Der Band enthält die Beiträge eines Symposiums des Instituts für Bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilian-Universität München und der Generaldirektion der Staatlichen Archive aus dem Jahr 2000. Das Ziel ist es, die „Geschichte Bayerns im Dritten Reich speziell in Bezug auf die Aktionen des Regimes zu untersuchen, da nur von hier aus das Verhalten des Menschen in dieser Zeit, besonders auch des Widerstandes, angemessen beurteilt werden kann“ (S. V). Dies geschieht in fünf Abteilungen: I. Grundlagen, II. Regierungstätigkeit, III. Verwaltung, IV. Parteiaktivitäten und V. Vergleich. Hinzu kommen zwei Artikel ohne Einordnung als Einführung, ein „Historiographischer Überblick und Bibliographie“ (W. Ziegler) und ein Anhang, der 25 Biogramme des NS-Größen enthält (M. Unger), sowie ein geografisches und ein Personenregister. Hermann Rumschöttel, Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns, gibt die Linie des Forschungsvorhabens vor: „Kann man von einem bayerischen Regierungshandeln und von selbständigen kommunalen Verwaltungsaktivitäten [...] sprechen, mit denen bayerische Tradition fortgesetzt und Freiräume im zentralistischen deutschen Staat genützt werden?“ (S. 2) Walter Ziegler, Emeritus für Bayerische Geschichte, fordert gar, „zu einem annehmbaren Bild der regionalen NS-Herrschaft zu gelangen“ (S. 5).
Da sich eine detaillierte Einzelkritik aus Platzgründen verbietet, werden die Aufsätze kurz vorgestellt und auf die programmatischen Ausführungen des Initiators Ziegler eingegangen. An die Spitze der Einzelbeiträge wurde der Öffentliche Abendvortrag gestellt, in dem Ulrich von Hehl die in der Verwaltung und als Verwaltung handelnden Personen in einen gesamtdeutschen Blick nimmt und damit indirekt Forschungslücken in Bayern anspricht. Er analysiert die institutionellen, mentalen und ideologischen Entwicklungen der deutschen Beamtenschaft von der Ära der Präsidialkabinette und dem mit ihr verbundenen autoritären Umbau des Staates über die Machtübergabe und das Deutsche Beamtengesetz von 1937 bis in die Kriegszeit, in der sich die politische und exekutive Macht immer noch weiter von den staatlichen Instanzen zu den Dienststellen der Partei hinverlagert.
Hermann Rumschöttel fragt nach der Rolle von Ministerrat, Ministerpräsident und Staatskanzlei und untersucht ihre politische und exekutive Funktion vor dem Hintergrund ihrer im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert deutlich herausgehobenen und einflussreichen Stellung. Trotz Kompetenzverlusten bleiben sie nach 1933 zumindest Identifikationsangebote für die bayerische Bevölkerung und die bayerische Verwaltung im zentralisierten Reich. Die größte Kontinuität ist bei den einzelnen Ministerien zu beobachten.
Im Abschnitt „Regierungstätigkeit“ werden der Reichsstatthalter und die vier nach der Auflösung des Justizressorts verbliebenen Ministerien untersucht. Als Schnittstelle zwischen Reich und Land, die sich nur schwer in die überkommene Verwaltungsgliederung einordnen ließ, sieht Bernhard Grau den Reichsstatthalter in Bayern Franz Xaver Ritter von Epp. Ausführungen über einen von Epps erfolgreichsten Kontrahenten Adolf Wagner „als bayerischer Politiker“ stellt Gerhard Hetzer an den Anfang seiner Studie über Personal und Verwaltungsbereiche des Innenministeriums. Im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus ist die „Nazifizierung“ 1941 endgültig abgeschlossen. Winfried Müller stellt die Minister und die Personalstruktur der Behörde vor, analysiert das Geflecht der Gegenspieler des Kultusministeriums in Bayern und im Reich und befasst sich mit den an der NS-Ideologie ausgerichteten Arbeitsschwerpunkten. Beim Bayerischen Finanzministerium 1933-1945 untersucht Mathias Rösch die Aufbauorganisation, die Personalentwicklung, zwei Kerngebiete der ministeriellen Arbeit (Haushalt und Staatsschulden) und die finanzpolitischen Rahmenbedingungen Bayerns im NS-Staat. Außerdem spricht er die „Einbindung des Finanzministeriums in die kriminelle Dynamik“ des nationalsozialistischen Staates deutlich an („Säuberungen“, „Arisierungen“ u.a.). Paul Erker befasst sich – unter der speziellen Fragestellung „Das Siebert-Programm und die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik 1933-1939“ – mit dem Wirtschaftsministerium, das schnell zu einem Instrument der NS-Wirtschaftspolitik geworden war. Es stützte einen Strukturwandel, der darauf hin zielte, Rationalisierungs- und Anpassungsprozesse der Weimarer Zeit in großem Umfang rückgängig zu machen.
