H. Münkler: Die Logik der Weltherrschaft

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Titel
Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten


Autor(en)
Münkler, Herfried
Erschienen
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhard Mehring, Institut für Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin

Geschichten vom Aufstieg und Fall der Reiche wurden lange im teleologischen Rahmen von Geschichtstheologien oder -philosophien erzählt. Im ausdifferenzierten Diskurs der modernen Geschichtswissenschaften stand dann meist die europäische Konstellation der „Großen Mächte“ im Zentrum. Die politische Geschichtsschreibung orientierte sich am Modell des Nationalstaats. Nach 1945 war der imperiale Blick in den ideologischen Fronten des „Kalten Krieges“ lange eingefroren. Wer etwa die Bundesrepublik als Satellit der USA betrachtete, exponierte sich damit schon ziemlich radikal. Erst nach Ende dieses „Weltbürgerkrieges“ und nach den Enttäuschungen überschwänglicher Zukunftserwartungen wird heute der Blick auf die neue weltgeschichtliche Dynamik frei, auf die Herausforderung durch den Terrorismus und das Auftreten neuer weltgeschichtlicher Akteure wie China und Indien, und eine weit ausgreifende Analyse der Imperien möglich. Die Rolle Europas und der USA wurde dabei wiederholt im imperialgeschichtlichen Zusammenhang betrachtet. Die deutsche Geschichtswissenschaft und Politik hinkte aber der internationalen Diskussion hinterher.

Nun legt der bekannte Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler eine Morphologie imperialen Handelns vor. Er beschreibt die „Typen imperialer Herrschaft, die Formen von Expansion und Konsolidierung und [...] die Medien, in denen sich die Imperiumsbildung vollzogen hat“ (S. 9): Münkler untersucht die „Logik der Weltherrschaft“ im praktischen Interesse der Klärung der „Handlungsimperative“ (S. 20, vgl. 33) und -spielräume. Die Motive des Politikwissenschaftlers sind nicht rein historisch. Münkler ist an den imperialen Problemen unserer Gegenwart besonders interessiert: an der Entwicklung des Terrorismus und der Antwort der USA sowie den Reaktionen Europas. Diesen Problemen galten auch seine letzten Bücher. Zuletzt hatte er die „neuen Kriege“ 1 nach 1989 und den „neuen Golfkrieg“ 2 von 2003 beschrieben. Nun weitet er die Frage nach den neuen imperialen Strategien zu einer polyhistorisch vergleichenden Morphologie der Imperien aus und tritt dabei in die Fußstapfen der vergleichenden Verfassungsgeschichtsschreibung, für die er historisch wie systematisch bestens gerüstet ist. Münkler schlägt also ein großes neues Thema auf und stellt seinen früheren Untersuchungen zur Geschichte der Staatsräson ein zweites, universalhistorisch breiter ausholendes Gegenstück zur Seite. Man könnte sagen, dass er seit seiner Habilitationsschrift „Im Namen des Staates“ 3 nicht mehr ein derart umfassendes, gewichtiges Buch vorgelegt hat. Doch solche werkgeschichtlichen Bezüge sind etwas müßig. Die Zeit der großen Monographien ist vorbei. Und so ist auch Münklers neues Buch keine polyhistorisch umfassende, strikt historisierende Summe eines Gelehrtenlebens. Es ist das Buch eines Politikwissenschaftlers, der aktuelle weltpolitische „Handlungsimperative“ engagiert ausleuchten will.

