Titel
Avoiding Armageddon. Europe, the United States, and the Struggle for Nuclear Non-Proliferation, 1945-1970


Autor(en)
Schrafstetter, Susanna; Stephen Twigge
Erschienen
Westport, CN. Oxford 2004: Praeger Publishers
Anzahl Seiten
XIII + 243 S.
Preis
$ 69.90
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Oliver Bange Projekt "Ostpolitik und Détente", Historisches Institut, Universität Mannheim

Spätestens mit dem von George Bush verkündeten Ende des zweiten Irak-Krieges rückte die Frage nuklearer Proliferation in den Fokus internationaler Berichterstattung. Die mögliche oder bereits erfolgte Ausweitung des exklusiven Kreises der Nuklearwaffenstaaten um Nord-Korea und den Iran weckt heute ganz ähnliche Ängste vor einem unkontrollierbaren nuklearen Wettlauf oder gar einem nuklearen "Armageddon", wie sie schon die Menschen und Politiker des Kalten Krieges bewegte. Deren vielfältige Bemühungen um eine Eindämmung der Gefahr eines Atomkrieges durch Limitierung der Besitzerstaaten sind Gegenstand der Untersuchung von Susanna Schrafstetter und Stephen Twigge. In Anlehnung an eine Forderung Anne Deightons1 reklamieren die Autoren für sich, der bislang auf Washington und Moskau ausgerichteten Nukleargeschichte nun auch eine europäische Dimension verliehen zu haben.

Das Werk ist in fünf übersichtliche und in sich geschlossen argumentierte Kapitel untergliedert. Zunächst beschreiben die beiden Autoren im Kapitel "Die internationale Option“ den Versuch der Jahre 1945-48, durch ein internationales Kontrollregime über Nuklearwaffen innerhalb der Vereinten Nationen deren weitere Verbreitung zu verhindern. Die historiographische Schlüsselfrage dieses Unterfangens, ob Truman mit Hilfe der UN das amerikanische Nuklearwaffenmonopol festschreiben wollte, bleibt unbeantwortet. Stattdessen fokussiert die Darstellung auf Londons Perzeption der Vorgänge, was sich auch in der ausschließlich britischen Quellengrundlage des Kapitels widerspiegelt. Demnach fürchteten Briten und Franzosen, durch die amerikanische Instrumentalisierung der UN vom Club der nuklearen Weltmächte ausgeschlossen zu werden. Erst der vom britischen Außenminister Bevin systematisch forcierte Kalte Krieg scheint London und Paris den Nuklearmachtsstatus ermöglicht und die besonders in Whitehall hoch geschätzte „special relationship“ gerettet zu haben. Als besonders hilfreich erwies sich dazu aus Londoner Sicht der ständige Verweis auf die deutsche Gefahr, den Beelzebub in der Mitte Europas, in dessen nuklearer und anderweitiger Kontrolle die Briten für sich eine besondere Rolle reklamierten. Die im folgenden Jahrzehnt zwischen 1948 und 1958 versuchte „kommerzielle Option“ umschreibt den vor allem von der Eisenhower-Administration forcierten Versuch, mit dem Rest der Welt einen Tausch ziviler Nukleartechnik gegen die Aufgabe eigener Nuklearwaffenpläne zu vereinbaren. Das nächste Kapitel über die wiederum auf eine Eisenhower-Initiative zurückgehenden Bemühungen um einen nuklearen Teststopp zwischen 1954 und 1963 glänzt im Vergleich mit der Forschungsliteratur der letzten Jahre mit keinen neuen Erkenntnissen, dafür aber mit einer ersten Systematisierung des Forschungsstandes. Demnach waren die Konsequenzen des eingeschränkten Teststoppvertrages vom Sommer 1963 (unterirdische Tests blieben weiterhin erlaubt) erheblich: Der Vertrag half bei der Kontrolle und Nichtverbreitung von Atomwaffen (denn ohne Tests keine Entwicklung) und diente dem Umweltschutz. Mehr als in anderen Kapiteln bemühen sich die Autoren im fünften Abschnitt, der dem Nichtverbreitungsvertrag gewidmet ist, um einen europäischen Fokus: Großbritanniens Haltung zum NV-Vertrag, Großbritanniens Haltung im Kontext seines Antrages auf EG-Mitgliedschaft und Bonns Rolle in den NV-Verhandlungen stehen im Mittelpunkt der Ausführungen.

