K. Lotte u.a. (Hgg.): Licet preter solitum

Titel
Licet preter solitum. Ludwig Falkenstein zum 65. Geburtstag


Herausgeber
Kery, Lotte; Lohrmann, Dietrich; Müller, Harald
Erschienen
Aachen 1998: Shaker Verlag
Anzahl Seiten
292 S.
Preis
€ 19,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Kriese, Lehrstuhl Helmrath

Am 6. April 1998 feierte der Aachener Mediaevist Ludwig Falkenstein seinen 65. Geburtstag. Aus diesem Anlaß wurde er, einer der besten Kenner mittelalterlicher Papsturkunden und des kanonischen Rechts, von Schülern und Kollegen mit einer Festschrift überrascht. Mehrere der 17 Autoren wählen in ihren Beiträgen die Nähe zu den Themenfeldern des Jubilars; somit dominieren kirchenrechtliche Beiträge, ohne daß der Band sich darin erschöpft.

Karl Leo Nöthlichs sucht nach heidnischen Spuren im mittelalterlichen Byzanz und prüft dafür die Synodalgesetzgebung. Erst mit dem Trullanum von 692 stehen geeignete Quellen zur Verfügung; die Restriktionen zeigen sich ähnlich denen des Westens: Eidschwüre, heidnische Feste und Schauspiele - sowie Pferderennen, wohl wegen der damit verbundenen Wettspiele und Weissagungen. Eingehender beschäftigt er sich mit einem Kanon, der speziell Jurastudenten die Exkommunikation androhte: Offenbar traten sie massiert als Gäste im Theater oder bei Pferderennen in Erscheinung und lehnten ihre gruppenkonstitutiven Rituale an diese Veranstaltungen an. Zudem, so Nöthlichs These, waren sie der Kirche des Heidentums verdächtig, weil ihre Wissenschaft eine historische war und "Wurzeln in der vorchristlichen Zeit" (S. 16) besaß. - Darüber hinaus macht Nöthlichs an Kommentaren des 12. Jahrhunderts deutlich, daß 'heidnische' Bräuche auch im Hochmittelalter fortlebten.

Jörg Müller fragt, aus welchen Vorlagen die Collectio duodecim partium, eine um 1000 in Freising entstandene Kanonessammlung, die 183 unter dem Namen Gregors I. aufgeführten Rechtssätze übernommen hat. Der Großteil entstammt natürlich der Briefsammlung des Papstes, etwa ein Drittel den Moralien und Dialogen. Die Briefpassagen wurden meist über die Collectio Anselmo Dedicata übernommen, Exzerpte anderer Schriften oft aus der irischen Collectio Hibernensis oder aus den Originalen. Zu den Auswahlgründen stellt Müller fest, daß Gregor den Redaktoren als Dogmatiker, Seelsorger und Kirchenlehrer interessant war; seine juristischen und administrativen Erfahrungen wurden weniger rezipiert.

Franz Kerff untersucht Eigentumsverhältnisse von Altären in Nordfrankreich, um der These zu widersprechen, die Institute des Patronats und der Inkorporation, kanonistisch fixiert Ende des 12. Jahrhunderts, seien schon für das 11. Jahrhundert zu belegen. Es interessieren dabei Altarübertragungen 'sine persona': bei der Veräußerung an eine geistliche Institution wurde offenbar das Benefizium des Priesters abgelöst, die Erträge kamen unbefristet dem Stift oder Kloster zu und die Seelsorge übernahm ein Vikar. Anscheinend ist hier der Sachverhalt einer Inkorporation erfüllt. Mißtrauisch gegen Quellenbegriffe bleibt Kerff skeptisch: der Terminus sine persona sei hinsichtlich der Besitzverhältnisse undeutlich. Er prüft daher einen ungewöhnlich gut dokumentierten Fall aus dem frühen 12. Jahrhundert, in dem der Bischof von Noyon-Tournai auf besagte Art einen Altar an ein Kloster in Gent verlieh; die Seelsorge übernahm ein Priester. Die genaue Analyse zeigt jedoch, daß keine unbefristete und vollständige Übertragung erfolgt war. Erst als Abtei und Priester 50 Jahre später einen Streit austrugen, erhielt das Kloster die vollständige Nutzung: das presbiterium hatte es zuvor nicht besessen. Die Regelung war befristet, der Geistliche sollte dadurch die Prozeßkosten abgelten. - Einzig in bischöflich bestätigten Ausnahmefällen, so Kerff, war es möglich, Priestern das Altarbenefizium vorzuenthalten. Solche Fälle könnten daher als Vorform einer seit Innocenz III. gemeinkirchlichen Ordnung gelten. Allein der Begriff sine persona jedoch biete noch keinen hinreichenden Beweis für eine wirkliche Inkorporation.