Münkler wählt dafür eine universalhistorisch vergleichende Methode. Dabei konzentriert er sich auf die Vergleichsbasis des chinesischen und des römischen Reiches, des britischen, zaristischen und amerikanischen Imperiums sowie des Osmanischen Reiches. Diese Beispiele geht er für die einzelnen Kapitel ziemlich systematisch, aber nicht additiv ermüdend durch. Dabei definiert er zunächst, was ein Imperium ist. Imperien sind „Garanten und Schöpfer einer Ordnung“ (S. 8). Sie kennen keine gleichberechtigten Nachbarn (S. 17) und lehnen auch jede hegemoniale Gleichheit ab (S. 18). Ihrem Herrschaftsanspruch resultiert ein permanenter „Zwang zur politischen und militärischen Intervention“ (S. 30). Kennzeichnend ist aber vor allem das „Zentrum-Peripherie-Problem“ (S. 41ff.). Imperien unterscheiden in ihrem Handeln zwischen Zentrum und Peripherie. Im Zentrum agieren sie anders als an der Peripherie. Die Peripherie ist für ihr Handeln von weit größerer Bedeutung als zumeist gesehen. Imperien konstituieren sich oft von Peripherien ausgehend, weil solche Randlagen zahlreiche Vorteile bieten. So verschafft schon das Fehlen starker Nachbarn dem Reich eine „Zeitsouveränität“ (S. 59ff.). Randlagen provozieren Imperiumsbildungen durch ihre „weichen Grenzen“ geradezu (S. 64). Münkler verdeutlicht dies, indem er das Imperium von zwei typischen Fehlwahrnehmungen abgrenzt, die in der Literatur lange verbreitet waren: Imperien wurden früher oft mit Hegemonien identifiziert, von denen sie aber ihres antiegalitären fundamentalen Herrschaftsanspruchs wegen strikt unterschieden werden müssen. Und Imperien wurden oft nur ideologiekritisch im Rahmen ökonomistischer Imperialismuskritiken betrachtet. Die ökonomische Rekonstruktion ihrer Handlungsimperative aber greift zu kurz.

Nachdem Münkler derart seinen Gegenstand in den ersten zwei Kapiteln methodisch und begrifflich abgesteckt hat, formuliert er eine „kleine Typologie imperialer Herrschaft“ (S. 79ff.). Mit Michael Mann unterscheidet er vier Quellen der Macht (militärische, politische, ökonomische und ideologische Macht) und übernimmt dann Michael Doyles Begriff der „augusteischen Schwelle“ für die Aufgabe von Imperien, ihre Herrschaft auf hochkulturellem Niveau zu stabilisieren. Athen und Rom sind klassische Beispiele für diese „Umwandlung militärischer in kulturelle beziehungsweise ideologische Macht“ (S. 87). Steppenimperien dagegen verhalten sich eher ausbeuterisch, bilden „keine eigene Hochkultur“ aus und sind deshalb auch besonders fragil. Die differenzierte Betrachtung der „Machtsorten“ ist geeignet, das Aufstiegs-/Niedergangsmodell (klassisches Beispiel: E. Gibbon) durch eine „Theorie des Hegemonialzyklus“ (S. 109ff.) zu ersetzen, die das Augenmerk mehr auf die Bewältigung von Krisen legt und die „Verweildauer im oberen Zyklensegment“ genau analysiert. China und Rom haben es geschafft, sich auf hochkulturellem Niveau zu stabilisieren. Spanien und das zaristische Russland dagegen seien an dieser Aufgabe gescheitert.

Nach dieser allgemeinen Formulierung der Aufgabe differenzierter Analyse imperialer Krisenbewältigung untersucht Münkler an seinen Beispielen dann drei Probleme genauer, die Imperien lösen müssen: die ideologische Bindung der Eliten durch eine „imperiale Mission“, die Abgrenzung von „imperialen Räumen“ durch einen Barbarendiskurs und das „Prosperitätsversprechen“ des Reiches an seine Bewohner. Am aktuellen Beispiel der USA deutet er dabei bereits das Problem an, dass jede „Imperialrhetorik antiimperiale Gegenrhetoriken provoziert“ (S. 149). Der Islamismus erscheint dann als feindlicher Bruder der amerikanischen Mission.

