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Titel
Tertullian. Untertan Gottes und des Kaisers


Autor(en)
Zilling, Henrike Maria
Erschienen
Paderborn 2004: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katrin Pietzner, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Texte des christlichen Autors Tertullian sind eine Fundgrube für die Entwicklung des frühen Christentums. Der lebhafte und scharfsinnige Kritiker, der um 200 in Karthago agierte, setzte sich beständig mit Christen, Heiden oder so genannten Häretikern auseinander. Polemisch und wortgewandt, aber auch widersprüchlich fallen seine Urteile aus. Gerade deshalb reizen sie die Forschung und erklären das anhaltende Interesse an dem nordafrikanischen Intellektuellen.

Tertullian steht daher im Mittelpunkt der Dissertation von Henrike Maria Zilling, die sie 2003 an der Technischen Universität Berlin einreichte. Die Autorin geht darin vier verschiedenen Aspekten nach: War Tertullian ein Häretiker? Was wollte er mit seinem Apologeticum bewirken und welche Herrschaftstheologie entwickelte er in diesem Kontext? Und abschließend: Wie geht der etwa ein Jahrhundert später schreibende und ebenfalls aus Nordafrika stammende Arnobius von Sicca im Vergleich zu Tertullian mit der heidnischen Kritik um, dass die christliche Religion erst vor kurzem entstanden und daher unglaubwürdig sei?

Einleitend greift Zilling wesentliche Forschungspositionen zu Motiven, Merkmalen und historischem Kontext der Apologien auf, die sie selbst im innerchristlichen Bereich als Mahn- und Trostschriften verortet (S. 11-20). Kinzigs These 1, die Texte (die tertulliansche Apologie ausgenommen) seien an Kaiser gerichtete Bittschriften (libelli), lehnt die Autorin ab: Christliche Petitionen bzw. Gesuche im Büro des Statthalters oder in der kaiserlichen Kanzlei hatten keine Aussicht auf Erfolg; sie erfüllten nicht die notwendigen Voraussetzungen, angenommen zu werden. Dies wird unter anderem mit dem Trajan-Reskript begründet, das Christen zu todeswürdigen Verbrechern degradierte.

Auf biografische Spurenlese begibt sich die Autorin im ersten Teil ihrer Monografie (S. 21-82). Vor allem in der Auseinandersetzung mit Barnes kommt sie zu dem Schluss 2, dass Tertullian wahrscheinlich der Sohn eines Hauptmanns war, der in Karthago und Rom eine Ausbildung zum Advokaten absolvierte und darüber hinaus juristische Studien betrieb. Als Privatgelehrter wirkte er wohl seit dem letzten Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts in der nordafrikanischen Metropole und hier im Rahmen der christlichen Gemeinde. Von dieser trennte er sich auch nicht, als er sich dem Montanismus anschloss. Damit war der christliche Intellektuelle kein "bewußter Schismatiker" (S. 60); trotz aller Kritik an der Kirche - und hier kann ein Forschungstrend bestätigt werden 3 - sagte er sich nicht von dieser los. Auch die von Augustin erwähnten Tertullianisten stellten keine von Tertullian gegründete Gruppierung dar, obgleich sie sich, so eine These Zillings, an seinen in Nordafrika erfolgreich propagierten montanistischen Auffassungen (z.B. der Verurteilung der Zweitehe) orientierten. Seine von der bischöflichen Lehre abweichenden ethischen Positionen brachten ihn nicht nur in Konflikt mit dem Klerus, sondern führten auch zum Vorwurf der Häresie, wie ihn Augustin formulierte (de haer. 86).