Bernhard Delmaire bringt dem Jubilar die erstmalige Edition eines Schutzprivilegs von Innocenz II. für das Kanonikerstift Mont-Saint-Eloi (Diözese Arras) vom 18. Januar 1139 dar. Da das Original verloren ist, ediert er aus einem Vidimus von 1520.

Mühlenprozesse in Nordfrankreich dienen Dietrich Lohrmann dazu, auf den Übergang vom germanischen zum römisch-kanonischen Recht zu blicken. Bestimmten im 11. Jahrhundert noch Fehde bzw. deren Androhung die Besitzkonflikte, so bildeten sich allmählich "rationale[.] Untersuchungsverfahren" (S. 61f.) heraus. Dies illustriert Lohrmann an einem Prozeß zwischen den Kanonikern von Premontre und Ham aus den Jahren 1155 bis 1171.

Mit geschärfter Quellenkritik korrigiert Harald Müller manches Bild der Lokalgeschichte über einen Konflikt in Rouen: 1192 rissen Bürger die Mauer der Kathedralimmunität nieder, da der Klerus dort Markt abgehalten hätte. In Vertretung des abwesenden Erzbischofs verhängte das Kapitel ein Interdikt; erfolglosen Schlichtungen der Rouener Suffragane folgte die Exkommunikation der Übeltäter. Darauf zerstörten Bürger Kanonikergebäude, mißhandelten und töteten Geistliche. Die folgende Zeit war geprägt von Vermittlungen und Eidschwüren der Bürger, die Schäden zu sühnen, was sie dann unterließen; das Kapitel konnte seine Ansprüche nicht durchsetzen. - Zu beachten sind die direkten Ergebnisse von Müllers Urkundenkritik: Nach Einsicht der Originale kann er zwei Mandate Coelestins III. (JL 17289; 17290) gegenüber Philipp Jaffes Einordnung zum 11. Oktober 1195 um ein Jahr vordatieren. Jaffe und die ältere Lokalgeschichte waren einer fehlerhaften Edition gefolgt. Schließlich macht er glaubhaft, daß es sich bei einem Interdiktsprivileg (JL 16854) für das Kathedralkapitel zum 16. April 1192 um ein Phantom handelt: entstanden durch eine Edition im 18. Jahrhundert. Der Bearbeiter hatte aus einem Kopialbuch ediert, dabei eine Seite überblättert und aus zwei bekannten Privilegien (JL 17245; 16998) ein neues erschaffen.

Die Dekretalensammlung Gregors IX. enthält ein Urteil Innocenz' III., in dessen Rubrik es heißt, ein erwiesener Delinquent sei nicht anzuhören, wenn ein Prozeßfehler ihn um Restitution bitten läßt. Lotte Kery rekonstruiert den historischen Hintergrund: eine inquisitio gegen Abt Walter von Corbie von 1209/1210. Dieser hatte Papst Innocenz um die correctio des Klosters gebeten, die delegierten Richter jedoch drohten zu scheiterten. Kurz entschlossen eröffnete der vor Ort weilende Legat Guala selbst eine Generalinquisition, ohne ein Mandat zu besitzen. Diese erbrachte auch Verfehlungen Walters. Erst als der Abt Stellung nehmen sollte, wandte er sich gegen das unauthorisierte Eingreifen Gualas und appellierte an den Papst. Obwohl der Prozeß nun hätte ruhen müssen, setzte der Legat den Abt ab und ließ einen neuen wählen. - Innocenz versuchte zu vermitteln, erfolglos. Dann eröffnete er ein neues Verfahren, wozu er auf Gualas Ermittlungen zurückgriff. Eine letzte Verhandlung gab Walter Raum, auf die Verstöße des Legaten hinzuweisen: Absetzung nach der Appellation und ein fehlendes Mandat. Der neue Abt betonte, daß Walter das Verfahren so lange geduldet und also anerkannt hatte, bis er selbst gefährdet war. Schließlich bestätigte der Papst trotz der Verstöße gegen das Formalrecht die Enthebung. - Die Kanonisten des 13. Jahrhunderts hatten Mühe, die Dekretale zu kommentieren. Zum einen nutzten sie das Argument von Walters Nachfolger: Walter hätte das Verfahren anerkannt, weil er nicht von Beginn an protestiert hatte. Wieso aber konnte Innocenz das Urteil eines nicht zuständigen Richters bestätigen? Hier verwiesen sie auf die höchstrichterliche Kompetenz eines Herrschers, die die Substanz einer Sache verändere: de plenitudine potestatis, sed non de iure. Gemeint ist nicht das Jurisdiktionsprimat, sondern das Potential des Papstes, formales Recht zu brechen, um einen defectus zu korrigieren - "ein entscheidender Unterschied zum Zivilrecht" (S. 117).