Karl-Ulrich Gelbergs Untersuchung der Obersten Baubehörde im Zeitraum zwischen 1932 und 1949 fragt nach der Kontinuität einer traditionsreichen bayerischen Zentralbehörde. Im Mittelpunkt der Arbeit von Michael Unger steht die Zentralisierung der bayerischen Staatsforstverwaltung unter dem Ministerpräsidenten im Jahr 1935. Die bayerischen Regierungspräsidenten 1933-1945 thematisiert Stephan Deutinger. Probleme der Kommunalverwaltung im NS-Regime diskutiert Andreas Wirsching am Beispiel Schwabens. Eine letztlich nicht verwirklichte Gebietsreform ist das Thema von Thomas Forstner. Der Politischen Organisation der NSDAP und ihrer angeschlossenen Verbände gelten die Untersuchungen des vierten Kapitels (Parteiaktivitäten). In den Kreistagen der NSDAP im Gau München Oberbayern sieht Bernhard Schäfer Reichsparteitage en miniature und Werkzeuge der Machtentfaltung, Mobilisierung und völkischen Integration. Katja Klees Thema ist die nationalsozialistische Wohlfahrtspolitik am Beispiel der NSV in Bayern. Der Herrschafts- und Verwaltungsgeschichte des Reichsnährstandes in Bayern als eine bäuerliche Selbstverwaltungskörperschaft mit besonderer ideologischer Aufgabenstellung („Blut und Boden“) geht Christoph Bachmann nach.
Am Ende des das Symposium dokumentierenden Teils des Sammelbandes steht als Blick über Bayerns Grenzen die Studie von Michael Kißener über das Verhältnis von Staat und Partei in Baden am Beispiel der badischen Justizverwaltung. Abgeschlossen wird der Band durch ein umfangreiches und systematisch geordnetes Quellen- und Literaturverzeichnis, das durch einen ausführlichen historiografischen Überblick zur Geschichte Bayerns im Dritten Reich eingeleitet und erschlossen wird (Ziegler), dann durch 25 Biogramme wichtiger Akteure aus dem Bereich von Staat und Partei (Michael Unger), schließlich durch eine Personen- und ein Geografisches Register (Sabine Rehm-Deutinger).
Problematisch erscheint der Ansatz von Ziegler, der danach fragt, wie dieses „Selbstverständnis der bayerischen Gauleiter“ war und wie sie dieses Selbstverständnis „bei der konkreten Ausfüllung des gegebenen Freiraums leitete“ (S. 79). Ist es selbstverständlich legitim, nach den Motiven der Täter zu fragen, so setzt die Freiraum-Metapher den Willen zur Nutzung dieses Freiraums voraus, als hätte es aufgrund regionaler Unterschiede eine andere Behandlung z.B. der Juden oder der Kommunisten gegeben. Hierzu wären aber gerade die „Aktionen“ der Gauleiter interessant und nicht ihr Selbstverständnis. Gerade dies aber will Ziegler nicht leisten (S. 79). Sprachlich ist der Aufsatz so oberflächlich, dass Missverständnisse entstehen müssen, so wird z.B. von der „Betreuung der Bevölkerung“(S. 81) durch die Gauleiter oder vom „Ausfall durch Tod“ für die Ermordung Fritz Wächtlers (S. 85) gesprochen. Zweifelhaft ist die Übernahme von Werturteilen: So übernimmt der Autor die Selbstbeschreibung des schwäbischen Gauleiters Wahl, er sei „kein Machthaber des Dritten Reiches“ gewesen, mit den Worten, dies sei „wohl treffend“ (S. 94). Das Kapitel ist aber fast ausschließlich nach der Autobiografie Wahls aus dem Jahr 1953 oder anderen NS-Quellen gearbeitet, kann also nur apologetischen Charakter haben.
Ein anderes Beispiel ist die Charakterisierung Fritz Wächtlers, Gauleiter der „Ostmark“, dem ein Hang „zu Luxus und Trunksucht“ nachgesagt wurde. Damit wurde er, so Ziegler, „für die Partei- und Staatsführung in München zweifellos ein Fremdkörper“ (S. 105). Abgesehen von der Fragwürdigkeit des Urteils besaß Gauleiter Wagner ähnliche Neigungen. Was derartige Urteile in einer historischen Abhandlung zu suchen haben, wird nicht ersichtlich. Völlig abwegig erscheinen diese Urteile, wenn mit keinem Wort auf die Verfolgung der Terrormaßnahmen im Gau (mit Ausnahme des Kirchenkampfes) eingegangen wird. Formulierungen wie „bis heute wertvolle regionalhistorische Landesbeschreibungen“ (zum „Gaubuch“ von Hans Scherzer von 1940) oder „der Anfall der Böhmerwald-Gebiete an Bayern“ (zur erzwungenen Gebietsabtretung 1938) ergänzen dieses Bild. Wächtlers „Grenzgauideologie“ habe keine dezidiert aggressiven Züge enthalten (S. 111). Wie sind die Enteignungen und Umsiedlungen im Sudetenland denn dann zu bezeichnen? Hier ist eine Lücke in der Rezeption der Besatzungspolitik.1 Ziegler kommt zu dem Fazit, dass „die Persönlichkeiten, die Art ihrer Aktivitäten und ihrer besonderen Ziele höchst unterschiedlich“ (S. 123) waren. Dass Ziegler aber nicht zu den Apologeten des NS-Staates gehört, zeigen seine Schlussworte. Dennoch versteht man nicht, was eigentlich Ziel dieser Untersuchung sein soll. Der einzige Maßstab bleibt ein imaginäres Bayerntum, denn alle anderen Parameter einer prosopografischen Untersuchung wie z.B. Alter, Beruf, Religion u.a. bleiben ausgespart.
