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Titel
Gegen den Strom. Die Reaktion der CDU/CSU-Opposition auf die Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition 1969-1973


Autor(en)
Grau, Andreas
Reihe
Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 47
Erschienen
Düsseldorf 2005: Droste Verlag
Anzahl Seiten
556 S.
Preis
€ 42,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benjamin Obermüller, Bonn

Nach genau 20 Jahren an den Schalthebeln der Macht musste sich die CDU/CSU nach der Bundestagswahl 1969, obwohl sie erneut stärkste Fraktion geworden war, auf die harten Bänke der Opposition begeben. Nach den drei Jahren der „Eintracht“ innerhalb der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger begann nun eine Zeit der ideologischen Grabenkämpfe, die sich besonders an der Frage der Ost- und Deutschlandpolitik entzünden sollte. Andreas Grau hat sich in seiner bei Hans-Peter Schwarz entstandenen Dissertation nun, erstmals ausführlich und auf umfangreichen Quellen fußend, mit der Oppositionspolitik der CDU/CSU bezüglich der Außen- und Deutschlandpolitik beschäftigt. Dabei boten ihm die bisherigen Forschungsergebnisse eine akzeptable Grundlage: Neben zahlreichen Memoiren hochrangiger Politiker wie Helmut Kohl, Franz Josef Strauß, Rainer Barzel oder Richard von Weizsäcker finden sich einige wissenschaftliche Untersuchung von unterschiedlicher Qualität. Arnulf Baring1, Christian Hacke2 oder aber auch Peter Bender3 widmen sich der CDU/CSU, wenngleich meist auf die umfangreiche Auswertung von Akten verzichtet wird. Bislang fehlte es also an einer „systematisch die zugänglichen Quellen auswertende Arbeit über die Union und ihre Reaktion auf die Ost- und Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Koalition 1969-1973“ (S. 19).

Der Aufbau der Untersuchung ist streng chronologisch. Von der Übernahme der Regierungsverantwortung durch Willy Brandt im September 1969 bis zum August 1973 steckt Grau seinen Untersuchungszeitraum ab. In zwei übergeordneten Kapiteln wird die Oppositionspolitik der CDU/CSU im 6. und 7. Bundestag dargestellt. Das zweite Kapitel thematisiert, aufgrund der kurzen Zeitspanne, nur die Bundestagswahl von 1972 sowie den Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Die Weichen für die Oppositionspolitik wurden somit im 6. Bundestag gelegt. Im Anschluss an die Schilderung der chronologischen Ereignisse folgt eine systematisch gegliederte Zusammenfassung sowie Kurzdarstellungen der wichtigsten Akteure, deren Stellenwert und Haltung zum deutschlandpolitischen Kurs der Opposition. Während sich führende Vertreter der CDU trotz ihrer z.T. massiven Kritik an der Regierungsarbeit für eine Annahme der wichtigsten Gesetzesvorhaben aussprachen bzw. diese nicht behinderten, begab sich die CSU in eine Frontalopposition.

Bereits kurz nach dem Regierungswechsel setzte die sozial-liberale Koalition neue ost- und deutschlandpolitische Akzente. Der bisherige Weg, d.h. die Anwendung der Hallstein-Doktrin und somit die Ablehnung jedweder Kontakte mit der DDR sollten überwunden werden, wollte man in naher Zukunft sich einander annähern und die Wiedervereinigung vollziehen. Soweit die Vorstellung von Brandt, Scheel und Bahr. Die CDU/CSU – nach dem Wechsel in Bonn „in ein tiefes Loch“ (S. 33) fallend – musste sich zunächst in ihre Rolle als Oppositionspartei finden. Nicht zuletzt deshalb agierte sie zu Beginn der 6. Legislaturperiode ein wenig unbeholfen. Dennoch: Hauptkritikpunkt der CDU/CSU am Kurs der Regierung war nicht per se die Annäherung an den Osten, vielmehr stieß Ihnen die Geschwindigkeit sowie großen Teilen der CSU die angebliche Preisgabe von rechtsstaatlichen Grundlagen sauer auf.

Ein weiterer Kritikpunkt der CDU/CSU war, dass „in entscheidenden Punkten den Forderungen der anderen Seite nachgegeben“ wurde (S. 246) und sie somit gegen die deutschen Interessen standen. Ein dauerhafter Friede sei so nicht möglich, hieß es aus den Reihen der Opposition. Der Vorwurf einer mangelnden Informationsversorgung der Regierung an die Opposition stand zudem im Raum und wurde von den Spitzen beider Parteien mehrfach geäußert.