Bernhard Schimmelpfennig widmet dem Jubilar die nahezu vollständige Wiedergabe eines Legendars über S. Maria in Trastevere: einem Text aus dem frühen 13. Jahrhundert, der für die römische Geschichte einmalig sei, da er nicht allein Momentaufnahmen und Legenden, sondern auch die historische Entwicklung einer mittelalterlichen Kirche beschreibt. Der Text berichtet aus mehr als zwölf Jahrhunderten: Die Geburt des Heilands wird in Trastevere durch Wunder angekündigt. Sein Leben ist als das eines römischen Bürgers beschrieben - die Zerstörung Jerusalems war gerecht, hatte Jesus doch Rom als caput erwählt. Schließlich wurde am Ort der Wunder in Trastevere eine Kirche durch Kalixt I. errichtet; dann finden die Verdienste der Päpste für den Kirchenbau ihre Nennung - bis hin zum Neubau durch Innocenz II. Den Höhepunkt bildet die Kirchweihe auf dem vierten Lateranum, bei der Guido de Papa hervortritt. 1191 wurde er Kardinalpriester von S. Maria, 1206 Kardinalbischof von Palestrina; er blieb jedoch im palatium bei S. Maria wohnen. Seine Bindung an die Kirche war Familientradition: er entstammte der Familie Innocenz' II. Der Autor des Textes muß zum Umfeld Guidos gehört haben. Als Kanoniker von S. Maria?

Die Geschichte der Päpstin Johanna wurde in den letzten Jahren wiederholt thematisiert - nun auch von Max Kerner, der noch einmal Quellen und Rezeptionsgeschichte analysiert.

Thomas Giessmann referiert Probleme einer Handschriftenneuordnung im Hildesheimer Stadtarchiv. Er beklagt, daß es keine zusammenfassende Amts- und Stadtbuchlehre gibt, die es dem Archivar erlaubt, städtisches Verwaltungsschrifttum hinreichend zu differenzieren. Zu wenig beachtet werde hingegen der Ansatz von Ernst Pitz, Stadtbücher als 'Schrift- und Aktenwesen der städtischen Verwaltung' nach dem Aufbewahrungsort zusammenzufassen und nach Entstehungszusammenhängen zu unterteilen. Abschließend stellt Giessmann sein an Pitz ausgerichtetes Ordnungssystem an den Stadtbüchern der Hildesheimer Altstadt vor.

Als Reiner Nolden 1979/80 die Besitzgeschichte des Aachener Marienstiftes rekonstruierte, stieß er in Aachener Archivalien auf zahlreiche Verbindungen zu den Grafen von Sponheim. Da Mötsch vor geraumer Zeit die Regesten des gräflichen Archivs vorgelegt hat, sah sich Nolden nun befähigt, weitere Verbindungen zu eruieren. Hervorzuheben ist die Beteiligung des Aachener Propstes Heinrich von Sponheim (1314-1343) an internen Hausverträgen.

Horst Kranz beschreibt, wie mit dem jungen Steinkohlebergbau im spätmittelalterlichen Lüttich die Rechte und Pflichten einzelner Parteien in Einklang gebracht werden mußten. Zu berücksichtigen waren nicht nur die Interessen der Unternehmer, Grundstücksinhaber bzw. Pächter, zu gewährleisten war auch der Wasserhaushalt in der Stadt und an den Mühlen der Legia. Kranz entwickelt seinen Beitrag aus einem Lütticher Schöffenurteil von 1314, das er zugleich ediert: Die unternehmerisch tätigen Zisterzienser waren beim Bau eines Kanals für die Grubenentwässerung auf den Widerstand anrainender Müller gestoßen. Sie fürchteten ein Absinken des Wasserspiegels an den Quellbächen. Das Urteil gestattete den Mönchen, den Kanal voranzutreiben; bei Absinken des Wasserstandes mußten sie den Müllern einen Ausgleich zahlen. Obgleich das Urteil zu schlichten versuchte, neigte, so Kranz, die Haltung der Kommune damit der innovativen Industrie zu. Einige Jahrzehnte später hatte sich dies etwas geändert: Litt der Wasserstand unter der Grubenentwässerung, genügte eine Entschädigung allein nicht mehr - der Bergbau war dann einzuschränken.

