N. Fryde; D. Reitz (Hg.): Bischofsmord im Mittelalter

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Titel
Bischofsmord im Mittelalter - Murder of Bishops.


Herausgeber
Fryde, Natalie; Reitz, Dirk
Reihe
Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 191
Erschienen
Göttingen 2003: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
392 S., 10 Abb.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Lützelschwab, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Mord als extremes Mittel der Konfliktbewältigung wurde von der Kirche zwar verurteilt, konnte im weltlichen Raum – insbesondere in Zeiten der Krise von Ordnungsinstanzen – jedoch auf nachsichtigere Beurteilung hoffen. Gleichwohl blieb der Mord an einem Geweihten des Herrn etwas Unerhörtes, wurde mit dem Bischof als Apostelnachfolger doch nicht nur die jeweilige Person, sondern die Kirche selbst Zielscheibe der Gewalt. Der zu besprechende Sammelband vereint 14 Aufsätze, die das Phänomen „Bischofsmord“ auf unterschiedliche Art und Weise thematisieren. Zeitlich erstreckt sich der Rahmen dabei vom 6. bis zum 15. Jahrhundert mit einer geografischen Schwerpunktsetzung im nördlichen Frankreich und Flandern. Doch auch dem wohl bekanntesten Bischofsmord des gesamten Mittelalters, dem an Thomas Becket, wird ausreichend Raum zugestanden.

Die Zeit der Merowinger gilt als Epoche, in der Gewalt als scheinbar legitimes und inflationär verwendetes Mittel der Konfliktbewältigung missbraucht wurde. Gregor von Tours, der mit seinen „Historiarum libri decem“ eine der umfangreichsten zeitgenössischen Quellen verfasste, wird immer dann als Gewährszeuge angerufen, wenn die vermeintliche Verrohung der merowingischen Gesellschaft zum Gegenstand der Betrachtungen wird – und dies ungeachtet der Tatsache, dass neuere Arbeiten das zweifellos vorhandene Gewaltpotenzial insbesondere innerhalb der führenden Schichten sehr viel differenzierter beurteilen als dies früher der Fall war.1 Der Beitrag von Paul Fouracre „Why were so many bishops killed in Merovingian Francia?“ (S. 13-37) verdeutlicht, dass das Frankenreich mit 18 in der Zeit von 580 bis 754 ermordeten Bischöfen verglichen mit anderen Regionen quantitativ eine Spitzenposition einnimmt. Warum werden Bischöfe im Merowingerreich bevorzugt Zielscheibe von Mordkomplotten? Selbst unter Berücksichtigung der im Vergleich zu anderen Regionen günstigeren Überlieferungssituation bleibt die „Morddichte“ erklärungsbedürftig. Nach Analyse der einzelnen Todesumstände wird jedoch eines deutlich: Ein merowingischer Bischof, der sehr viel Macht in seiner Person vereint, hat viele Möglichkeiten, sich Feinde zu machen. Die hohe Politik ist spätestens dann involviert, wenn sich der Bischof geistlicher Waffen bedient, um die Ungültigkeit von Ehen bzw. die Illegitimität der daraus hervorgegangenen Nachkommenschaft anzuprangern. Hass schlägt ihm auch dann entgegen, wenn er versucht, Klöster unter seine Kontrolle zu bringen. Mord wird so zum Instrument effektiver Rache – und scheint im Frankenreich tatsächlich stärker als andernorts toleriert worden zu sein.

Dass Bischofsmorde nicht nur von Männern initiiert wurden, belegen die Ausführungen von Nira Gradowicz-Pancer (Femmes royales et violences anti-épiscopales à l’époque mérovingienne: Frédégonde et le meurtre de l’évêque Prétextat, S. 37-51). Als Beispiel weiblicher Gewaltbereitschaft wird die Gestalt der Fredegundis herangezogen, die – folgt man Gregor von Tours – den Auftrag zur Ermordung des Bischofs von Rouen, Praetextatus, erteilt haben soll. Der Bericht Gregors wird mit der gebotenen Vorsicht vor hagiografischen Fallstricken analysiert und in den historischen Kontext eingebettet. Frucht dieses „dekonstruktivistischen“ Vorgehens ist die Erkenntnis, dass es Gregor nicht darum geht, eine spezifisch weibliche Form von Gewalt darzustellen. Die Trennlinie verläuft nicht zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen Laien und Klerikern. Der Bericht verfolgt das Ziel, zum einen die königliche Autorität zu schwächen, zum anderen die Interessen des Episkopats und dessen Primatsanspruch innerhalb der politischen Sphäre zu vertreten.