Tertullian unterschied nach Ansicht der Autorin klar zwischen Philosophie und Christentum (S. 36f.). Dieses definierte er nicht nach rationalen, sondern nach moralischen Kritierien. Wenn der Apologet dabei Moral und Frömmigkeit, nicht Rationalität in den Vordergrund stellte, muss das allerdings nicht für seine antiphilosophische Haltung sprechen, denn beides prägte die Philosophie jener Zeit. Der eigenen philosophischen Ausrichtung bzw. Praxis Tertullians geht die Autorin nicht weiter nach. Sie hebt dafür seine theologische Leistung hervor, wie beispielsweise seine Lehre von der Trinität oder den zwei Naturen (S. 38-41). Dass der christliche Intellektuelle sich als Nordafrikaner und Römer verstand, zeigt das Pallium, das er wahrscheinlich am Ende seines Lebens trug (S. 61-64). Dies wird der so genannten Mantelschrift entnommen, die Tertullian zugleich als öffentlichen Rhetor in Karthago präsentiere. Die christliche Gemeinde umfasste hier alle sozialen Gruppen, wenn auch Angehörige der Oberschicht eine Minderheit darstellten. Genauere Angaben lassen sich aber anhand der tertullianschen Texte weder für die Zusammensetzung dieser Gruppen noch über den zahlenmäßigen Anteil von Christen an der nordafrikanischen Metropole treffen. In diesem Punkt schließt sich Zilling daher der bisherigen sozialhistorischen Forschung an.4

Im zweiten Teil der Arbeit (S. 83-138) geht es um die Hauptquelle, das Apologeticum, dessen einzelne Abschnitte die Autorin anschaulich interpretiert. Sie untermauert die These Beckers 5, dass diese Verteidigungsschrift von Tertullian in zwei Versionen verfaßt wurde. Die erste (und im Codex Fuldensis vorliegende) Fassung gab der Autor wohl spontan im Jahre 197 heraus. Zilling vermutet, dass die Machtkämpfe um den Thron zu christenfeindlichen Stimmungen und Ausschreitungen in Karthago führten, da die christliche Gemeinde sich den geforderten Loyalitätsbekundungen des Kaisers Septimius Severus entzog. Der überstürzten Edition des Textes ließ Tertullian später eine überarbeitete Version folgen; daraus erklärten sich die textlichen Abweichungen in der Überlieferung.

Der Frage nach den Adressaten des Textes schenkt Henrike Zilling besondere Aufmerksamkeit (S. 93-104). Ihrer Ansicht nach waren das Apologeticum - wie auch die Schrift Ad Scapulam (S. 160ff.) - an die Gemeindechristen gerichtet; diese wollte Tertullian trösten und ermutigen. Die im Text angesprochenen Statthalter besaßen gegen die Ansicht Eckerts 6 nur rhetorische Funktion: Ziel war es, Interesse unter christlichen Gleichgesinnten zu wecken, was vor allem durch scharfe Angriffe auf die staatlichen Amtsträger gelang. Wären diese die eigentliche Zielgruppe gewesen, so die Autorin, hätten die antichristlichen Vorwürfe (wie z.B. flagitia, Atheismus, Asebie oder Majestätsbeleidigung) im Apologeticum eine zentrale Position einnehmen, der Text zugleich versöhnliche Töne und zudem philosophisches Wissen aufzeigen müssen, kamen doch die Statthalter der großen Provinzen wie Africa aus dem Senatorenstand, deren Mitglieder über ein entsprechendes Bildungsniveau verfügte. Die Anschuldigung, Christen seien Kannibalen und trieben Inzest, spiele aber nur eine marginale Rolle; protreptische Züge fänden sich nur mit Blick auf den Kaiser und die philosophischen Kenntnisse beschränkten sich auf allgemeine Begriffe; christliche Lehren werden dabei in einem den Heiden vertrauten Gewand präsentiert. Diese, insbesondere ihre philosophischen Vertreter, konnten mit diesem Text nicht überzeugt werden - Christen sollten jedoch Argumente erhalten, die in der Auseinandersetzung mit der gegnerischen Umwelt hilfreich waren.