Die letzten beiden Kapitel konzentrieren sich auf aktuelle Herausforderungen des amerikanischen Imperiums. Münkler nimmt dafür zunächst seine Analyse der „neuen Kriege“ auf, wenn er das mögliche „Scheitern der Imperien an der Macht der Schwachen“ (S. 167ff.) erörtert. Imperien sind häufig räumlich überdehnt. Ein globaler Herrschaftsanspruch lässt sich kaum einlösen. Der moderne Partisanenkrieg und Terrorismus antwortet auf den asymmetrischen Herrschaftsanspruch der Imperien mit einer asymmetrischen Kriegsführung, der sich kein Kriegsrecht fügt. Ziel des antiimperialen Terrors sei nicht die pure Vernichtung, sondern die „Selbstdementierung des Imperiums als Friedensmacht und Prosperitätsgarant“ (S. 197). Adressat sei aber auch die eigene Gesellschaft: der fundamentalistische „Bürgerkrieg“ (S. 204) gegen die Übernahme feindlicher Lebensformen, wie Münkler am historischen Spiegel des Makkabäeraufstandes zeigt (S. 205ff.).

Das letzte Kapitel behandelt „Die überraschende Wiederkehr des Imperiums im postimperialen Zeitalter“ (S. 213ff.). Münkler betont hier zunächst, dass die nach 1989 vertretene „Diagnose vom Ende des imperialen Zeitalters“ die massiven Ordnungsprobleme am Rande des Staatensystems übersah, und diskutiert dann das heutige imperiale Handeln der USA. Als besonderes Strukturproblem betont er den Widersinn eines „demokratischen Imperiums“ als solchen, in dem die „imperiale Räson und imperiale Mission in einen Widerspruch miteinander geraten“ (S. 234): Imperiale Politik kann die demokratische Verheißung konstitutiv nicht einlösen. Die republikanischen Traditionen der USA halten das nicht aus.

Münkler schließt mit der Antwort Europas und fordert hier eine „Herstellung europäischer Handlungsfähigkeit“ (S. 249) durch „stärkere Hierarchie“ innerhalb der EU. Seine Ausführungen bleiben etwas flächig. Detaillierte verfassungspolitische Vorschläge macht Münkler nicht. Auch seine Ausführungen zum Grenzproblem im „Südosten“ etwa rühren den heißen Brei kaum durch.

Münkler nimmt sich absichtlich zurück. Er schreibt kein aktualistisches Buch über die europäische Antwort auf Bush, sondern eine historisch-typologische Erkundung aktueller Aufgaben im Licht des allgemeinen Problems imperialer Krisenbewältigung. Man könnte von einer weltreichsgeschichtlichen Betrachtung in praktischer Absicht sprechen, die den geschichtsphilosophischen Teleologismus durch die Analyse der Chancen interner Krisenbewältigung konterkariert. Dabei scheint Münkler, wie Jörg Fisch 4 kritisierte, die Notwendigkeit stabiler Imperien als „Schöpfer und Garanten“ hochkultureller Ordnung vorauszusetzen. Er rechnet aber auch mit ihrem Untergang. Sein Blick ist gänzlich unsentimental aus der Perspektive der Herrschaftstechnik entworfen. Es fehlt das historistische Pathos der Andacht des Gewesenen. Die Geschichte wird wieder zum enzyklopädischen Lehrmeister für Eliten. Der universalhistorische Gestus dient dem politischen Interesse an den Handlungsspielräumen der USA. Einen normativen Standpunkt nimmt Münkler dabei nicht ein. Es fehlt auch der Blick auf die neuen Schwellenreiche China und Indien. Münklers Botschaft lautet: Wir können reagieren, sind dabei aber durch unsere demokratische Mission gelähmt. Niemals zuvor stand er wohl seinem alten Lehrer Machiavelli näher, dem er einst seine Dissertation widmete. Ein imperiales Buch: Die Politikwissenschaft schlägt zurück!

Anmerkungen:
1 Münkler, Herfried, Die neuen Kriege, Reinbek 2002; dazu siehe meine Rezension in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51, 2003, S. 273-274.
2 Münkler, Herfried, Der neue Golfkrieg, Reinbek 2003; dazu siehe meine Rezension in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52, 2004, S. 295-296.
3 Münkler, Herfried, Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1987.
4 Fisch, Jörg, Die Wiederkehr des Imperiums. Herfried Münklers vergleichender Blick auf die Weltreiche, in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 167 vom 20. Juli 2005, S. 40.

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