M. Strickmann: L' Allemagne nouvelle contre l'Allemagne éternelle

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Titel
L' Allemagne nouvelle contre l'Allemagne éternelle. Die französischen Intellektuellen und die deutsch-französische Verständigung 1944-1950. Diskurse, Initiativen, Biografien


Autor(en)
Strickmann, Martin
Reihe
Europäische Hochschulschriften, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 989
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
512 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Marie-Benedicte Vincent, Universität Angers, Frankreich

Am 20. Mai 2006 starb der Philosoph Paul Ricoeur, der als Spezialist der deutschen Phänomenologie zur Wiederaufnahme des deutsch-französischen Intellektuellendialogs nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen hatte. Kenner des Denkens von Martin Heidegger und Karl Jaspers sowie Redaktionssekretär der Zeitschrift Esprit war er einer der Zeitzeugen, die Martin Strickmann zur Erstellung seiner an der Universität zu Köln von Prof. Dr. J. Dülffer betreuten Dissertation interviewt hatte. Ausgangspunkt von Strickmanns Arbeit war nämlich die Absicht, die Geschichte der Intellektuellen (die in Frankreich auf einer langen Tradition beruht) mit der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen zu verknüpfen. Nach einem (für eine französische Leserschaft unnötigen) geschichtlichen Überblick des intellektuellen Engagements in Frankreich seit der Dreyfus-Affäre zählt Strickmann in seinem Buch die Initiativen aller Art auf (Vortragsreisen, Gründungen von Zeitschriften und Vereinen, gegenseitige Einladungen usw.), die den deutsch-französichen Dialog nach 1945 gefördert haben. Das Ergebnis ist ein sehr informationsreiches Buch, das auf vielen Quellen beruht (Zeitschriften, private Korrespondenzen, Memoiren, Interviews mit Zeitgenossen), mit denen die Haltungen und Diskurse der sich mit dem Nachkriegsdeutschland befassenden Schriftsteller, Publizisten und Germanisten bewertet werden.

Strickmanns Hauptthese wirkt überzeugend: Er zeigt, wie die Initiativen aus der (hauptsächlich französischen) Zivilgesellschaft zwischen 1944 und dem Anfang der 1950er Jahre die deutsch-französische staatliche Kooperation der folgenden Jahrzente vorbereitet haben. Es wurde eine Art «Infrastruktur menschlicher Beziehungen» gestiftet, wie Alfred Grosser retrospektiv sie beschreibt, die die Politik der 1960er Jahre ermöglichte (S. 242). Diese These wird übrigens von Christophe Charle in dem 2005 erschienenen Buch Wandel und Integration Deutsch-Französische Annährungen der Fünfziger Jahre auch formuliert. 1 Interessant ist dabeit zu bemerken, dass die Idee eines notwendigen Dialogs mit Deutschland von einigen Intellektuellen früher als von den Politikern eingeführt wurde. Vor allem im links orientierten katholischen Milieu wurde das «neue Deutschland» (d.h. die demokratische Bundesrepublik) den alten Stereotypen über den Erbfeind Frankreichs seit 1870/71 gegenüberstellt, wie im Programm des 1948 gegründeten Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle von Emamnuel Mounier und Alfred Grosser, worauf der Titel vom Strickmanns Buch direkt anspielt.

Die Asymmetrie des Austauches zwischen Franzosen und Deutschen erklärt sich dadurch, dass die deutschen Intellektuellen nach den Naziverbrechen und der Okkupation Frankreichs nicht die Initiative ergreifen konnten. Dagegen herrschte in Deutschland eine starke Nachfrage nach geistiger Orientierung, die die positive Rezeption der französischen Schriftsteller und Publizisten erklärte (es sei nur an die Begeisterung bei Sartres Reise nach Deutschland 1948 im Zusammenhang mit der Inzenierung seines Theaterstückes Die Flieger erinnert). Die einzige von Deutschlandland kommende Initiative war die Stiftung des deusch-französischen Instituts in Ludwigsburg, das 1948 in der amerikanischen Zone lokalisiert wurde, um seine Unabhängigkeit gegenüber den französischen Besatzungsbehörden zu wahren.