Im weiteren Verlauf der Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition verhärteten sich die Fronten zwischen Regierung und Opposition. Zahlreiche Abgeordnete wechselten zur CDU/CSU, so dass im Jahr 1972, nur drei Jahre nach der Bildung der Koalition, diese ohne parlamentarische Mehrheit im Bundestag und somit handlungsunfähig war. Grau gelingt es besonders gut, die Rolle des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU Rainer Barzel herauszuarbeiten. Barzel, der 1973 von seinem Posten zurücktrat, hatte in dieser Phase die nicht gerade beneidenswerte Aufgabe, beide Parteien auf eine Linie zu bringen, um somit die Regierungspolitik angemessen zu kritisieren und mit einer Stimme zu sprechen. Nach der verlorenen Bundestagswahl, die in der CDU/CSU schon als gewonnen geglaubt galt, war dies umso schwieriger. Franz Josef Strauß machte die Wahl Barzels erneut zum Fraktionsvorsitzenden von „einer Einigung über die grundsätzliche politische Linie abhängig“ (S. 409). Durch mehrere Besprechungen konnten die Differenzen zwischen beiden Parteien überwunden werden, Barzel wurde wieder zum Fraktionsvorsitzenden gewählt. Doch die Einigung hielt nicht lange: An der Frage des UNO Beitritts der Bundesrepublik und der Haltung zur DDR im Zuge des Grundlagenvertrags entzündete sich erneut Streit in der Union. Als Konsequenz nahm Barzel am 9. Mai 1973 seinen Hut. Bis zur Wahl eines neuen Vorsitzenden wurde Kurt Georg Kiesinger mit dieser Aufgabe betraut.

Obwohl der Grundlagenvertrag und der darin enthaltene Beitritt der Bundesrepublik und der DDR zur UNO von der Opposition abgelehnt wurden, konnte er dennoch ratifiziert werden und trat in Kraft. Dies nahm die Opposition resp. die bayerische Staatsregierung auf Nachdruck einiger CSU Bundestagsabgeordneter allerdings nicht als übliche parlamentarische Niederlage in Kauf, sondern reichte Klage beim Bundesverfassungsgericht ein, da man große Teile des Vertrages – in erster Linie die angebliche Zementierung der Verhältnisse an der innerdeutschen Grenze – als nicht mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik vereinbar ansah. Karlsruhe fällte allerdings ein einstimmiges Urteil: Der Grundlagenvertrag sei in großen Teilen mit dem Grundgesetz vereinbar. Einen Teilerfolg konnten die Kläger dennoch für sich verbuchen: Die Verhältnisse an der deutsch-deutschen Grenze galt es unbedingt zu verbessern. Sie wurden als „unmenschliche Zustände“ (S. 497) zu Recht angeprangert. Die bisherige Praxis an der Mauer galt den Richtern als nicht vereinbar mit dem Vertrag.

Was waren nun die Verdienste der Opposition während der sozial-liberalen Ära auf dem Feld der Außen- und Deutschlandpolitik? Grau konnte herausarbeiten, dass besonders die Betonung der Menschenrechte im Vordergrund der Überlegungen von CDU/CSU standen und diese immer wieder betont wurden. Die Normenkontrollklage und das für die Opposition positive Urteil kann als Bestätigung ihrer stetigen Bemühungen angesehen werden. Weiter geht Grau in seiner Bewertung allerdings nicht. In der Zusammenfassung werden lediglich Urteile aus der Sekundärliteratur zitiert.

Grau hat eine sehr akribische Studie zur Reaktion der CDU/CSU auf die sozialliberale Außenpolitik der ersten Hälfte der 1970er-Jahre vorgelegt. Die genaue Rekonstruktion der Verhandlungen und Abläufe stellt eine stupende Leistung dar. Neben diesen positiven Aspekten gibt es allerdings zahlreiches zu kritisieren. Die Akribie ist zugleich die größte Schwäche des Buches: Zahlreiche Redundanzen erschweren die Lektüre erheblich. Hier hätte ein besseres Lektorat die Leser/innen schonen können. Unnötig, da nicht immer Erkenntnis bringend, sind die seitenweise rezitierten Protokolle des Fraktionsvorstandes der CDU/CSU. Hieran knüpft sich ein weiteres Manko: Grau fehlt oft der Mut zum Urteil. Nur äußerst selten ist die Stimme des Historikers zu vernehmen, dessen Aufgabe es als Deuter vergangener Ereignisse ja gerade ist, Prozesse und Vorkommnisse zu analysieren und einzuschätzen. Zu oft bleibt die teilweise zu nahe Quellenarbeit unkommentiert. Ein Grund dafür könnte das fehlende Korrektiv sein. Der Verzicht auf die Regierungsperspektive macht es beinahe unmöglich, über das Deskriptive hinauszukommen.

Am Ende der Lektüre bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Die Leistungen Andreas Graus anerkennend, überwiegt doch der Eindruck einer verpassten Chance. Ärgerlich, hätte das Thema doch mehr hergegeben und besitzt wohl auch der Autor das Potential für eine bessere Untersuchung.

1 Baring, Arnulf, Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel, Stuttgart 1982.
2 Hacke, Christian, Die Ost- und Deutschlandpolitik der CDU/CSU. Wege und Irrwege der Opposition seit 1969, Köln 1975.
3 Bender, Peter, Neue Ostpolitik. Vom Mauerbau bis zum Moskauer Vertrag, München 1989.

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