„Der Tod Landberts von Maastricht“ steht im Mittelpunkt der Ausführungen von Georg Scheibelreiter (S. 51-83). Sich auf die anonyme Vita stützend, kommt Scheibelreiter zu dem wenig schmeichelhaften Schluss, der 705 in Lüttich ermordete Bischof sei überhaupt erst durch seinen Tod lebendig geworden, anders ausgedrückt: Allein der gewaltsame Tod habe seine Existenz begründet und gerechtfertigt. Tatsächlich agiert Landbert als Mitglied einer führenden Sippe des Maas-Mosel-Raums und ist in Auseinandersetzungen des austrasischen Adels verwickelt. Das Dilemma des Anonymus, eine Persönlichkeit im Licht barbarischer Werte zeigen, gleichzeitig jedoch auf ihren christlichen Vorbildcharakter verweisen zu müssen, bedingt ein stetes Schwanken zwischen der Beschreibung der Wirklichkeit und dem Streben nach idealer Stilisierung und bedingt deshalb auch die gattungsspezifische Unschärfe der Vita, die weder der Historiografie noch der Hagiografie zugeschlagen werden kann.

Die spezifisch juristische Seite des Problemkomplexes „Bischofsmord“ beleuchtet Thomas Gergen in seinem Beitrag „Gottesfrieden und Gewalt gegen Bischöfe – Überlegungen zu den Rechtsgrundlagen“ (S. 83-97). Mit Blick auf die Gottes – und Landfrieden wird festgestellt, dass man in normativen Texten vergeblich nach Tatbeständen sucht, die allein Bischöfe zu schützen vermochten. Dies wird anhand der noch immer starken Stellung der Volksrechte mit ihrem gestaffelten Klerikerwergeld erklärt. Vier konkrete Beispiele – die Morde an Fulco von Reims (900), Gaudri von Laon (1112), Lambert von Arras (1115) und Engelbert von Köln (1225) – verweisen auf Stellung und Einfluss der Gottes- und Landfrieden.

Die Gesamtheit der im französischen Königreich im 11./12. Jahrhundert ermordeten Bischöfe nimmt Myriam Soria in den Blick (Les évêques assassinés dans le royaume de France XIe-XIIe siècles, S. 97-121) und belegt anhand von elf ausgeführten Morden eindrucksvoll, dass hohe Gewaltbereitschaft nicht nur das Frühmittelalter auszeichnet. Analysiert wird neben der räumlichen und zeitlichen Verteilung der Morde auch die zur Verfügung stehende Quellenbasis, die die notwendigen Informationen über Mörder, Motive und genaue Umstände der Taten liefert. Die Parallelen zu den bisher besprochenen Einzelmorden springen ins Auge: Auf der Motivebene spielen neben persönlicher Rache das Ausschalten eines möglichen Konkurrenten, die Befriedigung machtpolitischer Begehrlichkeiten und der Kampf gegen vermeintliche moralische Verfehlungen des Bischofs die größte Rolle.

Der Mord an Bischof Gaudri von Laon 1112 in der Version des Guibert de Nogent ist Gegenstand der Ausführungen von Reinhold Kaiser (Guibert de Nogent und der Bischofsmord in Laon: Augenzeuge, Akteur, Dramaturg, S. 121-159). Der Mord, der innerhalb der Chronistik des westeuropäischen Raums breit referiert wird, ist nur vor dem Hintergrund der gewaltsamen Kommunebildung in Laon zu verstehen. Guibert de Nogent liefert im dritten Buch seiner autobiografischen Schrift „De vita sua sive Monodiae“ eine Fülle an Detailinformationen und tritt mit der erklärten Absicht an, die tragoediae in Laon aufzuzeigen. Kaiser geht vor diesem Hintergrund der Frage nach, ob sich der gesamte Bericht tatsächlich als Tragödie, d.h. als szenische Schilderung eines unvermeidlichen Konflikts mit tödlichem Ausgang und kathartischer Wirkung auffassen lässt. Zusätzlich wird der Blick auf die Mordtat und die involvierten Personen, schließlich auf die argumentativen Strukturen und das den Erzählvorgang bestimmende Zeichensystem gerichtet. Guibert verfasst als in die Ereigniskette eingebundener Beobachter eine als Zieldrama konzipierte Charaktertragödie, in der das malum maximum mittels transzendenter Zeichen, Visionen und Träume angekündigt wird. Eine 28 Positionen umfassende Liste mit den Erwähnungen des Bischofsmordes innerhalb der Chronistik beschließt den anregenden Aufsatz.

