I. Köhler: Die "Arisierung" der Privatbanken im Dritten Reich

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Titel
Die "Arisierung" der Privatbanken im Dritten Reich. Verdrängung, Ausschaltung und die Frage der Wiedergutmachung


Autor(en)
Köhler, Ingo
Reihe
Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 14
Erschienen
München 2005: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
602 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christopher Kopper, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld

Welche Gründe gibt es, sich so ausführlich mit der „Arisierung“ der Privatbanken zu beschäftigen? Obwohl die deutschen Privatbanken in einem längerfristigen Prozess relativen Bedeutungsverlustes gefangen waren, spielten jüdische Unternehmen im Bankgewerbe bis in die Zeit des Nationalsozialismus eine bedeutende, wenn nicht herausragende Rolle. Die herausgehobene Stellung jüdischer Privatbankiers offenbart sich in dem empirischen Befund, dass sich 1933 etwas mehr als die Hälfte aller jüdischen Privatbankhäuser, aber vier der fünf größten Privatbankfirmen in jüdischem Besitz befanden. In einigen Teilfeldern des Bankgeschäftes wie der Finanzierung von Import- und Exportgeschäften besaßen Privatbanken immer noch eine erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung, die nicht weit hinter den Großbanken zurückblieb.

Dem Autor Ingo Köhler ist es in seiner quellengesättigten und materialreichen Dissertation gelungen, die schleichende Verdrängung der jüdischen Privatbanken in der Zeit des Nationalsozialismus auf eine beeindruckende weise zu beschreiben, zu analysieren und zu typisieren. In seiner Arbeit untersucht Köhler die Handlungsräume der staatlichen Träger der Bankenpolitik, zu denen nicht nur die regulären Instanzen wie die Reichsbank, das Reichswirtschaftsministerium und die staatliche Bankenaufsicht, sondern auch die nazifizierten staatlichen Mittelinstanzen wie die Landesregierungen, Oberpräsidenten und das mittlere Funktionärskorps der NSDAP wie die Gauwirtschaftsberater gehören. Danben untersucht Köhler auch die Handlungsspielräume, die den jüdischen Bankiers vor dem Hintergrund einer zunehmend radikaleren und immer stärker diskriminierenden antisemitischen Politik noch blieben.

Dem Autor gelingt es, alle dokumentierten und dokumentierbaren „Arisierungen“ jüdischer Privatbanken im „Altreich“ zu erfassen, zu beschreiben und auf der Basis seiner Quellen zu typisieren. Auf der Grundlage eines stupenden Aktenstudiums – der Autor hat 40 (!) Archive besucht – erarbeitet Köhler im ersten Schritt eine umfangreiche empirische Bestandsaufnahme der jüdischen Privatbanken vor, während und nach dem Abschluss des Arisierungsprozesses. In einem zweiten Schritt untersucht Köhler den Wandel der institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen sich die jüdischen Privatbanken letztlich vergeblich zu behaupten versuchten. In einem dritten Schritt demonstriert Köhler bei einer typisierenden Fallstudienanalyse der Arisierungen seine große Sachkenntnis bankbetrieblicher Prozesse. Er entwickelt eine überzeugende Methodik, mit der er den Verlauf und die Ergebnisse von „Arisierungen“ fundiert bewertet. Anhand seiner Fallstudien untersucht er, inwiefern sich die „arisierenden“ Banken und Bankiers im Rahmen der gesetzlichen und administrativen Rahmenbedingungen der antijüdischen Wirtschaftspolitik fair verhielten und die kaufmännischen Standards einhielten oder die Notlage der jüdischen Eigentümer bewusst ausnutzten, um sich ungerechtfertigte finanzielle Vorteile zu verschaffen.

Köhler zeigt, dass es bis einschließlich 1936 keine systematische Verfolgungspraxis gibt, mit der jüdische Banken gezielt aus dem Geschäft gedrängt wurden. Die unsystematischen Diskriminierungen durch fachlich nicht zuständige staatliche Instanzen und der Rückzug zahlreicher nichtjüdischer Kunden blieben jedoch nicht ohne Wirkung gerade für kleinere und durch die Bankenkrise geschwächte Banken. Ab 1936 bildete sich aufgrund der gezielten Verfolgung durch die Devisenfahnder der Gestapo und des Arisierungseifers der staatlichen Mittelinstanz ein zunehmender Kriminalisierungs- und Verfolgungsdruck. Bereits vor dem Beginn der offensiven Diskriminierungspraxis des Reichswirtschaftsministeriums sah sich die Mehrzahl der jüdischen Privatbanken zur Liquidation oder zur Besitzübertragung („Arisierung“) in nichtjüdische Hände gezwungen.

Die Bedeutung dieser Arbeit geht weit über das engere Feld der Bankengeschichte hinaus. Ingo Köhlers Buch leistet einen wichtigen Beitrag, um die komplexen institutionellen und ökonomischen Prozesse bei der Verdrängung jüdischer Unternehmen und bei der Enteignung jüdischen Besitzes zu verstehen.

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