Hiermit taucht das Problem der Bedingungen eines günstigen deutsch-französischen intellektuellen Dialogs nach dem Krieg auf. Strickmann etabliert eine überzeugende Hierarchie der französischen Initiativen je nach ihrem Erfolg auf deutschem Boden. Den offiziellen Verständigungsinitiativen in der Besatzungszone kam die niedrigste Anerkennung zu, weil Frankreich als «Sieger» dem Verlierer gegenüber trat, was ein Ungleichgewicht im Verhältnis zwischen Franzosen und Deutschen schuf: die Kulturpolitik wurde zur Kontrolle und «demokratischen Umerziehung» der Deutschen verwandt. Den privaten Initiativen in der französischen Zone kam dagegen ein mittlerer Erfolg zu. Der Jesuitenpater Jean du Riveau und sein 1945 in Offenburg gegründetes Centre d’études culturelles, économiques et sociales (CECES), 1948 in Bureau international de liaison et de documentation (BILD) umbenannt, gilt als typisches Beispiel für Unternehmungen, die von den französischen Kulturbehörden subventioniert und logistisch unterstützt wurden. Den privaten Initiativen in Paris kam aber der höchste Wert zu, weil sie die Deutschen als gleichberechtigte Diskussionspartner behandelten. Die bedeutendste Initiative ist diesbezüglich das schon erwähnte Comité d’échanges, das sich zwischen 1948 und 1967 bemüht hat, durch Aufklärungsarbeit, Veröffentlichungen, Diskussion und Begegnungen ein positives Deutschlandbild in Frankreich zu vermitteln. Wenn die Konkurrenz zwischen diesen verschiedenen Initiativen spürbar ist, z. B. zwischen dem Comité d’échanges und der Groupe d’études allemandes, einer Pariser Filiale des Offenburg-Zentrum BILD (S. 246), zeigt die Untersuchung mancher Biografien (z. B. die von Joseph Rovan), dass es oft zu einer pragmatischen Konvergenz zwischen den privaten und offiziellen Initiatien gekommen ist.

Wenn das Buch für die Erforschung der unmittelbaren Nachkriegszeit unzweifelhaft von grossem Interesse ist, enthält es methodische Probleme. Die Gliederung selbst kann man in Frage stellen, insofern als die konkreten Verständigungsinitiativen der Intellektuellen (Kapitel 4) von ihren Diskursen über Deutschland (Kapitel 5) getrennt werden. Dieser Schritt führt zu zahlreichen Wiederholungen, zum Beispiel was die Zeitschrift Esprit und das Milieu um Mounier betrifft.2 Ferner besitzen diese zwei Hauptkapitel einen sehr beschreibenden Charakter: die verschiedenen intellektuellen Initiativen und Haltungen werden ohne Einleitung und ohne übergreifende Analyse aufgelistet. Der Versuch, Typologisierungen vorzuschlagen, kommt nicht vor dem Schluss zum Tragen (S. 424).

Strickmann ordnet die französischen Intellektuellen in vier Gruppen ein, je nach ihrem Interesse für das Nachkriegsdeutschland. Die erste Gruppe umfasst diejenigen, die sich nur sehr marginal mit dem neuen Deutschland befasst haben (André Malraux, Louis Aragon, Albert Camus, Georges Bernanos, d.h. Schrifsteller, die das französische intellektuelle Feld der Nachkriegszeit dominierten). Die zweite Gruppe vereinigt diejenigen, die sich nur auf theoretischer Ebene für die deutsche Kuktur und Philosophie interessiert haben (Jean-Paul Sartre, Maurice Merleau-Ponty, Paul Ricoeur, Jean Wahl, Max Pol-Fouchet). Die dritte, heterogene Gruppe schliesst diejenigen ein, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt über das Nachkriegsdeutschland geäussert haben und mit ihm in Kontakt getreten sind: die Esprit-Intellektuellen Emmanuel Mounier, Domenach und André Philip, die Intellektuellen der älteren Generation André Gide, Jean Schlumberger, Wladimir d’Ormesson (alle drei aus dem Comité Mayrisch der Zwischenkriegszeit), die Katholiken Henri Massis, Paul Claudel und Jean de Pange, die linken Widerstandsintelletktuellen Vercors, Claude Bourdet, David Rousset und die Germanisten Pierre Grappin, Robert Minder, Pierre Bertaux. Schliesslich umfasst die vierte Gruppe diejenigen, die sich als Deutschlandspezialisten behauptet haben und sich intensiv mit der deutschen Kultur auseinandergesetzt haben (Robert d’Harcourt, Edmond Vermeil, Albert Béguin, und die zwei «Jungen», Alfred Grosser und Joseph Rovan, die auf Grund ihrer deutsch-jüdischen Herkunft bereits eine persönliche Bindung zu Deutschland mitbrachten). Strickmann unterscheidet auch zwischen Grundhaltungen gegenüber dem Nachkriegsdeutschland: eine eher «positive» Haltung (Mounier, Grosser, Rovan, Gide, Aron, Bourdet, Schlumberger, Philip, Domenach, Camus), eine «ambivalente» (Vermeil, d’Harcourt, Béguin, Sartre, Morin, Claudel) und eine eher «negative» (Mauriac, Bernanos, Massis und d’Ormesson). Die beiden Typologisierungen werden aber kaum korreliert. Eine sozio-historische Analyse des «intellektuellen Feldes» nach dem Vorbild von der Soziologin Geneviève Sapiro hätte sich diesbezüglich als fruchtbar erweisen können.