Joseph Avril analysiert das um 1330 unter Erzbischof Guillaume de Trie verfaßte Reimser Synodalbuch. Nach einigen Worten zur Genese der synodalen Gesetzgebung, Organisation, Liturgie und Zeremonie in der Reimser Diözese und den Intentionen des Erzbischofs zur Abfassung des Synodalbuches sucht Avril nach dessen Vorlagen. Zum einen zeigen sich für Nordfrankreich typische Einflüsse, so durch die Pariser Statuten des Eudes de Sully. Einige in den Suffraganbistümern lebendige Überlieferungen hingegen fehlen (etwa die Cambraier Satuten Guiards von Laon). Dafür sind eigenständige Traditionen aus der Reimser Geschichte zu belegen sowie Übernahmen vom vierten Lateranum und vom Lugdunense.

Jean-Loup Lemaitre berichtet aus den Statuten des Jean de Vissec, Bischof von Maguelone, für das dortige Kathedralkapitel. Zwischen Mittelmeer und den Lagunen vor Montpellier erzeugt die Ruine heute romantische Bilder vom kontemplativen Mönchsleben. Die Statuten von 1331 jedoch, Lemaitre ediert sie demnächst, sind von 'profanen' Zwängen geprägt: dem täglichen Zusammenleben und den ökonomischen Problemen der damaligen Insel.

Heribert Müller zeichnet die Basler Karriere des Guillaume Hugues d'Etain, Archidiakon von Metz, später Kardinal von Santa Sabina nach. Heute weitgehend vergessen, gehörte er zu den einflußreichsten Konziliaristen des Basilense, auf dem er 15 Jahre weilte. Während all der Jahre begegnet der Doktor des Zivilrechts als Rotarauditor, aber auch in anderen Funktionen. Nicht zuletzt war er einer der maßgeblichen Diplomaten des Konzils, seit er 1435 in Arras vermittelt hatte. Nicht jede Gesandtschaft war ein Erfolg: Die pragmatische Sanktion von Bourges verhinderte auch er nicht; die deutschen Fürsten folgten 1439 nicht in das Bündnis gegen Eugen IV. An dessen Absetzung war Hugues nachhaltig beteiligt; Felix V. dankte es ihm, u.a. mit dem Kardinalshut. Die letzten Konzilsjahre zeigen Hugues weniger aktiv, vielleicht bedachte er die Zeit nach Basel. Einen neuerlichen Karrieresprung verdankte er der Teilnahme an einer weiteren Papstwahl, der von Lausanne 1449: Nikolaus V. ernannte ihn bald zum Kardinal, um ihn, so Müller, persönlich zu ehren. Nikolaus hatte Hugues in Basel schätzen gelernt, obgleich er selbst (Tomasso Parentucelli) im römischen Lager gestanden hatte. - An Hugues werden zwei Phänomene Basler Biographien deutlich: Das Konzil ermöglichte Beziehungen über die Parteien hinweg, und einer konziliaren Laufbahn konnte eine römische folgen. Wie nun bewertet Müller die Persönlichkeit Guillaumes? Als realistischer Politiker gebühre ihm Anerkennung. Persönliche Vorteile ließ auch er nicht ungeachtet. Schädigte er dabei aber andere? Müller sieht Schatten auf den letzten Jahren - ein erhöhter Repräsentationsbedarf hatte den sozialen Aufsteiger unbedachter werden lassen. "Respekt, nicht aber Sympathie" (S. 239) nötige daher die Karriere ab.

Erich Meuthen blickt auf das Kommendenwesen (ursprünglich befristete kirchliche Pfründe ohne Seelsorgepflicht) des 15. Jahrhunderts. Bekannt ist, daß die Kommende damals eine steigende Verbreitung erfuhr. Zu Recht aber mahnt Meuthen vergleichende Forschungen an, um das europäische Bild zu differenzieren. Meuthen selbst vergleicht hier Ergebnisse von Diener, Tewes und Eubel: die Kommende, speziell die Verleihung grosser Klöster an Kardinäle oder Bischöfe, war in Frankreich, Italien und Spanien stärker verbreitet als in Deutschland. - Um zudem die Verteilung deutscher Kommenden zu analysieren, wertet er das Repertorium Germanicum für die Jahre 1447-1464 aus. Die Ergebnisse überraschen kaum: die meisten Kommenden erhielten Kardinäle, gefolgt von Weih- und Titulaturbischöfen sowie residierenden Bischöfen, die ihre Territorien erweiterten. Trotz spätmittelalterlicher Kritik sei das Kommendenwesen nicht allein ein System der Ausbeutung gewesen: Oft waren die Pfründen unerläßlicher Teil der Versorgung; erst die Einzelfallanalyse erlaube ein Urteil über die Notwendigkeit. Daneben konnten gerade unbefristet verliehene Kommenden den Kontakt zwischen Institut und Kommendatär positiv intensivieren. Die Kurie handelte entsprechend widersprüchlich: Dekrete schränkten das Kommendenwesen ein, Kardinäle und andere wurden von Rom auf diese Art ausgestattet und erhielten die nötigen Dispense.

