H. Rauschning: Gespräche mit Hitler

Titel
Gespräche mit Hitler. Mit einer Einführung von Marcus Pyka


Autor(en)
Rauschning, Hermann
Erschienen
Anzahl Seiten
297 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Lemke, Militärgeschichtliches Forschungsamt MGFA

„Die Stille wurde nur vom penetranten Federkratzen der Gelehrten gestört, die bis tief in die Nacht hinein an pedantischen kleinen Traktaten herumformulierten“ – so oder so ähnlich könnte man frei nach Douglas Adams die Rezeption der „Gespräche mit Hitler“ von Hermann Rauschning seit den letzten 25 Jahren beschreiben. Nach ihrer Herausgabe kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs als Sensation sondergleichen ‚gefeiert‘, dann zunehmend kritischer betrachtet und schließlich geradezu vernichtet, fristet das Werk heute zumindest in der Wissenschaft ein regelrechtes Schattendasein, gebrandmarkt als Fälschung. Das Werk wurde von Hermann Rauschning ab Juli/August 1939 nach Rücksprache mit dem Verleger Imre Revesz niedergeschrieben und Ende 1939 zunächst auf Französisch veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe erschien im Januar 1940. Rauschning gibt darin die „nahezu wörtliche Wiedergabe“ dessen wieder, was er in persönlichen Treffen mit Hitler vom Diktator erfahren haben will. In einer tour d’horizon ohnegleichen bekommen die Leser/innen einen Überblick über Hitlers Denken und seine Person. Quasi im Schnelldurchgang werden die gesamte nationalsozialistische Weltanschauung, die Beziehungen zwischen den Hauptakteuren sowie die strukturellen Grundbedingungen dargeboten. Diese Mischung einerseits und die integrierte Berücksichtigung der personellen und strukturellen Innenperspektive des Regimes und seiner Partei andererseits in einer Publikation waren vor 1939 einzigartig. Inhaltliche Fehlleistungen können nicht so ohne Weiteres erkannt werden. Die Forschung nach 1945 tat sich im Laufe der Zeit recht schwer mit dem Band und versagte ihm schließlich die Anerkennung als Quelle von Rang. Aus verschiedenen, politisch teils dubiosen Lagern erfolgte streckenweise eine regelrechte Verteufelung. Rauschning wurde dabei unter anderem Lüge, verletzten Stolz und Sensationsgier vorgeworfen. Der Europa-Verlag veröffentlichte das Buch nichtsdestotrotz weiter. Die neueste Ausgabe erschien, versehen mit einem sehr instruktiven Vorwort von Marcus Pyka, im Jahre 2005.

Die Betrachter/innen fragte sich angesichts der teilweise geradezu verunglimpfenden Sprache nach der sachlichen Kompetenz der Kritiker/innen. Richtig sind indes die Zweifel an der exklusiven Allgültigkeit von Rauschnings Angaben. Es sind tatsächlich nur wenige direkte und private Zusammentreffen zwischen ihm und dem Diktator belegt (wobei Rauschning allerdings meist auch keineswegs behauptet, dass er mit Hitler nur unter vier Augen geredet habe). Auch erwiesen die angeführten Textvergleiche, dass Inhalte von Veröffentlichungen, etwa den Werken Ernst Jüngers, in den Text der „Gespräche mit Hitler“ eingeflossen sind. Nur, und darin liegt die eigentliche Crux der Kritiker, bleiben diese Argumente meist an der Oberfläche, zeigen sich die angeführten Belege mehr als selektiv sowie textextern und sind teils in einem sensationalistischen Ton gehalten, weisen also eigentlich genau die Mängel auf, die Rauschning selbst vorgeworfen werden. Ihr Referenzmaterial erweist sich inhaltlich als häufig durchaus als nur allgemein kongruent.

