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Titel
Arthur Koestler. Ein extremes Leben 1905-1983


Autor(en)
Buckard, Christian
Erschienen
München 2004: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
416 S.
Preis
€ 26,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Siegfried Schwarz, Berlin

Christian Buckard, Experte für Judaistik, hat mit der vorliegenden Biografie ein gut recherchiertes, auf reichem Quellenmaterial beruhendes Werk verfasst, das ein tatsächlich „extremes Leben“ – wie der Untertitel heißt – im 20. Jahrhundert schildert und bewertet. Arthur Koestler war ein ungarisch-jüdischer Intellektueller, der sich als Journalist und Schriftsteller vielen Themen seiner Zeit zuwandte, der aber auch verschiedenartigen politisch-religiösen Bewegungen angehörte und sich dadurch in mancherlei Kontroversen und Feindschaften verstrickte. Durch seine pointierten Polemiken und originellen Ideen zählt er zu den umstrittensten und streitbarsten europäischen Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts.

Arthur Koestler, 1905 geboren, entstammte einer ungarisch-österreichischen Kaufmannsfamilie, wuchs in Budapest auf und erhielt seine Ausbildung zum Ingenieur in Wien. Als überzeugter und kämpferischer Zionist ging er 1926 erstmals, danach immer wieder, für längere Zeit nach Palästina, zeitweise als Auslandskorrespondent für den Ullstein-Verlag in Jerusalem. Auch war er in den 1920er-Jahren für diesen Verlag in Paris und Berlin als Wissenschafts-Redakteur tätig.

1931 wandte er sich der kommunistischen Bewegung zu und wurde Mitglied der KPD, obwohl er über die Abneigung der Kommunisten gegenüber dem Zionismus und dessen Repräsentanten unterrichtet gewesen sein musste. Er unternahm Reisen in die Sowjetunion und wurde zeitweilig Mitarbeiter von Willi Münzenberg, dem Organisator des antifaschistischen Widerstands in Paris. 1937 engagierte sich Koestler im Spanischen Bürgerkrieg auf republikanischer Seite, wurde verhaftet und von den Franco-Behörden zum Tode verurteilt. Drei Monate verbrachte er in einer Todeszelle, wurde jedoch in letzter Minute infolge massiver britischer Intervention freigelassen. Im Ergebnis seiner Haft schrieb er sein „Spanisches Testament“ (1937), mit dem ihm ein Sprung in die erste Reihe der europäischen Schriftsteller seiner Generation gelang (S. 138).

Koestler lebte sodann in Frankreich, trat 1938 demonstrativ aus der KPD aus und rechnete 1940 mit dem sowjetrussischen System, insbesondere mit den Schauprozessen der 1930er-Jahre, kategorisch ab, nicht zuletzt durch seinen vielfach übersetzten und aufgelegten Roman „Sonnenfinsternis“ („Darkness at noon“). Ab 1955 wandte er sich vorwiegend naturwissenschaftlichen, auch parapsychologischen, Studien zu. In England hatte er Zuflucht gefunden und die britische Staatsangehörigkeit angenommen. Wegen unheilbarer Krankheiten setzte er 1983 seinem unruhigen, streitbaren Leben in London selbst ein Ende.

Buckard dokumentiert ausführlich die wichtigste Konstante in Koestlers Leben: die Beschäftigung mit dem Zionismus und mit dem militanten Kampf für dessen Realisierung, d.h. letzten Endes für die Etablierung des Staates Israel im Mai 1948. Als Ausgangspunkt für den Koestlerschen Weg charakterisiert der Autor den Gegensatz zwischen den völlig assimilierten ungarischen Juden und den weniger assimilierten „Ostjuden“, den jiddischsprachigen „Galiziern“. Es habe zwischen ihnen eine erhebliche Distanz existiert, die seitens der ungarischen Juden von Überlegenheitsgefühl, Geringschätzung und Scham gegenüber den zumeist orthodoxen „Ostjuden“ erfüllt war (S. 15). Buckard meint, Koestler habe sein „Judesein“ also auch über die Abgrenzung zu den traditionell lebenden „Ostjuden“ und über die Nähe zu den vermeintlich so tüchtigen und naturverbundenen wie trinkfesten nichtjüdischen Magyaren definiert (S. 17).

Im Vorfeld der Gründung des Staates Israel habe sich Koestler, wie der Biograf im Einzelnen ausführt, in unterschiedlichen, teilweise sich befehdenden Organisationen engagiert. Hierbei sei er auch zeitweise propagandistisch in die Nähe solcher Gruppen geraten, die in ihrem Kampf sowohl gegen die Araber als auch gegen die Briten vor terroristischen Akten nicht zurückschreckten. Buckard resümiert, Koestler habe sich, trotz mancher Enttäuschungen, in Palästina „verwurzelt“ gefühlt und Israel als „seinen Staat“ betrachtet. Er habe „sein Recht“ eingefordert, „als Teil des israelischen Kollektivs akzeptiert“ zu werden (S. 258). Er habe argumentiert, Palästina sei „ein Brückenkopf der Westmächte“. In mehreren Memoranden habe er die eindeutig demokratische Prägung und westliche Orientierung des jüdischen Palästinas unterstrichen (S. 242).

