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Titel
Könige und Ephoren. Untersuchungen zur spartanischen Verfassungsgeschichte


Autor(en)
Luther, Andreas
Reihe
Studien zur Alten Geschichte 2
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Verlag Antike
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lukas Thommen, Historisches Seminar, Universität Zürich

Diese Arbeit greift die Frage der spartanischen Verfassungsentwicklung (von ca. 550 bis 400 v.Chr.) auf. Zentral ist dabei das Verhältnis von Königtum und Ephorat. Das "Ergebnis" (S. 138-140) lautet, dass in der besagten Zeit weder eine Erweiterung der Amtskompetenzen der Ephoren noch eine sukzessive Entmachtung der Könige festzustellen sei, also "keine signifikante Verlagerung der Kräfteverhältnisse im institutionellen Gefüge" stattgefunden habe (S. 138). Die spartanische Verfassung habe sich lediglich an zwei Punkten verändert: 1. durch den Zusatz zu der - oft als Verfassungsurkunde des spartanischen Staates aufgefassten - Großen Rhetra, der die Entscheidungsgewalt der "Volksvertreter" eingeschränkt habe und der Gerusia das Recht gab, einen als schief erachteten Antrag des Volkes abzulehnen. 2. durch das Gesetz von 506, welches verbot, dass beide Könige gleichzeitig ins Feld zogen, was die Macht der Könige aber nicht zugunsten der Ephoren geschmälert habe. Somit erscheine die spartanische Staatsform "seit ca. 550 (fast) vollständig ausgeprägt" (S. 139). Luther vertritt deshalb auch die Meinung, dass Verfahren, wie wir sie aus Xenophons Lakedaimonion politeia aus dem frühen 4. Jahrhundert kennen, schon deutlich früher anzunehmen sind (S. 20). Wann sich die bekannten Institutionen herausgebildet haben, muss dabei offen gelassen werden.

Gegen diese Sicht sind einige Bedenken angebracht. Sie blendet sowohl den gesellschaftlichen als auch den außenpolitischen Entwicklungsprozess weitgehend aus, den Sparta in archaischer und frühklassischer Zeit durchlaufen hat. Bereits die Schilderung der Kompetenzen der Könige bei Herodot (6,56ff.) lässt erkennen, dass hier eine ursprünglich mächtige Institution verändert worden war. Das Datum 550 als Endpunkt der Entwicklung bzw. Zeitpunkt der vollständigen Ausbildung der späterhin als typisch spartanisch erachteten Staatsstrukturen ist – neben anderen Daten (etwa 600) – auch schon früher vertreten worden und im Prinzip bereits durch M.I. Finleys differenziertere Sicht einer "sixth-century revolution", also eines längerfristigen Umwandlungsprozesses, in Frage gestellt. Luther mag Recht haben, dass die Ephoren schon früher geregelt in den Entscheidungsprozess einbezogen waren, als dies von verschiedener Seite angenommen wird; Verschiebungen der Kräfteverhältnisse zwischen den Institutionen sind damit aber nicht ausgeschlossen.

Nach den "Prolegomena" (S. 9-20) folgt als zweites Kapitel "Der 'frühe' spartanische Staat" (S. 21-93), in dem es insbesondere um die Große Rhetra und Tyrtaios geht. Behandelt wird zunächst das Pamphlet des Königs Pausanias, das dieser nach 394 im Exil verfasste und in dem die Institution des Ephorats mit Hilfe von Orakelsprüchen angezweifelt wurde. Im Folgenden wird daher auch die Historizität der Großen Rhetra als vermeintliche Verfassungsurkunde des spartanischen Staates in Frage gestellt (S. 59). Luther erachtet den Gesetzgeber Lykurg als Adressaten der Rhetra und gibt mit Recht zu bedenken, dass diese Figur erst in späterer Zeit konstruiert wurde (S. 42). Zugleich sei festzustellen, dass in der Rhetra alle politischen Institutionen der klassischen Zeit bereits aufgeführt sind (S. 45). Der Gewinn dieser Beobachtung für das frühe Sparta mag freilich nicht recht einleuchten. Da die Ephoren in der Rhetra fehlen, muss die These aufgeworfen werden, diese seien als Teil des Volkes "selbstverständlich" mitgedacht gewesen (S. 44f.).