Tertullians Theologie ist Thema des dritten Teils (S. 139-180). In diesem untersucht die Autorin zuerst die eschatologischen Auffassungen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der christliche Denker nicht unmittelbar das Weltenende erwartete. Diese Haltung (die Tertullian auch in montanistischer Zeit vertrat) ermöglichte es ihm, die Vision eines christlichen römischen Reichs zu entwerfen. Um diese Vision zu verwirklichen, musste nicht nur die Apokalypse aufgeschoben werden; auch sollten Christen für den Fortbestand des Imperiums beten und dem Kaiser Respekt zollen. Ausgehend von der Argumentation Fögens 7 beschreibt die Autorin, wie im Apologeticum und in Ad Scapulam das Modell eines loyalen christlichen Reichsbürgers entwickelt wird, der dem Kaiser Gehorsam zu leisten hat. Dieser wiederum sollte sich als Mensch begreifen, dem kultische Ehren verwehrt seien. Damit forderte Tertullian eine konsequente Trennung von Kaiser und Gott, der sich alle Christen, aber auch der Herrscher selbst unterordnen sollten. Eine Einheit von Politik und Religion wäre allein unter christlichem Vorzeichen möglich; in diesem Sinne lese sich die im Apologeticum konzipierte Reichstheologie, mit der Tertullian auch auf Kritik des heidnischen Philosophen Celsus reagiere (S. 173). Ein orbis christianus wird vorweggenommen, dessen Bestand nur ein christlicher Kaiser sichern kann. Dem orbis Romanus spricht Tertullian dagegen jede auf religio beruhende Größe und Ewigkeit ab.

Arnobius von Sicca und seine Schrift Adversus nationes (303-305) stehen im Mittelpunkt des vierten Abschnitts (S. 181-206). Mit diesem Text begründete der heidnische Rhetor nach dem Zeugnis des Hieronymus (chron. a. 327) vor dem Bischof seine Konversion zum Christentum. Daher zählt Zilling das Werk nicht zu den Apologien "im eigentlichen Sinn" (S. 184). Ihre Analyse verdeutlicht jedoch die enge Bindung an diese recht offene Kategorie8: Arnobius möchte die heidnische Anschuldigung widerlegen, Christen hätten den Zorn der Götter erregt und seien daher für alles Unglück auf der Welt verantwortlich. Sein Hauptgegner - und hier schließt sich die Autorin Simmons 9 an - war der Neuplatoniker Porphyrius, an dessen antichristlichen Angriffen sich die arnobische Argumentation orientierte (S. 184-186). Diese soll die Göttlichkeit Christi belegen und somit der Behauptung widersprechen, Jesus sei lediglich ein weiser Mensch gewesen. Arnobius betont die christliche vox simplix, die für Wahrhaftigkeit stehe; zugleich argumentiert er mit in philosophischer Perspektive synkretistischen Ausführungen. Auf diese Weise legt er beispielsweise die christliche Heilslehre dar. Um den Anschuldigungen zu begegnen, die Christen würden mit der Tradition der Väter brechen, ihre Religion sei neu und damit unglaubwürdig, hebt der Rhetor den mit dem Christentum verbundenen Fortschritt hervor. Die Neuheit stehe für die christliche Wahrheit (S. 205). Damit unterscheidet sich die Argumentation des Arnobius von der Tertullians. Dieser hatte das Alter als Kriterium der Wahrheit noch hochgeschätzt, obgleich er bereits Zweifel am Wert der Gewohnheit äußerte (S. 150ff.).

Zilling fragt auch in diesem Abschnitt dezidiert nach den Adressaten des Textes und folgert: Arnobius wende sich (ähnlich wie Tertullian) mit forensischer Rhetorik an christliche Hörer; seine Polemik und Ironie hätten Heiden kaum überzeugt (S. 193, 195ff.). Die literarische Abrechnung mit dem Neuplatonismus sei zudem mit Anbruch der diocletianischen Christenverfolgung nur vor christlichem Publikum denkbar gewesen (S. 206). Gerade die philosophisch geprägte Argumentation spreche aber für gebildete Hörer sowohl christlicher wie heidnischer Provenienz (S. 195ff.). Der Apologet wende sich an seine heidnischen Schüler, Kollegen und an die Anhänger ihm vertrauter Philosophenzirkel (S. 196f.). Mit ihnen möchte er (so auch seine eigenen Worte, vgl. adv. nat. 1,29; 6,14) diskutieren.