Die Fruchtbarkeit eines „regionalen Ansatzes“ zeigt sich an diversen Studien des Bandes. Herausheben möchte ich in diesem Zusammenhang die Studie „Zur Rolle des Bayerischen Finanzministeriums“ von Mathias Rösch, die zeigt, wie durch Übernahme durch Reichsbehörden, aber auch durch „rigorose Sparpolitik“ (S. 228) die Haushaltsprobleme in den Griff bekommen wurden, und die zumindest in einigen Punkten der These von Götz Alys „Gefälligkeitsdiktatur“ widerspricht. Interessant zu erfahren wäre, wie z.B. die bayerischen Staatschulden von 1932 377 Mio. RM auf 292 Mio. RM (1936), 205 Mio. RM. (1941) gesunken sind und welche Rolle z.B. Arisierungsgewinne, Rösch hält dies für ein Forschungsdesiderat (S. 241f.), oder die Besatzungspolitik dabei gespielt haben. Rösch deutet hier an, dass noch Forschungslücken bestehen, dass aber von einer Zunahme der Reichsschuld, d.h. einer Umverteilung 1939/40: 47,9 Milliarden RM auf 1944/45: 379 Milliarden RM, auszugehen sei. Zusätzlich sei mit Steuermehreinnahmen in Bayern zu rechnen. Bis 1936 verlor Bayern jedoch „knapp 26 Prozent seiner gesamten Steuereinnahmen, die ihm noch im Geschäftsjahr 1933 zur Verfügung gestanden hatten“ (S. 236). Damit wurde Bayern fast völlig von Ausgleichsregelungen des Reiches abhängig, bis 1943 endgültig die Steuerhoheit den Ländern genommen wurde.
Sehr ertragreich ist auch Paul Erkers Studie „‚NS-Wirtschaftsaufschwung’ in Bayern?“, der sich den beiden Fragen widmet, wie die wirtschaftspolitischen Maßnahmen des Reiches regional angekommen sind und inwieweit in dieser Phase bereits die Wurzeln des Industriestaates Bayern nach 1945 lagen. So kann er zeigen, dass sich die Forderung des sozialen Wohnungsbaus im Vergleich zur Weimarer Republik verschlechterte, dass die Kredithilfen nicht oder kaum wirkten und dass insgesamt eine Verlagerung zur Aufrüstung stattfand (von 1934: 18% der Ausgaben der öffentlichen Haushalte zu 1938: 58%). Diese Zahlen und Fakten sind aber durch die Forschungen Ch. Buchheims bereits bekannt. Dennoch beschleunigten die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen den Wirtschaftsaufschwung, so dass die Arbeitslosenzahlen in Bayern um ca. 70 Prozent zwischen Januar 1933 und Mai 1936 zurückgingen (S. 260). Ein Teil der Maßnahmen wurde aber bereits in der Weimarer Republik beschlossen (Gereke-Plan) und die Nationalsozialisten profitierten vom bereits einsetzenden Wirtschaftsaufschwung. Außerdem bleibt offen, inwieweit die Wehrpflicht und der Reichsarbeitsdienst in diese Rechung einbezogen wurden. Interessant für die Diskussion um Götz Alys „Gefälligkeitsdiktatur“-These ist die Feststellung zur Lebensqualität: „Materiell brachte daher der Wirtschaftsaufschwung für die Masse der Menschen keine Verbesserungen der Lebensqualität.“ (S. 264) Die Nettoreallöhne wurden niedrig gehalten, die Qualität der Produkte sank, das Wachstum des privaten Verbrauchs wurde nach 1933 eingeschränkt und es kam zu Engpässen im Bereich des Konsumgütersektors. Erker stellt auch am Beispiel der Philipp Rosenthal Porzellanfabrik dar, wie das Bayerische Wirtschaftsministerium sich zum „Handlanger wie aktiven Betreiber der ‚Arisierung’“ (S. 277) machte. Durch die Annexionen Österreichs und der Tschechischen Republik verschlechterte sich der Wirtschaftsstandort Bayern immer mehr. Den Durchbruch zum Industriestaat verschafften schließlich die Aufrüstung und die Verlagerung von Rüstungsfirmen nach Bayern.
Generell sind die meisten Vorträge aus Archivarbeiten hervorgegangen und stellen somit eine Bereicherung der Forschung in vielerlei Hinsicht dar. Man wird also in Zukunft als Ergänzung zur Martin Broszats u.a. Bänden „Bayern in der NS-Zeit“ zu diesem Band greifen, auch wenn man nicht alle Bewertungen teilen wird.
Anmerkung:
1 Heinemann, Isabel, Rasse, Siedlung, deutsches Blut, Göttingen 2003, S. 127-186