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Titel
Bauernfehden. Studien zur Fehdeführung Nichtadliger im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich, besonders in den bayerischen Herzogtümern


Autor(en)
Reinle, Christine
Reihe
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beihefte 170
Erschienen
Stuttgart 2003: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
589 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Moddelmog, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt- Universität zu Berlin

In fehdetechnischem Vokabular gesprochen: Christine Reinle sagt ab. Gleich mit dem ersten Satz stellt sie das Publikum auf Auseinandersetzung ein: „Vor wenigen Jahren machte ein junger Forscher, Gadi Algazi, mit einer Monographie von sich reden, die durch plakative Thesenbildung auf schmaler Quellengrundlage Aufsehen erregte.“ (S. 11) Es geht Reinle mit den „Bauernfehden“ also nicht nur um ein Forschungsdesiderat, es geht ihr auch um eine erneute Wende in der Fehdeforschung. Denn die Ablehnung Algazis verbindet sich mit dem Anspruch, den in den letzten Jahren „vielgeschmähten“ Otto Brunner erneut „fair“ zu beurteilen (S. 60). Algazi hatte mit seiner Dissertation Brunners wirkungsmächtiges Werk „Land und Herrschaft“ einer Generalkritik unterzogen und in der Forschung durchaus Zuspruch gefunden 1. Doch nach Reinle speist sich die aktuelle Brunner-Kritik vor allem aus außerfachlichen Quellen: der modernen Neigung zu unreflektierter political correctness (Stigmatisierung Brunners wegen seiner Sympathie und Zuarbeit für die Nationalsozialisten) und einer verfehlten Negativbewertung von Konflikten (S. 21).

Reinle will noch einmal neu ansetzen. Dem entsprechend führt das erste Kapitel „Das Fehdewesen im Widerstreit der Meinungen“ nicht nur theoretisch und methodisch auf den Untersuchungsgegenstand hin, sondern bietet einen Forschungsbericht, der auch ältere (z.T. volkskundliche) Arbeiten auswertet und Ergebnisse der Nachbardisziplinen berücksichtigt. Im Einklang mit den jüngsten Arbeiten zur Fehdeforschung vermerkt Reinle die Einseitigkeit und mangelnde Erklärungskraft funktionalistischer Ansätze. Allerdings bleiben dabei gerade die Arbeiten Gadi Algazis – auch der Kern seiner Brunner-Kritik – unterbelichtet.

Wesentlich nachvollziehbarer ist Reinles Auseinandersetzung mit der Landfriedensforschung. Überzeugend kann sie zeigen, dass die Annahme von der Fehdeunfähigkeit Nichtadliger (oder Unfreier) zu Fehlinterpretationen geführt hat. Insbesondere Regelungen zur Beschränkung bäuerlichen Waffentragens waren kein Korrelat zur vermuteten Fehdeunfähigkeit, sondern zielten auf ständische Abgrenzung, Sicherung besonderer Friedensbereiche oder Entschärfung potenzieller Konfliktsituationen (z.B. bei Kirchenfesten). Zudem zeigen die stets partiellen Waffenverbote für Bauern keine gerichtete Entwicklung, sondern wurden im 15. Jahrhundert wieder gelockert. Bauern besaßen also im gesamten Mittelalter Waffen und waren in dieser Hinsicht durchaus fehdefähig.

Aber waren Bauern fehdeberechtigt? Das verschriftlichte, positive Recht verneint diese Frage. Doch dass Fehden nur durch Rückgriff auf mündlich überlieferte und immer auch konkurrierende Rechtsanschauungen erklärt werden müssen, wusste schon die ältere Forschung. Reinle unternimmt nun erfolgreich den Versuch, diese allgemeine Feststellung in einer differenzierten Untersuchung auszubuchstabieren. Im Anschluss an die moderne Kriminalitätsforschung fasst sie das jeweils subjektive Rechtsgefühl der Fehdeführer als Manifestation von zwar differierenden, jedoch überindividuellen, mündlich tradierten soziokulturellen Ordnungskonzepten (S. 50). Nur die Untersuchung der sozialen Praxis, also der bäuerlichen Fehdeführung selbst, lasse diese eigene Klasse von Rechtsanschauungen hervortreten. Mit dieser Einordnung ihres Untersuchungsgegenstandes baut Reinle Brücken zwischen verschiedenen Forschungsdisziplinen und Zugriffsweisen, die bisher unverbunden, ja unversöhnlich nebeneinander standen.

