R. Steinmetz u.a.: Dokumentarfilm zwischen Beweis und Pamphlet

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Titel
Dokumentarfilm zwischen Beweis und Pamphlet. Heynowski & Scheumann und Gruppe Katins


Autor(en)
Steinmetz, Rüdiger; Prase, Tilo
Reihe
MAZ - Materialien- Analysen - Zusammenhänge 2
Erschienen
Anzahl Seiten
354 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Knut Hickethier, Institut für Germanistik, Universität Hamburg

Das Studio Heynowski & Scheumann, auch kurz H&S genannt, und die Gruppe Dr. Katins sind die wohl bekanntesten Gruppen im Dokumentarfilmschaffen der DDR. Auch in der alten Bundesrepublik wurden die Arbeiten von H&S von Dokumentarfilmern und auf Festivals diskutiert, die Gruppe Katins war zumindest im DDR-Fernsehen umfangreich präsent. Eine Untersuchung des Dokumentarfilms im DDR-Fernsehen kommt an ihnen nicht vorbei, sondern muss sie an zentraler Stelle erörtern.

Rüdiger Steinmetz vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig beschreibt Entstehung, Produktion und Auflösung des selbständig neben DEFA und Fernsehen der DDR agierenden Studios H&S. Dazu hat er zahlreiche Aktenbestände des Bundesarchivs, des Deutschen Rundfunkarchivs und der Behörde für Stasiunterlagen ausgewertet und kann auf diese Weise Hintergründe, Diskussionen, Parteientscheidungen etc. detailliert darstellen. Ausführlich werden zunächst die Biografien der Dokumentaristen Walter Heynowski und Gerhard Scheumann vorgestellt. Beide übten zunächst unterschiedliche Tätigkeiten in Verlagen, für die DEFA und für das DDR-Fernsehen aus, bis sie Mitte der sechziger Jahre begannen, gemeinsam Filme über den Westen Deutschlands zu drehen und dafür eine eigene Methode der „konspirativen“ bzw. „investigativen“ Filmarbeit entwickelten. Sie sammelten „Originalmaterial“, also Filmaufnahmen, die in der Bundesrepublik, häufig „under cover“, gedreht worden waren, und werteten es im Sinne der DDR aus. Mit dem neumontierten und selbstgedrehten Material betrieben sie ‚Propaganda’ für den DDR-Staat und agitierten gegen die Bundesrepublik.

Der berühmteste Film von H&S war „Der lachende Mann“ über den westdeutschen Söldner Siegfried Müller, der 1964 im Kongo im Rahmen eines „Kommandos 52“ gegen die kongolesischen Rebellen kämpfte. Der Film machte die Dokumentaristen auch im Westen schlagartig bekannt. Aufmerksam geworden durch einen Bericht des „Stern“ drehten sie in München ein Interview mit Müller, in dem dieser freimütig von seinen Schreckenstaten berichtete. Zahlreiche andere Filme über gefangene Amerikaner in Vietnam und über einige Nato-Generäle folgten.

Steinmetz liefert in seiner Beschreibung erstmals und detailliert eine umfangreiche Produktionsgeschichte des Studios. Er schildert den mühevollen Prozess, eine weitgehend unabhängige Produktionseinheit aufzubauen, und ihr Ende im Jahre 1982, als das Studio auf Parteibeschluss aufgelöst wurde, nachdem vor allem Gerhard Scheumann sich auf einem Kongress der Film- und Fernsehschaffenden gegen die offizielle Linie von Partei und Staat gestellt hatte.

Mit seinem vom westlichen Dokumentarismus geprägten Blick fördert Steinmetz viele neue Informationen zutage und kann ein aufschlussreiches Bild der Binnenstruktur des DDR-Films und -Fernsehens zeichnen. Besonders interessant sind jene Passagen, in denen rekonstruiert wird, wie es 1982 zu Scheumanns Rede auf dem Kongress kam und welche Folgen sie hatte. In solchen Rekonstruktionen ist Steinmetz stark, weil er hier umfangreiches Aktenmaterial durch verdichtendes Beschreiben zum Sprechen bringen kann.