Die Kritiker/innen haben offensichtlich den Sinn moderner Literatur nicht verstanden, wenn sie eine Reihe von Zitaten von Jünger und anderen Schriftsteller/innen als angeblichen Beweis gegen die Authentizität Rauschnings anführen. Wie die Literaturwissenschaft inzwischen deutlich gezeigt hat, kann die Beeinflussung durch literarische Texte sehr weit in die mentale Struktur Einzelner vordringen. Die Tatsache allein, dass Übereinstimmungen vorhanden sind, bedeutet lediglich, dass kontextuale Verbindungen bestehen. Es gehört zum Wesen der modernen Medien mit ihrer ubiquitären Veröffentlichungspraxis, dass Texte weithin bekannt sind. Es ist durchaus möglich, dass das Gedankengut des Autodidakten Hitler sich in zentralen Fragen aus unterschiedlichen Quellen speiste bzw. ähnlich manifestierte, das heißt Hitlers Reden in den „Gesprächen“ mit den tatsächlichen Gedankengängen des Diktators übereinstimmen. Die literaturwissenschaftliche Methode, um hier weiterzukommen, heißt „Intertextualität“, ein Metier, das –richtig und ausgewogen angewandt- den Einflüssen zwischen Texten erheblich besser gerecht wird als einseitige Beschuldigungen. Rauschning selbst hat auf diesen Zusammenhang verwiesen. Erst die allseitige Berücksichtigung der Texte unter kritischer Würdigung der Plausibilität führt dann zu stichhaltigen Schlüssen in Bezug auf die Echtheit verschiedener Teile und damit auch zu den Inhalten des individuellen Denkens historischer Akteure.

Die Kritiker/innen Rauschnings führen ferner seinen Lebenslauf als Beleg für Verlogenheit an, wobei sie – durchaus korrekt – die Karrieresucht des anfänglich überzeugten Nationalsozialisten Rauschning und seine teils dubiose Rolle in Danzig 1933/34 anführen. Es entsteht das Bild eines beleidigten und rachsüchtigen Verlierers, der aus Hass die Unwahrheit verbreitet. Demgegenüber ist zu fragen, ob die Tatsache des Scheiterns automatisch gleichzusetzen mit vollkommener Manipulation ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass Verlierer/innen und Unzufriedene aus dem Nähkästchen plaudern und dabei für die aktuell Regierenden höchst peinliche, weil korrekt wiedergegebene Zusammenhänge offenlegen. Die Berichterstattung des „Spiegel“ etwa, die sich für die Geschichte der Bundesrepublik inzwischen vielfach als ernstzunehmende Quelle erwiesen hat, legt davon beredtes Zeugnis ab. Für die Wahrheitsfindung hilft ausschließlich die Prüfung der historisch-politisch-ideologischen Inhalte in toto – und genau hier, so drängt sich der Verdacht gegenüber so manchem Kritiker Rauschnings auf, sollte mit überzogenen Angriffen abgelenkt werden. De Facto nämlich gibt Rauschning das strukturelle Ganze des Regimes sehr deutlich und meist richtig wieder. Die Grenzen des Textes sind freilich ebenfalls deutlich erkennbar. Diese erstrecken sich vor allem auf die Schlusskapitel, die vom Duktus her eher fiktive Literatur als Augenzeugenbericht sind.

Die Trennlinie zwischen Realität und Fiktion bei Rauschning lässt sich anhand genauer Betrachtung anhand von Referenztexten festmachen. Im Folgenden soll an einigen ausgewählten Beispielen demonstriert werden, wie ein systematischer, interdisziplinärer (Neu)anfang aussehen könnte. Die Verhältnisse werden sehr gut im Falle der westlichen Demokratien USA und Großbritannien deutlich. Besonders intensiv hat sich Hitler mit England und seinem Empire auseinandergesetzt. Die Aussagen, die dazu bei Rauschning enthalten sind, harmonieren und ergänzen sich auffällig mit den Angaben der „Tischgespräche“, die Henry Picker 1941/42 aufgezeichnet hat (aktuelle Neuauflage im Jahr 2003 erschienen), einer Quelle, die allgemein anerkannt ist. Ein Vergleich beider Text ergab deutliche Kongruenzen, obwohl Letzterer nach Kriegsbeginn bzw. Totalisierung des Krieges entstand. Dies gilt insbesondere für die Mischung aus Bewunderung und Hass gegenüber dem Empire und den dort angewandten Herrschaftstechniken – jedenfalls insofern Hitler sie nach eigenem Bekunden erkannt haben wollte. In beiden Texten betont der „Führer“ mehrfach und deutlich in herablassend-verächtlicher Diktion, dass man ein Weltreich nicht mit Bildungs- und Sozialpolitik betreiben kann, sondern mit imperialem Bewusstsein, Unterdrückung und intellektuellem Kleinhalten der Beherrschten.