Im zweiten Kapitel schildert Reinle die Landfriedensgesetzgebung der bayerischen Teilherzogtümer, begreift diese jedoch nicht als schlechthin geltendes Recht, sondern als – politisch, nicht rechtlich motivierten – Ordnungsversuch der werdenden Territorialherren (vgl. auch S. 227). Dabei kann sie zeigen, dass die Adressaten der Landfriedensgebote nicht nur Adlige, sondern auch Bauern (und Bürger) waren. Indem sie dabei den Befund, dass zunehmend Landfremde (z.B. „starke Bettler“) als potenzielle Delinquenten benannt werden, als Etikettierungsphänomen deutet, schließt Reinle auch an die moderne Randgruppenforschung an (S. 108ff.).

Ganz nahe kommt Reinle ihren Tätern mit den Mikrostudien des dritten Kapitels. Auf die dichte Beschreibung ausgewählter, gut dokumentierter Fehden (nicht nur des bayerischen Raumes) folgt im zweiten Schritt eine vergleichende Analyse. Darin werden zahlreiche Analogien zwischen „irregulären“ bäuerlichen und Adelsfehden sichtbar – Fehdegründe, Absage, präferierte Schädigungshandlungen, Fehdeinfrastruktur (Unterstützerumfeld und Organisation). Die Funktion einzelner Fehdehandlungen kommt ebenso in den Blick wie typische Fehdedynamiken (z.B. das Abgleiten der Täter in Kriminalität bei fehlendem Erfolg von Verhandlungen). Was die Beurteilung von Bauernfehden betrifft, ist von besonderer Bedeutung, dass nichtadlige Fehdeführer ständeübergreifend Unterstützung finden konnten, mithin nicht (mehr) ohne weiteres davon auszugehen ist, dass „der Adel“ Fehdeführung als exklusives Recht beanspruchte. Reinle kommt denn auch zu der Einschätzung, dass die Zustimmung bzw. Ablehnung von Fehden quer durch jede soziale Gruppe ging (S. 341) – eine These, die zu weiteren Forschungen einlädt.

Konsequent verfolgt Reinle ihren Ansatz, Fehdeführung über die Analyse sozialer Praktiken zu erforschen, indem sie in einem dritten Schritt die Grauzone von Fehdeführung in den Blick nimmt, also fehdeähnliche Fälle irregulärer Konfliktaustragung. Sie unterscheidet in der Analyse zwischen „Fehdesurrogaten“ – unerlaubten Handlungen wie etwa heimlicher Brandstiftung, die aber funktionsäquivalent zum akzeptierten „Schadentrachten“ waren – und „fehdeanalogen Handlungen“, prinzipiell fehdekonformen Handlungen, deren Zuordnung zu einer Fehde wegen fehlender weiterer Indizien nicht zweifelsfrei möglich ist. Reinle bereitet dadurch nicht nur die methodisch saubere Auswertung der von ihr erschlossenen „Fehden in Serie“ (Kapitel 4) vor. Zugleich bricht sie auf diese Weise einmal mehr die rechtshistorische Engführung der Fehdeforschung auf und beschreibt Fehde als eine von mehreren gängigen Möglichkeiten des gewaltsamen Konfliktaustrags.

Das vierte Kapitel ist der auf empirischer Ebene innovative Teil des Buches. Reinle hat auf der Basis der niederbayerischen Landschreiberrechnungen 128 eindeutige Fälle bäuerlicher Fehden ermittelt und ihr Referenzmaterial in einem imposanten Anhang der Forschung zugänglich gemacht. Der dem Vitztum zur Seite gestellte Landschreiber ahndete in Niederbayern seit dem 15. Jahrhundert todeswürdige Vergehen („Vitztumshändel“). Weil im Zuge der durch die Herzöge forcierten Fiskalisierung solche Vergehen durch Geldbußen ablösbar waren („Vitztumswändel“), bieten die seit den 1460er-Jahren erhaltenen Rechnungsbestände eine bislang völlig ungenutzte Überlieferung für Fehden Nichtadliger. Zusätzlich, für Oberbayern (wo es keine Vitztumshändel gab) ausschließlich, greift Reinle auf die urkundliche Überlieferung zurück, die sie ebenfalls im Anhang dokumentiert.