Nur neun Jahre später wird der Bischof von Lüttich, Friedrich von Namur, Opfer eines Mordanschlags. Anhand der „Vita Friderici“ untersucht Jean-Louis Kupper in seinem Aufsatz (La double mort de l’évêque de Liège Frédéric de Namur, S. 159-171) die Motivlage, die zur Schaffung eines neuen Märtyrerheiligen führt, dessen Kult jedoch bereits im 15. Jahrhundert zum Erliegen kommt, weil sich sein heiliger Vorgänger Lambert „verehrungskompatibler“ zeigt, d.h. größere Massen anzuziehen vermag. Nach dem Tod durch Gift erleidet Friedrich so tatsächlich einen zweiten Tod, der einer subtilen Form der damnatio memoriae gleichkommt.

Zwei umfangreiche Aufsätze beschäftigen sich mit Thomas Becket, der als Erzbischof von Canterbury 1170 in seiner Kathedrale einem Mordanschlag zum Opfer fällt. Während Martin Aurell (Le meurtre de Thomas Becket. Les gestes d’un martyr, S. 187-211) das in den zahlreichen Quellen aufscheinende gestuelle Zeichensystem einer subtilen Detailanalyse unterzieht und dabei auf das enorme Konfliktpotenzial verfehlter symbolischer Kommunikation verweist, beschäftigt sich Nicholas Vincent ausschließlich mit den Tätern (The Murderers of Thomas Becket, S. 211-273) und schließt damit tatsächlich eine Forschungslücke innerhalb des umfangreichen Becket-Dossiers. Das Ergebnis sind prosopografische Detailstudien der vier an dem Tötungsakt unmittelbar Beteiligten, die in ihrer Dichte keine Wünsche offen lassen.

Mit „Reichsministerialen und Bischofsmord in staufischer Zeit“ (S. 273-303) beschäftigt sich Jan Keupp. Anhand dreier Beispiele – den Morden am Mainzer Erzbischof Arnold von Selenhofen 1160, am Lütticher Elekten Albert von Löwen 1192 und am Bischof von Hildesheim und Würzburg, Konrad von Querfurt, 1202 – wird auf den wachsenden Einfluss der Ministerialen und ihre Rolle bei der Bewältigung der wachsenden Distanz von Herrschern und Reichsbischöfen verwiesen. Ihr Einsatz für die Ehre des Reiches, für Herrscherautorität und honor imperii schließt – ob mit oder ohne Billigung des Herrschers – den Einsatz von Gewalt mit ein.

Die im Beitrag von Bodo Hechelhammer thematisierte Ermordung des Bischofs von Arezzo 1248 wirft die Frage nach dem Grad der Verantwortung Friedrichs II. auf (Zwischen Märtyrermord und Todesstrafe. Die Hinrichtung des Bischofs Marcellino von Arezzo im Jahre 1248, S. 303-321). Es wird überzeugend nachgewiesen, dass die expansive Territorialpolitik des Bischofs im Verbund mit einem reichspolitischen Seitenwechsel nicht nur Reichsacht und Verfolgung, sondern schließlich auch den Prozess, das Todesurteil und die Hinrichtung nach sich ziehen mussten.

Der Konstanzer Bischof Johann Windlock steht im Mittelpunkt der abschließenden Ausführungen von Andreas Bihrer (Die Ermordung des Konstanzer Bischofs Johann Windlock (1351-1356) in der Wahrnehmung der Zeitgenossen und der Nachwelt, S. 335-392). Die Analyse eines beeindruckenden, 102 unterschiedliche Schilderungen des Attentats umfassenden Quellencorpus führt zu dem Ergebnis, dass sich im Mordfall Windlock das gesamte Interpretationsspektrum für Attentate wiederfindet: finanzieller Gewinn, persönliche Rache, Staatsstreich, Märtyrertod, Tyrannenmord und Verschwörungstheorien – Deutungen, die von einzelnen Gruppen zur Durchsetzung eigener politischer Interessen unterschiedlich gewichtet werden.

Die 14 Beiträge des Sammelbandes liefern eine beeindruckende Fülle an Detailinformationen, die freilich allzu oft unverbunden nebeneinander stehen. Ein Register der Personen, Orte und Sachen hätte hier als Bindeglied wertvolle Dienste leisten können. Bedauerlich ist auch das Fehlen einer abschließenden Zusammenfassung durch die Herausgeber. Was verbindet die beschriebenen Morde? Wäre es denkbar, Einzelformen auf eine normative Grundform zurückzuführen? Gibt es gar eine Typologie des Bischofsmordes?

Anmerkung:
1 Vgl. Geary, Patrick J., Die Merowinger, München 1996.

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