G. Fouquet u.a. (Hgg.): Geschlechtergesellschaften, Zunft-Trinkstuben

Cover
Titel
Geschlechtergesellschaften, Zunft-Trinkstuben und Bruderschaften in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten.


Herausgeber
Fouquet, Gerhard; Steinbrink, Matthias; Zeilinger, Gabriel
Reihe
Veröffentlichungen des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung 30
Erschienen
Stuttgart 2003: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Oelze, SFB 485 "Norm und Symbol. Die kulturelle Dimension sozialer und politischer Integration", Universität Konstanz

Die auf der coniuratio, der gegenseitigen eidlichen Verpflichtung Gleichrangiger beruhende Gemeinschaft, ist der theoretische Dreh- und Angelpunkt der Diskussion über die Spezifik vormoderner Soziabilität. Vor allem die Stadt- und die Dorfgemeinde gelten als konkrete institutionelle Ausprägungen dieses genossenschaftlichen Ordnungsmodells. Die soziale Wirklichkeit der Gemeindemitglieder war allerdings auch durch ihre Einbindung in eine Vielzahl von weiteren formellen wie informellen Interessen- oder Nutzungsgemeinschaften und deren Wechsel- bzw. Konkurrenzverhältnis geprägt, die manchmal, aber nicht immer genossenschaftlich organisiert waren. Hier setzt der zu besprechende Sammelband an. Gerhard Fouquet nennt in seinen als Einleitung konzipierten Überlegungen beispielhaft Allmend- und Alpgenossenschaften, Brunnengemeinden, Nachbarschaften, Zünfte, Kalande, Bruderschaften, Fahrerkompanien, Schützengilden und Trinkstubengesellschaften, Gefolgschafts- und Klientelverbände, sowie "okkasionelle Gruppen" wie etwa die "Banden der Randständigen" als in diesem Zusammenhang interessierende soziale Formen (S. 14). Im Folgenden konzentriert sich Fouquet dann allerdings, wie es der Titel des Sammelbandes schon ankündigt, auf die so genannten politischen Zünfte und auf die Geschlechtergesellschaften sowie auf die von ihnen ausgebildeten Trinkstuben und Geselligkeitsformen. Im Mittelpunkt steht ihre soziale und politische Funktion für die Mitglieder wie für die ganze Stadt. Die ebenfalls im Titel prominent erscheinenden Bruderschaften bleiben dagegen eher am Rande. Weil Zunft-Trinkstuben und Geschlechtergesellschaften sicherlich zu den prägnantesten sozialen Formen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt gehören, ist die Konzentration des Sammelbandes auf sie durchaus gerechtfertigt. Doch wird gerade nach der Lektüre der instruktiven Einleitung deutlich, wie interessant die stärkere und vergleichende Einbeziehung anderer städtischer Genossen- und Gemeinschaften wäre.

Mathias Kälble setzt sich mit der "Zivilisierung" des Verhaltens in den patrizischen Herrentrinkstuben vor allem am Beispiel oberrheinischer Städte auseinander. Die zunehmende politische, wirtschaftliche und soziale Konkurrenz, der sich die patrizischen Gesellschaften mit der Durchsetzung der Zunftverfassungen in den spätmittelalterlichen Städten ausgesetzt sahen, habe, so Kälble, dazu geführt, dass sich die Gesellschaften ihren Status und ihr Prestige durch ständische Exklusivität hätten sichern wollen. Dabei spielte die verstärkte Reglementierung des Verhaltens und die Ausbildung eines Verhaltenskodexes auf den Trinkstuben eine wichtige Rolle. Kälble interpretiert seine Befunde als Ergänzung der Zivilisierungstheorie von Norbert Elias, indem er die Bedeutung der städtischen Patriziergesellschaften als Schule der Verhaltensregulierung neben den von Elias herausgehobenen Fürstenhöfen betont. Christoph Heiermann gibt einen Überblick über die Geschichte der Konstanzer Patriziergesellschaft "Zur Katz", wobei er sich im Wesentlichen auf die Ergebnisse seiner Dissertation zu diesem Thema stützt. Auch er betont die erst allmählich stattfindende Konsolidierung und Abschließung der patrizischen Gesellschaften im 15. Jahrhundert und die entsprechende Rolle der Trinkstuben. Stephan Seltzer untersucht mit den spätmittelalterlichen Artushöfen im Ostseeraum vornehme Trinkstubengesellschaften, die keine institutionalisierte Funktion innerhalb der städtischen Verfassungsordnung besaßen. Er beschreibt die Artushöfe in erster Linie als Orte des Nachrichten- und Informationsaustausches, der öffentlichen Verlautbarung und der inoffiziellen Verständigung.