Reinle diskutiert ihre Befunde nunmehr systematisch, unterschieden nach einzelnen Fehdehandlungen (Drohen, Austreten, Absage, einzelne Schädingungshandlungen) und wiederum unter nachgestellter Einbeziehung komplementärer Delikte (z.B. Herausfordern aus dem Haus, eigenmächtige Pfändung). Schließlich widmet sie sich auch dem Unterstützerumfeld und der Fehdeinfrastruktur. Die Ergebnisse der seriellen Untersuchung bestätigen die Analyse der Mikrostudien. Wie Adlige griffen auch Bauern zu verschiedenen Formen gewaltsamer Selbsthilfe, unter denen die Fehde als besonders stark ritualisiert herausragt. Sie konnten dabei auf soziale Akzeptanz rechnen, ja wurden teils – wie Adlige – unter dem sozialen Gebot der Ehrerhaltung zur Fehde gedrängt. Durchsetzung von (vermeintlichen) Rechtsansprüchen und Erhaltung des sozialen Status waren die Hauptmotive auch bäuerlicher Fehdeführung. Die immer wieder zu lesende Behauptung, von Bauern sei lediglich „Blutrache“ praktiziert worden, ist damit vom Tisch! Offen bleibt allerdings, ob Bauern Adelsfehden imitierten oder, wie Reinle annehmen möchte, auf eine eigenständige Tradition von Befehdung zurückgriffen.

Nach Beschäftigung mit den „Bauernfehden“ bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Reinle beeindruckt mit klarem methodischen Vorgehen, bester Kenntnis der Literatur und einer Fülle von Material, das über die Anhänge auch für weiterführende Forschungen aufbereitet ist. Ausdrücklich muss darauf hingewiesen werden, dass hier nur ein Teil der Untersuchungsergebnisse besprochen werden konnte. Unverständlich bleibt jedoch Reinles explizite Selbstverortung in Brunnerscher Tradition. Schon Brunner habe, so die Begründung, die soziale Praxis der Fehdeführung zum ersten Mal konsequent für seine Forschungen herangezogen. Doch liegen in der Durchführung die entscheidenden Unterschiede. Reinle ist in ihrer differenzierten, durchgängig unterschiedliche Handlungsebenen trennenden Analyse erfreulich weit von Brunners Vorgehen entfernt. So mischt sich in die Begeisterung für Reinles Buch auch Verwunderung. Zudem fragt man sich, ob in der Bereitschaft zur gewaltsamen Selbsthilfe bei Bauern und Adel denn nun gar keine Unterschiede zu verzeichnen sind. Reinle nennt nur wenige: Bauernfehden wurden früher als adlige seitens der Landesherren bekämpft und waren durch die geringere ökonomische (und militärische) Ausstattung der Fehdeführer begrenzter. Aber soll die Tatsache, dass die Leidtragenden in beiden Fällen eben fast ausschließlich Bauern waren, wirklich irrelevant oder keiner Beschreibung zugänglich sein? So sehr es lohnt, Bauern auch als Täter zu zeigen, so wenig überzeugt das Bild einer reinen „Tätergesellschaft“. Den einzigen „jüngeren“ Forscher, der versucht hat, sich den Bauern auch als Opfern zu nähern, behandelt Christine Reinle mit Ignoranz, ja fast Verachtung (z.B. S. 11 Anm. 2, S. 21 Anm. 64). Mit wenig begründeten, letztlich unverständlichen Grabenkämpfen jedoch ist weder dem Ansehen Brunners noch der Forschung gedient.

Anmerkung:
1 Algazi, Gadi, Herrengewalt und Gewalt der Herren im späten Mittelalter, Frankfurt am Main 1996; Brunner, Otto, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, Darmstadt 1984 (ND der 5. Aufl. Wien 1965).

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