Etwas kurz kommen die Filme selbst. Es ist nicht ganz ersichtlich, was ihre auch im Westen wirksame Faszination ausmachte. Obwohl Steinmetz einige Filme („Der lachende Mann“, „Piloten im Pyama“, „Generäle“) genauer untersucht, bleiben sie letzten Endes immer noch schemenhaft.

Im zweiten Teil des Buches untersucht Tilo Prase die Arbeiten der Fernsehproduktionsgruppe Dr. Katins. Ab 1966 berichtete sie unter dem Titel „West-östlicher Alltag“ regelmäßig über die Bundesrepublik, später hieß die Sendung „Alltag im Westen“. Bis 1979 leitete Sabine Katins die Gruppe, danach Günter Herlt.

Prase geht, anders als Steinmetz, zunächst von einem theoretischen Verständnis des DDR-Dokumentarismus aus, wie es sich durch Arbeiten in der Leipziger Journalistik (Preisigke und Katins selbst, die dort Anfang der siebziger Jahre eine Aspirantur inne hatte) ausformuliert hat. Wichtig wurde hier vor allem das Konzept einer dokumentarischen Argumentation ‚ad hominem’. Prase beschreibt ausführlich die Sendungen des DDR-Fernsehens über die Bundesrepublik, die in unterschiedlichen Formationen und redaktionellen Sendereihen ins Programm kamen. Allein zwischen 1977 und 1987 wurden in der Reihe „Alltag im Westen“ über 300 Sendungen gezeigt. Sabine Katins als verantwortliche Leiterin arbeitete dabei mit Regisseuren zusammen, die in der Bundesrepublik für das DDR-Fernsehen drehten, u.a. Franz Dötterl und John Green. Sie verarbeitete die im Westen gedrehten Materialien zu Dokumentationen, die auch von Dokumentaristen in der Bundesrepublik als qualitativ hochwertig angesehen wurden.

Während Steinmetz in seinem Beitrag über H&S vor allem mit Hilfe von Archivmaterialien und stärker autorenbezogen argumentiert, entwickelt Prase unterschiedliche methodische Zugangsweisen zu dem auch sehr viel umfangreicheren Material: Themenübersichten, Vorspannbilder, Problemstellungen und Beschreibungen einzelner, als paradigmatisch gesetzter Dokumentationen werden miteinander verbunden. Zentral ist dabei ein fernsehjournalistischer Einstieg.

Prase gelingt es so, ein außerordentlich dichtes Bild der Herstellung dieser west-ost-übergreifenden Produktionen zu zeichnen und den Programmbezug deutlich herauszustellen. In besonderer Weise setzt er sich mit dem Verhältnis von Authentizität und Propaganda-Vorhaben auseinander und zeigt an zwei „Diskursfeldern“, nämlich dem „defizitären Alltag im Westen“ und der „manipulierten Gesellschaft“, wie in diesen Dokumentationen die Bundesrepublik „konstruiert“ wurde.

Mit der Darstellung der beiden Dokumentationsgruppen, die durch ein kleines Zwischenkapitel zur Arbeit der Fernseh- und Film-Kameraleute und „Schattenreporter“ im Westen miteinander verbunden sind, ist den beiden Autoren eine überzeugende und intensive Darstellung eines wichtigen Sektors der Programmgeschichte des DDR-Fernsehens gelungen. Schön wäre es gewesen, wenn über die Darstellung des politischen Kontextes, der Arbeitsweise des DDR-Fernsehens, den Sendeformen und der Rezeption hinaus auch noch ein Anschluss an die bundesdeutsche Diskussion über den Dokumentarismus geboten worden wäre. Dann hätte man nicht nur auf der Themen- und Inhaltsebene einen Ost-West-Bezug herstellen können, sondern eben auch auf der Theorieebene. So bleiben etwa die Diskussion der Authentie bei Prase oder generell das Selbstverständnis der Arbeiten von H&S bei Steinmetz ohne einen Theoriebezug, über den weiterführende Arbeiten einen Anschluss finden können. Gleichwohl stellt die Arbeit einen wichtigen Baustein für die entfaltete Programmgeschichte des DDR-Fernsehens dar.

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