Möglicherweise, und das suggerieren diese Aussagen, suchte Arnobius also doch eine breitere Öffentlichkeit als die christliche Gemeinde? Eine eindeutige Antwort wird es darauf wohl nicht geben. Denkbar wäre, dass Arnobius (und wohl auch Tertullian) gerade in politisch brisanten Zeiten bestrebt waren, über die Gleichgesinnten hinaus auf das heidnische Umfeld zu wirken und vor allem das christlichenfeindliche Verhalten von Statthaltern oder heidnischen Intellektuellen mit scharfen Worten zu kritisieren. Eine versöhnliche Absicht, wie von Zilling vorausgesetzt, muss gar nicht angenommen werden. Die städtische Bühne war beiden ambitionierten Rhetoren vertraut. Wollten sie wirklich auf diese Art der provozierenden Repräsentation verzichten?

Zwei weitere Überlegungen betreffen Aufbau und Methode der Arbeit: Die Wahl unterschiedlicher Schwerpunkte verleiht dieser eine besondere Note; möglicherweise wären aber die einzelnen Argumentationen noch klarer miteinander verknüpft worden, wenn die Untersuchung sich auf eine zentrale Fragestellung konzentrierte. Die Autorin orientiert sich dagegen in den jeweiligen Kapiteln an einzelnen Forschungsmeinungen, die sie widerlegt oder befürwortet. Damit ist einerseits ein guter Überblick über wichtige Positionen gewährleistet, andererseits fehlt eine darüber hinaus gehende Problemorientierung, die stärker eigene Akzente setzt. Angeboten hätte sich vielleicht, den Begriff Herrschaftstheologie so zu problematisieren, dass er die Gesamtkonzeption strukturierte. Zu fragen wäre auch, ob nicht durch eine buntere Quellenauswahl die kontextgebundenen Aussagen Tertullians noch gezielter genutzt werden könnten: Vielleicht hätte eine Analyse der Adversus-Literatur (auf die hier bewusst verzichtet wurde, S. 20) gezeigt, wie mit diesem Etikett die christliche Gemeinschaft auch durch Tertullian sozial geordnet wurde; ob er selbst ein „Häretiker“ war, hätte man auf diese Weise eventuell noch differenzierter beurteilen können.

Die abschließenden Fragen verdeutlichen zugleich die anregende Wirkung des Buches. Dieses zeichnet ein plausibles Bild von Tertullian, seinem herrschaftstheologischen Denkmodell und der apologetischen Leistung des Arnobius.

Anmerkungen:
1 Kinzig, W., Der "Sitz im Leben" der Apologie in der Alten Kirche, in: ZKG 100 (1989), S. 291-317.
2 Barnes, T. D., Tertullian. A Historical and Literary Study, Oxford 1971.
3 Z.B. Rankin, D. L., Tertullian and the Church, Cambridge 1995; Markschies, Ch., Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis, mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins, Tübingen 1992.
4 Vgl. Schöllgen, G., Ecclesia sordida? Zur Frage der sozialen Schichtung frühchristlicher Gemeinden am Beispiel Karthagos zur Zeit Tertullians, Münster 1984.
5 Tertullian, Apologeticum. Verteidigung des Christentums, hg. u. übers. v. C. Becker, München 1961, S. 229ff.
6 Eckert, G., Orator christianus. Untersuchungen zur Argumentationskunst in Tertullians Apologeticum, Stuttgart 1993, S. 255ff., der aber die Gemeindechristen nicht ausschließt.
7 Fögen, M. Th., Revolution und Devotion? Anmerkungen zum Widerspruch der frühen Christen gegen das römische Kaisertum, in: RJ 11 (1992), S. 72-84.
8 Zum umstrittenen Gattungsbegriff vgl. Bergjan, S.-P., Der fürsorgende Gott. Der Begriff pronoia in der apologetischen Literatur der Alten Kirche, Berlin 2002, S. 83-106, die aber von Henrike Zilling in der viel diskutierten Adressatenfrage durchaus rezipiert wird.
9 Simmons, M. B., Arnobius of Sicca. Religious Conflict and Competition in the Age of Diocletian, Oxford 1995, S. 9, 122ff.

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