Johannes Helmraths Beitrag über politische Beratungsreden auf Reichsversammlungen im 15. und 16. Jahrhundert beschließt den Band. Helmrath stützt sich auf einen Korpus von rund 80 Beratungsreden, die auf Reichstagen als Eröffnungs-, Abschluß- und Gesandtenrede gehalten wurden. Er sucht Perioden intensivierter Rhetorik auf den Reichsversammlungen, bestimmt darüber hinaus Redetypen und fragt nach Wirksamkeiten. - Als erste Phase nennt er die Zeit der Konzilien, so als die in Basel geschulten Redner auf den Reichstagen von 1438 bis 1446 um Oboedienz warben und scholastische Disputationen von mehrstündiger Dauer abhielten. Nicht die Fürsten, aber deren Räte dürften die lateinischen, "juristisch-theologische[n] Traktatrede[n]" (S. 271) verstanden haben; von politischer Beeinflussung sei daher auszugehen. - Als zweite Phase begreift Helmrath die humanistischen Türkenreden von 1454/55. Diese waren keine "agonale[n] Disput[e]" (S. 274) mehr, denn über die Notwendigkeit eines Krieges bestand Konsens; Zeit und Form waren umstritten. Als Beispiel analysiert Helmrath Enea Silvios Constantinopolitana von 1454. Auch sie löste keinen Krieg aus, wurde aber rezipiert und zum Prototyp späterer Türkenreden. - Die Reichstage erlebten ihre Rationalisierung; institutionalisierte Expertenarbeit, formalisierte Geschäftsordnung und das geschriebene Wort begannen zu dominieren. Die Freiräume für Redner gingen verloren. Unter Maximilian kehrten sie noch einmal zurück: Auf den Tagen von 1521, 22 und 30 kam es zu großen Türkenreden durch Hofgelehrte. In der Türkenfrage die Meinung des Kaisers zu proklamieren bot sich als Element in der politischen Mythisierung der domus Austriae an.

Die Beiträge in der Festgabe für Ludwig Falkenstein decken eine enorme Zeitspanne ab. Und wie für Weggefährten von Falkenstein nicht anders zu erwarten, besticht ein Großteil der Untersuchungen in Methodik und Quellenkritik. Daß thematisch zumeist die Nähe zum Jubilar gesucht wurde, wird Ludwig Falkenstein erfreuen, dem Band wohl aber vor allem Spezialisten als Lesepublikum zuführen. Für eine Festschrift ist das nicht ungewöhnlich. Allerdings sind einige Aufsätze recht kleinteilig geraten und machen das Lesen zu einer bisweilen schweren Kost. Heribert Müller, Johannes Helmrath und einige andere zeigen aber, daß methodisch anspruchsvolle Arbeit dem Lesevergnügen nicht hinderlich sein muß.

Genannte Literatur:

Diener, Hermann: Die Vergabe von Klöstern als Kommende durch Papst und Konsistorium (1417-1523), in: QFIAB (1988), S. 271-283.

Eubel, Karl: Die päpstlichen Provisionen auf deutsche Abteien während des Schismas und des Pontificats von Martin V. (1378-1431), in: StMGBO 15 (1894), S. 71-82, 232-244.

Ders.: Die Besetzung deutscher Abteien mit päpstlichen Provisionen in den Jahren 1431-1503, in: StMGBO 20 (1899), S. 234-246.

Mötsch, Johannes (Bearb.): Regesten des Archivs der Grafen von Sponheim 1065-1437. 5 Bde. (Veröffentl. der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, 41-45). Koblenz 1987-1991.

Nolden, Rainer: Besitzungen und Einkünfte des Aachener Marienstiftes, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 86/87 (1979/80), S. 1-451.

Pitz, Ernst: Schrift und Aktenwesen der städtischen Verwaltung im Spätmittelalter. Köln, Nürnberg, Lübeck. Beitrag zur vergleichenden Städteforschung und zur spätmittelalterlichen Aktenkunde. Köln 1959.

Tewes, Götz-Rüdiger: Die Beziehungen zwischen der päpstlichen Kurie und den europäischen Diözesen im ausgehenden Mittelalter. (erscheint demnächst in: Bibl. des Deutschen Historischen Instituts in Rom).

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