Viele wichtigen Fragen bleiben jedoch unbeantwortet oder werden von den Autoren gar nicht erst gestellt. Ob die Selbstperzeption Londons in anderen Hauptstädten geteilt wurde, bleibt genauso offen wie die zentrale Frage, ob Eisenhowers „Atoms-for-Peace“-Programm ein ehrliches Angebot oder nur ein weiterer Puzzlestein des dem Weißen Haus nicht nur von den Kommunisten, sondern auch von Albert Einstein und Papst Pius XII. aufgenötigten Propagandakrieges war. Zu den französisch-britischen Abstimmungsversuchen hätte man gerne mehr gewusst. Darüber hinaus wirken viele Aussagen in ihrer Pauschalität mehr als fragwürdig: Adenauers Erklärung von 1954 gegen die Produktion, den Besitz und Erwerb von A-, B- und C-Waffen „auf deutschem Boden“ war eben alles andere als eine vollständige Absage, wie die einseitigen Interpretationen des Kanzlers und seines Verteidigungsministers Strauß gegenüber de Gaulle eindeutig belegen.2 Der Glaubenssatz der jungen Bundesrepublik hieß auch nicht, dass „Entspannung zur Wiedervereinigung führen muss“ (S. 94), sondern – schlimmer, weil Bonn sich damit zunehmend im eigenen Lager isolierte - dass die Wiedervereinigung überhaupt die Voraussetzung für den Beginn einer Entspannungsära wäre. Zwar erkennen die Autoren den Test Ban Treaty als Teil des Grand Design des britischen Premiers Harold Macmillan, verkennen zugleich aber, dass der Vertrag nach Macmillan Teil des (nuklearen) Europadirektorats von Paris und London nach britischem EG-Beitritt und auf deutsche Kosten sein sollte. Macmillans inzwischen weitgehend erforschter Betrug an Kennedy in Nassau wird genauso übergangen wie der Beginn der MLF-Geschichte, die den bis dato weitgehend unwilligen Westdeutschen von Kennedys Team Anfang 1963 geradezu aufgezwungen werden musste. Dass davon nichts zu lesen ist, belegt exemplarisch die Fußangeln der Methodik der Autoren, die neu herangezogene Dokumente mit dem Interpretationszyklus älterer Literatur verbinden. Zwei Beispiele: Die Darstellung der westdeutschen Position zur MLF folgt einem längst veralteten Werk Hoppes von 19933, während die Kennedy-Papiere gar nicht konsultiert wurden. Und genau wie in der älteren Literatur zum NV-Vertrag wurde weder die Verhinderungsstrategie Bonns4 noch die Schlüsselrolle von Johnsons stellvertretenden Sicherheitsberaters Francis Bator erkannt.5

Das Buch ist also nicht das Heilmittel gegen den nicht erst seit Trachtenberg6 grassierenden historiographischen Bipolarismus, das es vorgibt zu sein. Denn genau diesem selbst-erhobenen und ständig wiederholten Anspruch, der Kalten-Kriegs-Historiographie eine europäische Dimension zu verleihen, wird das Werk nicht gerecht. Großbritannien, die alte Bundesrepublik und Frankreich waren – und sind - eben nicht „Europa“, nicht einmal Westeuropa, die EWG oder auch nur Euratom (denen das Inselreich zudem erst nach dem hier behandelten Zeitabschnitt beitrat). Noch problematischer wird dieser Anspruch durch die sehr ungleichgewichtige Quellenbasis: Das britische Nationalarchiv – das frühere Public Record Office – ist nahezu omnipräsent. Wichtige Privatarchive, so die Parteiarchive von Labour und den Konservativen, wurden hingegen genausowenig berücksichtigt wie viele relevante Nachlässe, etwa die von Harold Wilson, George Brown oder Michael Steward. Die unter britischen Zeithistorikern weit verbreitete Unsitte, aus dem PRO die Welt erklären zu wollen, spiegelt sich in der weitgehend unkritischen Übernahme der bis heute in Londons Amtsstuben etablierten Ansicht, dass Nuklearwaffenbesitz an sich schon Weltmachtstatus bedeuten würde. Die für die Position der Bundesrepublik und ihrer Politiker zitierten Quellen bestehen zu einem großen Teil aus in den AAPD-Bänden edierten Dokumenten des Auswärtigen Amtes; die wenigen französischen Dokumente sind gar ausschließlich der Edition 'Documents Diplomatiques Français' bis 1964 entnommen. Wer einen umfassenden Überblick über die Definition nationaler Nuklearinteressen in Europa erwartet hatte (Italiener und Polen haben hier jeweils auf ihrer Seite des Eisernen Vorhanges einflussreiche, katalytische Rollen gespielt) oder sich auf Erhellendes über das Ringen um eine gemeinsame „europäische“ Position in Euratom gefreut hatte, wird enttäuscht.

Trotz mancher Schwächen weist das Werk in die richtige Richtung: Es bietet in einer überwiegend bipolaren englischsprachigen Historiographie zum Ost-West-Konflikt mehr Europa. Gerade durch die Zusammenführung und Kondensierung der in den letzten zwanzig Jahren entwickelten historischen Thesen zum Thema Nonproliferation werden die Forschungsdesiderata geradezu überdeutlich. Das Buch macht Appetit auf mehr – auf eine wirklich multinationale, multiperspektivisch wie multiarchival angelegte Erforschung der vielen hier oft nur angerissenen Themen.

Anmerkungen:
1 Anne Deighton, „Constructing a Cold War Peace“, in: Diplomatic History 25 (2001), S. 373-397.
2 Siehe die Beiträge von David Tal, „The NPT Negotiations – The NATO Factor“ und Oliver Bange „The NPT as an Instrument of Cross-bloc Interests: Triangulations between Bonn, Washington and Moscow“ auf der Konferenz “NATO in the 1960s: Challenges beyond Deterrence”, Zürich, August 2004 (demn. hrsg. von Andy Wenger in den Zürcher Beiträgen zur Sicherheitspolitik und Konfliktforschung, 2005).
3 Christoph Hoppe, Zwischen Teilhabe und Mitsprache – Die Nuklearfrage in der Allianzpolitik 1959-1966, Baden-Baden 1993.
4 Dazu besonders ausführlich Egon Bahr, Zu meiner Zeit, München 1996.
5 Bator hat selbst über diese Rolle berichtet: Francis M. Bator, Lyndon Johnson and Foreign Policy – the Case of Western Europe and the Soviet Union, in: Aaron Lobel (Hrsg.), Presidential Judgement – Foreign Policy Decision Making in the White House, Harvard 2001, S. 41-77.
6 Marc Trachtenberg, Constructed Peace – The Making of the European Settlement 1945-1963, Princeton 1999.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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