J. Osterhammel u.a.: Geschichte der Globalisierung

Titel
Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen


Autor(en)
Osterhammel, Jürgen; Petersson, Niels P.
Reihe
Beck'sche Reihe 2320
Erschienen
München 2003: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 7,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mark Spoerer, Fachgruppe Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Hohenheim

Dieses schmale Büchlein, das in der Beckschen Reihe “Wissen” erschienen ist, richtet sich nicht nur an die akademische Fachwelt, sondern auch und vermutlich sogar vorwiegend an Interessierte außerhalb der bröckelnden Elfenbeintürme. In vier Kapiteln, die von den Zäsuren 1750, 1880 und 1945 begrenzt werden, schildern die Autoren erste, stecken gebliebene Globalisierungsanläufe vor 1500 und dann den Prozess der fast kontinuierlichen Globalisierung, der mit den portugiesischen Seefahrern beginnt, im transatlantischen (Sklaven-) Handel eine Intensivierung erfährt, sich im technisch revolutionären und freihändlerischen 19. Jahrhundert fortsetzt, und den die Autoren bis Mitte der 1970er-Jahre verfolgen.

Dies kann man auch in anderen Darstellungen nachlesen. Was diese Darstellung hervorhebt, sind zwei verhältnismäßig lange einleitende Kapitel, in denen der Begriff der Globalisierung von mehreren Seiten ausgeleuchtet und kontextualisiert wird. Die Autoren argumentieren, dass dieser Begriff die Chance bietet, eine semantische Lücke zu füllen und verschiedene historische Entwicklungen unter einem neuen Dachbegriff zu beleuchten: “Es gäbe dann eine Stelle, an der alles Inter-Kontinentale, Inter-Nationale, Inter-Kulturelle (usw.) untergebracht werden könnte, das gegenwärtig zwischen den etablierten ‘Diskursen’ der Historiker heimatlos herumvagabundiert”. Dazu müsste freilich der Begriff klar definiert werden. Wenn die Autoren davon sprechen, die Geschichte der Globalisierung sei ein ziemlich genau definierbarer Prozess (S. 19f.), so wecken sie eine Erwartung, die sie nicht einhalten. Der Leser wird mit etlichen Ansätzen aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen konfrontiert, ohne dass die Autoren sich auf mehr als eine sehr allgemeine Definition festlegen: Aufbau, Verdichtung und zunehmende Bedeutung weltweiter Vernetzung (S. 24).

Immerhin, mit dieser Definition lassen sich die Zäsuren 1500, 1750 und 1945 gut begründen. Problematischer ist dagegen die Zäsur 1880. Osterhammel und Petersson kennen sich in der wirtschaftshistorischen Literatur gut aus und referieren viele Fakten, die zeigen, dass die Intensivierung des Welthandels und der internationalen Kommunikation gerade im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und dann weiter bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs ungemein dynamisch war. Gleichwohl hat für sie die gesamte von Phase 1880-1945 – und nicht etwa nur die von 1914-1945 – retardierenden Charakter, die, abgesehen von den beiden Weltkriegen, ihren traurigen Höhepunkt in den 1930er-Jahren hatte, als die Weltwirtschaft durch Desintegration, Bilateralisierung und Autarkisierung gekennzeichnet war.

Begründet wird diese Zäsur mit der zunehmenden Politisierung der Wirtschaftspolitik. Anstelle eines weit gehenden, oft zu weit gehenden (Verzicht auf Wettbewerbskontrolle und Missbrauchsaufsicht) Laisser-faire trat eine Wirtschaftspolitik, die zunehmend auf die Partikularinteressen derjenigen sozioökonomischen Gruppen Rücksicht nehmen musste, die auf der Verliererseite des durch die Globalisierung hervorgerufenen Strukturwandels standen, v.a. Landwirte in Europa. In der Tat lässt sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Politisierung der Wirtschaftspolitik feststellen, deren außenwirtschaftliche Komponente der Rückfall in den Protektionismus darstellte. Doch im Gegensatz zu den meisten bedingungslos pro-freihändlerischen Wirtschaftshistorikern, die dies wie etwa Harold James negativ bewerten, hat Knut Borchardt kürzlich argumentiert, dass diese Maßnahme möglicherweise unumgänglich war, um die Verteilungswirkungen der Globalisierung abzufedern.1;2 Demnach hätte der Protektionismus von 1880 bis 1913 systemstabilisierend gewirkt, und ließe sich gerade nicht mit den desintegrierenden Tendenzen der Zwischenkriegszeit in einen Topf werfen. Unabhängig von der Frage der Bewertung erreichte der Prozess der weltweiten Verflechtung trotz des zunehmenden Protektionismus in gerade diesem Zeitraum ein Ausmaß, das, zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht, allenfalls im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts wieder erreicht worden ist. Dies ist natürlich auch den Autoren bekannt, und da sich auch in nichtwirtschaftlichen Bereichen eine Zäsur um 1880 schwerlich festmachen lässt, verwundert es, weshalb sie mit dieser Periodisierung den Leser auf eine falsche Fährte locken.

Von diesen beiden Einwänden abgesehen ist die Darstellung “rund”: sie gewinnt durch den breiten, sich nicht nur auf wirtschaftliche Aspekte konzentrierenden Hintergrund fokussiert auf das Wesentliche und ist gut lesbar.

Anmerkungen:
1 Borchardt, Knut, Globalisierung in historischer Perspektive, München 2001.
2 James, Harold, The End of Globalization: Lessons from the Great Depression, Cambridge (MA) 2001.

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