Als historisch lässt Luther nur den Zusatz zur Großen Rhetra gelten, der zeitlich später sei (S. 58f.) und - fiktiv - mit dem Namen des Königs Theopompos aus der Zeit der Messenischen Kriege verknüpft worden sei (S. 45). Bedingt sei der Zusatz durch Anträge von Volksvertretern gewesen, die von der Gerusia abgelehnt wurden (S. 47). Daraus rekonstruiert Luther insgesamt ein dreistufiges Beschlussverfahren (S. 48ff.): Antrag der Volksversammlung (durch Ephoren) - Vorberatung in der Gerusia - Beschlussfassung der Volksversammlung. Daher seien eine antragstellende/beratende Volksversammlung mit der Möglichkeit zur Diskussion und eine beschlussfassende Volksversammlung zu unterscheiden (S. 53). Der Rhetra-Zusatz richte sich nicht gegen einen von der Volksversammlung rechtskräftig gefassten Beschluss (im Sinne eines Vetorechts, S. 47), sondern gegen Anträge der Volksversammlung (S. 53). Volksversammlung und Gerusia hätten daher gleichzeitig getagt (S. 54f., 137) - was das später (S. 131ff.) ins Spiel gebrachte Beispiel der Debatte der Spartaner anlässlich des Kriegsbeschlusses von 432 freilich nicht hergibt (Thuk. 1,67ff.), da hierbei die Gerusia nicht erwähnt ist. Die Probuleumata der Gerusia seien im Weiteren durch den Zusatz bindend geworden (S. 54), während die Macht von Ephorat und Volk beschnitten wurde (S. 57), was die von König Pausanias ins Auge gefasste Abschaffung des Ephorats legitimierte. Während die Rhetra im 5. Jahrhundert unbekannt gewesen sei, sei der Zusatz (in Form eines Gesetzes, S. 58) in Kraft gewesen - wofür später (S. 135ff.) wiederum spekulativ das Beispiel der Gesandtschaft aus Syrakus und Korinth im Jahre 415/14 angeführt wird (Thuk. 6,88ff.) - und spreche gegen einen Aufstieg des Ephorats (S. 58f.).

Im Weiteren wird auch der Wert von Tyrtaios' Eunomia als authentisches Dokument für die frühe Verfassungsgeschichte angezweifelt. Luther tendiert dazu, den Verfasser ins spätere 5. Jahrhundert zu datieren (verbreitet wohl wiederum durch König Pausanias, S. 90) und hier eine Bezugnahme auf den messenischen Aufstand der 460er-Jahre zu erkennen (S. 73f., 77). Die von Tyrtaios geschilderte spartanische Ordnung habe de facto wenig mit der Großen Rhetra gemein (S. 92). Tyrtaios setze mit der Beratung durch die Gerusia ein (S. 82f.) und erwarte im Folgenden, dass die Vertreter des Volks (wohl die Ephoren) mit "geraden Rhetrai" (= Gesetzen) reagieren (S. 86f.). Daraus folge schließlich militärische Überlegenheit des Volkes (S. 87). Bei dieser Interpretation fehlt indes die erste Phase der postulierten Beschlussfassung, nämlich der Antrag der Volksversammlung, die letztlich auch gar nicht explizit abstimmt, sondern militärisch gestärkt wird. Dennoch sollen wiederum alle in klassischer Zeit bekannten Institutionen zur Darstellung gelangt sein (S. 92). Dies ist freilich insgesamt ein wenig plausibles Szenario.

Im dritten Kapitel über "Königtum und Ephorat im 6. und 5. Jh." (S. 94-137) untersucht Luther jene von Herodot für das 6. und 5. Jahrhundert geschilderten Vorfälle in Sparta, die Rückschlüsse auf die politischen Zustände erlauben. In der Auseinandersetzung mit den Königen erkennt Luther ein Gericht (Dikasterion), das er - wenig überzeugend - mit der nur bei Xenophon (Hell. 3,3,8) einmal erwähnten Mikra Ekklesia (Kleine Volksversammlung) gleichsetzt und mit den Ephoren und Geronten identifiziert (S. 97, 114ff.) - womit dieses Gremium allerdings nicht von den Tele als spartanische Behörden (S. 55f. mit Anm.172) zu unterscheiden wäre. Das Gesetz von 506 habe nur einen geringfügigen Eingriff dargestellt, da schon zuvor die Volksversammlung (unter der Leitung der Ephoren) über Feldzüge und Oberkommando entschieden hätten (S. 110ff.). Ein Aufstieg des Ephorats bzw. eine Schwächung des Königtums sei also auch hier nicht festzustellen (S. 113, 119). Auch die Perserkriege hätten keine Veränderungen bewirkt, die Mitgabe von Begleitern im Felde sei "militärisch-technisch" bedingt, also keine verschärfte Kontrollmaßnahme gewesen (S. 125f.).

Insgesamt hat Luther viele scharfsinnige, gelehrte Überlegungen angestellt und dabei auch stets die Forschungsmeinungen in ausführlichen Anmerkungen minutiös aufgelistet sowie eigene Schlüsse gezogen, die in ihrer Radikalität freilich überzogen und von den historischen Prozessen abgelöst sind. Die These von der fehlenden Entwicklung zwischen ca. 550 und 400 ist somit m.E. wenig überzeugend und muss schließlich auch die Frage nach den Verhältnissen im frühen Sparta offen lassen. Dennoch ist das Buch im Detail stets anregend und geeignet, die Diskussion um das frühe Sparta weiter voranzutreiben.

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