Jugendkammer-Ost“ führte. Damit waren schon vor 1949 entscheidende Weichen gestellt.

Das 3. Kapitel („Jugendarbeit im stalinistischen System der DDR“) behandelt vorwiegend die Eskalationsphase in den ersten Jahren der DDR bis zum Volksaufstand des 17. Juni; von hier aus werden die Linien bis zum Mauerbau gezogen. Unterstrichen wird in diesem Zusammenhang, dass die Jugendweihe ein atheistisches und antikirchliches Kampfmittel staatlicher Repression mit verheerenden Folgen für das von Ueberschär so genannte „abendländisch-christliche Kulturumfeld“ (S. 174) war. SED, FDJ und somit auch der Staat stilisierten die kirchliche Jugendarbeit, jetzt subsumiert unter „Junge Gemeinde“, zur politisch-illegalen Gegenorganisation. Die daraus folgenden Konflikte, deren erster das Tragen der Anstecknadel mit dem Kreuz auf der Weltkugel betraf, werden von Ueberschär nachgezeichnet, ebenso, dass die Mittel auf der Seite von Staat und Staatspartei Repression und offene Gewalt waren, während die kirchliche Jugendarbeit immer noch die Sympathie der Bevölkerung genoss. Der Begriff „Kirchenkampf“ wurde nun wieder aktuell.

Auch die kurze Entspannungsphase nach Stalins Tod brachte nur eine Atempause; eine Politik der verdeckten Repression folgte. Ueberschär verweist in diesem Zusammenhang auf die „Differenzierungspolitik“ gegenüber der Kirche – also die Gewinnung willfähriger Kirchenführer wie des Thüringer Landesbischofs Mitzenheim –, die auch auf die Jugendarbeit angewendet wurde, und auf andere Faktoren wie die Schulpolitik. So charakterisiert Ueberschär die Angriffe auf die kirchliche Jugendarbeit als „Teil des langfristig angelegten Dechristianisierungskonzeptes“ (S. 212). Auch die Rolle der FDJ nach 1953 wird eigens behandelt.

Wichtig ist das Unterkapitel 3.2, in dem die „Programmatik und Praxis der kirchlichen Jugendarbeit in den frühen 1950er Jahren“ vorgestellt wird. Hier nimmt Ueberschär auch das Stichwort „Verkirchlichung“ wieder auf und dabei geht sie auch der Vorgeschichte des Begriffs „Junge Gemeinde“ und ihres Symbols (Kreuz auf der Weltkugel) nach – die Traditionslinien weisen wie auch sonst zurück in die Zeit der Bekennenden Kirche. Auch der Bezug zu einer weiteren Verkirchlichung, nämlich der des Religionsunterrichts in Form der Christenlehre, wird hergestellt. Beide sollten im Sinne eines geschlossenen katechetischen Konzepts in den Aufbau der Kirchengemeinden integriert werden und die Aufgabe der Jugend sollte im „Dienst“ an der Gemeinde bestehen, aber auch im vorbildhaften Bekenntnis. Bei der Formulierung dieses Ideals wie auch für die Kommunikation der Jungen Gemeinden untereinander spielte die 1953 verbotene Zeitschrift „Stafette“ eine wichtige Rolle. Dass sich die Aspekte des Bekennens und Bewährens mit dem kirchlichen Moralismus der 50er-Jahre vermischten und die Jugendlichen zu einer als vorbildlich erachteten Lebensführung aufgefordert wurden, zeugt von der Last, die ihnen bei ihrer Suche nach Identität nicht nur von außen aufgebürdet wurde. Außerdem trug die sich seit 1953 verstärkende Fluchtbewegung zum Rückgang der kirchlichen Jugendarbeit bei. Anhand der Einrichtung der kirchlichen Jugendkonvente entfaltet Ueberschär ihre These, dass die kirchliche Jugendarbeit eine Sozialisationsagentur war, „die über ihren Anteil an der religiösen Sozialisation hinaus auch zur politischen Sozialisation Jugendlicher beitrug“ (S. 279).

Das 4. Kapitel („Fazit – Die Funktion kirchlicher Jugendarbeit für eine Integration historiographischer Teilmilieus“) verdichtet die Ergebnisse unter dem Leitaspekt, die Jugendarbeit der Kirchen sei „paradigmatisch für die Entwicklung des Protestantismus in der DDR“ gewesen (S. 307), durch eine Reflexion auf methodische Fragen. Dabei wird auch die sich aufdrängende Frage diskutiert, ob die Bekämpfung der kirchlichen Jugendarbeit nicht einfach die in ganz Deutschland fortschreitende Entchristlichung beschleunigte (S. 311f.). Die Grundlinie der „Verkirchlichung“ der Jugendarbeit wird nochmals nachgezeichnet. So wird zusammenfassend deutlich, „daß Entkirchlichung und Verkirchlichung in der DDR der 1950er Jahre die zwei Seiten ein und desselben Prozesses sind, die sich gegenseitig bedingten und verstärkten“ (S. 317). Etwas ausführlicher diskutiert wird die Frage nach einer Sozialgeschichte des protestantischen Milieus (Kap. 4.2). Abschließend wird die komparatistische Perspektive (im Blick auf den Nationalsozialismus und die Bundesrepublik Deutschland) angesprochen.

Ueberschärs Darstellung ist gründlich erarbeitet, materialreich und informativ. Die Stärke des Buches liegt in einem weiten Horizont, der über den zeitlichen Kern des Themas hinaus Entwicklungen von längerer Dauer sichtbar machen soll. Die Disposition des Stoffes hätte – schon angesichts der Detailfülle – gelegentlich transparenter gemacht werden können. Das Buch erhellt einen wesentlichen, mit Recht als zentral und paradigmatisch erachteten Teilaspekt im Kontext der Erziehungs- und Jugendpolitik der DDR.

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