Jörg Rogge wählt einen allgemeineren Ansatz, wenn er auf die "Praktiken, Strategien und Mechanismen" abhebt, mit denen das städtische Patriziat sich im Spätmittelalter bei allen widerstreitenden Interessen und Konkurrenzen als Gruppe konstituierte (S. 100). Dazu untersucht er Gesellschaftsstatuten und Stubenordnungen, die Formen der rituellen Selbstdarstellung solcher Gesellschaften, etwa in Umzügen oder Turnieren, sowie die Rolle der symbolischen Abgrenzung im Raum. Rogge verweist dabei insbesondere auf die Doppelfunktion von Ritualen und Normen als Mittel der Abgrenzung nach außen und der Einheitsstiftung nach innen. Auch Sonja Dünnebeil betont die konstitutive Bedeutung der öffentlichen Repräsentation der Geschlechtergesellschaften in Umzügen oder Tänzen für die innere Kohäsion. Die exklusive Zusammengehörigkeit der Mitglieder musste, so Dünnebeil, sichtbar nach außen dargestellt werden. Katharina Simon-Muscheid nimmt Zunft-Trinkstuben und Bruderschaften im spätmittelalterlichen Basel in den Blick. Dabei betrachtet sie Trinkstuben und Bruderschaften als komplementäre "soziale Orte", die durchaus unterschiedliche und auch konkurrierende Zu- und Zusammengehörigkeiten herstellen konnten.

Rainer S. Elkars bündelt seine Überlegungen zum sich wandelnden Verhältnis von Handwerk und Obrigkeit in der Frühen Neuzeit im Begriff der "kommunikativen Distanz". Die zunehmende "Re-Patriziierung" (S. 170) der städtischen Politik in der Frühen Neuzeit bedingte den Bedeutungsverlust der Zünfte und ihrer Trinkstuben und ihre wachsende soziale und eben kommunikative Distanz zum Rat. Ob Klientelverhältnisse und soziale Netzwerke stattdessen den Zusammenhalt der städtischen Gesellschaft sicherstellten, kann Elkar nur vermuten. Albrecht Cordes bezieht seinen Beitrag zu den Gemeindestuben und Stubengesellschaften in alemannischen Dörfern und Kleinstädten stark auf die Diskussion zu seiner diesem Thema gewidmeten Dissertation und skizziert eine Reihe von offenen Forschungsfragen. Die Stuben erscheinen dabei für Cordes dem staatlichen Zugriff ebenso offen wie dem der Gemeinde. Bernd Roeck beschäftigt sich mit den Zunfthäusern in Zürich, ihrer Topographie, äußeren Gestalt und Ausstattung sowie mit ihrer politischen und sozialen Funktion. Er konstatiert am Beispiel der Zunfthäuser und der Reglementierung ihrer Geselligkeit eine Auflösung der "metaphysischen Öffentlichkeit", also das Verschwinden der Vorstellung, dass Heimliches und Offensichtliches in gleicher Weise der göttlichen Beobachtung zugänglich sei. Die damit einhergehende Entstehung eines bürgerlichen Privatraums veränderte die Bedeutung und Funktion der seither zwischen Öffentlichkeit und Privatheit angesiedelten Zunfthäuser. Wolfgang Schmid beschäftigt sich mit dem so genannten "Herrenbrünnchen" in Trier, das als Ratsherrentrinkstube fungierte, und gibt detaillierte Auskunft über dessen Ausstattung und Bildprogramm. Dabei ordnet er es in die barocken Bauprogramme der kurfürstlichen Stadtherrn ein. Eine kurze Zusammenfassung Gerhard Fouquets beschließt den Band. Sie bleibt leider zu kurz, als dass darin die doch recht unterschiedlich konzipierten Einzelstudien noch einmal in einer einheitlichen Perspektive etwa auf offene Forschungsfragen hätten zusammengeführt werden können.

Eine ganze Reihe der AutorInnen verweisen auf die bisherige Konzentration der Forschung auf die Organisation, die Sozialstruktur und den Verfassungsrang der Trinkstuben und Gesellschaften. Im Gegensatz oder vielmehr in Ergänzung dazu betonen alle Beiträge mehr oder weniger ausdrücklich die Rolle geselliger, festlicher und repräsentativer Kommunikation, die Bedeutung von Symbolen und Ritualen für die Selbstvergewisserung und die Außenwahrnehmung sozialer Gruppen, die räumliche Organisation der Gemeinschaft und nicht zuletzt die politische Dimension der Geselligkeit, also die Bedeutung informeller Kommunikationswege und sozialer Netzwerke, für die Trinkstuben und Gesellschaften von zentraler Bedeutung waren. Der Sammelband informiert über den Stand der bisher vor allem sozial- und verfassungsgeschichtlich orientierten Forschung zum Thema und fasst darüber hinaus die zunehmende Öffnung für kulturwissenschaftliche Fragestellungen zusammen.