Die große Chance für sein Reich sieht Hitler in beiden Texten in der immer größer werdenden „verjudeten“ Dekadenz demokratischer Prägung jenseits des Kanals. Bei Rauschning wird (S. 117f.) der Zerfall des britischen Weltreiches angekündigt, weil bei den Briten „nirgends der Mut entschlossener Herrschaft“ (mehr) vorhanden sei. Bei Picker heißt es (S. 333): „Wenn England heute in Indien scheitere, so liege das ganz allein daran, daß England heute nicht mehr die Kraft habe, wie ein Eroberervolk zu herrschen. Die Engländer hätten ihre Geschichte in den letzten Jahrzehnten aber ja auch zu sehr überschätzt und sich so von einer strikten Befolgung der Weisheiten geschichtlicher Glanzzeiten abbringen lassen.“ Ähnliches lässt sich für die Innenpolitik konstatieren. Bei Picker sind zahlreiche Stellen zu finden, in dem die britische Gesellschaft als dekadent und dem Zusammenbruch nah beschrieben wird. Insbesondere der Adel und die bürgerlichen „Krämer“ werden als morbide Schichten beschrieben, die die Unterschicht ausbeute und die infolge mangelnder Fähigkeit zu rigorosem Durchgreifen alsbald in Bürgerkrieg und Revolution ausgemerzt würden. Dies wäre dann die Chance für die ‚wahren‘ Kräfte, das heißt die rassebewussten Engländer unter Führung energischer Männer. Wer Letztere seien, wird ebenfalls klar. Picker, (S. 134f.): „Die Gesellschaftsschicht, die nur Kopf ist, sieht sich durch eine Art schlechtes Gewissen belastet. Wenn wirklich Revolutionen kommen, wagt sie nicht hervorzutreten. Sie setzt auf den Geldsack und ist feige. [...] Wenn die Engländer die 9000 Faschisten loslassen, so schlagen sie den Plutokraten die Knochen entzwei, und damit ist die Frage gelöst. Persönlich glaube ich, solange sich für eine Idee in einem Staat 9000 Menschen finden, die bereit sind, in die Gefängnisse zu gehen, ist eine Sache nicht verloren.“ Genauso Rauschning, (S. 44): „[...] wahnwitzig sind die demokratischen Ideen einer Rangordnung auf Grund des Geldsackes. Echtes Herrentum entsteht nicht aus den zufälligen Spekulationsgewinnen von smarten Geschäftsleuten.“ (S. 219f.): „Der aktive Teil der Nationen, der kampfwillige, der nordische, wird wieder heraufsteigen und über diese Krämer und Pazifisten, diese Puritaner und Geschäftemacher zu dem beherrschenden Element werden. [...] Eines Tages [...] werden wir mit diesen neuen Männern in England, Frankreich, Amerika einen Bund machen. Dann nämlich, wenn sie sich in den riesenhaften Prozeß der Weltumschichtung einfügen und freiwillig mitarbeiten.“ Dies führt weiter in den militärischen Bereich. In Bezug auf die Kriegführung sind im Ganzen in beiden Texten ebenfalls weitgehende Übereinstimmungen zu finden. Hier wird dort wird auf den Totalen Krieg unter skrupelloser Anwendung aller Mittel – auch gegen die Zivilbevölkerung – als entscheidendes Mittel abgehoben. Insbesondere die Luftwaffe wird hierbei als wichtiges Mittel und Kristallisationspunkt genannt. Gemäß den auch in „Mein Kampf“ bezeugten Vorstellungen von der staats- und gesellschaftspolitischen Präponderanz rassereiner Kampfeliten (Prätorianer, Landsknechte, U-Bootsbesatzungen) wird vor allem das Fliegerkorps als verbindendes Element genannt:

Rauschning, (S. 14): „In der Luftwaffe werden wir selbstverständlich führend werden. [...] Es gibt nur einen ernstlichen Gegner für uns auf diesem Gebiet: die Engländer. Nie werden Slaven einen Luftkampf zu führen verstehen. Es ist eine männliche Waffe, es ist eine germanische Art des Kampfes. Ich werde die größte Luftflotte der Welt bauen lassen. Wir werden die verwegensten Piloten haben.“