Eine andere Konstante in Koestlers Leben war die Beschäftigung mit sozialistischen und kommunistischen Ideen, wenngleich mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Der Biograf schildert zwar einige Einzelheiten der Mitgliedschaft des Porträtierten in der KPD, der er am 31. Dezember 1931 beigetreten war, und nennt diesen Schritt die „vielleicht erstaunlichste Wendung in seiner politischen Biographie“, jedoch erscheint der Vorgang dem Leser nicht genügend motiviert zu sein. Eigentlich hätte Koestler die Unvereinbarkeit von Zionismus und Kommunismus a priori klar sein müssen, er selbst habe seinen Beitritt zur KPD hingegen nie als einen Bruch mit dem Zionismus aufgefasst, meint der Biograf: „Er verdrängte den Antizionismus Moskaus.“ (S. 113) Nachdem im Spanischen Bürgerkrieg kommunistische Funktionäre auch von ihm verlangt hätten, bestimmte Gruppen der Antifa-Kämpfer (z.B. die anarchistische Partei POUM) als „Faschisten“ und „Verräter“ zu brandmarken, sei dies der letzte Anstoß für seinen Bruch mit der Partei im Februar 1938 gewesen. Eine der koestlerischen „Ketzereien“, der neuen Bekenntnisse, sei nunmehr gewesen: „Keine Bewegung, Partei oder Person kann für sich das Privileg der Unfehlbarkeit in Anspruch nehmen.“ (S. 159)

Von seinen bisherigen Parteifreunden sei er keines Blickes mehr gewürdigt worden. An Egon Erwin Kisch und andere schrieb er in einem Brief, er verspüre jetzt das elementare Bedürfnis, wieder frei zu atmen, zu denken, ohne Verbote zu schreiben und seine Meinung zu äußern. Er wisse zwar nicht, ob er seinen Austritt bereuen werde, doch zweifle er nicht daran, dass der Weg der Partei eine Sackgasse sei (S. 161). Hinfort betätigte er sich als prononciert antikommunistischer Schriftsteller und Redner in vielen Ländern, so z.B. auf dem „Kongress für die Kulturelle Freiheit“ im Juni 1956 in Westberlin. Er wurde in jener Zeit zu einer prägenden Figur, zu einem propagandistischen Akteur des Kalten Krieges und entfaltete insofern eine nicht unbeträchtliche Wirkung auf Intellektuelle in jener zugespitzten Situation.

Koestler konnte nicht ahnen, so schreibt sein Biograf, dass der bereits erwähnte Roman „Sonnenfinsternis“, handelnd in einem nicht näher bezeichneten totalitären Staat, sowie andere seiner Werke ihm einen der vorderen Plätze in der Weltliteratur seiner Zeit sichern sollten. Zu seinen weiteren antikommunistischen Publikationen, die scharfe Kritik am sowjetrussischen Herrschaftssystem der 1930er und 1940er-Jahre enthalten, gehören: „Ein Gott, der keiner war“ („The God That Failed“) von 1950, „Gottes Thron steht leer“ („The Age of Longing“) von 1951, dazu zahlreiche publizistische Aufsätze in Zeitschriften und Sammelbänden.

In den letzten Jahrzehnten seines Lebens wandte sich Koestler dem Grenzgebiet von Philosophie und Naturwissenschaften zu. Er strebte danach, die wissenschaftliche Grundlage für eine „synthetische Philosophie“ zu schaffen, die nicht nur der „ökonomischen Fatalität“, sondern auch dem „ozeanischen Gefühl“ gerecht werden würde. Der Biograf stellt fest, dass Koestler sich mit seinem Werk „Die Wurzeln des Zufalls“ („The Roots of Coincidence“) von 1972, einem Plädoyer für die Anerkennung der Parapsychologie, noch stärker in eine Außenseiterposition begeben habe (S. 298, 300).

Buckard charakterisiert auch die unangenehmen Seiten des inzwischen berühmt gewordenen Schriftstellers. Er nennt sein oft unbeherrschtes, mitunter sogar gewalttätiges Temperament, seinen zügellosen Spott, „sein absurd und kindisch anmutendes Bedürfnis, öffentlich und privat Lektionen zu Themen zu geben, von denen er offensichtlich weniger als die Adressaten seiner Belehrungen verstand“. Dies alles habe dazu beigetragen, dass Koestler in Israel und anderswo immer wieder als ein Außenseiter betrachtet worden sei, der sich wie ein Insider aufgeführt habe (S. 274 f.). Sein notorischer Hang zur Besserwisserei brachte einst Albert Einstein zu dem Bonmot: „Der allmächtige Gott weiß alles, aber Arthur Koestler weiß alles besser.“ (S. 334) Christian Buckard ist mit seiner Biografie ein anschaulicher, auch den Nuancen und Eigenheiten des Koestlerschen Lebens nachspürender Bericht gelungen.

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