Kritik kann man auch an dem im Titel angekündigten, chronologischen Rahmen 1944-1950 üben, da als er dauernd überschritten wird. Fraglich ist daher, ob 1950 eine wirkliche Zäsur darstellt. Zwar zeigt Strickmann, dass 1947/48 die entscheidenden Jahre bilden, in denen der erste deutsch-französische Dialog aufgebaut wird, Komitees gegründet und Vortragsreisen unternommen werden. Danach tritt eine Konsolidierungsphase ein, in der die bereits etablierten Initiativen manchmal verstärkt werden. Diese Phase endet aber nicht 1950. Strickmann selbst analysiert u. a. das europäische Jugendcamp an der Loreley von 1951 (S. 92), die Tätigkeit Joseph Rovans bis 1951 in der Besatzungsbehörde (S. 113), die Mainzer Historikertagung von 1951 (S. 118), die Einladung der Schrifstellergruppe 47 nach Paris 1953 (S. 248), die Beteiligung des Comité d’échanges an unzählige deutsch-französische Treffen in den 1950er Jahren (S. 241), 1953 die Gründung des an die DDR orientierten Cercle Heinrich Heine von Gilbert Badia und Emile Bottigelli (S. 257) usw.

Schliesslich klingt Strickmanns Ton manchmal ehrgeizig, besonders wenn er die vor ihm gemachten Arbeiten kritisiert, zum Beispiel wenn er über die unveröffentlichte Doktorarbeit Emmanuelle Picards 3 schreibt, dass darin «keine Thesen formuliert werden» und «die Gliederung keinem roten Faden folgt» (S. 28). Strickmanns Buch enthält auch zahlreiche Druckfehler (S. 34, 64, 65, 101, 125, 129, 173, 224 usw.). Skepsis kann man auch gegenüber dem Gebrauch von ökonomischen Begriffen empfinden, die zwar sehr modisch klingen, doch bei der Reflexion nicht weithelfen. Man lächelt sogar, wenn man liest, dass Simone de Beauvoir als Sartres Managerin bezeichnet wird (S. 162) oder dass Jean du Riveau als first mover im deutsch-französischen Dialog (S. 122) fungiert. Diese Bemerkungen verhindern natürlich nicht, dass dieses Buch von grossem Nutzen für die Historiker ist.

Anmerkungen :
1 Christophe Charle, «Intellektuelle und Literaten in Frankreich und Deutschland während der 1950er Jahre. Die Grundlagen der Annäherung», in Helene Miard-Delacroix und Rainer Hudemann (Hrsg.), Wandel und Integration. Deutsch-französische Annäherungen der fünfziger Jahre. Mutations et intégration. Les rapprochements franco-allemands dans les années cinquante. München, Oldenburg, 2005, S. 267-290.
2 Schade ist auch, dass man im Anhang nicht über die völligen Texte der berühmten Manifeste und Artikel verfügt ( wie z. B. «Future Allemagne» von Claude Bourdet aus der Widerstandszeitschrift Combat vom März 1944 oder «L’Allemagne de nos mérites» von Joseph Rovan aus Esprit vom Oktober 1945).
3 Emmanuelle Picard, Des usages de l’Allemagne. Politique culturelle française en Allemagne et rapprochement franco-allemand, 1945-1963. Politique publique, trajectoire, discours, thèse de doctorat, IEP de Paris, 1999.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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