Picker, (S. 257): „England habe eine wunderbare Menschenauslese in seinen oberen Schichten. Die unteren Schichten aber seien Dreck. [...] der englischen Oberschicht – auch der zähen, drahtigen, aber charmelosen englischen Frau in dieser Schicht – sehe man die tausendjährige Auslese an. Er [Hitler] hätte deshalb gern diesen Krieg gegen Bolschewismus mit der englischen Marine und Luftwaffe als Partner geführt.“ (S. 456): „Es sei verständlich, daß die Judenpropaganda gegen die besten englischen Kräfte in der englischen Luftwaffe die Flieger langsam, aber sicher in das Lager der Antisemiten treibe […]. Ebenso wie die Luftwaffe sich von der jüdischen Propaganda nicht zersetzen lasse, da den jüdischen Dreckschweinen dort ein geschlossenes Führerkorps gegenüberstehe, so lasse sich auch die englische Armee und die englische Marine nicht zersetzen.“

Die Liste der Gemeinsamkeiten ließe sich noch fortsetzen, so z.B. im Falle der „Pflicht zu entvölkern“. In beiden Texten kommen KZ und eine bewusste Exterminationspolitik nicht vor. Stattdessen geht es um Aussiedlung der Juden und Versklavung, Dummhaltung und Geburtenreduzierung der Slawen. Die Grenzen des Textes von Rauschning zeigen dann vor allem am Beispiel der USA, wobei aber auch hier zunächst deutliche Übereinstimmungen mit dem Text von Picker vorliegen (‚verjudete‘ und ‚negroide‘ Demokratie sowie Hoffnung auf einen ‚wertvollen‘ germanischen „Rassekern“ für kommende Führungsaufgaben). Der entscheidende Unterschied offenbart sich dann bei der Definition der eigenen Handlungsmöglichkeiten. Rauschning hat in seinen Text, offensichtlich, um die Welt ‚wachzurütteln‘, einen angeblich vorhandenen weltumspannenden Subversionsplan insbesondere auch gegen die USA eingefügt, der beweisen sollte, dass die Demokratien bereits aktuell bedroht waren. Diese macchiavellistisch-taktische Perspektive ist auch in den Passagen zu den Juden und zu einzelnen, markanten Ereignissen, vor dem Reichstagsbrand, enthalten. Damit lässt sich durchaus ein inhaltliches Gesamturteil fällen. Die „Gespräche mit Hitler“ bieten in fast allen strukturellen Grundsatzfragen recht gute Auskunft über Denkansatz und Ziele Hitlers. Wo allerdings das Vorgehen bei Einzelheiten von zeitgenössischer Relevanz oder Hitlers Persönlichkeit betroffen sind, neigt Rauschning zu einer massiven Zuspitzung und Radikalisierung, die nicht den Tatsachen entspricht.

Der sprachliche Stil ist bei beiden Texten tendenziell ähnlich. Er geriert sich voller Bilder und Anspielungen mit teils derb plastischem und verächtlichem Duktus, wobei bei den „Tischgesprächen“ teils ein erheblich radikalerer Ton zum Tragen kommt. Diffamierung hat das Buch keinesfalls verdient. Es stellt in Teilen, vor allem in den beiden Schlusskapiteln, eine Mischform zwischen Literatur und historischer Quelle dar (vielleicht hilft ein Vergleich mit den Werken Alexander Kluges weiter), dies in einer Einzigartigkeit, die auch der Tatsache geschuldet ist, dass sie in den Jahren 1933/34 angesiedelt ist und von einem Protagonisten eines exponierten Gebietes verfasst wurde. Dass das Buch in Verruf geriet, geht zum Teil auf seine anfänglich viel zu unkritische, weil vielleicht auch bequeme Verfügbarkeit als Zitatensteinbruch für Historiker zurück. ‚Von sensationeller Begeisterung zu skandalumwitterter Verdammung‘ könnte man als Leitsatz für die Rezeptionsgeschichte ausgeben. Dabei handelt es sich um eine historische Quelle eines intelligenten Beobachters, der die Substanz des Diktators und seines Werkes lange vor dessen Ende intuitiv auf den Punkt brachte: „Sein Leben war ein Fiebertraum. Er wird der große Schuldige heißen. Nichts hat er geleistet. Nur zerstört hat er.“

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